Aug 25, 2020


DAVE SHARP - Hard Travellin' (I.R.S. Records X2 13090, 1991)

Der Sänger und Gitarrist Dave Sharp dürfte manchem Musikfan als Mitglied der sehr erfolgreichen Band THE ALARM noch in Erinnerung sein. Er gründete die gleichermassen von der ausgehenden Punk-Aera und der aufkeimenden britischen New Wave beeinflusste Band im Jahre 1981 zusammen mit Mike Peters (Gesang und Gitarre), Eddie MacDonald (Bass) und Nigel Twist (Schlagzeug). Praktisch während der gesamten 80er Jahre war die Gruppe einer der führenden Vertreter der neuen britischen Poprock-Szene. Die Band experimentierte allerdings nicht mit neuestem synthetischem Instrumentarium, sondern setzte zumindest in punkto Songarrangements nachwievor auf analoges Equipment, zumeist verwendeten sie in ihren Songs sowohl akustische, wie elektrische Gitarre und kamen damit nicht selten in die Nähe des Americana Sounds, was zum Beispiel Coversongs wie etwa "Rockin' In The Free World" von Neil Young noch untermauerten. Die Gruppe landete zahlreiche Hits, auch ausserhalb Englands. Titel wie "The Stand," "68 Guns," "Absolute Reality," "Strength," und "Rain In The Summertime" waren auch hierzulande durchaus erfolgreich.

Als sich die Gruppe 1990 trennte, siedelte Dave Sharp nach New York um und schloss sich der Rockabilly Band The Barnstormers aus New Jersey an, die er auch als Backing Band für sein erstes Soloalbum "Hard Travellin'" verpflichten konnte. Die Platte erschien 1991 und war unterteilt in zwei musikalische Kategorien: "Electric" und "Acoustic". Produziert von Bob Johnson, der schon bei Bob Dylan bei dessen Platten-Klassikern "Blonde On Blonde", "John Wesley Harding" und "Nashville Skyline" als Produzent mit dabei war, sorgte dafür, dass aus dem vordergründig noch recht ALARM-lastigen Folkrock von Dave Sharp auch eine akustische Seite zum tragen kam, die den Musiker stilistisch durchaus in die Nähe von Bob Dylan positionierte. Die Platte "Hard Travellin'" wurde von den Kritikern sehr positiv bewertet, leider ohne einen nennenswerten Verkaufserfolg zu generieren. Dabei beinhaltet die Platte eigentlich sämtliche Zutaten eines Erfolgsalbums: Die allesamt aus der Feder von Dave Sharp stammenden Titel sind erstklassig komponiert, perfekt instrumentiert und kompetent gespielt. Neben den Musikern der Band The Barnstormers konnte Dave Sharp einige zusätzliche hochkarätige Gastmusiker für die Aufnahmen zum Album verpflichten. So etwa den renommierten Al Kooper für die Hammond Orgel,  McGavock Gayden an der akustischen Gitarre und Billy Beard, der Schlagzeuger der Alternative Rock Band FACE TO FACE.

Das elektrische Set umfasst 6 Songs, die alle den typischen Americana Rock der beginnenden 90er Jahre bieten, welcher beispielsweise auch von den Brandos oder Blue Rodeo präsentiert wurde. Was im Falle von Dave Sharp's Songs dagegen anders ist: Er hat seinen Songs keinen Hochglanz-Sound verpasst, sondern die Musik recht roh belassen und man kann sich durchaus vorstellen, dass er mit seiner Band seine Songs auch live ziemlich genauso präsentiert hat. Der vom klassischen Rockabilly inspirierte Opener "In The City" zeigt klar die Handschrift der Barnstormers, holpert lüpfig und rauh, ohne glänzende Fassade. Die Ballade "It Ain't Long For The Day" wiederum könnte auch ein verschollener Bob Dylan-Track sein. Der Song ist wundervoll flächig mit Al Kooper's Hammond Orgel arrangiert, die dem Song den Charakter gibt. "Wonderful World" ist dasselbe, jedoch als Steigerung: Wiederum Al Kooper's exzellentes Hammon Orgel-Spiel, aber ein insgesamt rasant Fahrt aufnehmender Titel, der wieder die angenehme Rockabilly-Rumpelrhythmik bietet. "The Last Smilin' Villain From The South" brilliert durch einen hervorragenden Songtext. "Long Black Night" ist ein Americana-Rock der allerbesten Sorte, mit einem unwiderstehlichen Refrain zum Mitsingen. Schliesslich die schleppende Nummer "New Age Eden" wieder mit Al Kooper's famoser Hammond und einer hervorragenden Story.

Das akustische Set mit seinen 5 Songs klingt dann schon fast wie in der Tradition der grossen amerikanischen Folk-Troubadoure der 60er und 70er Jahre. Assoziationen ewta zu Mickey Newbury, John Prine, vor allem aber Bob Dylan werden sofort wach, wenn man sich die Titel "In The Dead Of The Night" oder das Titelstück anhört: Beide Songs sind ausschliesslich mit einer akusitschen Gitarre vorgetragen und leben alleine von Dave Sharp's manchmal etwas kauziger, leicht krächzender Stimme, die jedoch sehr eindringlich herüberkommt, ohne penetrant oder gar nervig zu wirken. Geschmackvolle Chorstimmen einiger Gastsänger werten die Songs zusätzlich auf und das abschliessende "Homeless Child" klingt schon fast wie ein altes Pete Seeger Original, dem hier neues Leben eingehaucht worden ist.

Dave Sharp spielte in den beiden Folgejahren ausschliesslich Konzerte in den USA, nahm 1995 ein weiteres Soloalbum auf ("Downtown America"), das genauso unverzichtbar ist wie dieses Debutalbum, das danach allerdings keine Fortsetzung mehr fand. Dave Sharp hat allerdings auch weiterhin Konzete bestritten und im Jahre 2007 zu einem Paukenschlag ausgeholt: Er gründete - in Anlehnung an sein Debutalbum - die Band THE HARD TRAVELERS, zusammen mit dem legendären irischen Folkrock-Musiker Henry McCullough. Mit dem Keyboarder Zoot Money, der schon in den 60er Jahren mit seiner Big Roll Band und mit Dantalion's Chariot grosse Erfolge feiern konnte und mit prominenten Top-Musikern wie dem Ex-Fleetwood Mac Gitarristen Peter Green, dem Folkrock-Sänger Kevin Ayers und der Band Humble Pie spielte, stieg ein weiterer Promi bei den Hard Travelers ein. Die Rhythmusgruppe bestand aus dem Bassisten Gary Fletcher (The Blues Band) und dem Schlagzeuger Colin Allen, der sowohl bei der Band Stone The Crows, als auch bei Bob Dylan, John Lee Hooker, Memphis Slim, John Mayall's Bluesbreakers, Mick Taylor und bei vielen Anderen trommelte. Mit den Hard Travelers verfolgte Dave Sharp das musikalische Ziel, die klassischen Songs von Woodie Guthrie einem neuen, jungen Publikum näher zu bringen.





JEFF CROSBY - Postcards From Magdalena (Blue Rose Records BLULP 0715, 2018)

Seit langem schon ist der Singer/Songwriter Jeff Crosby aus Idaho unterwegs auf den staubigen Strassen der weiten Prairie mit längeren Stopps in Kalifornien, Oregon und Nashville, um aber immer wieder in seine Heimat zurückzukehren - und sei es nur für das alljährliche Braun Brothers Reunion Festival, das sich von einem durchaus respektablen lokalen Ereignis zu einem wichtigen Event des Genres gemausert hat. Dort geriet er mit seinen attraktiven, charaktervollen Auftritten auf den Radarschirm von Blue Rose Records, die ihn postwendend unter Vertrag nahmen und Jeff Crosby's viertes Studioalbum "Postcards From Magdalena" auf dem schwäbischen Label veröffentlichten. Es ist inzwischen fast schon Tradition: alle paar Jahre gelangt ein interessanter Musiker auf den Americana/Roots-Plan, der nicht nur vom Leben on the road, der Kleinstadt-Tristesse mit all ihren Spiessigkeiten, von bitterer Liebe, neuer Hoffnung und Selbstreflektion singt, der eine grundgute Stimme mit genau der richtigen Dosis Rauhheit besitzt und Begleitmusiker ausgewählt hat, die einen astreinen Job machen, sondern darüber hinaus dieses ganz spezielle, relaxte 70er Westcoast Feeling ausströmt, das man vor vielen Jahrzehnten mal im Zusammenhang mit Gram Parsons 'Cosmic American Music' genannt hat.

Israel Nash ist so ein Typ, Elijah Ocean muss man erwähnen und ganz sicher gehört auch Jeff Crosby in diese Kategorie. Geboren und aufgewachsen in Donnelly, Idaho zog es Crosby mit Anfang 20 nach Los Angeles, wo er 5 Jahre in der Nähe des Sunset Boulevard alle Höhen und Tiefen eines talentierten Newcomers erfuhr. Hier schrieb er seine ersten starken Songs und begann seine Karriere mit über 250 Shows pro Jahr im Stil eines echten Troubadours. Er verpflichtete, rund um den Gitarristen/Keyboarder John Gilbertson und seinen Bruder Andy Crosby am Bass, seine Begleitband The Refugees und hinterliess mit den Alben "Jeff Crosby" (2011), "All Nighter" (2014) und "Waking Days" (2015) erste Spuren auf Tonträger. Über zwei Jahre spielte er dazu parallel als Gitarrist bei dem kultig-legendären Pacific Northwest Singer/Songwriter und Jam Rocker Jerry Joseph, bekannt von Little Women, als Solomusiker, aktiv aber auch bei den Jackmormons, bei der Band Stockholm Syndrome, und ausserdem auch Songautor für die weitaus populäreren Widespread Panic.

Seit 2016 konzentrierte sich Jeff Crosby voll auf die Songs, die Aufnahmen und die Produktion zu seinem Album "Postcards From Magdalena". Es sollte sein bis dato reifstes, professionellstes und stilistisch breitest gefächertes Projekt werden und seinen Durchbruch, nicht nur in den USA von Küste zu Küste, sondern auch bei der stetig wachsenden internationalen Americana-Gemeinde bewirken. Keine Frage, es war ihm gelungen, das Album geriet in der Tat zu einem Genre-Meisterwerk. Die zehn für das Album eingespielten Songs waren inspiriert von den verschiedenen Plätzen und Kulturen, die Crosby in den Jahren zuvor besucht hatte - teilweise für länger, um richtig einzutauchen: England, Island, Kolumbien, Nicaragua und in den Vereinigten Staaten Portland, Oregon, Los Angeles, Alaska, Nashville und natürlich immer wieder Donnelly, Idaho bei seiner Familie und alten Freunden. Mehr noch als auf den Vorgängerplatten hatte sich Jeff Crosby mit seinem Team nun sehr um eine originelle Ausgestaltung seiner Songs gekümmert. So hatte er beispielsweise die Klangmöglichkeiten der Pedal Steel Guitar genutzt, um teilweise regelrechte Soundlandschaften zu kreieren - Ben Waligoske aus Colorado (Springdale Quartet, King Cardinal) und Paul Brainard aus Portland (Richmond Fontaine) wechselten sich dabei ab.

Diese beiden Musiker gehörten zum erweiterten Kreis der Refugees um John Gilbertson und Andy Crosby sowie den Schlagzeugern William Prescott, Marshall Vore und Ryan Wykert, Keyboarder Daniel Blumenfeld oder Multi-Instrumentalist Roger Alan Nichols. Der erfahrene Gregg Williams (Blitzen Trapper, The Dandy Warhols, Jerry Joseph, Pete Droge, Jesse Malin) hatte den Grossteil der Aufnahme-Sessions in Portland produziert. Ein paar Feinheiten wurden in Nashville nachgearbeitet. Es gab - und das war vielleicht das Ungewöhnlichste an diesem Album - gar keinen Song mit 'Magdalena' im Titel, dennoch schwebte dieser Name atmosphärisch über dem gesamten Album. Denn Magdalena gilt unter Sprachgelehrten als Synonym für seltene, aus dem Innersten kommende Schönheit. In Wirklichkeit entstand der Album-Opener in Kolumbien in der nördlichen Provinz Magdalena am karibischen Meer. In "Best $25 I Ever Spent" schildert Jeff Crosby ein modernes Hippie-Szenario einer lauen Nacht am Strand mit seiner Liebsten - trefflich intoniert als lockerer 70er Jahre Country Rock mit perlenden Gitarren, einer Pedal Steel Gitarre und diesem klaren, leicht nasalen Gesang von einer markanten Stimme mit rauhem Unterton, die den Zuhörer von nun an als grösstmöglicher Sympathieträger begleiten sollte.

Mit "Everything Will Change" folgt ein weiterer Pedal Steel-getränkter Road Song mit Motiven einer Tour auf der Interstate 80 durch Wyoming, während Crosby in der Westcoast-Träumerei "Full Moon On Sunset" über seine Zeit im Herzen von Los Angeles sinnieren mochte. "Cold Summer" bietet Fleetwood Mac-Feeling all over, neben tollen Harmonien im Chorus begeistern die vielen Gitarren-Licks aus der Lindsey Buckingham-Trickkiste. Mit "Hearts Too Heavy" folgt eine nachdenkliche, emotionale Ballade, sehr intensiv gesungen und schnörkellos von der guten Band untermalt. Nach dem langsamen Start des eigentlich recht traurigen "What Stories, What Light" kommt ab Mitte des Songs nochmal richtig Fahrt auf, das ist bester Country Rock im Geist der frühen Eagles oder Jackson Browne: "I'm dreamin' American dreams in the ocean of desire known as the western world". Nicht nur mit dieser Zeile erweist sich Jeff Crosby als wortgewandter Poet. Durchweg schreibt er unbedingt mitlesenswerte Songtexte.

"It's Us" kommt als straighter Midtempo Rocker mit mehreren elektrischen Gitarren und druckvoller Rhythm Section, der mit über 6 Minuten längste Track "Sunrise Over Iceland (For Lois)" überzeugt mit einer unwiderstehlichen Hookline und delikaten Arrangements mit besonderer Instrumentierung von Steel Guitar, Drums, Slide Guitar, Klavier und Banjo. Es ist ein Trauerlied über den Verlust einer Freundin, von deren Tod er auf Island erfährt. Nichts kann mehr so sein wie zuvor. "Beautiful And Strange" erinnert an Tom Petty zwischen leicht melancholisch und melodisch-poppig, ausgestattet mit herrlich twangenden Gitarren über dem kalifornischen Beat. Am Ende der regulären Scheibe steht der einzige wirkliche Solosong. In "Hotel Bibles" bereut der Erzähler seine schweren Fehler, die zur Aufgabe einer grossen Liebe führten. Akustische Gitarre, Mundharmonika, Gesang: Bob Dylan meets Steve Earle Folk der Güteklasse A, nichts weniger. Zwei exklusive Bonus Tracks runden diese ausgezeichnete Veröffentlichung ab: Während "Lonely In Love" zunächst noch ein weiteres Mal auf der California Cosmic Country Rock-Schiene fährt, ergehen sich Jeff Crosby und seine Band auf "Time Is Cryin" in schwer elektrischen, massiv klotzenden Southern Blues Rock, der musikalisch stark vom eigentlichen Thema abweicht. Sozusagen ein echter Rausschmeisser. Ein tolles Album, das zu entdecken sich unbedingt lohnt.





AMELIA CURRAN - They Promised You Mercy (Six Shooter Records SIX089, 2014)

Amelia Curran ist eine kanadische Singer-Songwriterin aus St. John's, Neufundland. Die National Post beschreibt ihre Musik als ein bisschen wie Leonard Cohen, der von Patsy Cline in einem staubigen Salon kanalisiert wird. Als Teenager begann sie Gitarre zu spielen und Songs zu schreiben und brach schliesslich die Universität ab, um auf den Strassen von St. John's als Strassenmusikerin zu spielen. Amelia Curran veröffentlichte ihr erstes Album im Jahre 2000 und seitdem hat sie viele weitere veröffentlicht. Curran's Songtexte wurden von einem kanadischen Musikkritiker als 'evokativ' beschrieben, der unter Bezugnahme auf Curran's Titel "The Mistress" schrieb: "Wie die besten Dichter packt Curran so viel Bedeutung in jede Zeile, dass der Hörer kaum Zeit hat, jeden cleveren Text vorher zu registrieren".

Bei ihrer Veröffentlichung "Trip Down Little Road" im Jahre 2001 trat Amelia Curran als Mitglied der Gruppe The Sense Amelia Project auf, einer siebenköpfigen Gruppe, zu der auch der Trompeter Caleb Hamilton gehörte. Das Sense Amelia Project wurde 2003 für einen Preis der East Coast Music Association in der Kategorie Rock Recording of the Year nominiert. Ihre Veröffentlichung von 2006 mit dem Titel "War Brides" wurde zunächst bei einem kleinen Independent Label und später von Six Shooter Records in Europa und Kanada veröffentlicht. "War Brides" wurde für zwei East Coast Music Association Awards in den Kategorien Folk Recording of the Year und Female Solo Recording of the Year nominiert. Ein von Curran geschriebenes Stück ("The Union") wurde von der in Nova Scotia ansässigen Folk Roots Gruppe Heavy Meadows aufgenommen und bei ihrer gleichnamigen Veröffentlichung im Jahr 2004 veröffentlicht.

Im Jahre 2009 veröffentlichte Curran das nächste Werk "Hunter Hunter". Sie beschreibt dieses Album als etwas härter als "War Brides", aber nur marginal. Es ist das erste Album, das sie in ihrer Heimatstadt St. John's aufgenommen hat. "Hunter Hunter" bescherte Curran Nominierungen für vier 2010 East Coast Music Association Awards in den Kategorien Weibliche Soloaufnahme des Jahres, Genre-Aufnahme des Jahres, SOCAN-Songwriter des Jahres und Folk Album des Jahres. Am 17. April 2010 gewann Amelia Curran ausserdem einen der sehr begehrten Juno Awards in der Kategorie Roots und traditionelles Album des Jahres (für "Hunter Hunter"). Im selben Jahr gewann Curran auch den ersten Preis (Folk-Kategorie) des 15. jährlichen USA Songwriting Wettbewerbs und wurde bei den Canadian Folk Music Awards zur Solokünstlerin des Jahres gekürt.

Curran's Album "They Promised You Mercy" wurde am 8. November 2014 veröffentlicht. Die Künmstlerin erhielt Nominierungen für vier East Coast Music Association Awards 2016 für das Album und gewann in der Kategorie Songwriter des Jahres. Im Jahr 2017 veröffentlichte Curran ihr achtes Album mit dem Titel "Watershed". Auf diesem Werk wurde Amelia Curran vom Gitarristen Dean Drouillard, dem Bassisten Devon Henderson und dem Schlagzeuger Joshua Van Tassel (Mitglied der Gruppe Great Lake Swimmers) begleitet. Curran wurde für die JUNO Awards 2018 in den Kategorien Contemporary Roots Album des Jahres und Songwriter des Jahres (für die Songs "Come Back for Me", "Watershed" und "Try") und 2018 East Coast Music nominiert. Amelia Curran ist nicht nur Musikerin, sondern auch Dramatikerin und Schauspielerin und gehört in Kanada zu den bekannten Künstlern. Leider ist sie hierzulande praktisch unbekannt geblieben.






WILLIAM CLARK GREEN - Rose Queen (Blue Rose Records BLU DP0630, 2014)

Und wieder ein neuer Typ am unendlich weiten Himmel über Texas. William Clark Green - ein Name wie aus dem Setzkasten für Countrymusik - heisst der Gute und, ja, er macht auch Country. Jene Sorte Country, die sich gerne mit Rock, Folk, Roots Music, viel Lokalkolorit und einer gewissen ländlichen Rauhbeinigkeit verbindet und die, obwohl durch und durch texanisch, oft in den kleinen, hipperen Studios in Nashville abseits der Hutträger-Industrie hergestellt wird. "Rose Queen" ist Green's drittes Album, aber bei aller Wertschätzung für sein Frühwerk, das erste richtig professionell durchdachte und das erste, das von wesentlich mehr als einer Handvoll Fans überregionale Beachtung findet. Green, der heute in Lubbock lebt, ist in der Nähe von Tyler im Osten des Staates Texas, aufgewachsen. Bereits im zarten Alter von 13 war klar, was aus ihm mal werden sollte: ein erfolgreicher Texas Folk & Country-Musiker nach Art seiner grossen Vorbilder Gene Clark, Steve Earle, Townes Van Zant, Lyle Lovett, Rodney Crowell und dem von ihm besonders verehrten Willis Alan Ramsey.

Mit 22, im Jahre 2008, hat er sein Debütalbum "Dangerous Man" vorgelegt, gefolgt von "Misunderstood" zwei Jahre später. Beide Scheiben sind geprägt von Talent und Aufbruchsstimmung, so hat er sämtliche Songs selbst verfasst und mit soliden Musikern kompetent aufgenommen. Aber der Schritt zu "Rose Queen" kommt denn doch einem Quantensprung gleich. Alle elf Titel stammen wieder aus seiner Feder, vier davon jeweils in Zusammenarbeit mit den befreundeten Kollegen Kent Finlay, Brandon Adams, Kenneth O'Meara und Brian Keane. Und diesmal geht's ans Eingemachte: Persönliche Befindlichkeiten, Trennungsgeschichten und die Widrigkeiten des Everyday Life spiegeln sich in seinen Texten wieder, genauso wie Erinnerungen an seine Jugend in Tyler. Story Songs nennt man das, was Green hier bietet und dazu gehört mit "She Likes The Beatles (And I Like The Stones)" auch ein echter Mitsing-Gassenhauer, von dem die einschlägigen Texas Music-Internetsender wie KNBT & Co. gar nicht mehr lassen wollten - manch einer konnte das Stück wohl schon nicht mehr hören. Aber auf "Rose Queen" gibt es ja noch so viel mehr.

Zum Beispiel den kompletten Gegenentwurf mit dem introspektiven Abschlusslied "Welcome To The Family". Mit dem Titeltrack als Eröffnung im Steve Earle-Stil und dem nachfolgenden Country Rocker "Remedy" setzt William Clark Green die Messlatte sehr hoch an. Schon früh wird klar, dass wir hier jemanden hören, der sich mit unwiderstehlichen Hooks und Refrains auskennt. Der mit seiner Band auch richtig Gitarrendruck erzeugen kann und gerne rockt - wie bei den sehr an die Gruppe Reckless Kelly erinnernden "It's About Time" und "Hangin' Around". Als Ausgleich kommen aber auch die (Midtempo-) Balladen nicht zu kurz: Das kleine Roadmovie "Drowning" passt in dieses Raster und das gut abgehangene "Take Me Away". Und sowieso "What It Takes To Be Me", eine autobiografische Selbstreflektion, eindringlich interpretiert und herrlich mit sägender Slide Guitar umgarnt.

William Clark Green singt mit kerniger, attraktiv angerauter, sehr charaktervoller Stimme, die man unbedingt wiedererkennt und die einfach perfekt zu seiner Musik passt. Im klaren Sound (made in Nashville) regieren abgesehen von der Stimme vor allem melodisch angerockte bis slidige elektrische Gitarren neben akustischen und Steel Guitar über einer eingespielten Rhythm Section mit Gitarrist Steven Marcus, Bassist Cameron Moreland und Drummer Jay Saldana (seine Touring Band, made in Texas), dazu etwas Beiwerk, zum Beispiel Singer/Songwriter-Kollege Brian Keane an den Tasten, Rob McNelley (Delbert McClinton) mit einer zweiten elektrischen Gitarre. Das Bluegrass-gefärbte "Let's Go" wurde mit Fiddle und Mandoline garniert. Keane's Frau Rachel Loy hat die Nashville Sessions gewohnt ohrenfreundlich, warm und wie analog produziert. "Rose Queen" ist ein überragendes Genre-Werk im Bereich zwischen Red Dirt und Texamericana mit vielen Attributen, die man schon so oft vergeben hat, und auch William Clark Green wird nicht als Erneuerer in die Texas Music-Geschichte eingehen. Aber die coole Art und hörbare Leidenschaft, mit der er an seine Stücke rangeht, das ist schon was ganz Besonderes.




Aug 17, 2020



ARJEN ANTHONY LUCASSEN - Lost In The New Real
(Inside Out Music IOMLTDCD 356, 2012)

Arjen Anthony Lucassen ist ein holländischer Multi-Instrumentalist und ein Meister der Kreativität, der hierzulande schon mit zahlreichen Bands und Projekten stets einem qualitativ extrem hohen Level folgte und dabei immer wieder mit kreativen Ueberraschungen aufwartete. Seine Monumental-Epen unter dem Band-Banner AYREON, oder auch das dem Progressive Metal-nahe Projekt STAR ONE warteten stets mit einer Heerschar an hervorragenden Musikern und Sängern auf. Der Künstler zelebrierte bei all diesen Projekten aber stets die musikalische Alleinherrschaft, vielleicht am besten nachvollziehbar bei seinem Album GUILT MACHINE, das quasi als Bandname in Erscheinung trat. Die Motivation Lucassens, auch einmal ein echtes Solo-Album einzuspielen, das wiederum anderen Grundideen Nahrung gibt, ist daher gut nachvollziehbar und seiner immensen Kreativität geschuldet. Sein nimmermüder Drang, stets Neues auszuprobieren, gipfelte 2015 im Mittelalter-inspirierten Konzept-Werk "The Gentle Storm", das der Musiker mit der ehemaligen Sängerin von THE GATHERING, Anneke van Giersbergen, veröffentlicht hat.

Wichtig für den Künstler war beim 2012er Album "Lost In The New Real", der Erwartungshaltung der Fans nicht entsprechen zu müssen, nicht mit vielen Musikern zusammenzuarbeiten, und vor allem: ein komplettes Album selber einzusingen, nachdem Arjen Lucassen jahrelang stets mit Gastsängern seine Alben einspielte und nur selten einmal selber das Mikrophon in die Hand nahm. Folgerichtig war dieses Werk eigentlich das erste echte "Lucassen"-Werk, das der Musiker von A bis Z sich selbst auf den Leib zugeschnitten hatte. Es handelt sich bei "Lost In The New Real" natürlich wiederum um ein Konzeptalbum, und zwar um ein sehr Interessantes und Schlüssiges. Indem Lucassen sich vor der musikalischen Vergangenheit, die ih nselber all die Jahre geprägt hat, verneigt, stellt er ein Zukunfts-Szenario auf die Beine, wo alte Werte nicht mehr zählen, Maschinen und Computer alle instrumentalen Fertigkeiten längst übernommen und eine Welt kreiert haben, in welcher Kreativität und künstlerisches Schaffen weitgehend eliminiert ist. In einer Art Rückschau legt Lucassen ein Werk hin, das sich deshalb folgerichtig am alten Musikschaffen bedient und aufzeigt, wo eigentlich all die schön gestylte, unpersönliche und kalte Plastikwelt ihren Ursprung hatte.

Zitate gibt es in dieser Hinsicht massig. Das fängt schon bei einem eindeutigen Songtitel wie "Pink Beetles In A Purple Zeppelin" auf und manifestiert sich musikalisch in extrem vielen Schattierungen der Rockmusik, wie wir sie heute kennen, wie Rock, Metal, Pop, Folk, Industrial. Man kann "Lost In The New Real" durchaus als das Spannendste Album von Arjen Lucassen bezeichnen, denn das Vielseitigste ist es ganz bestimmt. Mit diesem Konzept breitet der holländische Musiker auch seine ganz eigene musikalische Entwicklung aus, streift all die vielen Stationen, die er selber als Inspirationsquelle über viele Jahre eingesogen hat und sie für sein eigenes Schaffen über die lange Zeit, die er nun schon Musik macht, verinnerlicht hat. Entstanden ist dadurch das mutigste Album, das der Holländer jemals aufgenommen hat. Und mit Sicherheit auch eines seiner besten. 

Inhaltlich geht es auf dem Werk wie bereits erwähnt um die Wirren der modernen, von Computern und Internet dominierten Welt. Zusammengehalten wird das Album von der Stimme des Schauspielers Rutger Hauer, den Arjen Lucassen als Sprecher für die Einleitungen zu den Songs gewinnen konnte. Wie auch musikalisch gibt es ebenso bei den Texten – trotz des konzeptionellen roten Fadens – keinerlei Barrieren. Ernste Themen stehen neben augenzwinkernden oder gar albernen, vor allem in der Popmusik üblichen Texten. Da Lucassen sich selbst keinerlei Grenzen bei der Umsetzung seines Konzeptes setzte, bietet er auch musikalisch eine enorme stilistische Vielfalt. Ob sinfonisch in Richtung klassischem Progressive Rock, eher betont bodenständig rockend, eher bombastisch oder auch bewusst sehr einfach strukturiert: Die Musik wirkt trotzdem, dank dem Gesamtkonzept, das von Rutger Hauer's Erklärungen stets zusammengehalten wird, erstaunlich kompakt und nachvollziehbar, sodass die stilistische Vielfalt auf den Hörer faszinierend und in keiner Weise erdrückend wirkt.

Natürlich gibt es auf diesem erstaunlichen Werk Passagen, die auch auf Lucassen's AYREON-Werke gepasst hätten, da er doch seinen immer wieder erknnbaren persönlichen Stil hat. Doch insgesamt bietet "Lost In The New Real" unendlich viel mehr an kreativen Spielereien als seine anderen Produktionen. Bei 20 Songs kann es vielleicht nicht 20 Volltreffer geben. Und dennoch finden sich auf dem Doppelalbum kaum irgendwelche Schwachstellen, unpassende oder gar schlechte Songs schon gar nicht. Nicht mal Mittelmässige, würde ich sagen. Denn jedes Konzept in sich sich geschlossen, die Stücke gehören alle zusammen und sollen daher auch als Ganzes funktionieren und letztlich in diesem Kontext beurteilt werden. Individuell herausgefilterte Titel als eher durchschnittlich bezeichnen zu wollen hiesse daher, das Gesamtkonzept als Solches in Frage stellen zu wollen, und dafür besteht hier in der Tat kein Anlass zu irgendwelcher Kritik. Das ganze Werk ist überzeugend aufgebaut und perfekt in Szene gesetzt, zudem von hochkarätigen Musikern eingespielt worden.

Die bereits erwähnte stilistische Vielfalt des Werks umfasst beispielsweise solch auf den ersten Blick vielleicht eher nicht zusammen passende Sachen wie das auf moderne Loungemusik getrimmte "Don’t Switch Me Off", den exaltierten Coversong "I'm The Slime" aus der Feder von Frank Zappa oder die bereits erwähnte Poprock Rundum-Hommage "Pink Beatles In A Purple Zeppelin", das selbstironisch-lässige "When I’m A Hundred Sixty-Four", das treibende "E-Police", das mächtige Beatles-orientierte Breitwand-Stück "Dr. Slumber’s Eternity Home", das nicht minder epische "Yellowstone Memorial Day" mit hörbaren Referenzen an den Altmeister David Bowie und die zehn Minuten dauernde Achterbahnfahrt des Titelsongs, um nur einige zu nennen. Herrlich wirken da dann auch die bewusst gestreuten Zitate aus allerlei bekannten Rocksongs und natürlich die gut gewählten Coversongs von Rock-Berühmtheiten, denen Arjen Lucassen musikalisch teilweise massiv zu Leibe rückte.

Beispielsweise das Pink Floyd-Stück "Welcome To The Machine", das im Kontext zur Geschichte des Albums richtigerweise ein extrem maschinengesteuertes Grundbild erhielt, das vom organischen Sound des Floyd-Originals kaum mehr etwas behalten hat - als Versinnbildlichung der kalten Welt aber hervorragend auch in so einem Klangkleid glaubwürdig funktioniert. Aber auch Led Zeppelin's "Battle Of Evermore", das für mich fast beste Stück auf dem Album, das den Hörer in seiner ursprünglichen Form mit jener wundervoll verträumten Mandolinenmelodie verführte, hier in Lucassen's Variante jedoch genau diese Gefühlskälte von heute präsentiert, die von vielen Menschen fälschlicherweise für Gefühl gehalten wird, letztlich aber doch nur Oberflächlichkeit bedeutet. "Some Other Time", im Original von Alan Parsons, passt perfekt zu diesem musikalischen Konzept und reiht sich herrlich ein in alles, was der Künmstler uns mit auf den Weg geben will: Es gibt eine andere Zeit als die heutige. Sie war einmal, könnte aber auch genauso gut dereinst einmal wieder sein. Je nachdem, wie wir Menschen mit unseren wertvollen Ressourcen umgehen und wie bewusst wir an uns selber arbeiten. "Veterans Of The Psychic Wars", ein Song der Gruppe Blue Oyster Cult, zu welchem der legendäre Science Fiction Künstler Michael Moorcock den Text beisteuerte, passt ebenfalls perfekt ins Gesamtkonzept. 

Arjen Anthony Lucassen ist nicht nur ein begnadeter Songschreiber, Instrumentalist und Arrangeur, er ist auch ein sehr guter Sänger, der mit seiner Stimme viele unterschiedliche Stimmungen transportieren kann. Angesichts der musikalischen Klasse, der Selbstverständlichkeit und der Leichtfüssigkeit, mit der er sämtliche Stilbarrieren überwinden kann, um am Ende doch ein absolut homogenes Album zu präsentieren, sei die Frage erlaubt: Was kann Lucassen eigentlich nicht ?




FREEDY JOHNSTON - Can You Fly (Bar/None Records A-HAON 024-2, 1992)

Die Lieder des in New York lebenden, ursprünglich aus Kinsley, Kansas stammenden Singer-Songwriters Freedy Johnston handeln oft von melancholischen Einzelgängern und decken Themen wie Liebeskummer, das Gefühl des Entfremdetseins und Enttäuschungen ab. Aufgrund der hohen Kunstfertigkeit seiner Songs wird er als "Songwriter für Songwriter" bezeichnet. Johnstons erstes Album "The Troubled Tree" erschien 1990. Johnston verkaufte einen Teil des Ackerlands seiner Familie, um die Finanzierung seines zweiten Albums "Can You Fly" zu sichern (über dieses Ereignis singt er in seinem Song "Trying to Tell You I Don't Know", dem Opener dieses wundervollen Albums). 1994 erfolgte mit seinem dritten Wer "This Perfect World" seine Debutveröffentlichung bei einem grossen Plattenlabel. Für dieses Album wurde er von der Kritik hoch gelobt und vom Magazin Rolling Stone zum "Songwriter des Jahres" gekürt. Das Album brachte die Single "Bad Reputation" hervor, die in den amerikanischen Billboard Hot 100 Charts Rang 54 erreichte und zu seinen bekanntesten Liedern zählt. Freedy Johnston steuerte auch Songs zu Soundtracks bei ("Kingpin", "Das Leben nach dem Tod in Denver" und "Little Manhattan").

Viele Musikkritiker sind sich indes einig, dass "Can You Fly" ein grosses Werk in der populären Musik darstellt, vor allem in den entsprechenden stilistischen Bereichen Singer/Songwriter, Americana und Roots Rock, in denen sich der Künstler bewegt. Was mich immer ein wenig geärgert hat ist die Tatsache, dass etliche Zeitgenossen ein so grosses Aufheben über die erste Textzeile der Platte gemacht haben: "Well I sold the dirt to feed the band" ("Nun, ich habe den Dreck verkauft, um die Band am leben zu halten"). Eigentlich jedoch eine kluge Entscheidung, wenn man den Sinn dieser Worte versteht: Wie bekannt, bezieht sich die Textzeile auf die Tatsache, dass Freedy Johnston einen Teil des Landes seiner Familie-Farm verkaufte, um als professioneller Musiker weiter arbeiten zu können. Es spielt daher keine grosse Rolle, ob das nun klug formuliert war oder nicht - eine weise Entscheidung war es allemal. Die Zeile bildet lediglich einen Gegensatz zu den traditionellen Werten, die Freedy Johnston in den meisten seiner Songs proklamiert.

Johnston war und ist ein extrem ehrgeiziger Musiker, aber seine Seele würde er niemals verkaufen für ein bisschen Erfolg. Seine Musik ist ein hervorragendes Gemisch aus akustischen und elektrischen Instrumenten, die manchmal interagieren, dann aber auch wieder für sich alleine stehen, und die Produktion bietet viel Raum zwischen den Darbietungen der einzelnen Musiker - Freedy's Musik klingt wie eine leicht schwebende und friedvolle Jam Session mitten in der riesigen Prärie unter einem grauen Himmel, ein bisschen so, wie das auch auf dem Plattencover dargestellt wird und das vielleicht jenen Teil seines Farmlandes im Bild festgehalten hat, das der Musiker damals verkaufte, um unter anderem diese Platte finanzieren zu können. Das ist auch nicht einmal besonders originell, denn engagierte Bands und Musiker tun viel, um ihre musikalische Seele ausleben zu können, warum dann nicht einfach einen Flecken Land verkaufen ? Freedy Johnston machte im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern jedoch etwas Grossartiges daraus.

Freedy Johnston's Stimme gleicht kaum einer anderen Stimme des Americana, die man kennt. Er singt seine Melodien, im Gegensatz etwa zu John Hiatt, mit einer ziemlich hohen Stimmlage, oft und gerne mit Kopfstimme, was zu seinen ätherischen, manchmal leicht über dem Boden schwebenden Kompositionen perfekt passt. Daneben kann er aber auch herzhaft rockig röhren, etwa im Song "Wheels", einem Titel, in welchem er von einem Kaff namens Hoffnungslosigkeit singt ("There really is a town called Hopeless"). Viele von Freedy Johnston's Liedern klingen sehr autobiographisch, und er versteht es ausgezeichnet, die jeweiligen Details seiner kleinen und grossen Geschichten in einer spröden, aber dennoch sehr poetischen Sprache abzufassen, wobei er selbst bei persönlichen Tragödien nicht auf ein kleines Augenzwinkern verzichtet. Er schreibt Lieder über Menschen, die sich Sorgen machen. Lieder über das Altwerden, über den VErlust der Kinder, wenn sie gross sind und gehen. Unabhängig davon, ob Freedy Johnston solche Texte basierend auf persönlichen Erfahrungen geschrieben hat, gelingt es ihm, diese Emotionen immer sehr persönlich wirken zu lassen, was seiner Musik eine grosse Glaubhaftigkeit vermittelt. Es sind letztlich diese Geschichten, die Jeder von uns erleben kann und bestimmt auch schon erlebt hat.

Neben dem wundervollen Titelstück "Can You Fly" überzeugen vor allem das mit einer tollen Hookline versehene "Tearing Down This Place", das zu seinen besten Momenten auf dieser Platte zählt. Hier erreicht seine Musik genau diesen Schwebezustand, den auch das Plattencover suggeriert - ein melancholisches Kleinod, das dank seines Arrangements und seiner musikalischen Darbietung nicht als drückend oder traurig empfunden wird. Im etwas folkigeren "Mortician's Daughter" erreicht Johnston's Musik eine Leichtigkeit, die einen äusserst angenehmen Zustand der Schwerelosigkeit hervorruft. Bemerkenswert schöne vokalistische Akzente schafft auch die Roots-Musikerin Syd Straw als Duettpartnerin beim Stück "Down To Love".

Musikalische Begleiter auf diesem zweiten Album von Freedy Johnston waren unter anderem Mitglieder relativ bekannter Bands, die allesamt kompetent und mit enorm viel Feeling ihren Job erledigt haben. So spielte etwa Graham Maby aus Joe Jackson's Band mit, ausserdem Jared Michael Nickerson von der Band BURNED SUGAR, Brian Doherty von THEY MIGHT BE GIANTS, Kevin Salem von GIANT SAND und DUMPTRUCK, Jimmy Lee, Alan Bezozi von MADDER ROSE und GIANT SAND und Knut Bohn von COWBOY MOUTH. Da Knut Bohn das Album auch gemixt hat, verströmt es stellenweise durchaus den sympathischen Independent-Charme von Cowboy Mouth. Dass mit den Gastmusikern Syd Straw (THE GOLDEN PALOMINOS, THE DB's), Marshall Crenshaw, Kenny Margolis (MINK DeVILLE, LITTLE BOB STORY), Dave Schramm (THE SCHRAMMS, YO LA TENGO), James MacMillan (YO LA TENGO, THE DB's) und Bob Rupe (THE SILOS, CRACKER, SPARKLEHORSE) einige prominente Künstler Schützenhilfe boten, machte dieses Album zu einem wahren Glanzstück des Americana und Roots Rock.

Und wenn das Plattencover dieses schwerelose Gefühl von Traurigkeit vermittelt, dieses wilde, unbearbeitete Stück Acker zeigt, das Freedy Johnston wohl verkauft hatte, um weiter Musik machen zu können und die unbeantwortete Frage "Kannst Du fliegen ?" im Raum stehen lässt, so darf man trotzdem nicht glauben, dass auf diesem hervorragend produzierten und gespielten Werk die Tristesse alle anderen Stimmungsfarben überdeckt. Nein, der letzte Song auf der Platte trägt den ebenso versöhnlichen wie hoffnungsvollen Titel "We Will Shine".







RICHARD BETTS - Highway Call (Capricorn Records CP 0123, 1974)

Was der Gitarrist der Allman Brothers Band auf dem 1973 erschienenen Meisterwerk "Brothers And Sister" bereits andeutete, setzte er im folgenden Jahr auf seinem ersten Soloalbum konsequent fort: Seine Vorliebe für die Countrymusik. Nicht erstaunlich, denn Richard "Dickey" Betts stammte aus einer musikalischen Familie, in welcher immer Musik gespielt wurde, hauptsächlich Bluegrass, Country, sowie Western Swing. Als Kind bereits an der Ukulele geschult, lernte er später nach und nach auch die Mandoline, das Banjo und die Gitarre zu spielen. Im Alter von 16 Jahren verliess er sein Elternhaus und begann zuerst im Grossraum Florida, mit der Zeit auch entlang der Ostküste und schliesslich im mittleren Westen der USA in verschiedenen Bands Erfahrungen zu sammeln, bevor er im Jahre 1967 zusammen mit seinem späteren Allman Brothers-Gefährten Berry Oakley die Formation SECOND COMING, seine erste eigene Band, gründete. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mit später ebenfalls bekannt werdenden Musikern zusammengespielt und wichtige Erfahrungen gesammelt, beispielsweise in einer Band namens GROUP CALLED THE JOKERS, in welcher ein gewisser Rick Derringer mitmischte und den später zum Hit werdenden Rock-Song "Rock'n'Roll Hoochie Koo" spielte.

1969 traf Richard Betts auf den Gitarristen Duane Allman, welcher sich zu der Zeit einen Namen als hervorragender Studio-Gitarrist geschaffen hatte und daher von Otis Redding's Produzent Phil Walden gefördert wurde. Walden's Idee war, Duane Allman eine kompetente Begleitband zur Seite zu stellen, um dem Gitarristen ein passendes musikalisches Korstett zu verpassen, damit dieser seinen unglaublich virtuosen und hervorragenden Stil, die Gitarre zu spielen, einem breiteren Publikum zugänglich machen kann. Allman's soulig-bluesiger Spielstil war längst in aller Munde. Bei den dafür anberaumten Jam Sessions durch die beiden Allman Brüder Duane und Gregg wurde Berry Oakley als Bandmitglied verpflichtet, der seinen Kumpel Richard Betts gleich mitbrachte. Die Allman Brothers Band war geboren. Bis zum Album "Brothers And Sisters", dem grössten kommerziellen Erfolg der Gruppe, stand der Blues eher im Vordergrund, ausserdem der Hang der Gruppe zu langen Jams auf der Bühne, die manchmal den 30 Minuten-Rahmen locker sprengten (zum Beispiel die Songs "Whipping Post" oder "Mountain Jam". Einer dieser Longtracks stammte aus der Feder von Richard Betts und hiess "In Memory Of Elizabeth Reed", ein locker-flockiger Westcoast-Jam, der öfters mal die 20 Minuten-Marke überschritt und neben dem typisch laidbacken Rock-Sound der Band auch jazzige Elemente aufwies und der heute einen der herausragenden Songs der Band darstellt.

Als Duane Allman 1971 bei einem Motorradunfall ums Leben kam, übernahm Richard "Dickey" Betts die Rolle des Leadgitarristen und die Band schwenkte für die Aufnahmen zum Album "Brothers And Sisters" in eine eher von der Country Rock Musik beeinflusste Richtung, was sich beispielsweise in den später zu Millionen-Hits mutierenden Songs wie "Ramblin' Man" oder dem Instrumental "Jessica", das Dickey Betts seiner 1972 geborenen Tochter Jessica gewidmet hatte, niederschlug. "Jessica" war der grösste kommerzielle Hit der Allman Brothers geworden und es schien nur logisch, dass Richard Betts im Folgejahr, als er mit den Arbeiten zu seinem ersten Solo-Album begann, von diesem Sound inspirieren liess. Besonders das Stück "Ramblin' Man" hätte genauso gut von seinem Soloalbum "Highway Call" stammen können. Auf diesem wundervollen Soloalbum intonierte der Gitarrist und Sänger zusammen mit einer erlesenen Mannschaft ausgebuffter Session Musiker diesen lockeren und fröhlichen Country Rock, der zudem auch noch hervorragend aufgenommen war. Den routinierten Keyboarder Chuck Leavell brachte er gleich von den Allman Brothers mit. Klar, dass die instrumentalen Leistungen der Vollblutmusiker ihresgleichen suchten. Unterstützung bekam Betts noch durch das Country-Gesangstrio The Rambos sowie vom Bluesgrass-Quartett The Poindexters.

Das Album startete mit dem locker groovenden "Long Time Gone". Betts' einzigartige Stimme und seine wunderbar jubilierende Gitarre prägten diese und auch die folgenden Nummern. Das nachfolgende "Rain" war ähnlich angelegt wie "Long Time Gone" und folgte demselben hervorragenden Arrangement-Muster. Auch dieser Song zog den Zuhörer magisch in seinen Bann. Mit "Highway Call " folgte anschliessend der Titelsong der Platte: eine wunderschön inszenierte Ballade, die von der Weite von Amerika's Highways erzählte und von Sehnsucht förmlich durchflutet wurde. Chuck Leavell glänzte darauf mit einem federleichten Klavier-Solo, das herrlich gedankenverloren und völlig unangestrengt klimperte. "Let Nature Sing" war eine fast hymnenhafte Ode an die Schönheit der Natur. Durch die Mitwirkung der Poindexters mit ihren akustischen Instrumenten wirkte dieser Song am stärksten in der traditionellen Country Musik verhaftet.

Das fast die gesamte zweite Seite der LP füllende instrumentale Stück "Hand Picked" schliesslich war eine grandiose, über vierzehn Minuten lange, leicht jazzig arrangierte und im Western Swing-Stil vorgetragene Jam Session, wie sie stilistisch rockiger auch von den Allman Brothers Band immer wieder gerne ins Szene gesetzt wurde, mit dem Unterschied, dass hier teils klassische Country-Instrumente wie beispielsweise die hervorragend gespielte Geige von Vassar Clements in den teils langen Solis Akzente setzte. Auch Chuck Leavell und Richard Betts steuerten hier mit ihrem Klavier und der Gitarre hervorragende Soloarbeiten bei, welche "Hand Picked" zum Höhepunkt dieser fabelhaften Platte werden liessen. Zum Abschluss des Albums gab es dann mit "Kissimmee Kid" noch ein kleines weiteres Instrumental, das aber flotter gespielt wurde, obendrauf. Das Stück verwies auf den Ort Kissimmee in Florida und war von Geiger Vassar Clements komponiert worden.

Das Album "Highway Call" überzeugte von der ersten bis zur letzten Minute und bot eine hervorragend gespielte und ausgezeichnet arrangierte Sammlung toller Songs und Jams, die Richard Betts' Ruf als einer der grössten Gitarristen seiner Zeit bestätigten. Schade ist die Tatsache, dass sich Richard Betts in späteren Jahren nicht mehr auf ein musikalisch ähnlich ausgerichtetes Album hat hinreissen lassen. Seine weiteren Alben, zum Beispiel mit der Band Great Southern, waren stilistisch wieder näher am Sound der Allman Brothers, teilweise sogar noch stärker im Blues Rock verwurzelt. So blieb es leider bei diesem einen wundervollen magischen Moment aus dem Jahre 1974, auf welchem dieser wunderbare Sänger und Gitarrist die Messlatte hochschraubte im Bereich Country Rock.







FRANCIS CABREL - Des Roses & Des Orties
(Columbia Records 88697271472, 2008)

Francis Cabrel gehört seit vielen Jahren zu den modernen französischen Rock-Troubadouren, die eine individuelle Metamorphose vom anfänglich noch recht ausgeprägten Chanson Pop immer stärker hin zum Rock vollzogen haben. Vergleiche zu Jean Jacques Goldman's musikalischer Entwicklung kann man diesbezüglich durchaus erkennen. Der nahe seines Geburtsortes Astaffort lebende Sänger erfreut sich seit den 80er Jahren grosser Beliebtheit, nachdem ihm 1979 der Durchbruch mit dem Lied "Je l'aime à mourir" gelang. Durch seine eindrucksvolle Diskographie konnte er sich in der Folge bis heute einen festen Platz in der französischen Musikszene sichern. In der Reihenfolge der erfolgreichsten Alben in Frankreich seit 1968 steht sein dort 3,9 Millionen mal verkauftes Album "Samedi Soir Sur La Terre" auf Platz 2. Seine Musik zeichnet sich durch anspruchsvolle Harmonien und häufig einfühlsame Texte aus, denen er mit einer freundlichen, warmen Stimme und seinem typischen südfranzösischen Akzent Ausdruck verleiht. Aber auch Rock ’n’ Roll, Folk und Blues, die in seiner Jugend durch Musiker wie Neil Young, Leonard Cohen, Jimi Hendrix und insbesondere Bob Dylan ihren Einfluss nicht verfehlt haben, prägen bis heute sein Werk. So löste Dylans "Like A Rolling Stone" bei Francis Cabrel als Jugendlichem ein Hörerlebnis aus, das ihn veranlasste, seine erste Gitarre zu kaufen. Diese spielt bei seinen Rock- und Chansontiteln fast immer eine tragende Rolle, sei dies als akustische oder elektroische Gitarre, in jüngeren Jahren insbesondere auch das Dobro oder die Mandoline.

Seine Texte handeln stets vom Leben, einer bewusst traditionell ausgerichteten Lebensart und damit einhergehend ener gewissen Heimatverbundenheit, der Liebe und Freundschaft, üben aber auch oft soziale Kritik, wie zum Beispiel bezüglich Rassismus oder Stierkämpfen - zwei immer wieder aufgegriffenen Themen Cabrels. Seine Veröffentlichungen, spätestens seit des Millionen-Erfolges "Samedi Soir Sur La Terre" bestechen durch hervorragende Songs, perfekte Arrangements und einen hohen Qualitätslevel, weshalb seine Plattenfirma stets auch ziemlich hohe finanzielle Mittel zur Verfügung stellte für seine Produktionen. Einen solchen Millionenerfolg wie "Samedi Soir Sur La Terre" konnte der Musiker indes bis heute nicht mehr wiederholen, obgleich sich auch seine nachfolgenden, leider eher spärlichen Platten allesamt perfekt anhören und sehr abwechslungsreich und hervorragend produziert sind. 

Zu Cabrel's bekanntesten Liedern gehört das seiner Frau Mariette gewidmete "Petite Marie", mit dem er 1974 den Musikwettbewerb einer französischen Radiostation gewann. Daraufhin erhielt er beim französischen Ableger von CBS Records einen ersten Plattenvertrag. "Je l'aime à mourir", das zunächst in französischer Sprache auf dem Album "Les Chemins de traverse" erschien, wurde von Cabrel unter dem Titel "La quiero a morir" auf dem 1980 in Kolumbien erschienenen Album "Algo más de amor" in einer spanischen Fassung veröffentlicht. Eine Version dieses Liedes wurde von der kolumbianischen Sängerin SHAKIRA zweisprachig gesungen. "La Corrida", ein Pamphlet gegen den Stierkampf von seinem Erfolgsalbum "Samedi Soir Sur La Terre", wurde vom Berliner Strassenmusiker Felix Meyer gesungen. Cabrel ist auch ein überaus beliebter Duettpartner, zum Beispiel - und das ist naheliegend - vom musikalischen Verwandten Jean-Jacques Goldman, aber auch von den in Frankreich sehr beliebten Künstlern Daniel Lavoie, France Gall, Maxime Le Forestier, Isabelle Boulay oder Roch Voisine. Francis Cabrel gehört ausserdem zur Stammbesetzung der ENFOIRÉS. Cabrel hat nie Lieder in englischer Sprache aufgenommen, aber gelegentlich englische Songs mit eigenen französischen Texten versehen. Von mehreren seiner Lieder singt er spanische und italienische Versionen in Konzerten und veröffentlichte sie auch auf CDs. Ausserdem schreibt er Chansons für andere sehr erfolgreiche Künstler, so etwa für Patricia Kaas und Johnny Hallyday.

Das 2008 veröffentlichte Werk "Des Roses & Des Orties" (übersetzt: Die Rosen und die Nesseln) präsentiert insgesamt 13 hervorragend arrangierte Songs, von denen 10 aus der Feder von Francis Cabrel stammen und "La Robe & L'Echelle", "Mademoiselle L'Aventure" und "Des Gens formidables" neben den anderen Stücken drei herausragende Kompositionen darstellen, wie sie in dieser Perfektion und Ausdruckskraft nur von recht wenigen französischen Künstlern präsentiert werden. Das ganze Album besticht durch seinen exquisiten Klang, für den Sébastien Bramardi und Ludovig Lanen als ausführende Tontechniker und James Farber und Matthias Froidefont als Mixing Engineers verantwortlich zeichnen. Den letzten klanglichen Feinschliff erhielt das Album in seinem finalen Mastering vom renommierten Greg Calbi von den weltberühmten Sterling Sound Studios in New York.

Das Album spielt mit vielen verschiedenen Grundstimmungen. Cabrel wechselt oft seine Gitarren, weshalb alle Songs sehr abwechslungsreich klingen, dabei jedoch stets zusammenhalten und ein wundervolles Ganzes bieten. Neben seinen klasse Eigenkompositionen präsentiert der Musiker hier auch drei Fremdkompositionen, die er textlich umgearbeitet hat und in französischer Sprache singt. Aus dem Klassiker "Born On The Bayou" von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL wir so seine Variante "Né dans Le Bayou", aus J.J. CALE's Nummer "Mama Don't" wird Cabrel's Version "Madame n'aime pas" und schliesslich bedient er sich auch am Werk von BOB DYLAN, einem seiner grossen Vorbilder, von welchem er das Stück "She Belongs To Me" entlehnt und daraus "Elle m'appartient (C'est une Artiste)" entstehen lässt.

Cabrel bietet eine aussergewöhnlich breite Vielfalt an Instrumenten auf diesem Album und fast jeder Song erhält dadurch ein ganz individuelles, stets stimmiges Klangbild. Von Trompeten über das Akkordeon, diesem typischen Chanson-Instrument, hin zu verschiedensten Klangfarben von Gitarren und anderen Saiteninstrumenten und sogar, wie im Song "African Tour" präsentiert, einem grossen Orchester, dem Cabrel lediglich etwas Weniges an Perkussion und seine gefühlvolle Gitarre entgegenhält. Wenn der Musiker schliesslich im finalen "Elle m'appartient (C'est une Artiste)", der Dylan-Covernummer, mit seinem Dobro, einem sehnsüchtigen Akkordeon und einer Nylongitarre dieses wunderschöne Chanson-Flair versprüht, beendet er eine Platte, die rundum glücklich macht.





Aug 1, 2020



THE WILD SWANS - Space Flower (Sire Records 9 26154-2, 1990)

Eines gleich vorweg: Musik von Ian Broudie erkennt man immer auf Anhieb. Er hat diesen einzigartigen, schwelgerischen Pop-Sound, den nur er hinkriegt. Er klingt nicht Retro, er IST Retro, und das war er schon immer. Alle seine Platten atmen den Geist der guten alten Zeit, als Songs noch Strophen und Refrains aufwiesen, die jedermann mitsingen kann - Songs, die selten mal die 3 Minuten-Marke sprengen und die so zeitlos sind, dass sie immer ganz nahe an die grossen Beatles-Songs herankommen. Speziell auf dem 1990 erschienenen Album "Space Flower" präsentierte er Musik, die genauso gut hätte von den Fab Four stammen können. Ian Broudie ist ein Meister der einfachen Melodie. Er hat ein Gespür für Eingängigkeit und schreibt Ohrwürmer am laufenden Band. Auch nach den Wild Swans, als er mit seiner Gruppe THE LIGHTNING SEEDS so richtig berühmt wurde, setzte er auf dieselbe Formel und konnte immense Plattenerfolge feiern.

Der am 4. August 1958 in Liverpool geborene Broudie startete seine Karriere im Jahre 1977 als Mitglied der Punk Band BIG IN JAPAN, der unter anderem das spätere FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD-Mitglied Holly Johnson angehörte. Nachdem die Band sich nach nur 15 Monaten wieder aufgelöst hatte, war Ian Broudie als Musikproduzent tätig, so etwa für die Bands ECHO & THE BUNNYMEN und THE FALL sowie für THE BODINES und THE PALE FOUNTAINS. Ab Ende 1979 spielte Broudie in der Formation THE ORIGINAL MIRRORS, der auch der spätere Status Quo-Schlagzeuger Pete Kircher angehörte. Die Original Mirrors lösten sich Ende 1981 wieder auf, nachdem die auf dem Plattenlabel Mercury Records veröffentlichten Aufnahmen ohne zählbaren Erfolg geblieben waren. 1983 gründete Broudie dann zusammen mit Paul Simpson die Band CARE. Diese Band veröffentlichte drei Singles, löste sich aber ebenfalls schon bald wieder auf. Danach bildeten Jeremy Kelly, Joseph Fearon, Paul Simpson und Ian Broudie die Gruppe THE WILD SWANS, und unter diesem Banner spielte Broudie einige Jahre recht erfolgreich seine nachwievor auf denselben musikalischen Eckpfeilern basierenden Pop-Songs, die einerseits von den New Wave-dominierten 80er Jahren, jedoch weiterhin auch von den popmusikalischen Ideen der Beatles inspiriert waren. Noch bevor mit "Bringing Home The Ashes" im Jahre 1988 das erste Album der Wild Swans erschien, hatte die Band bereits fünf Singles und EP's veröffentlicht, die allesamt zwar zur Kenntnis genommen wurden, jedoch lediglich unter Insidern und Fans hohes Ansehen genossen.

1990 richtete Ian Broudie seine Wild Swans personell neu aus und auch musikalisch gelang ein neues Konzept, das nunmehr zum Alternative Pop tendierte. Der ganze 60er Jahre Appeal kam hier nun voll zum tragen, währenddessen die zuvor noch stilbildenden New Wave Elemente gänzlich verschwunden waren. Grossen Anteil an diesem neuen "alten" Sound, der nun noch mehr dem Pop der Beatles näherkam, hatten der neu dazugekommene Multi-Instrumentalist Ian McNabb, der neben seinen sehr erfolgreichen Soloplatten vor allem auch durch seine Arbeit in der Band THE ICICLE WORKS bekannt ist, sowie der neue Schlagzeuger Chris Sharrock, der ebenfalls mit den Icicle Works gespielt hatte. Interessant war, dass die zweite Platte "Space Flower", die in der neuen Besetzung eingespielt wurde, noch erschien, als Ian Broudie bereits mit seinem nächsten Projekt erfolgreich war: den Lightning Seeds. 1989 schaffte er mit ihnen den Durchbruch: Das Album "Cloudcuckooland" schaffte es in die britischen Charts. Die Single-Auskopplung "Pure" erreichte Platz 16 der Hitparade und war damit der bislang erfolgreichste Song, den Ian Broudie veröffentlicht hatte.

Nicht zuletzt der auch für Ian Broudie eher unerwartete Erfolg seiner Lightning Seeds führte dazu, dass es nach dem Album "Space Flower" für die Wild Swans keine Verlängerung mehr gab. Broudie beendete das Bandprojekt. Ian McNabb spielte auf der Lightning Seeds LP "Cloudcuckooland" noch als Gast mit, während die anderen Wild Swans Musiker sich in alle Himmelsrichtungen verstreuten. "Melting Blue Delicious", der Opener der LP "Space Flower" besitzt diesen unwiderstehlichen Garage Pop-Groove der 60er Jahre, verfügt wie fast alle weiteren Songs der Platte über einen tollen und glasklaren Sound, der stark am Pop von Mitte bis Ende der 60er Jahre orientiert ist. Dank ausgeklügelter Arrangements und moderner Studiotechnik klingen die Stücke jedoch ganz und gar nicht hausbacken, sondern verfügen durchaus über einen zeitgemässen Sound-Charakter, ohne anbiedernd kommerziell wirken zu wollen. Genauso das macht die Songs auch aus: "Butterfly Girl", "Tangerine Temple", "Immaculate", "Chocolate Bubblegum": Sie alle entpuppen sich als wahre Ohrwürmer ohne Verfallsdatum, sie sind innert kürzester Zeit mitsingbar und werden nie langweilig. Mit dem ausgedehnten Titelstück "Space Flower", einem herrlich sanft pluckernden Boogie und dem ausladenden, über eine Distanz von 10 Minuten gleitenden "Sea Of Tranquility", das über eine längere Zeit instrumental gespielt wird und den Zuhörer wie auf einer Wolke davonträgt, bietet das Album zwei wunderschöne Höhepunkte, die man nicht unbedingt erwarten kann zwischen all den kurzen Pop-Songs. Sehr schade daher, dass Ian Broudie das neu ausgerichtete Wild Swans-Konzept nach so einem wundervollen Album nicht weitergeführt hat.

Das Jahr 1996 bescherte Ian Broudie stattdessen mit seinen Lightning Seeds den grössten Hit: "Three Lions", die offizielle Hymne zur Fussball-Europameisterschaft 1996 in England. Der Song erreichte Platz 1 der britischen Charts. Sein Titel bezog sich auf die drei Löwen, die auf den Trikots der englischen Fussballspieler abgebildet sind. 1999 sollte mit "Tilt" das letzte Album der Lightning Seeds erscheinen. Nach einer Abschiedstournee löste sich die Band auf. In den folgenden Jahren war Ian Broudie wiederum als Produzent tätig, unter anderem für TERRY HALL und die bekannten Liverpooler Bands THE CORAL und THE ZUTONS. Zuletzt produzierte er 2006 das Debütalbum der Londoner Independent-Band THE RIFLES.

Sein erstes Soloalbum "Tales Told" veröffentlichte Ian Broudie im Jahr 2004. Im Gegensatz zum poppigen Sound der Lightning Seeds- und Wild Swans-Werke ist dieses Album ruhig und sparsam instrumentiert. 2005 erschien die EP "Smoke Rings". 2009 meldete sich Ian Broudie noch einmal mit seinen Lightning Seeds zurück mit dem Album "Four Winds". Die LP "Space Flower" darf durchaus zu den besten Momenten im musikalischen Schaffen von Ian Broudie gezählt werden, auch wenn es damals wie heute kaum bekannt geworden ist.










BOX OF FROGS - Box Of Frogs (Epic Records BFE 39327, 1984)

Wem die Gruppe Box Of Frogs damals in den 80er Jahren durch die Lappen gegangen ist: Das war im Grunde eine Reunion der Yardbirds mit neuem Namen, nun ja, etwas grobschlächtig ausgedrückt, denn einige prominente ehemalige Yardbirds-Musiker waren natürlich nicht mehr dabei. So etwa die legendären Gitarristen, die den Yardbirds-Sound damals entscheidend mitprägten: Eric Clapton und Jimmy Page. Ausserdem auch der Sänger Keith Relf, der da schon verstorben war, nachdem er im Jahre 1975 ein letztes Mal musikalisch in Erscheinung trat mit einem hammermässigen Hardrock Album unter dem Bandnamen Armageddon. Doch drei ursprüngliche Original-Mitglieder der Yardbirds gründeten Box Of Frogs: Der Rhythmusgitarrist Chris Dreja, der Bassist Paul Samwell-Smith und der Schlagzeuger Jim McCarty. Dazu gesellte sich als festes Bandmitglied der ehemalige Sänger der Gruppe Medicine Head ("One And One Is One", "Rising Sun") und einige Gastmusiker, von denen zwei berühmte Leadgitarristen für den nötigen kompetenten Blues- und Rock-Gitarrensound sorgten, und zwar Rory Gallagher und einer der drei ehemaligen Original-Gitarristen der Yardbirds, nämlich Jeff Beck. Beide verstanden sich in der Formation Box Of Frogs allerdings nur als Gastmusiker, wollten nicht als permanente Bandmitglieder an Bord sein, weil sie als Solokünstler sehr erfolgreich unterwegs waren und einfach viel um die Ohren hatten. Ray Majors und Dzal Martin waren zwei weitere Leadgitarristen, die den Sound von Box Of Frogs solistisch unterstützten, auch sie jedoch nur als Gäste bei einzelnen Stücken.

Man fragt sich dabei natürlich schnell einmal: Kann so etwas denn überhaupt wie eine geschlossene Band klingen ? Ich denke ganz klar: Ja, das kann es. Ich meine sogar, dass die Gruppe durch die vielen Gastmusiker sogar eine sehr gehaltvolle Platte abgeliefert hat, weil sie entsprechend den individuellen Solisten einen grossen Reichtum an Abwechslung bot. Die Initialzündung für Box Of Frogs war die Anfrage an die drei Musiker, ob sie nicht im Rahmen eines Yardbirds Reunion Konzertes im legendären Marquee Club in London auftreten wollen. Der Marquee Club feierte 1983 sein 20 jähriges Bestehen und die originalen Yardbirds spielten dort regelmässig und waren sehr erfolgreich. Die Musiker entschlossen sich, einige Aufwärmkonzerte zu bestreiten, was sie in Spanien auch machten und spielten dann im Marquee Club wie geplant ihr Reunion-Konzert am 23. Juni 1983. Dieser Auftritt machte dann einfach Lust auf mehr und so entschlossen sich die drei Musiker, eine neue Band ins Leben zu rufen, die allerdings nicht den Namen Yardbirds tragen würde. Weil Keith Relf verstorben war und von den damaligen Gitarristen keiner mehr dabei war, entschlossen sich die Musiker, unter dem Namen Box Of Frogs an den Start zu gehen. Diesen ungewöhnlichen Bandnamen legten sie sich zu, weil ein Verantwortlicher von Island Records mit Namen Nick Stewart raunzte: "Such-and-such had a face like a box of frogs". Das fanden sie cool und gaben sich spontan diesen Namen.

Mit John Fiddler kam dann der ehemalige Sänger von Medicine Head in die Gruppe. Dies war ebenfalls eine eigentlich logische Wahl: Fiddler sang beim Reunion-Auftritt im Marquee Club einige Songs mit der Band, und ausserdem arbeitete der ehemalige Yardbirds-Sänger Keith Relf auch als Produzent und Bassist mit der Gruppe Medicine Head zusammen. So führte eines zum anderen und John Fiddler sagte sofort zu, bei Box Of Frogs das Mikrophon zu übernehmen. John Fidler stellte quasi eine direkte Verbindung zu den ehemaligen Yardbirds dar. Nachdem das Quartett zusammen war, folgten bereits kurze Zeit später einige Demoaufnahmen in den legendären Rockfield Studios in Monmouth, Wales. Geplant war, eine Plattenfirma zu suchen, um eventuell eine EP mit vielleicht vier Songs zu veröffentlichen. Das CBS-Unterlabel Epic Records offerierte dann aber ziemlich rasch und für die Band einigermassen überraschend einen Plattenvertrag, der zwei Alben umfassen sollte, die innerhalb von zwei Jahren veröffentlicht werden sollen. Um den Verkauf der ersten LP anzukurbeln, stellte die Plattenfirma den Musikern einige Top-Artisten zur Seite, nämlich die bereits erwähnten Superstars Rory Gallagher und Jeff Beck, und ausser Ray Majors und Dzal Martin auch Max Middleton, den langjährigen Keyboarder aus Rod Stewart's Band, sowie den Mundharmonikaspieler Mark Feltham von Nine Below Zero. Besonders Letzterer sorgte mit seinem tollen Bluesharp-Spiel für bemerkenswerte musikalische Akzente im Opener "Back Where I Started", dem vielleicht stärksten Stück der ganzen Platte mit einem ausgezeichneten Jeff Beck an der Leadgitarre.

Ausser dem brillianten Opener drückte Jeff Beck auch den klasse Songs "Another Wasted Day", einem halbakustischen Boogie, der topmodern arrangiert war, und dem launigen "Two Steps Ahead" seinen stilistischen Stempel auf. Rory Gallagher wiederum zeigte sich besonders von seiner kernig-rockigen Seite: "The Edge", ein forscher, vorwärtstreibender Blues-Rocker hätte genauso gut auf einer seiner eigenen Platten zu finden sein können. Im Stück "Into The Dark" brillierte Gallagher ausserdem an der fabelhaften Slide Gitarre und spielte auch eine wundervolle Einlage an der indischen Sitar. Mit dem Stück "Love Inside You" wagten die ehemaligen Yardbirdies sogar einen Ausflug in den modernen Poprock, und der gelang eigentlich wider Erwartens recht gut: Eine schöne Melodie, zu der John Fiddler's Gesang perfekt passte, liess offensichtlich auch radiotaugliches Songmaterial zu, etwas, das man von einer quasi Yardbirds-Reunion jetzt vielleicht nicht unbedingt hätte erwarten können. Das ebenso poprockige, allerdings eher in Richtung Rolling Stones tendierende "Harder" wiederum war ähnlich von der Idee her: Hier passte vor allem John Fiddler's Gesang absolut perfekt. Der Sänger kam ja eigentlich sowieso aus dem Pop-Bereich, verfügt auch über eine tolle Melodiosität in seinem Gesang und würzte mit seiner prägnanten Stimme alle Songs auf diesem Album sehr gut.

Zwei Jahre nach diesem Debutalbum, das sich besonders in den USA überraschend gut verkaufte, jedoch mangels einer richtigen US-Tournee bald einmal vergessen ging, lieferten Box Of Frogs mit der LP "Strange Land" ein weiteres Album ab, das im Grunde nach demselben Schema funktionieren sollte: Die vier Hauptmusiker plus einige Gastmusiker mit guten Namen. Trotz der Beteiligung von Ian Dury, Steve Hackett, Jimmy Page (als weiterem originalen Yardbirds-Gitarristen) und Roger Chapman gelang der Gruppe allerdings kein berauschendes Werk mehr. Besonders das Songwriting liess doch markante Schwächen gegenüber dem Debutalbum erkennen. Die Songs auf "Strange Land" wollten nicht zünden, die Platte verkaufte sich auch wesentlich schlechter als das Erstlings-Werk. Folgerichtig trennte sich das Quartett nach diesen beiden Alben wieder. 1992 erfolgte dann die offizielle Reunion der Yardbirds, die bis Dezember 2014 dauerte. Da gab Jim McCarty dann die definitive Auflösung der Band bekannt, nachdem im Oktober 2013 der Bandgitarrist Gypie Mayo (der ehemals bei Dr. Feelgood spielte) nach langer Krankheit verstorben war.






BAD COMPANY - Bad Company (Swan Song Records SS 8410, 1974)

Eine der ersten Platten, die auf dem von Led Zeppelin seinerzeit neu gegründeten "Swan Song" Label erschien war das erste Album von Bad Company mit diesem schlichten Coveraufdruck "Bad Co.". Mit Paul Rodgers und Simon Kirke waren hier zwei altbekannte Namen der Szene vertreten, bildeten diese beiden doch zuvor eine Hälfte der erfolgreichen, aber innerlich zerrissenen britischen Rockband Free. Nach deren unrühmlichem Abgang versuchten Kirke und Rodgers mit Bad Company einen etwas energetischeren Neuanfang. Unter kompetenter Mithilfe des absoluten Ausnahmegitarristen Mick Ralphs und dem Bassisten Boz Burrell wurde gleich das Debütalbum auf Anhieb ein Riesenerfolg auf beiden Seiten des Atlantiks. In den USA schoss das Album 1974 auf Platz 1 der LP-Charts, in Grossbritannien konnte man mit Platz 3 aufwarten. Beides eine bessere Platzierung als es die Gruppe Free zuvor je verbuchen konnte. Dies lag vermutlich daran, dass das Songmaterial auf "Bad Co." doch deutlich kommerzieller ausgefallen war und eine grössere Hörerschaft ansprechen konnte. Weniger komplex und vor allem deutlich weniger blueslastig, zugunsten eines leicht verdaulichen Rocksounds zeigte "Bad Co." schon deutlich, in welche musikalische Richtung es fortan gehen sollte: Für die nächsten paar Jahre würde die Gruppe Bad Company an der Spitze des melodischen Hardrocks mit dabei sein und sich im Laufe der Zeit immer wieder den marktbestimmenden Sounds anpassen. Dagegen fiel das Debütalbum der Band allerdings noch vergleichsweise ruhig aus. Songs wie "Ready For Love", "Don’t Let Me Down", "Seagull" oder das Titelstück "Bad Company" kann man durchaus noch stilistisch in die Nähe von Free bringen.

Andererseits gibt es aber auch die bekannten Standards, die dem Album wohl seinen aussergewöhnlichen Erfolg bescherten. An allererster Stelle wäre da natürlich "Can’t Get Enough" zu nennen. Ein Klassiker, den wohl jeder Rockfan gehört haben musste damals und der ähnlich wie Songs vom Schlage "Smoke On The Water" oder "All Right Now" zum Standard Rock-Repertoire gehört wie der Asphalt auf die Autobahn. Daneben gab es mit "Bad Company" und "Rock Steady" noch zwei absolute Überflieger, die zum Standardprogramm jeder ernst zu nehmenden Rocksammlung gehören sollten. Im direkten Vergleich konnte sich "Bad Co." zwar rein qualitativ nicht mit den besten Werken der vormaligen Free messen, das Album ist jedoch längst ein wichtiger Klassiker des Rock der 70er Jahre. Das Album gehört ohne Zweifel zu den besten und erfolgreichsten Debutalben der damaligen Zeit. Der harte Rock hatte um 1974 nicht gerade seine Sternstunden, neue Stilrichtungen wie der Disco-Sound kamen langsam auf. Praktisch ohne Vorwarnung standen da Bad Company plötzlich mit ihrem in Amerika wie Europa erfolgreichen Album und dem Heavy-Klassiker "Can t Get Enough" im Rampenlicht. Eine Rockband mit bluesigem Hintergrund, welche mit Paul Rodgers und Mick Ralph die besten Elemente der Gruppen Free und Mott the Hoople vereinen konnte.


Obwohl die 1968 gegründete britische Blues- und Hardrockgruppe Free mit ihrem 1973 unter chaotischen Umständen entstandenen sechsten Album "Heartbreaker" noch einmal ein tolles Werk präsentierte, das mit den Stücken "Wishing Well", "Come Together In The Morning", "Travellin' In Style" und "Heartbreaker" mindestens vier musikalische Meilensteine in sich trug, kam es kurz darauf zur endgültigen Trennung. Sänger Paul Rodgers schlug klugerweise das Angebot, Ian Gillan bei Deep Purple zu ersetzen, aus, und gründete stattdessen zusammen mit seinem Free-Kollegen Simon Kirke (Schlagzeug), dem Gitarristen Mick Ralphs, der zuvor bei Mott The Hoople gespielt hatte und Bassist Boz Burrell, der von Kking Crimson kam, die Gruppe Bad Company. Flugs unterschrieb das Quartett bei Led Zeppelin's neu gegründetem Plattenlabel Swan Song, ging ins Studio und veröffentlichte im Juni 1974 dieses Debütalbum Sicherlich waren die Jungs von sich überzeugt gewesen, aber dieser pfeilschnelle Flug in die Sphären des absoluten Rockhimmels war zu dem Zeitpunkt nicht wirklich absehbar. Die Platte geriet exzellent, aber, um es milde zu formulieren, sicherlich nicht besser als diverse Alben von Free, deren absolute Höchstplatzierung in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Nummer 18 gewesen war - mit ihrem erfolgreichsten Album "Fire And Water", das den Welt-Hit "All Right Now" beinhaltete.

Der Eröffnungstrack "Can't Get Enough" von Mick Ralphs, ein simpler, rauher, hemdsärmliger Hardrocktitel, wurde als Single ausgekoppelt, stieg bis auf Platz 4 der US-Charts und trat damit sozusagen die Nachfolge des Free-Klassikers "All Right Now" an. "Rock Steady" von Paul Rodgers war von ähnlichem Kaliber, kam aber wesentlich cooler daher. Dann folgte mit "Ready For Love" die erste Ballade. Der Song war bereits 1972 auf dem Mott The Hoople-Album "All The Young Dudes" veröffentlicht worden, damals eingesungen von Autor Mick Ralphs und dem Mott The Hoople Bandleader Ian Hunter. Paul Rodgers kam mit dieser schönen Nummer zwar prima zurecht, gleichwohl klingt das Original "Ready for Love/After Lights" von Mott The Hoople noch ein bisschen romantischer. Mit "Don't Let Me Down", der zwar fast wie der grossartige gleichnamige Beatles-Song von 1969 beginnt, sich dann aber schnell zu einer Art Gospel mit opulenem weiblichen Chor und einem markanten Saxophonsolo entwickelte, endete die erste Seite des Albums.

Die B-Seite des Albums startete mit dem überragenden Titelsong "Bad Company", dem absoluten Trademark-Song der Band. Ein wunderbares, luftigleichtes, von Klavier und Gitarre getragenes Intro mit einem erst säuselnden, dann wunderbar zu singen beginnenden Paul Rodgers und dem schliesslich von Simon Kirke's Schlagzeug eingeleiteten Refrain, das war definitiv das Meistertstück dieser Gruppe. Ein absolut grandioses Gitarrensolo von Mick Ralphs, und schliesslich wieder der Refrain bis hin zum gemeinsamen Bandfinale. Einfach grossartig. "The Way I Choose" war eine jener typischen Rock-Balladen, die vermutlich kaum ein anderer Sänger jemals so intensiv hätte vortragen können wie Paul Rodgers. Mick Ralphs streichelte buchstäblich seine Gitarre, und selbst das Saxophon passte sich ganz wunderbar in dieses zum sterben schöne Stück hinein. Mit "Movin' On" folgte zur Abwechslung ein straighter Rocker. Der Song wurde als zweite Single des Albums veröffentlicht und erreichte Platz 29 in den USA. Das Stück "Movin' On" hatte auch die unter Rock-Insidern bekannte Band Hackensack als Single veröffentlicht, jedoch ohne jeglichen Erfolg. Beim abschliessenden Song "Seagull" kam schliesslich die akustische Gitarre ins Spiel und verbreitete friedliche Lagerfeuer-Romantik. Ein Fest für Paul Rodgers' seelenvolles Organ und gleichzeitig ein ebenso harmonisches, wie unspektakuläres Finale dieses abwechslungsreichen Werks.

Trotz des überragenden Erfolges in anderen Ländern blieben die deutschen Plattenkäufer sehr reserviert, denn mehr als Platz 45 und ganze vier Wochen in den Albumcharts sprangen für Bad Company nicht heraus, während sich die Singles erst gar nicht platzieren konnten. Und so sollte es dann auch später weitergehen: Deutschland und Bad Company blieben sich immer irgendwie fremd. Das ist schade, aber leider eine historische Tatsache. Das schon nach wenigen Monaten präsentierte nachfolgende Album "Straight Shooter" konnte den Erfolg des Erstlings-Werks noch toppen. Es klang allerdings schon sehr viel amerikanischer, denn es kristallisierte sich schon nach wenigen Monaten heraus, dass die Band vor allem in den Staaten riesige Erfolge feiern konnte. Der Bluesanteil war da schon praktisch komplett weg. Wenn, dann reduzierte sich der Blues auf "Straight Shooter" auf einen Song wie "Weep No More", dessen streichergeschwängertes Arrangement nicht Jedermann's Sache war. Mir persönlich gefielen beide Alben von Bad Company sehr gut, auch heute noch. Vielleicht hat sich das Debutalbum jedoch bis heute etwas vom Geist der Rocklegende Free bewahren können, weshalb es noch immer als das beste Werk der Band um Paul Rodgers und Mick Ralphs bezeichnet wird. 


Peter Grant, seines Zeichens Manager von Led Zeppelin, sah und hörte jedenfalls gleich zu Beginn der ersten Demoaufnahmen eine grossartige Gruppe und verpflichtete die Band für das Label Swan Song. Ihm ist es daher zu verdanken, dass uns diese Band nicht verborgen blieb. Zeitweise konnten Bad Company gar mit der Popularität von Led Zeppelin gleichziehen, besonders in Amerika. Trotzdem begann der Stern der Band kontinuierlich zu sinken. Letztlich unverständlich, denn eine wirklich mässige oder gar unterdurchschnittliche Platte haben Bad Company auch in späteren Jahren nie veröffentlicht, auch nicht, als mit zwei anderen Leadsängern die sich musikalische Ausrichtung der Band teils gravierend veränderte. Die schlechte Gesellschaft ist, in musikalischer Hinsicht, immer eine gute Gesellschaft gewesen.