Nov 8, 2017


VANILLA FUDGE - Mystery (Atco Records 90149-1, 1984)

Die von Beginn weg als 'Supergroup' bezeichnete Psychedelik Rockband Vanilla Fudge veröffentlichte zwischen 1967 und 1970 einige hochkarätige Alben, die vor allem durch ihren relativ hohen Anteil an gecoverten Songs auffiel. Das Besondere an der Band war, dass sie bekannte Pop- oder Soulnummern sehr eigentümlich und bisweilen auch recht exzentrisch umarrangierten, sodass vermeintlich hörfreundliche Pop-Originalen letztlich zu äusserst psychedelischen und oftmals - durch ihre ausgedehnten Songlängen - auch sehr exzentrischen Rock-Statements mutierten. Da ihre unbedingte Versiertheit an den Instrumenten unbestritten hochklassig war, verlieh man der Gruppe stets über Gebühr hohe Vorschusslorbeeren, derer sie letztlich jedoch nicht gerecht werden konnten. Ihre Art des pschedelischen Rocks, der durchaus auch erste typische Merkmale des späteren Progressive Rock aufwies, verlor innert weniger Jahre Zeit an Faszination, auch, weil sich die gesamte Musikszene zur damaligen Zeit in einem schwindelerregenden kreativen Umbruch befand. Am Ende stand ein Live-Album mit dem Titel "Near The Beginning", das nur noch drei aussergewöhnliche Studio-Kreationen präsentierte, mit dem extraordinären "Break Song" jedoch ein über 20 Minuten langes Live-Selbstbildnis zeigte, das noch einmal das ausserordentliche Können der vier Musiker eindrücklich unter Beweis stellte. Der "Break Song" war dann letztlich so etwas wie der Schwanengesang von Vanilla Fudge.

Zu den Mitgliedern der Gruppe gehörten der Keyboarder und Sänger Mark Stein und der Bassist Tim Bogert aus Long Island sowie der Gitarrist Vince Martell und der Schlagzeuger Carmine Appice aus New York. Der New Yorker Musikproduzent George Morton hörte die damals noch unbekannte Rockband Vanilla Fudge während ihrer Auftritte zwischen Dezember 1966 und April 1967 im Action House auf Long Island. Im April 1967 vermittelte er ihnen einen Plattenvertrag beim Label Atco Records. Im Ultrasonic Studio entstand in einem einzigen Aufnahme-Durchgang eine epische Version des Supremes-Hits "You Keep Me Hangin’ On", der, auf Single-Länge verkürzt, auf Anhieb Rang 6 der US-Hitparade erreichte. Während sich Coverversionen häufig stark an das Original anlehnen, war in diesem Fall jedoch das Original kaum noch wiederzuerkennen. Das noch in damals durchaus üblichem Mono aufgenommene Stück wurde auf eine Lauflänge von 6:47 Minuten ausgedehnt und auf Zeitlupentempo verlangsamt, denn das ursprüngliche Tempo wurde auf die Hälfte reduziert. Der psychedelische Sound mit einer neoklassischen Orgelpartitur und Sitar-Passagen verfremdete das Original bis zur Unkenntlichkeit. Die auf 2:50 Minuten verkürzte Single-Fassung erschien am 2. Juni 1967 und erregte weltweites Aufsehen.

Die gleichnamige Debüt-LP "Vanilla Fudge" kam im August 1967 auf den Markt, die zweite LP "The Beat Goes On", demselben stilistischen Muster folgend, am 2. Februar 1968. Auf dieser LP waren ausserdem auch klassische Adaptionen von Beethoven und von Mozart zu hören sowie eine alptraumhafte Geschichts-Collage mit historischen Stimmen (Truman, Hitler, Chamberlain, Bibel, Churchill) und aktuellen Bezügen (Black Panthers, Vietnam, Weathermen, Acid-Kultur). Das dritte Werk "Renaissance", erschienen im Juni 1968 war das letzte von Morton für die Gruppe produzierte Album. Aus den Alben wurden Singles wie etwa "Take Me For A Little While" (veröffentlicht im September 1968) und "Season Of The Witch" (November 1968) ausgekoppelt. Der Nachfolgehit "Take Me For A Little While" war ein Cover des Evie Sands-Originals von September 1965 mit sehr ähnlichem Klang, der Text sagte aber das Gegenteil des Titels aus.

Mark Steins Keyboardspiel beeinflusste in der Folgezeit mehrere Gruppen, deren Popularität länger anhielt als jene von Vanilla Fudge selbst: Deep Purple, The Nice, Emerson Lake & Palmer, Uriah Heep oder Atomic Rooster. In einem Video-Interview gab Jon Lord zu, dass Deep Purple für ihre Debüt-LP "Shades Of Deep Purple" das Konzept von Vanilla Fudge genau kopierten: Die wuchtige Orgel und kaum mehr wiederzuerkennende Fremdkompositionen, so auch zwei Songs von den Beatles. Vanilla Fudge lösten sich 1970 erstmals auf. Tim Bogert und Carmine Appice hatten mit dem Gitarristen Jeff Beck eine Zusammenarbeit vereinbart, die aber nicht eingehalten werden konnte, da Jeff Beck aufgrund eines Autounfalls verhindert war. Die bereits abgeschlossenen Verträge wurden durch die Band Cactus erfüllt. Danach folgten mehrere Wiedervereinigungen, die aber jeweils nur von kurzer Dauer waren. Unter anderem entstand dabei das Studioalbum "Mystery" im Jahre 1984.

Das zeittypische und kraftvoll produzierte Werk erhielt indes nur wenig Promotion. Die Musiker holten sich für das Album prominente Gastmusiker ins Studio, so unter anderem den Gitarristen Jeff Beck, der eine fabelhafte Arbeit ablieferte. Ungewöhnlich war, dass sich die Band dazu entschloss, für dieses Reunion-Album lediglich zwei Coversongs auszuwählen. Sie präsentierten dafür nicht weniger als acht selbstkomponierte Songs, was wesentlich mehr war, als die Band je zuvor auf einem Vanilla Fudge-Album präsentiert hatte. Von diesen eigenen Songs gerieten einige zu wahren Rockperlen und man kann sich schon fragen, weshalb eine grosse Plattenfirma wie Atco Records, die ja immerhin dem Atlantic-Konzern angehörte, nicht wesentlich engagierter Werbung für dieses hervorragende Werk gemacht hat. Auffallend war nämlich auch, dass die Musiker sich nicht etwa in einer Art Rock-Nostalgie ergaben: Ihre neuen Songs wirkten modern und waren zeitgemäss arrangiert. Die Arrangements erinnerten ein wenig an die Arbeiten von Trevor Horn, der fast zeitgleich massgeblich für den Sound des Albums "90125" von Yes verantwortlich zeichnete.

Mit dem Opener "Golden Age Dreams" rockten Vanilla Fudge sehr bodenständig und ohne jegliche psychedelischen Elemente, welche den Sound der Band früher einmal ausgezeichnet hatte. Hier spielte eine Gruppe im hier und jetzt und zeigte, dass sie noch immer kompositorisch auf der Höhe der Zeit war. Auch das nachfolgende "Jealousy" war ein beherzter Rocksong mit guten Hooklines und vortrefflichen Gesangsarrangements. Etwas nahe am Original geriet die Komposition "Walk On By" von Burt Bacharach, doch klang auch sie nach einer fetten Rockballade, die vielleicht etwas zu stark mit Bombast-Elementen versehen wurde, für die 80er Jahre jedoch absolut okay war. Mit dem Abstand von zwei Jahrzehnten angehört, klingt die ganze LP heute noch immer wesentlich interessanter als so manch andere typische 80er Jahre Rockproduktion, die zumeist mit digitalem Schlagwerk und viel zu überkandidelten Synthetiksounds zugekleistert worden waren. Auch Vanilla Fudge folgten auf "Mystery" dem Trend zu digitalem Keyboardsound, der sich jedoch nicht störend in den Vordergund drängte, sondern einfach wesentlich flächiger zum Einsatz gebracht wurde als das noch in den 60er und 70er Jahren gang und gäbe war. Es waren letztlich immer wieder die Gitarrensounds, welche dem Album den hohen Rockanteil sicherten - die Keyboards wurden vor allem als opulente Fläche in den Gesamtsound integriert.

Warum sich das sauber produzierte und eindrücklich in Szene gesetzte Album nicht zum veritablen Hit entwickelte, bleibt bis heute ein "Mystery". Die Platte wurde von Spencer Proffer produziert, ein Jahr bevor dieser Quiet Riot's hervorragendes Debutalbum "Metal Health" produzierte. "Mystery" überzeugte durch einen grossen Rock-Punch, war aber auch angenehm soft, melodisch und emotional abgemischt, insbesondere, wenn die Band balladesker zu Werke ging, wie etwa im Titelstück oder beim Song "It Gets Stronger", bei welchem die Gruppe sogar eine dezente Reggae-Rhythmik einzubauen verstand. "Under Suspicion" wiederum war ein weiterer kerniger Rocksong, der durch das powervolle Arrangement begeisterte. Wer sich im Jahre 1984 bereits vom alten Psychedelikrock-Sound von Vanilla Fudge lösen und die Platte "Mystery" im zeitgemässen Kontext sehen konnte, der musste das Album unweigerlich zu einem grossen Rock-Highlight zählen. Nichts anderers war "Mystery" nämlich. Die mageren Verkaufszahlen und die mangelnde Bekanntheit widerspiegeln keineswegs eine irgendwie fehlende Qualität, weder beim Songmaterial, noch bei der Performance der beteiligten Musiker. Es gibt nicht wenige Rockfans, die "Mystery" für eines der bestne Alben von Vanilla Fudge halten. Dazu zähle ich mich auch.

1999 kam es zu einer erneuten Reunion. In der Besetzung Carmine Appice (Schlagzeug), Tim Bogert (Bass), Teddy Rondinelli (Gitarre) und Bill Pascali (Keyboards) tourten Vanilla Fudge auch in Europa. Zwei Konzerte davon wurden als limitierte Live-CD veröffentlicht. 2007 wurde eine weitere Live-CD der Deutschlandtour veröffentlicht: "Good Good Rockin' – Live @ Rockpalast". Im Juni 2007 veröffentlichte die Band in Originalbesetzung das Album "Out Through The In Door", das ausschliesslich aus Coverversionen von Songs der Band Led Zeppelin bestand. 2014 war die Band, wieder mit dem Originalmitglied Mark Stein am Keyboard, aber mit Pete Bremy statt Tim Bogert am Bass, erneut in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf Tournee, das Album "Two Worlds Collide" folgte im Jahr darauf. Im Oktober 2017 erschien ein weiteres hervorragendes Live-Dokument mit dem Titel "Live At Sweden Rock 2016", dem als Frontcover ein Faksimile der ursprünglich 1969 erschienenen Live-LP "Near The Beginning" verpasst wurde.









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