May 31, 2017


DR. FEELGOOD - Down By The Jetty (United Artists Records UAS 29727, 1975)

Dr. Feelgood's Debutalbum war 1975 so etwas wie die heilsame Rückbesinnung auf traditionelle Rock'n'Roll-Werte und vor allem auch eine Kampfansage an all die längst überkandidelten, kaputt arrangierten und aufgeblähten Monster, die allgemein unter dem Begriff Progressive Rock bekannt sind. Dieses kopflastige Zeug wurde von Dr. Feelgood buchstäblich in die Wüste gepustet, und dafür reichten oftmals knapp drei Akkorde. Aber diese paar wenigen Akkorde klangen ehrlicher als das Meiste, was in den paar Jahren zuvor so unter die Leute gebracht worden war. Bekannt ist, dass der fabelhafte Gitarrist Wilko Johnson ein grosser Fan von Mickey Jupp war und ist. Er sagte einmal, dass er sich gewünscht hätte, so gute Songs wie Jupp schreiben zu können. Als dann im Januar 1975 das Debutalbum seiner Band Dr. Feelgood erschien, war klar, dass sich der Gitarrist keineswegs hinter seinem Vorbild zu verstecken brauchte. Im Gegenteil: Was das erfolgreiche Musizieren anbetrifft, so überholte er sein Idol schon wenig später. Das mit geringem Studioaufwand aufgenommene und zunächst ausschliesslich in Mono erhältliche Rhythm'n'Blues-Album enthielt mit der Single-Auskopplung "Roxette" eines der bekanntesten Stücke der Band. Das schwedische Pop-Duo Roxette benannte sich später nach eben diesem Stück.

Im Jahre 1971 gegründet, tourte Dr. Feelgood zunächst durch die Pubs in England und baute sich so eine Reputation auf. Nach einiger Zeit wurde sie die populärste Pub-Band in Grossbritannien und unterschrieb1973 einen Vertrag beim Plattenlabel United Artists Records. Abgesehen von der Live-Version eines Medleys, bestehend aus den Klassikern "Bonie Moronie" und "Tequila" wurden alle Titel für das Album im September 1974 in einem Durchlauf aufgenommen. Auf Wunsch von Wilko Johnson wurden nach der Aufnahme keine zusätzlichen Tonspuren (Overdubs) verwendet, und das Album wurde in Mono veröffentlicht. Neben der überwiegenden Anzahl von Eigenkompositionen aus der Feder von Wilko Johnson fanden sich auch Coverversionen von John Lee Hooker ("Boom Boom"), Mickey Jupp's Legend ("Cheque Book") und besagtes Medley aus dem Rock'n'Roll-Hit "Bonie Moronie" von Larry Williams und dem Surf-Instrumental "Tequila", das im Original von The Champs stammte, auf dem Album. Das Stück "Oyeh!" wiederum stammte von Mick Green, dem Originalgitarristen der Band, der allerdings zuvor aus der Band ausgeschieden und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr Mitglied von Dr. Feelgood war.

Das Werk "Down By The Jetty", noch heute eines der ehrlichsten Rock'n'Roll-Alben der 70er Jahre, war trotz seines geringen kommerziellen Erfolges ein äusserst wichtiges und auch prägendes Album, das zudem auch als richtungsweisend galt, denn es hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Mitte der 70er-Jahre entstehende Punk-, Power Pop- und New Wave-Musik. Das Album war zudem der Karrierestart des Studioproduzenten Vic Maile, der später unter anderem das bahnbrechende Hardrock-Album "Ace Of Spades" der englischen Band Motörhead produzieren sollte. Es war aber nicht nur die gebotene Musik, die Dr. Feelgood als rumpelige und authentische Rock'n'Roll-Band auszeichnete, es war auch ihr Look, das Auftreten der Gruppe als solche. Mit ihren zumeist hoffnungslos verschwitzten Klamotten aus den 60er Jahren waren sie optisch sehr nahe an den Rhythm'n'Blues-Bands jener Aera, wie den Yardbirds, den Kinks oder den Animals. Damit hätten sie auch durchaus als hoffnungslose Nostalgiker durchgehen können, doch kam ihre Musik einfach zum genau richtigen Zeitpunkt, als der Rock eine gewisse Uebersättigung zeigte, und die Menschen sich wieder begannen zurückzusehnen an die gute alte Zeit, die damals vor allem die von grosser Aufbruchstimmung bestimmten 60er Jahre waren.


Als ab 1976, also schon kurze Zeit nachdem Dr. Feelgood durchgestartet waren, die Punk-Aera begann, hatten Dr. Feelgood keinerlei Mühe, ihr Publikum zu behalten. Im Gegenteil: Ihr Ansehen wuchs kontinuierlich, und insbesondere unter musizierenden Punk-Kollegen wurden Dr. Feelgood sehr geschätzt. Bestes Beispiel dafür war unter anderem der Musiker Peter Weller, der mit seiner Band The Jam anfänglich in eine ähnliche Kerbe haute und der, nachdem er Dr. Feelgood live auf ihrer Naughty Rhythms Tour erlebt hatte, konstatierte, dass dies der Beginn einer neuen Zeit sei: Den ehrlichen, hemdsärmligen Sound sah er zurückgekommen. Peter Weller übernahm einige frühe Songs von Dr. Feelgood in das Repertoire seiner Band und sagte später auch, dass Wilko Johnson's Gitarren-Style ihn massgeblich beeinflusst habe. Auch in den Staaten nahm man bald Notiz von der Gruppe und sah sich konfrontiert mit dem sogenannten 'Feelgood Factor': Bands und Musiker wie Blondie, die Ramones und Richard Hell (And The Voidois) liessen den harten und oftmals schnellen Rhythm'n'Blues-Style von Wilko Johnson in ihren eigenen Sound einfliessen.

Das überzeugendste Statement stammte von Bob Geldof, der damals mit seinen Boomtown Rats in den Startlöchern stand. Er sagte zur Musik von Dr. Feelgood: "They were absolutely central to the Boomtown Rats. When I heard "Down By The Jetty", it just fucking blew me away. The Feelgoods were it for me. Our early live set used to be their entire first album. When I heard the line 'Stand and watch the towers burning at the break of day (eine Textzeile aus dem Song "All Through The City" von Dr. Feelgood's Debutalbum), which was about the Canvey Island burn-offs, I realised that it wasn't enough for music just to sound good. It had to mean something, to reflect where you came from". Gerade in der ganz frühen radikal rockenden, harten Nummer "My Blues Away", welche mit weiteren Titeln von Bob Geldof als Demo präsentiert worden war, zeigte sich der Einfluss von Dr. Feelgood überdeutlich. "Down By The Jetty" war Wilko's Album, ganz klar, obwohl auch die anderen Musiker von Dr. Feelgood allesamt hochkarätig waren, allen voran natürlich der Frontmann Lee Brilleaux, nicht nur ein exzellenter Sänger, sondern auch ein absolut brillianter Mundharmonikaspieler, den man in einem Atemzug mit Magic Dick der J. Geils Band nennen darf. Wilko's Songs auf diesem Debutwerk waren allesamt volles Rohr, ungefiltert gerade heraus und sprottentrocken.

Wilko Johnson war auf den ersten vier Alben der Band zu hören, stilbestimmend als Ganzes war er vor allem auf dem Debutalbum. Er verliess Dr. Feelgood später und gründete die leider nur kurze Zeit existierenden Solid Senders, unter dessen Flagge Wilko ebenfalls ein extrem gutes Rock'n'Roll-Album ablieferte. Später ging er Solopfade und hält sich, nach Unterbrüchen, die teilweise auch gesundheitlich bedingt waren, bis heute auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Erwähnenswert ist vielleicht noch eine spezielle spätere Version des Debutalbums "Down By The Jetty": Im Jahre 2006 erschien nämlich bei EMI Records eine sogenannte "Collector's Edition" des Albums, deren zwei CDs neben zuvor unveröffentlichten Studio- und Live-Titeln auch die dreizehn Songs des Original-Albums von 1975 jeweils in Mono und in Stereo enthielten. Zudem befanden sich insgesamt elf Bonustracks auf diesem Release, darunter Bobby Troup's "Route 66" sowie weitere Coverversionen von Solomon Burke, dem Songwriter-Duo Leiber/Stoller und Willie Dixon.

May 30, 2017


VIV AKAULDREN - Old Bags And Party Rags (Akashic Records ohne Nr., 1985)

Viv Akauldren waren eine der besten US-amerikanischen Psychedelic Bands der 80er Jahre, die nicht so sehr den für jene Szene typischen Neo Garage-Stil pflegten, sondern eher mit britischen Neo Psychedelic Bands vergleichbar waren. Es bestanden durchaus Kontakte zu amerikanischen Undergroundbands jener Zeit, die dann in den 90er Jahren im alternativen Bereich grossen Erfolg feierten und die Festivals bestimmten. Viv Akauldren allerdings blieben ihrem Genre treu, verblieben im musikalischen Underground und waren ein Geheimtipp, der leider nie über die entsprechenden Fankreise hinaus reichte. Im Juni 1982 fanden sich der Sänger, Gitarrist und Bassist Jeff Phry, der Keyboarder Keir McDonald und der Schlagzeuger Robert Wannacott in der Band Trancegland in ihrer Heimatstadt Detroit. Schon wenig später kam mit Phry's Freundin und späterer Ehefrau Deb Agolli Ersatz für Robert Wannacott als neue Schlagzeugerin in die Band, was ebenfalls mit einer Umbenennung in Viv Akauldren einherging. Das Trio gilt bis heute als einer der grossen unbekannt gebliebenen Acts des amerikanischen Neo Psychedelik Rocks. Ihre Auftritte waren legendär, arteten regelmässig zu Happenings aus und boten allerlei schräge Performance-Einlagen verschiedenster visueller und akustischer Art. Der ziemlich schwer im Garagen- und Psychosound der 60er Jahre verwurzelte Gitarrist Jeff Phry teilte sich den Gesang mit der Schlagzeugerin Deb Agolli. Musikalisch war das 1985 als Eigenproduktion veröffentlichte Debutalbum "Old Bags And Party Rags" eine einmalige Mixtur aus unterschiedlichsten Freak-Rock Variationen, die weit über das hinaus reichten, was man sich damals gemeinhin unter dem Oberbegriff Garagenrock vorstellte. Viv Akauldren waren im positiven Sinne hoffnungslos überdreht. Die Band bediente sich allerlei Stilmuster, griffen dabei sowohl in die Rock-Kiste, mäanderten aber auch im typischen, etwa von Gong oder Henry Cow gepflegten Canterbury Sound. Progressiver Rock und Spaced-Out Elemente kamen bei Viv Akauldren aber genauso vor wie das spontane Herunterschrauben in der Lautstärke und einem damit verbundenen Griff zur akustischen Gitarre, um sich irgendwo im Freak-Folk britischer Ausprägung zu verlieren.

Ihr Debutalbum "Old Bags And Party Rags" präsentierte eine quirlige Band, die sich so ziemlich überall zuhause fühlte, die aber ganz klar einen eigenen Stil pflegte, der sehr eigenständig und vor allem höchst unkommerziell klang. Während man noch catchy Rocksound etwa im Stück "Censored" zeigte, klang der Longtrack "Life Expectancy" schon sehr Space Rock orientiert, während der "Catabolic Blues" gar Tribal-Elemente aufwies. Eine Nuance typischen Krautrocks streuten sie dann auch noch ein, am besten nachzuhören im Stück "As You Wish". Dieses Stück zeigte einige Arrangement-Merkmale, wie sie beispielsweise auch bei der deutschen Krautrock-Formation Can zu hören sind. Was das Besondere an der Gruppe Viv Akauldren war: Sie verstand es wie nur ganz Wenige zu ihrer Zeit, den archetypischen amerikanischen Garagerock aus seiner stilistischen Isolation zu reissen. Während andere typische Vertreter dieser Musik eher am Beat und dem frühen Rock der 60er Jahre orientiert waren, mischten Viv Akauldren ihrer Musik viele weitere Ingredienzien bei, die etwa vom Krautrock, dem Space Rock und vor allem dem experimentellen Underground-Sound der ausgehenden 60er Jahre inspiriert war. Jedenfalls präsentierte sich die Band bei ihrem erstne Album noch so. Später ging die Band jedoch noch wesentlich weiter, indem sie eine anfänglich noch eher moderate Punk-Attitüde stärker in den Fokus stellte, was die nachfolgenden drei Werke zwar härter und bisweilen etwas kakophonisch, aber auch weiterhin sehr spannend und ungemein vielfältig machte. In dieser Art und Weise hat dasdamals keine 80er Jahre Band gemacht, nicht einmal die britische Magic Mushroom Band, die ein klein bisschen in dieselbe stilistische Richtung ging damals. Viv Akauldren aber waren wesentlich kompromissloser, suchender und experimentierfreudiger auch. Gut möglich, dass ein fehlender grosser Deal mit einer Plattenfirma diese zweifellos vorhandene Magie in ihrer Musik bewahren half.

Auch die drei weiteren Alben von Viv Akauldren sind sehr empfehlenswert. Einige Kritiker meinen gar, dass das Debutalbum "Old Bags And  Party Rags" soweit okay, die nachfolgenden drei Werke aber allesamt Meisterwerke gewesen sind. So weit würde ich vielleicht nicht gehen wollen, denn ich finde auch das Debutalbum extrem entdeckungswürdig und hörenswert. Nach einer gemeinsam mit der Gruppe The Titanic Mind veröffentlichten Live EP, folgte 1987 das zweite Werk von Viv Akauldren mit dem Titel "I'll Call You Sometime". Eine grosse Ueberraschung stellte die Musik des zweiten Albums dar: Hier fand man plötzlich eine Mixtur aus klar progressivem Rock, Weltmusik und Minimal Music, die zeitweilig in den Ambient Bereich hinein zielte. Nicht unbedingt das, was man nach dem Debutalbum, das deutlich mehr Rockanteil zeigte, erwarten konnte. Diese Vielseitigkeit widerspiegelt allerdings die Live-Qualitäten der Gruppe, die in ihren Performances immer wieder auf unberechenbare Weise plötzlich in ein anderes musikalisches Gesamtbild springen konnte, die Zuhörer manchmal sehr forderte, indem sie stilistische Breaks vollführte, die das Publikum von einem bestimmten Eindruck urplötzlich und ohne Vorwarnung in einen ganz anderen katapultierte. Es gab auch spirituelle Momente, und insgesamt eine noch breiter gefächerte Mélange als auf dem Debutalbum.

Einem nachfolgenden Mini-Album mit dem Titel "Witness", das 1988 folgte, setzten Viv Akauldren schliesslich wie ein Alter Ego der Gruppe Hawkwind einen verrückten Space-Hardrock in Szene und wirkten wie Punks, die Science Fiction entdeckt hatten. die Musik wirkte nun wesentlich aggressiver, jedoch ohne die typischen Punk-Schrubbereien, die man vielleicht vom Vorgänger serviert bekommen hatte. Danach veröffentlichte die Gruppe mit dem Album "Vivian's Fountain" im Jahre 1990 eine quasi Anthologie mit unveröffentlichtem Material, vor allem mit Stücken aus der Frühphase der Gruppe, als sie sich noch Trancegland nannte. Hier waren vor allem die Titel "Magnolia" und "May As Well" phantastisch. Auf dem Spätwerk waren viele neue Aufnahmen alter Songs zu finden, die bereits von der Vorgängerband Trancegland Anfang der 80er Jahre deutlich waveiger gespielt wurden. Das Album sollte die Geschichte und Entwicklung der Band wiederspiegeln, dafür wurde auch der ursprüngliche Schlagzeuger noch einmal mit ins Studio geholt. Heraus gekommen war eine hervorragende Mischung, die das Album zu einem der wichtigsten Zeitzeugen der amerikanischen Psychedelic Szene seiner Zeit machte. Dieses Werk kam allerdings erst posthum heraus, denn nachdem die Gruppe im November 1989 von einer England-Tournee zurück nach Detroit gekommen war, löste sie sich auf. Jeff Phry wurde ein Opfer der harten Drogen und zog sich vollständig aus dem Musikgeschäft zurück, zog aber nach einigen Jahren wieder nach Europa, kam nach Berlin und verdingte sich da als Strassenmusiker. Seine Frau Deb, die sich inzwischen von ihm getrennt hatte, gründete die neue Band Hot Footin' Puddin' Pie und trat später der Formation Outrageous Cherry bei.

Der Keyboarder Keir McDonald, dessen Fähigkeiten selbst einem Keith Emerson des Undergrounds zur Ehre gereichten, gründete in der Folge das Projekt Medusa Cyclone, eigentlich ein Solo-Unternehmen, für welches der Keyboarder beispielsweise Sun Ra oder die Gruppe Wire als Inspirationsquelle und musikalischen Einfluss nannte. McDonald spielte auf seinem Album "Medusa Cyclone", das 1996 erschien, nebst den Keyboards auch Gitarre und arbeitete mit Tape Loops. Das Album enthielt seine ersten drei neu überarbeiteten Singles. Daneben überraschte er mit sehr unterschiedlichen musikalischen Ausrichtungen, die mal an die Band Faust erinnerten, wie beispielsweise in der viertelstündigen Suite "Assigned Frequency" oder im Stück "Helium Head", oder er bediente sich der Rhythmik der Krautrock-Gruppe Neu!("Chemical"), präsentierte synthesizerüberladene Popsongs wie "Gravity Serpent" oder wandte sich auch der World Music zu. Am stärksten geriet seine in bester Freak-Folk Tradition gehaltene Ballade "House", die klang, als würde Syd Barrett bei Spacemen 3 singen, dessen Sänger Jeff Oakes bei diesem Song auch mitsang. In seinen stärksten Momenten präsentierte Keir McDonald einen vortrefflichen Mix aus Shoegaze, kosmischer Musik, Spacemen 3 und Tangerine Dream.







May 29, 2017


JERICHO - Jericho (A&M Records AMLS 68079, 1972)

Dieses legendäre selbstbetitelte Album der israelischen Band Jericho war gleichzeitig auch schon der Schwanengesang dieser Gruppe, deren Wurzeln bis weit zurück in die 60er Jahre reichten. Ursprünglich von Arik Einstein im Jahre 1965 als The Churchills gegründet, war diese erste Inkarnation von Einstein's Band die erste Gruppe, die ein Rockalbum in Israel veröffentlicht hatte, das sich richtig gut verkaufte und als Nährboden für viele spätere Rockmusiker und Bands in Israel galt. Die Churchills waren eine typische Beatgruppe zu Mitte der 60er Jahre. Gegründet wurden sie im Jahre 1965 und sie konnten vor allem in ihrer Heimat Israel gute Erfolge verbuchen. Ihr Werk "Churchills" wurde allerdings auch nur in Israel veröffentlicht, weshalb ausserhalb ihrer Heimat nur Wenige Notiz von der Band nahmen, die gekonnt zwischen typischem 60's Beat und wunderbaren psychedelischen und auch einigen arabischen Elementen hin und her pendelten. 1969 tat sich der englische ehemalige Tornados Gitarrist Robb Huxley mit Arik Einstein zusammen, weil er durch Israel tourte. Diese Zusammenarbeit führte dazu, dass Huxley die Musiker der Churchills mit nach England nahm und mit ihnen eine neue Band mit dem Namen Jericho Jones gründete. Mit dieser neuen Gruppe, die stilistisch nicht mehr viel gemeinsam hatte mit den Churchills, spielten Arik Einstein und Robb Huxley eher zeitgemässen progressiven Rock.

Zuvor allerdings hatte Arik Einstein in Israel auch noch Soloplatten veröffentlicht, und die Kollaboration zwischen den Churchills und Einstein hatten in dessen drittes Album  "Poozy" gemündet, welches als das eigentlich erste Rockalbum in hebräischer Sprache gilt. Die Churchills spielten auf diesem Album auf der Hälfte der Tracks mit, nahmen sogar eines ihrer Stücke in einer neuen hebräischen Variante auf ("When You're Gone"). Anschliessend an die Aufnahmen gingen The Churchills mit Arik Einstein auch auf Tournee und blieben dem Musiker auch in den folgenden Jahren treue Begleiter. Selbst keine weitere LP mehr veröffentlichend, halfen sie allerdings bei drei weiteren Soloalben von Einstein mit, nämlich "Shablul" (1970), "Plastelina" (1970) und "On Avigdor's Grass" (1971). Dann kam der Brite Robb Huxley hinzu und ausserdem noch der kanadische Sänger Stan Solomon. Diese in der Zwischenzeit gut eingespielte Gruppe wechselte dann ihr Domizil und ging nach London.

Ab jetzt spiele die Band in ihrer neuen Wahlheimat vor allem britisch-gefärbte bluesige und progressive Rockmusik, wobei sie sich erstaunlich offen und breitgefächert präsentierten. Auch psychedelischer Rock und gar Hardrock konnte die Gruppe in ihren Sound einbauen, der somit sehr abwechslungsreich wirkte. Dies wiederum rief albald einige Plattenfirmen auf den Plan, welche ihre Talentscouts aussandten, um sich die Gruppe näher anzuschauen. Schlussendlich unterschrieben die nun unter dem Bandnamen Jericho Jones operierenden Musiker beim Plattenlabel A&M Records und veröffentlichten 1971 ein überraschend gelungenes, sehr zeitgemässes und der Konkurrenz problemlos die Stirn bieten könnendes Rockalbum, das jedoch gemessen an seiner Qualität viel zu wenig Beachtung fand. Ganz anders viele Jahre später, als diese Platte schon fast kultartig verehrt wurde von Rocksammlern aus aller Welt, was astronomische Preise für ihre originalen Alben zur Folge hatte. Jericho Jones' Debutalbum "Junkies, Monkeys & Donkeys" und vor allem auch das ein Jahr später nachgereichte "Jericho" gerieten zu Sammelobjekten der Begierde, für die Sammler bereit waren, teilweise mehrere hundert Euro hinzublättern.

Die Aenderung des Bandnamens in schlicht Jericho ging mit der Ueberlegung einher, dass der Name der Gruppe schlichter sein müsse, da dies vielleicht eher beim Publikum hängen bleibt. Das gleichnamige Album erschien 1972 und war qualitativ auf derselben hohen Linie wie der Vorgänger. Diesem gegenüber fiel jedoch auf, dass die nur fünf Songs des Albums teils wesentlich längere Laufzeiten präsentierten, was dem Umstand geschuldet war, dass die Gruppe noch einmal leicht progressivere Stücke geschrieben hatte, die einfach mehr solistischen Freiraum bekamen. Der Opener "Ethiopia" gefiel durch grossartige Gitarrenarbeit und einem leichten Hang zum Krautrock. Die recht progressive Nummer wirkte sehr reif, klang gut arrangiert und bot absolut professionellen Rock der damaligen Zeit. Das nachfolgende "Don't You Let Me Down" geriet genauso gut, und zeigte herrliche Wishbone Ash-ähnliche Twin Guitar-Passagen, einen insgesamt nahe am bluesorientierten Rock der etwas härteren Gangart angesiedelten Sound und eine ausgezeichnete Melodieführung. Auch der mehrstimmige Gesang konnte überzeugen. Das Stück erschien auch als Singleauskopplung, jedoch ohne nennenswerte Beachtung, was schade ist angesichts dieser wirklich tollen Nummer.

Mit dem dritten Titel "Featherbed" folgte der erste von insgesamt drei eher langen Tracks, die alle einem progressiven Rock-Aufbau folgten. "Featherbed" wusste durch eine geschickte Verschmelzung von britischem Rock mit typischen Soundmustern des Mittleren Ostens zu gefallen. Insbesondere der Sound der Gitarren wies typische Muster der Musik des Mittleren Ostens auf. Zusammen ergab dies ein Amalgam aus einerseits recht rockigem Progressiv-Sound, andererseits vermittelte die Nummer ein entspanntes leicht orientalisches Flair mit relativ viel Freiraum für allerlei Solo-Exkursionen und auch mal einem Scat-Gesang. Das geniale vierte Stück "Justin And Nova" würde ich persönlich als das Highlight des Albums bezeichnen. Hier kam eigentlich alles zusammen, was die Gruppe Jericho ausmachte. Mit dezenten und leicht Acid-verträumten Folkrock-Elementen begann diese Nummer, die sich in der Folge kontinuierlich steigerte. Die Melodie war einmaligschön zum mitsingen geeignet, die Geschichte traurig-schön und die instrumentale Qualität schlicht beeindruckend. Alleine schon nur wegen dieser einen Nummer auf diesem Album ist es schade, dass hier nicht mehr Erfolg heraus sprang damals. Dieses Stück gehört für mich bis heute zum Besten, was der frühe Progressive- und/oder Folk-Art-Prog-Rock zu bieten hatte.

Noch einmal recht rockig geriet dann das dieses Album beschliessende "Kill Me With Your Love", bei welchem Jericho wieder eher rockorientierter spielten, und im Grunde schon auch nahe am Jam-Rock waren. Denn hier gab es für die Instrumentalisten insgesamt am meisten Freiraum, es war auch der Titel, der am wenigstens durchkomponiert wirkte, verglichen mit den Titeln zuvor. Am ehesten könnte man diesen Titel als Heavy Rock bezeichnen, das progressive Element war zwar auch da, aber nicht mehr so gewichtig im Vordergrund. Auch die typischen Heavy Rock-Elemente fehlten letztlich, sodass "Kill Me With Your Love" etwas recht Eigenständiges geworden war: Eine Art Jam-Heavy Rock. Die fehlenden griffigen Melodie-Eckpfeiler, respektive der Mitsing-Charakter wurden bei dem Stück durch konsequentes und hochklassiges Solieren mehr als wett gemacht.

Die beiden Alben von Jericho wurden ab den 90er Jahren regelmässig als CD neu aufgelegt. Es empfiehlt sich, nach jenen Versionen des deutschen Labels Repertoire Records Ausschau zu halten. Es handelt sich dabei um keine Bootlegs und um ordentlich klanglich restaurierte Neufassungen. Inzwischen wurden dank des erneuten Vinyl-Booms auch beide Alben wieder als Vinyl-Ausgaben verfügbar gemacht. Ein Neuentdecken wird dem interessierten Hörer also relativ leicht gemacht. Prädikat: sehr empfehlenswert.












COLD BLOOD - First Taste Of Sin (Reprise Records MS 2074, 1972)

Wenn man sich einmal etwas tiefgreifender mit der Geschichte des Rock'n'Roll beschäftigt, so stellt man irgendwann fest, dass es eine Menge der besten und kreativsten Bands in den 60er und 70er Jahren gab, die ihre Heimat in San Francisco und der Bay Aera hatten. Während San Francisco beispielsweise als der weltweit wohl wichtigste Nährboden der psychedelischen Musik gilt, welcher auch die sogenannte Height Ashbury Szene bedeutete, trafen hier in diesem einmaligen Schmelztiegel schon zu Mitte der 60er Jahre eigentlich unvereinbare Musikstile aufeinander, prallten nicht zusammen, sondern gingen eigentümliche Symbiosen ein, die vor keiner Schublade halt machten. So konnten Jazz und Pop, Blues und Rock und nicht zuletzt das typische Westcoast-Lebensgefühl in immer wieder sich verändernden und innovativen Verbindungen zu aussergewöhnlichen Klang- und Soundkreationen gedeihen, die zunächst den Oberbegriff Freak-, dann Psychedelik- und schliesslich Underground-Rock verpasst erhielten. Richtig war dabei vielleicht sowohl nichts, wie alles, denn was da an Musik teilweise entstand, konnte noch gar nicht richtig klassifiziert werden. Selbst vermeintlich viel zu unterschiedliche E- und U-Musiker gingen Kollaborationen ein, fanden sich irgendwo im musikalischen Improvisationsgemenge, oder definierten aussergewöhnliche neue Soundskulpturen, an denen in der Folge von allerlei Musikern gebastelt wurde, seien dies Pop-, Rock-, Soul-, Jazz- oder auch Folkmusiker.

Besonders die ausgedehnten Jams etwa der Bands Grateful Dead oder Quicksilver Messenger Service, stilistisch völlig freie DJs wie Tom Donahue, der den Begriff Underground als einer der ersten für sein Programm definierte und Abe "Voco" Kesh, der den Hip Soul mit dem psychedelischen Jam-Sound vermischte, standen als frühe Vertreter dieser musikalischen Aufbruchstimmung an der amerikanischen Westküste. Auch Sylvester Stewart, besser bekannt unter dem Künstlernamen Sly Stone, war ein angesehener Bay Aera  und Plattenproduzent, der von dieser neuen Szene angetan war. Latin Musik war bereits bekannt und Bands wie die frühen Santana, Tower Of Power und Malo folgten diesem neuen musikalischen Gesamtverständnis ebenso barrierenfrei wie ihre Kollegen aus der Rockmusik. Eine der damals besten Bands, die es hervorragend verstand, die Kraft des Rhythm'n'Blues mit der Hippieästhetik und dem neuen Freiheitsgefühl zu vereinen, war die legendäre Bay Aera Gruppe Cold Blood. Mit dem populären Produzenten und Mentor Bill Graham (The Fillmore) als Unterstützer und Förderer im Rücken, standen Cold Blood bald mit an der Spitze der populärsten Bay Aera Bands.

The Fillmore Auditorium war das Epizentrum des San Francisco Rock, es gab keinen besseren Ort, um eine grossartige Band live erleben zu können. Manche Shows dauerten die ganze Nacht lang, und an diesen Happenings waren zumeist mehrere angesagt Jam- und Psychedelic-Bands gleichzeitig zu sehen und zu hören, was das Fillmore innert kürzester Zeit weitherum bekannt machte. Cold Blood veröffentlichten ihreersten beiden Platten denn auch auf Bill Graham's eigenem Plattenlabel San Francisco Records. 1969 erschien das Debutalbum "Cold Blood" und 1970 dann das zweite Werk "Sisyphus". Für Letzteres holte sich die Band den Tontechniker Fred Catero, der für Santana arbeitete. Schon diese ersten beiden Alben zeigten eine Band, die kraftvolle Grooves und rhythmische Feuerwerke am laufenden Band zünden konnten. Cold Blood boten eine hervorragende Kombination aus tollen eigenen Songs, exzellenten Coverversionen und der powervollen Stimme der attraktiven Sängerin Lydia Pense. Mit einem Wechsel von Bill Graham's Plattenlabel zu Reprise Records, sowie einem neuen Band-Management ausgestattet, präsentierte die Gruppe ihr drittes Album "First Taste Of Sin", das auch einige Wechsel in der Bandbesetzung zeigte.

Cold Blood waren zu jenem Zeitpunkt bereits ein langjährig eingespieltes Unternehmen geworden, die Band hatte inzwischen in ganz Amerika viele Fans und war guter Dinge, dass auch dieses dritte Album wiederum erfolgreich werden und ihre Karriere weiter vorantreiben würde. Dies sollte aber leider nicht der Fall sein. Die Verkaufszahlen ihrer Alben stagnierten, und ganz besonders dieses dritte Album verkaufte sich, verglichen mit den beiden ersten Werken, eher schlecht. Ob es an den Personalveränderungen innerhalb der Band gelegen hat, ist fragwürdig, denn ihre Musik war immer noch genauso spannend und begeisternd wie auf den beiden Alben zuvor. Gitarrist und Gründungsmitglied Larry Field war der prominenteste Ausstieg aus der Gruppe, während das Unternehmen noch immer von Sängerin Lydia Pense angeführt wurde. Sie hatte sich inzwischen einen festen Platz als Rockröhre neben Janis Joplin gesichert, mit der sie öfters verglichen wurde. Ihre Stimme hatte unheimlich viel Soul in sich, weshalb es nicht sonderlich erstaunt, dass sich Cold Blood als Produzenten für ihr drittes Album "First Taste Of Sin" den populären Soulmusiker Donny Hathaway holten.

Hathaway hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon einen guten Ruf erschaffen, und zwar sowohl als Sänger, der unter anderem mit Aretha Franklin zusammenarbeitete, wie auch als Produzent und Songschreiber für Curtis Mayfield, Jerry Butler und The Impressions. Seiner Reputation und der Verbindung zu Atlantic Records ist es zu verdanken, dass aus "First Taste Of Sin" ein warm klingendes, hochmelodisches und vor allem exzellend groovendes Album wurde, das zu einem sophisticatem Gemisch aus Rhythm'n'Blues und Rock geriet, das ungemein modern klang, auch wesentlich differenzierter und mit mehr leiseren Passagen ausgestattet war. Der Soulstyle von Donny Hathaway tat der Band gut. Hathaway steuerte gleich auch zwei bemerkenswerte Kompositionen zu dem Album bei, nämlich den Slow Blues "You Had To Know", eine Steilvorlage vor allem für Lydia Pense's beeindruckende Stimme, sowie die Nummer "Valdez In The Country", das Hathaway später auch selber noch aufnahm und veröffentlichte. Ausserdem mengte er dem Album sein wohlklingendes Gospel-ähnliches Piano bei und gab manchen Songs mit seinem jazzigen Orgelspiel den entscheidenden Schliff.

Die Band erweiterte sich um die beiden altgedienten Bay Aera-Musiker Coke und Pete Escovedo an den Congas, Timbales und verschiedenen weiteren Perkussionsinstrumenten. Ihre Polyrhythmen gaben den Songs unheimlich viel Tanzbarkeit und Groove. Auch die Bläsergruppe, insbesondere der Jazz-Tenorsaxophonist Peter Christlieb, ein Langzeitmitglied in Doc Severensen's Tonight Show Band, war als Sessionmusiker sehr gefragt und sorgte für die entscheidenden jazzigen Akzente auf dem Album. Erstaunlich gut geriet dadurch die Covernummer "Lo And Behold" aus der Feder von James Taylor, aus welcher Cold Blood eine herzhaft kernig klingende Soulrock-Version kredenzten, die ziemlich weit weg vom Original war. "First Taste Of Sin" war ganz klar das Album, das Cold Blood als Höhepunkt ihrer Karriere feiern konnten, weil hier dank der Wahl des Produzenten Donny Hathaway, sowie dem Zuzug von Sessionmusikern und einer kompetenten Bläsersektion einfach rundum alles stimmte. Cold Blood spielten in den folgenden Jahren noch drei weitere Alben ein, die jedoch stetig weniger Stückzahlen verkauften. Es folgte 1973 das Album "Thriller" und 1974 das Werk "Lydia", beide keinen Deut schlechter als "First Taste Of Sin". Erst 1976, dem Jahr, in welchem sich Cold Blood dann trennten, kam mit dem finalen Album "Lydia Pense And Cold Blood" ein vom sehr bekannten Gitarristen und Songschreiber Steve Cropper produziertes Werk auf den Markt, das auf ABC Records erschien, das vermutlich dem inzwischen populär gewordenen Phillysound zum Opfer fiel.










May 28, 2017


IRON MAIDEN - The Book Of Souls (Parlophone Records 0825646089246, 2015)

Als Fan der Gruppe Iron Maiden konnte man sich dem insgesamt sechzehnten Studioalbum der Band nur schwer bis überhaupt nicht entziehen. Die Gruppe schaffte auf “The Book Of Souls”, was ihnen auf den drei Alben zuvor nicht gelungen war: Sie vereinten ihre Vorliebe für progressive Songstrukturen mit dem Vibe der Alben aus den 80er Jahren in optimaler Form, und das machte das Werk zu einem sehr starken, vielleicht einem der stärksten der Band überhaupt. Man konnte durchaus schon kurz nach der Veröffentlichung der Platte das Gefühl bekommen, dass der Vorgänger "The Final Frontier" nicht wirklich das studiotechnische Ende von Iron Maiden sein konnte. Die progressiven Aspekte im Bandsound hatten mir auf ihrem Album "Seventh Son Of A Seventh Son" schon richtig gut gefallen, wirkten auf den neueren Veröffentlichungen aber wie Fremdkörper. Entsprechend ging ich mit keinerlei Erwartungshaltung an die Platte "The Book Of Souls" heran.

Progressiv waren die Briten eigentlich immer schon, aber hierbei hatten sie all jene Wendungen vermissen lassen, welche eine Story wirklich erinnerungswürdig werden liessen. Wie viel aufregender hingegen geriet "The Book Of Souls", und das, obwohl dieses Doppelalbum bezüglich der Spielzeit alles toppte, was bislang unter dem Namen Iron Maiden als Studiowerk erschienen war. Nicht selten sah man sich beim Anhören in die 80er Jahre zurückversetzt, als die Musiker mit ihren Alben "Somehere In Time" (1986) oder "Seventh Son Of A Seventh Son" (1988) kreativ positiv über die Stränge schlugen. Neben schlicht grandiosen Stadionhymnen, von welchen der Opener "If Eternity Should Fail", der Titelsong oder "The Red And The Black" stellvertretend genannt sein sollen, sowie den berühmten magischen Tonfolgen gab es auch kleine musikalische Überraschungen zu entdecken: Das Stück "Speed Of Light" etwa klang zu Beginn fast wie eine Guns N' Roses-Nummer von 1987, "Empire Of The Clouds" hätte aufgrund des irgendwie bombastischen Arrangements auch von Queen in den 70er Jahren konzipiert werden können. "The Book Of Souls" drehte am grossen Rad der bandeigenen Historie, wirkte trotzdem frisch und musikalisch absolut komplett. Wie viele Bands hatten bislang schon versucht, den Musikern um Steve Harris in Sachen Melodieverständnis und Twin Guitars auf Augenhöhe zu begegnen ?

Die im Vorfeld veröffentlichte erste Single "Speed Of Light" liess durchaus noch nicht auf die kommende Grosstat schliessen. Der Song war zwar gut, aber nicht wirklich ein Stück, das gleich durch die Decke schiessen konnte, dafür aber der Rest der Platte umso mehr. Das nachfolgende Lang-Werk "The Book Of Souls" beeindruckte nach nur wenigen Augenblicken. Schon das atmosphärische Intro zum Opener "If Eternity Should Fail" liess dem Hörer ein erstes Mal Gänsehaut über den Rücken laufen und stimmte standesgemäss in das Album ein. Zwar war dieser Opener eher ein gemässigter Rocker im Iron Maiden-Kosmos, dafür war aber wie aus dem Nichts der alte Spirit sofort wieder da. Dieses vertraute Gefühl, dass hier etwas Besonderes passierte, ganz so wie man es von früher kannte. Man klebte sofort an Bruce Dickinson's Lippen und wurde vom wiedergenesenen Frontmann auf eine abenteuerliche Reise mitgenommen, die nach 92 Minuten ein imposantes Ende fand. Bis dahin hatte die Band auf dem Album aber immer wieder das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, was nicht nur der mystisch-orientalische Titelsong oder eine Nummer wie "The Red And The Black" eindrucksvoll unterstrichen. Die dezent melancholische Robin Williams-Hommage "Tears Of A Clown", das verspielte "The Man Of Sorrows" oder die beiden klassischen Headbanger "When The River Runs Deep" und "Death Or Glory" überzeugten ebenfalls auf der ganzen Linie. Das lag unter anderem daran, dass die Briten die grossen Melodien wieder für sich entdeckt hatten, die Twin-Leads wieder fordernd und die Riffs wieder packend gerieten. Die Stärken der Band, und hiermit vor allem auch die progressiven Elemente, kamen wesentlich besser auf den Punkt und klangen fokussierter, was etwa einer Nummer wie "When The River Runs Deep" eine ganz eigene Dynamik verlieh.

Nach mehreren Hördurchgängen konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass Bandkopf Steve Harris sich zum Wohle dieser Platte ein wenig zurück genommen und mehr auf das Können seiner Bandmitglieder vertraut hatte. Dave Murray, der als Songwriter bislang nicht gerade Akkordarbeit bei Iron Maiden verrichtet hatte, kam auf einmal mit einem kompositorischen Highlight in Form des Titels "The Man Of Sorrows" hinter dem Vorhang hervor, und auch Adrian Smith und Bruce Dickinson durften sich auf dem Album hörbar austoben. Dadurch entstand ein grosses kreatives Spannungsfeld, das in der Dickinson-Nummer "Empire Of The Clouds" auf beeindruckende Weise kulminierte. Eigentlich für ein potentielles Soloalbum gedacht, brachte dieser einmalige Song in achtzehn Minuten alle Finessen und Eigenheiten der Gruppe in nahezu perfektionistischer Art auf den Punkt. Wer hier keine Gänsehaut bekam, musste taub sein. Man hatte das Gefühl, sich in einem Film zu befinden und das Schicksal des britischen Verkehrsluftschiff R101 hautnah mitzuerleben. Durch seine vielen, fliessend ineinander übergehenden Facetten und der einzigartigen Atmosphäre geriet "Empire Of The Clouds" nicht nur zu einem extrem spannenden Song, sondern auch durchaus zu einem der besten, den Iron Maiden jemals veröffentlicht hatten.

Der Prunk an Variationen, welche die Band um ein eigentliches Grundthema baute, übertraf jede Vorstellungskraft. Das spielerisch leichte Element, das diese acht-, zehn- oder 13-minütigen opulenten Rocktitel auszeichnete, machte "The Book Of Souls" über die gesamte Spiellänge zu einer überaus spannenden und unterhaltsamen Angelegenheit, zumal auch der Sound nicht nur prachtvoll, sondern auch sehr druckvoll aus den Lautsprechern drang. Das Bruce Dickinson-Epos "Empire Of The Clouds" geriet mit seinen 18 Minuten Lauflänge zur bisher längsten Maiden-Kompositionen, die in keinem Moment die Magie verlor. In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeitsspanne bei den meisten Menschen inzwischen bei etwa 30 Sekunden liegt, stellten Iron Maiden einen absoluten Anachronismus, ein Überbleibsel der Musikgeschichte dar.

Jeder der Bandmusiker besann sich auf dem Album auf seine Stärken: Adrian Smith präsentierte im Wechsel mit Bruce Dickinson und Steve Harris fünf potentielle Single-Kandidaten heraus, die mit untrüglichem Gespür für rockige Riffs und Hit-Melodien punkteten. Gerade bei diesen kürzeren Stücken konnte der Eindruck entstehen, man wolle sämtlichen Erfolgsnummern der Briten Tribut zollen. Textlich gaben sich Iron Maiden in der Robin Williams-Hommage "Tears Of A Clown" beeindruckend nachdenklich. Jannick Gers' Arbeiten fielen immer folkloristisch und verspielt aus, wie zum Beispiel der Titelsong "The Book Of Souls" vorführte. In "Shadow Of The Valley" verlorer sich gar "Somewhere In Time", insbesondere mit seinem an "Wasted Years" angelehnten Einstiegs-Lick. Die Ideen des grossen Schweigers Dave Murray wirkten verträumt und impressionistisch. "The Man Of Sorrows" entpuppte sich trotz seiner vergleichsweise kurzen Lauflänge von sechseinhalb Minuten zusammen mit "Empire Of The Clouds" als der abwechslungsreichste Song. Er deckte von balladesk bis kraftvoll und impulsiv bis nachdenklich ein breites Spektrum ab.

Konzeptionell widmeten sich Steve Harris und seine Mitstreiter ganz einem Alterswerk angemessen dem grossen Ganzen und beleuchteten das Leib und Seele-Problem aus vielen unterschiedlichen Perspektiven. Das ewige Suchen, Memorieren, Vergessen, Finden und Interpretieren. Der Begriff der Seele bildete den Ausgangspunkt. "Here is the soul of a man", so lauteten die ersten Worte von Bruce Dickinson in der einprägsamen Hymne "If Eternity Should Fail". Ist der Mensch eine zufällige, aus Biomasse bestehende Laune der Natur ? Ist er mit einer unsterblichen Seele ausgestattet ? Besitzt er ein Bewusstsein für Gut und Böse, wie es viele Religionen nahelegen ? Ein Thema, das etwa der Titelsong aufgriff, wenn er die Maya-Kultur beleuchtete. Diese stand zudem Pate für Eddie's Auftritt auf dem Cover als blutrünstiger Krieger. Natürlich mit der entsprechenden künstlerischen Freiheit, die sich Maiden bei der Rezeption von kulturellen Artefakten und Ikonen schon immer gerne nahmen. Die Beseelung fand auch auf der musikalischen Ebene statt. Es gab zahlreiche Querverweise zu den Klassikern der Band. Gerade die zerpflückte Art des Komponierens erweckte die elf Songs zum Leben, das Mit-, Neben- und Hintereinander diverser Parts, die in impulsiver, ungebändigter Kreativität aus den Lautsprechern sprangen.

Wie die das Leben auf unserem Planeten in ein paar Jahren aussehen mag ? Dass Klima-Erwärmung, Krieg, Terror und Armut ihre Spuren hinterlassen, sofern nicht bald die Vernunft obsiegt, steht ausser Frage. Ziemlich sicher steuern wir auf eine Welt ohne Iron Maiden zu: Erst im Mai 2015 konnte Bruce Dickinson von einem Kehlkopf-Tumor genesen und präsentierte diese beeindruckende Platte, welche die Strahlkraft der Klassiker nicht nur zitierte, sondern weiterentwickelte. Ein Referenzwerk wie den Schlusstitel "Empire Of The Clouds" hatte die Band in der gesamten Zeit ihres Bestehens nicht geschaffen.







May 27, 2017


STRETCH - Forget The Past (Hot Wax Records WAX1, 1978)

Die Geschichte der britischen Band Stretch ist zuallererst natürlich einmal die Geschichte des Sängers Elmer Gantry. 1967 war der Sänger und Harmonika-Spieler, der mit bürgerlichem Namen Dave Terry heisst, Mitgründer einer britischen Psychedelic- und Spacerock-Band, die ursprünglich Velvet Opera heissen sollte. Aufgrund seiner Kleidung identifizierte die Band ihren Frontmann mit der fiktiven Figur Elmer Gantry aus dem gleichnamigen Spielfilm von 1960, und so wurde der Name in Elmer Gantry's Velvet Opera geändert. Terry behielt diesen Künstlernamen, als er die Band 1969 verliess. 1971 stiess er zur Londoner Jazz-Rock Formation Armada, wo bereits Gitarrist Kirby Gregory (eigentlich Graham Patrick Gregory, jedoch meist nur Kirby genannt), und Bassist Steve Emery aktiv waren. Kirby wiederum wechselte 1972 zu Curved Air und veröffentlichte mit dieser Band im Jahre 1973 das Album "Air Cut". Im selben Jahr veröffentlichten Gantry, Kirby und Emery mit der Hilfe von Clifford Davis, der zu jener Zeit der Manager von Curved Air und Fleetwood Mac war, unter dem Bandnamen Legs die Single "So Many Faces" mit der B-Seite "You Bet You Have".

Ebenfalls 1973 wurden Gantry und Kirby sowie Paul Martinez (Bass), John Wilkinson (Keyboards) und Craig Collinge (Drums) von Davis engagiert, um als Fleetwood Mac durch die USA zu touren. Die ursprünglichen Bandmitglieder hatten die Band bereits verlassen, waren zerstritten und/oder hatten mit Drogenproblemen zu kämpfen und standen deshalb nicht zur Verfügung, es waren aber bereits Konzerttermine angesetzt. Angeblich war auch der originale Schlagzeuger Mick Fleetwood an dieser Vereinbarung beteiligt und sollte während der Tour dazustossen, er erschien jedoch nicht zu den Konzerten, und so war der Skandal um die "falschen" Fleetwood Mac perfekt. Die Tournee wurde abgebrochen und es folgte ein Rechtsstreit um die Rechte am Namen Fleetwood Mac zwischen Manager Davis und den ursprünglichen Bandmitgliedern. Davis verlor den Prozess und wurde entlassen.

Zurück in England gründeten Kirby und Elmer Gantry dann die Band Stretch, und die 1975 veröffentlichte Debütsingle "Why Did You Do It ?" bezog sich direkt auf Mick Fleetwood und die damaligen Ereignisse. Die markanten Bläser des Stücks wurden von Bud Beadle, Chris Mercer, Mick Eve, Mike Bailey und Ron Carthy beigesteuert. Nach diesem vielversprechenden Start - die Single erreichte Rang 16 in den britischen Charts und konnte sich insgesamt acht Wochen dort platzieren - konnten weitere Veröffentlichungen keine nennenswerten Erfolge erzielen. Das zugehörigen Album "Elastique" wurde von Martin Rushent produziert; zunächst spielte Paul Martinez den Bass, aber schon auf dieser LP war bei einigen Stücken sein Nachfolger Steve Emery zu hören. Der Schlagzeuger Jim Russell wurde für das 1976 erschienene Nachfolgealbum "You Can't Beat Your Brain For Entertainment" durch Jeff Rich ersetzt.

Im September 1976 spielten Stretch als Vorband auf den Englandkonzerten der "Rising"-Tour von Ritchie Blackmore's Rainbow. 1977 lösten sich Stretch auf, das vierte und zunächst letzte Album "Forget The Past" wurde 1978 veröffentlicht, mit der zuletzt aktiven Besetzung, allerdings ohne den dominierenden Sänger Elmer Gantry. dieser trat in der Folge als Sänger verschiedener anderer Projekte in Erscheinung, so sang er beispielsweise für The Alan Parsons Project die Titel "May Be A Price To Pay" auf dem Album "The Turn Of A Friendly Card" (1980) und "Psychobabble" auf "Eye In The Sky" (1982). Im selben Jahr sang er "Where are you ?" auf der LP "Before I Forget" des ehemaligen Deep Purple-Keyboarders Jon Lord. Bereits 1981 waren er und Kirby am Album "Tilt" des Schlagzeugers Cozy Powell beteiligt: Gantry sang dort drei von Kirby mitkomponierte Stücke; dieser wiederum spielte auf zweien davon Gitarre; und auch Emery wurde bei einem davon als Co-Autor genannt.


1984 wurde das Stück "Why Did You Do It ?" in einigen europäischen Ländern wiederveröffentlicht, ergänzt um eine fast achtminütige Maxi-Version, gemixt von Fredrik Ramel, der den Titel schon 1975 produziert hatte. In Österreich war die Single 1985 14 Wochen lang in den Charts und erreichte Platz drei, in der Schweiz konnte sich der Titel 7 Wochen lang platzieren, bis hinauf zur 20. Position. Der Schlagzeuger Jeff Rich schloss sich 1986 der Gruppe Status Quo an, bei der bis zum Jahr 2000 blieb. 1992 folgten weitere Veröffentlichungen von "Why Did You Do It ?" mit zusätzlichen Remixen von The Wild Boys und James Black/Mixmaster K/Pekka Witikka.


Doch zurück zum nahen Ende der Band Stretch nach dem Ausstieg von Sänger Elmer Gantry. Kirby produzierte Anfang 1978 ein erstes Soloalbum mit dem Titel "Composition". Nahezu zeitgleich arbeiteteer mit den ehemaligen Stretch-Kumpels auch an einem weiteren Stretch-Album, heuerte dafür auch weitere Musiker an, die zuvor nicht bei Stretch mitgemischt hatten. Von der originalen Band waren nur noch Kirby und Steve Emery übriggeblieben, und da auch der Musikstil der Band ein anderer war, hätten Stretch wahrscheinlichgut daran getan, die Platte unter einem anderen Namen zu publizieren als unter dem Namen Stretch. Neu hinzugekommen war aber schon alleine mit dem Schlagzeuger Nicko McBrain ein absoluter Könner, der zuvor bei den Streetwalkers und der Pat Travers Band in Diensten gestanden hatte und später zu Iron Maiden wechselte. Trotz der qualitativ sehr guten Musik, die nun mit einem ziemlich grossen Schuss Latin Rock daherkam und den rauhen und rollenden Bluesrock von zuvor ausgeklammert hatte, fehlte die Präsenz von Elmer Gantry, weshalb auch die Fans der Band sich von der Combo abwandten. Stretch spielten nach der Veröffentlichung von "Forget The Past" praktisch auch keine Konzerte mehr, wodurch auch das Album schon kurz nach seiner Veröffentlichung  leider in der Versenkung verschwand. Kirby stellte später ziemlich resigniert fest: "Stretch is not really Stretch without Elmer", und das war sehr schade.

"Re-Arranging" war das erste Stück auf der LP und auch das erste Stück, das die 'neuen' Stretch komponiert und eingespielt hatten. Steve Emery hatte die Nummer geschrieben und sie lebte vom dynamischen Schlagzeugspiel von Nicko McBrain, bot aber auch schön arrangierten mehrstimmigen Gesang. Das Titelstück "Forget The Past" rollte noch runder als der Opener, versprühte als erster Track der LP durch die Perkussionsinstrumente einen leichten Latin Touch. Das nachfolgende "Ain't No Good Reason" klang vielleicht nach den vorangegangenen beiden Rhythmus-Granaten etwas beliebig und unspektakulär, war aber ebenfalls wieder eine schöne Steve Emery-Nummer.

Die zweite LP-Seite begann ausserordentlich poppig und sehr viel Mainstrem-freundlicher als alles, was Stretch zuvor präsentiert hatte. Diese Melodie hätte gar charten können, wenn sie nicht einfach zur falschen Zeit gekommen wäre. In dem ganzen Post-Punk- und New Wave-Durcheinander jener Tage hatte eine vom Westcoast inspirierte Hochglanz-Popnummer so gut wie keine Chance. Auch das nachfolgende stark Reggae-lastige "You're Too Late" konnte es nicht reissen, was sicherlich auch an der Komposition an sich lag: Hier zeigten sich schon gewisse Defizite in der Qualität des Songs an sich. Von ganz anderem Schlag waren dann die beiden weiteren Stücke auf der B-Seite der LP: "School Days" und "Fooling Me". Diese beiden Nummern gerieten zum Besten, was es von der Band Stretch zu hören gab. "School Days" war ein formidabler und spritziger Poprock-Song mit Vorwärtsdrang, wiederum dominiert vom taffen und gradlinigen Rocksound des Schlagzeugs von Nicko BrBrain. Ein wunderschöner Refrain zum Mitsingen war auch dabei und ein Rhythmus-Feuerwerk mit viel Salsa- und Latin-Feeling und donnernder Perkussion bildeten den zweiten Teil dieses mehr als 8 Minuten langen Titels. Das finale "Fooling Me" war nach demselben Muster gestrickt: Ebenfalls eine tolle Poprock-Nummer mit anschliessendem, die Platte final ausklingen lassendem Latin-Perkussions-Fieber.

Das Album "Forget The Past" wurde kaum zur Kenntnis genommen zum Zeitpunkt des Erscheinens, landete umgehend in den Billig-Grabbelboxen und wurde schlicht vergessen, nicht nur von den Fans der Band, auch von den Kritikern. Schade, denn das Werk bietet qualitativ guten Poprock und ist vor allem sauber eingespielt und druckvoll anbgemischt worden. Die Platte wurde bis heute nie offiziell wiedereröffentlicht. Es existieren Bootlegs aus Fernost und nur auf der Stretch-Sammelbox "The Story Of Elmer Gantry", die im Jahre 1996 auf Repertoire Records veröffentlicht wurde, fanden alle Songs des Albums ihren verdienten Platz in der Geschichte dieser ungewöhnlichen Band, die ausser einem einzigen Hit ("Why did You Do It ?") nichts Zählbares für sich verbuchen konnte und trotzdem noch immer von vielen Rockfans auf der ganzen Welt geschätzt wird.





May 26, 2017


MARSHALL TUCKER BAND - Searchin' For A Rainbow 
(Capricorn Records CPN 0161, 1975)

Alte Geschichten aus dem Wilden Westen und herrliche Südstaaten-Erinnerungen vermittelten die Songs auf dem vierten Album der Marshall Tucker Band, das unter dem Namen "Searchin' For A Rainbow" 1975 erschienen war. Diese tolle Songkollektion markierte einen ersten und ausgereiften Höhepunkt im Schaffen dieser Band, die einfach gesagt dem Countryrock verpflichtet war, die jedoch sehr viel mehr an stilistischen Elementen in ihren Gute Laune-Sound einwoben. Immer bedienten sie sich auch des Western Swings, deren Urform aus dem Jazz auch kam, und die Marshall Tucker Band war ausserdem auch eine teilweise recht bluesorientierte Rockband, die auch herzhaft zupackend spielen konnte. Hier auf diesem Werk gelang diese ein weites stilistisches Feld absteckende Symbiose nahezu perfekt. Hier standen nicht musikalische Stile nebeneinander, sondern waren miteinander verschmolzen worden, was ihrem Sound den typischen Wiedererkennungswert gab, an welchem man die Band in späteren Werken immer wieder festmachen konnte.

Die Marshall Tucker Band, gegründet 1971 in Spartanburg (South Carolina), war eine der bekanntesten Southern Rock Bands der 70er Jahre. Mitglieder der Gruppe waren der Sänger Doug Gray, der Gitarrist Toy Caldwell, Tommy Caldwell am Bass, der Gitarrist George McCorkle, sowie der Schlagzeuger Paul Riddle, zusammen mit Jerry Eubanks. Die Band unterzeichnete einen Vertrag bei Capricorn Records und veröffentlichte ihr Debütalbum im März 1973. Aufmerksamkeit bekam die Band durch eine Tour mit den Allman Brothers, die meisten ihrer Platten während der 70er Jahre bekamen Goldstatus. Ihr grösster Erfolg war das Album "Carolina Dreams" mit dem darin enthaltenen Song "Heard It In A Love Song", der es 1977 bis auf Platz 15 der Charts brachte. "Searchin' For A Rainbow" und "Long Hard Ride" sind zwei charakteristische Alben des Southern Rock.

1980 verstarb der Bassist Tommy Caldwell bei einem Autounfall. Die Band kam seit 1982 nicht mehr in die Albumcharts. Toy Caldwell verliess in der Folge die Band, um eine Solokarriere zu beginnen. Später gründete er die Toy Caldwell Band und veröffentlichte mit ihr 1992 eine CD. Diverse Bücher über die Band wurden in den USA veröffentlicht. Das Line-up der Band war 1998: Rusty Milner (Gitarre), Tim Lawter (Bass), Stuart Swanlund (Gitarre), David Muse (Saxophon, Flöte und Keyboard) und B. B. Borden (früher Mitglied der Band Mothers Finest) am Schlagzeug. Neben der 1998er-Veröffentlichung "Face Down In The Blues" brachte die Band 1999 ein Album mit Gospelsongs heraus. Die Gospel-CD enthielt unter anderem eine einmalige Interpretation des Gospel-Klassikers "Wayfaring Stranger". Nach diversen Umbesetzungen erschienen in den Jahren 2004 und 2007 die Alben "Beyond The Horizon" sowie "The Next Adventure", die wieder im gitarrenorientierten Southern Rock Stil der 70er und 80er Jahre eingespielt wurden. Die amerikanische Glam Metal-Band Poison veröffentlichte 2007 das Album "Poison'd!", das ausschliesslich Coverversionen enthielt. Für diese CD hatten Poison auch das Stück "Can't You See" von der Marshall Tucker Band aufgenommen. Die Band Black Stone Cherry veröffentlichte 2011 eine weitere Version von "Can't You See" auf dem Album "Between The Devil And The Deep Blue Sea".

"Fire On The Mountain" und das erwähnte, öfters mal gecoverte "Can't You See" gelten noch immer als die beiden besten Songs dieses Werks, jedoch würde ich das Album insgesamt als eines ihrer besten bezeichnen. Das Stück "Can't You See" stammte ursprünglich vom Debutalbum der Gruppe, wurde hier aber als Live-Version von einem Auftritt im Jahre 1974 berücksichtigt. Auf dem Album waren nebst der Band einige hochkarätige Gastmusiker eingeladen, so unter anderem der Allman Brothers-Gitarrist Dickey Betts. Dazu gesellte sich auch der damalige Keyboarder der Allman Brothers, Chuck Leavell. Der Saxophonist Paul Hornsby spielte ebenfalls mit. Er war zu jener Zeit so etwas wie ein Vertrags-Session- und Studiomusiker bei Capricorn Records und hat auf zahlreichen weiteren Platten von Künstlern auf diesem Label mitgewirkt, so unter anderem bei Wet Willie, der Charlie Daniels Band, Elvin Bishop und Captain Beyond. Hornsby hat auch produziert, so unter anderem das Opening Stück "Fire On The Mountain".

"Searchin' For A Rainbow" war auch die Initialzündung für die finale Akzeptanz unter eigentlich eher puristischen Countryfans. So entlehnte sich beispielsweise schon kurz nach der Veröffentlichung des Albums der berühmte Sänger Waylon Jennings das Stück "Can't You See", coverte es und kam damit auch prompt in die Charts. Der Countrystar Hank Williams, Jr. performte mit der Marshall Tucker Band an Konzerten in Birmingham. Einige Verantwortliche in den Teppichetagen der in Nashville domizilierten Plattenfirmen und Produktionsgesellschaften attestierten der Marshall Tucker Band indes einen zu stark ausgeprägten Sinn für Rock'n'Roll, um im Country Music Radio öfters gespielt zu werden. Die Szene interessierte sich für die Marshall Tucker Band aber vor allem auch deswegen, weil der Country-Star Randy Owens, der Frontsänger bei der erfolgreichen Band Alabama, sich immer wieder über die Gruppe geäussert hatte und auch sagte, dass die Marshall Tucker Band einen grossen Einfluss auf die Musik von Alabama ausüben würde. Das verhalf dem Stück "Fire On The Mountain", das im Herbst 1975 auch als Single ausgekoppelt wurde, die respektable Position 38 der amerikanischen Pop-Charts zu erreichen.

"Fire On The Mountain" wurde komponiert von George McCorkle, es war seine erste Komposition für die Gruppe. Der Sänger Doug Gray erkannte das Potential dieses Songs umgehend: "George called me over and had me sing a little bit of it. I said "Man this going to be a great song". Vor diesem Titel galten Marshall Tucker eher als eine Singles-Band. Das änderte sich mit "Searchin' For A Rainbow", wie sich Doug Gray weiter erinnerte: "At first, we just had the cool people coming to our shows. Then all of a sudden, we had this hit and these teenyboppers started coming out to see us. I remember all these young guys who were sporting cowboy hats and boots, it was a whole new world for them. We noticed that we were drawing a younger crowd, and we started playing more venues that people under 21 could come to." Diese neuen Fans, die das Album rege kauften, erkannten, dass die Gruppe weit mehr Qualitäten zu bieten hatte, als das nur ihre Singles beweisen konnten.







May 24, 2017


THE ALARM - Declaration (I.R.S. Records 1983)

The Alarm stammten aus Wales und waren im Grunde eine Alternative Rockband mit deutlichem New Wave-Einschlag und einer Affinität zum Punk, den sie ab 1977 unter dem Namen The Toilets zum besten gaben. Ursprünglich als reine Gitarrenband gestartet, kamen bei The Alarm, wie sie sich ab 1981 nannten, später auch Keyboards hinzu. Als Support Act beispielsweise für U2 oder Bob Dylan, wurden sie relativ schnell bekannt als ausgezeichnete Liveband, aber auch durch ih Debutalbum liessen sie aufhorchen. Der grösste Erfolg der Band war die frühe Single "Sixty Eight Guns", welche im Jahre 1983 den Rang 17 in den britischen Charts erreichte. Das nachfolgende Album "Declaration", das im Jahr darauf folgte, war dieser Song ebenfalls enthalten. Mit dem Debutalbum waren sie sogar noch erfolgreicher: Das Werk stieg in den Charts bis auf den sechsten Platz hoch. In der Ortschaft Rhyl in Wales starteten die Musiker Mike Peters (auch unter dem Namen Eddie Bop bekannt), Glyn Crossley (oder auch Steve Shock), Richard "O'Malley" Jones (Spitzname Bo Larks) and Nigel Buckle (oder auch Des Troy) als Punkband namens The Toilets. Schon im darauffolgenden Jahr crashten die Toiletten und formierten sich neu unter dem Namen Quasimodo. Nun spielten sie quasi als Coverband das komplette Repertoire des Rock-Klassikers "Live At Leeds" von The Who auf ihren Konzerten. Neu hinzugekommen war hierfür der Leadgitarrist und Sänger Dave Sharp. Zeitweise spielte in dieser Zeit auch Karl Wallinger (The Waterboys) mit den Musikern mit.

Nach einer erneuten Umbenennung in Seventeen und einer damit einhergehenden weiteren Personalumbesetzung wurde aus der Gruppe nun eine Art Power Pop Mod Band. Hier spielte nun David Kitchingman mit, der sich später das Pseudonym Dave Sharp zulegte, sowie Mike Peters, Nigel Buckle und Eddie MacDonald. Diese Band veröffentlichte nun eine Single mit dem Titel "Don't Let Go" und der B-Seite "Bank Holiday Weekend" im März 1980 und absolvierte eine Tournee im Vorprogramm der Stray Cats. Ihren letzten Auftritt bestritten sie im Januar 1981 im Half Moon Club, Herne Hill in London, allerdings bereits wieder unter einem neuen Bandnamen, diesmal Alarm Alarm. Dann formierten sie sich erneut um und die eigentliche Phase The Alarm begann. Sie wurde gleichzeitig auch die Beständigste aller Formationen. Nigel Buckle änderte seinen Namen nun in Twist und die Band The Alarm spielte ihren ersten Gig im Victoria Hotel, Prestatyn, North Wales, am 6. Juni 1981. Die Band eröffnete das Konzert mit dem Titel "Shout To The Devil", den sie später auf ihr Debutalbum "Declaration" aufnahmen.

Im September 1981 zog die Gruppe von North Wales nach London, um eine Single einzuspielen, die sie als Demo verwenden wollte. Die A-Seite präsentierte als sogenannte 'electric side' den Titel "Unsafe Building" und die B-Seite als 'acoustic side' den Song "Up For Murder". Der Journalist des britischen Zig Zag Magazins Mick Mercer wurde auf die Single aufmerksam und kürte sie kurzerhand zur Single des Monats in seinem Musikmagazin. The Alarm spielten daraufhin ein Konzert als Vorgruppe für The Fall im Dezember 1981, wo die Gruppe wiederum von einem Journalisten der Zeitschrift Sounds entdeckt wurde. Es war dieser Journalist, der danach auch den Auftritt der Gruppe im Club Upstairs at Ronnie's im Londoner West End besuchte und darüber berichtete. Ebenfalls zugegen war bei diesem Konzert ein Talentscout, der so angetan war vom Gehörten, dass er ein Treffen zwischen der Band und dem Agenten Ian Wilson von U2 arrangierte. Wilson iwederum organisierte ein weiteres Konzert, war von der Leistung der Gruppe überzeugt und der nächste Schritt war ein gemeinsamer Auftritt von The Alarm mit U2, den die beiden Bands gemeinsam am 22. Dezember 1981 im Lyceum Ballroom absolvierten.

Schon kurz nach dem Jahreswechsel begann die Band damit, weitere Demoaufnahmen für diverse Plattenlabels aufzunehmen, jedoch war das Interesse daran relativ gering. Zu dem Zeitpunkt spielten The Alarm allerdings uahc mit drei akustischen Gitarristen, was nicht eben dem Zeitgeist entsprach (MTV unplugged war noch nicht erfunden). Dann bot das Alternativ-Label I.R.S. Records doch einen Plattenvertrag an und die Band machte sich ernsthafte Gedanken darüber, wer von jetzt an welche Rolle in der Band übernehmen soll, denn als akustisches Unternehmen sollte die Band nicht weitermachen, was auch nicht im Sinne von I.R.S. Records war, die nach neuen Rockbands Ausschau hielt und kein Interesse an hippiesken Folkies, die praktisch akustisch unterwegs waren, hatten. So übernahm Mike Peters ab sofort die Rolle des Leadsängers, Dave Sharp wechselte zur elektrischen Gitarre (spielte aber auch die akustische Gitarre weiterhin) und Eddie Macdonald spielte den Bass. Die erste offizielle Single für I.R.S. Records war das im Oktober 1982 veröffentlichte "Marching On", das ziemlich gut rockte. Live bauten The Alarm ein Programm auf, das erst rein akustisch gehalten war und sich im VErlauf des Abends immer stärker in Richtung Rock aufbaute und fulminant endete. Viele Auftritte bestritt die Band nun nach der Veröffentlichung der Single, darunter waren auch vier weitere Auftritte mit U2 im Dezember desselben Jahres. Bei einem dieser Auftritte trat dann Bono zu The Alarm auf die Bühne und jammte mit ihnen mit, was der Gruppe zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffte.

Ein weiterer neuer Song mit dem Titel "The Stand" wurde im April 1983 aufgenommen und als Single veröffentlicht. Dem Songtext zu diesem Titel lag als Inspirationsquelle der gleichnamige Roman des Horror-Schriftstellers Stephen King zugrunde. Ausserhalb England's wurde der Song als EP veröffentlicht, mit insgesamt fünf Titeln und unter dem schlichten Titel "The Alarm". Dies geschah vor allem zu dem Zweck, der Band etwas mit ins Gepäck zu geben, das sie an Konzerten verkaufen konnte, die sie im Juni 1983 in den USA bestritt. Danach lancierte ihre Plattenfirma I.R.S. Records nach einem Achtungserfolg der Single "The Stand" Aufnahmen zu einem ersten Longplayer. Dazu wurde eine weitere Studiosession mit dem Produzenten Mick Glossop vereinbart, der zuerst für eine weitere Single sorgte, nämlich "Blaze Of Glory". Das Stück wurde aufgenommen und gleich veröffentlicht. Ausserdem übernahm der ehemalige Babe Ruth Musiker und Produzent Alan Shacklock die Leitung der LP-Einspielung. Nach den Aufnahmesessions wurde auch ein Videoclip mit der Gruppe eingespielt, und zwar für den Titel "Sixty Eight Guns". Kurz darauf gingen The Alarm erneut auf US-Tournee, diesmal jedoch bereits als Headliner und nicht mehr als Support Act für U2. Die Single "Sixty Eight Guns" wurde am 12. September 1983 veröffentlicht und erreichte bereits in der Folgewoche den Rang 50 in den Charts. In derselben Woche performte die Band im BBC Fernsehen in der Sendung Top Of The Pops, worauf die Single bis in die Top 20 stieg. Die Single wurde in der Folge zur erfolgreichsten der Band überhaupt, sie erreichte am Ende Platz 17.

Das Debutalbum "Declaration" wurde schliesslich am 14. Februar 1984 veröffentlicht und erklomm umgehend die britischen Charts, landete auf dem überraschenden 6. Platz. Auf das rockige "Declaration" folgte im darauffolgenden Jahr das mit Keyboards versetzte zweite Werk "Strength". Während The Alarm auf der Bühne sich der Gunst ihrer Fans sicher sein konnten, brach hinter den Kulissen ein bitterer Streit zwischen den Mitgliedern untereinander und dem Management aus. Sollte das nächste Album "Eye Of The Hurricane" 1987 nach Ansicht von Mike Peters erneut gitarrenlastigere Töne anschlagen, entschied sich das Label I.R.S. Records für weichgespülten Poprock. Das Album brachte der Band zwar durchaus Kritik ein, enthielt allerdings mit "Rain In The Summertime" auch eine sehr erfolgreiche Single. Nach dem Livemitschnitt "Electric Folklore Live" im Jahre 1988 besannen sich The Alarm auf ihre Wurzeln. Sie arbeiteten mit dem Welsh Symphony Orchestra zusammen und veröffentlichten ihr viertes Studioalbum "Change", das 1989 erschien, auch in einer walisischen Version unter dem Titel "Newid". Es handelte sich um ihren vorerst letzten kreativen Schub. Das Label I.R.S. Records lösteden Vertrag mit der Band auf, als Folge des schlechten Abschneidens des schwachen nächsten Albums "Raw" (1991), worauf Mike Peters kurze Zeit später die Auflösung der Gruppe bekannt. Dave Sharp veröffentlichte in den USA zwei hervorragende Soloalben mit den Titeln "Hard Travelin'" und "Downtown America" mit namhaften Studiomusikern, während Mike Peters sich mehr oder weniger erfolgslos an einer Solokarriere und an mehreren Zusammenarbeiten versuchte, worauf er die Band The Alarm im Jahre 2001 anlässlich des 20. Jubiläums wieder reformierte. Er war da allerdings das einzige übrig gebliebene Gründungsmitglied; seine neuen Mitstreiter waren der Gitarrist James Stevenson, der Bassist Craig Adams (The Cult, Sisters Of Mercy, The Mission) und der Schlagzeuger Steve Grantley (Stiff Little Fingers). Nach erfolgreichen Europa- und US-Tourneen begaben sie sich schliesslich auch wieder ins Tonstudio, um neue Aufnahmen zu machen.

Das Ergebnis "In The Poppy Fields" klang schnörkellos und kompakt. Mit der Single "45 R.P.M." gelang der Band zudem ein kurioser Eintritt in die Charts: Um auf eine ehrliches Feedback zu stossen, versandte Mike Peters die Promo-Exemplare unter dem Namen Poppy Field. "Wir wollten sicher stellen, dass wir nur aufgrund der Güte der Musik und nicht aufgrund unserer alten Frisuren beurteilt werden", erklärte der Sänger hierzu. Eine Strategie, die ihm in der Folge recht gab: "45 R.P.M." erreichte die Top 40 der britischen Charts. Ende 2005 gelangte Peters mit der traurigen Nachricht an die Öffentlichkeit, dass bei ihm Leukämie diagnostiziert worden sei. Da die Ärzte die Krankheit im frühen Stadium erkannten, bestünden allerdings gute Chancen, dass Peters vollständig wieder gesundet. Tragisch daran: Gerade erst hatten ihm Mediziner bescheinigt, von einer früheren Krebserkrankung vollständig geheilt zu sein. Trotz all dieser widrigen Umstände erschien 2006 mit "Under Attack" ein weiteres neues Album von The Alarm. Diesem folgte im Jahre 2008 ein weiteres Werk mit dem Titel "Guerrilla Tactics". Der frühe Song "Sixty Eight Guns" fand Verwendung in einem Heineken TV-Spot in den USA. Im April 2008 lancierte auch der inzwischen ganz in den USA lebende ehemalige Alarm-Mitspieler Dave Sharp seine eigene Variante der Band Alarm unter der Bezeichnung AOR – Spirit of The Alarm, und spielte ausschliesslich in den Vereinigten Staaten jene Songs, welche die Band auch gegen Ende der 80er Jahre in den USA gespielt hatten, dazu einige seiner eigenen Solosongs. Mike Peters arbeitet seither unentwegt an weiteren Alarm-Platten und allerlei karitativen Projekten. Das Debutalbum "Declaration" war eine herzhafte und typisch britische Rockplatte, die den Startschuss zu einer langen und durchaus erfolgreichen Karriere für eine der vielleicht verkanntesten Bands der 80er Jahre bedeutete.












May 23, 2017


ARMAGEDDON - Armageddon (A&M Records SP-4513, 1975)

Armageddon erhielt umgehend das Prädikat 'Rock Supergroup' verliehen, als sich die Band im Jahre 1974 formierte, denn die vier Musiker, welche sich da zusammengetan hatten, stammten aus namhaften und wichtigen Bands. Der Schlagzeuger Bobby Caldwell kam von der Band Captain Beyond, der Sänger Keith Relf von den Yardbirds. Relf war auch Mitbegründer der Gruppe Renaissance. Der Bassist Louis Cennamo kam ebenfalls von Renaissance und hatte bei der Band Steamhammer mitgewirkt und Gitarrist Martin Pugh spielte zuvor auch bei Steamhammer. Diese vermeintliche Supergruppe verstand sich zwar auf Anhieb sehr gut und spielte gemeinsam ein paar absolut hervorragende und sehr unkommerzielle harte Rockstücke ein, die später durchaus Kultstatus erlangten, doch als eingeschworene Band konnte man das Unternehmen nicht bezeichnen: So starb die Formation schon wenige Monate nach der Einspielung ihres einzigen Albums im Jahre 1975, weil sie an unterschiedlichen musikalischen Auffassungen scheiterte, wie das öfters mal vorkommt, gerade bei solch gestandenen Musikern, die in der Regel über ein ziemlich grosses Ego verfügen. Dazu kam auch der  überraschende und frühe Tod des Gitarristen Keith Relf, der mit seinem harten und durchdringenden Gitarrenstil dem Sound der Band seinen unüberhörbaren Stempel aufdrückte.

Keith Relf stammte aus Richmond, Surrey und wurde vor allem als Sänger und Mundharmonikaspieler der Band The Yardbirds bekannt. Er gründete die Yardbirds im Jahre 1963, in deren Verlauf ihrer Existenz unter anderem Eric Clapton, Jeff Beck und Jimmy Page mitspielten. Mit ihrem 1966 erschienenen Album "The Yardbirds", welches auch unter dem Namen "Roger The Engineer" bekannt wurde, setzten sie neue Masstäbe im psychedelischen Bluesrock. Anfang 1968 hatte die Band keine Platte mehr in den Charts, Jimmy Page wollte eine eigene Band gründen, so wie es auch Keith Relf vorhatte. Am 7. Juli 1968 löste Relf die Yardbirds auf. Als The New Yardbirds bestand die Band noch bis Ende des Jahres, da noch eine Tournee zu beenden war. Die New Yardbirds nannten sich Ende 1968 in Led Zeppelin um. Relf wurde Mitbegründer der Band Renaissance, mit der er 1969 und 1970 zwei Alben aufnahm. Sängerin dieser Band war seine Schwester Jane Relf. Relf's nächste Band war dann Armageddon. Vor den Aufnahmen eines bereits geplanten zweiten Albums starb er in seiner Wohnung nach einem Stromschlag durch eine nicht geerdete Elektrogitarre.

Auch Management-Probleme wurden angegeben, weshalb die zweite Platte der Band nicht hatte aufgenommen werden können. Weshalb sich da das Label A&M Records nicht durchsetzte, ist nicht bekannt, es dürfte aber mit dem Tod von Keith Relf zu tun haben, der am 14. Mai 1976 die entsprechende Frage nach der Bandzukunft leider auf traurige Weise erledigte. Armageddon hätten durchaus eine der besten progressiven, resp. psychedelischen Hardrock Bands der 70er Jahre werden können, wenn Keith Relf nicht das Zeitliche gesegnet hätte. So blieb der Musikwelt leider nur dieses einzige Album, das so vielversprechend und grossartig klang. Der von Beginn weg auf Konfrontatrionskurs forsch und druckvoll aufspielende harte Rock des Openers "Buzzard" mit einem aggressiven Solo-Gitarrenintro von Keith Relf liess gleich vermuten, dass hier vier Musiker in die Vollen gehen. "Buzzard" ist ein Paradestück des 70er Jahre Hardrocks, wenngleich sich die gesanglichen Leistungen, übrigens auch bei den nachfolgenden Titeln, durchaus nicht auf Weltniveau bewegen. Aber der erdige, kompakte und druckvolle Rocksound war Armageddon's Markenzeichen. Die teils recht langen Kompositionen, die relativ viel solistische Freiräume boten, waren allerdigns uach nicht wirklich auf geschichtenerzählende Lyrik ausgelegt. Textlich war die Band aber solide und mit guten Stories unterwegs. Schon seit vielen Jahren gehört "Buzzard" und überhaupt die ganze Platte unter Insidern und Kennern zu den gerne genannten Top Rockalben der 70er Jahre.

Keith Relf, immerhin ein Mitglied der Rock'n'Roll Hall of Fame (The Yardbirds), hatte indes in den Jahren vor der Bandgründung so ziemlich die Schnauze voll von den ewig gleichen, kräfteraubenden und frustrierenden Erfahrungen mit diversen Plattenfirmen, die allesamt immer auf der Suche nach einem ultimativen Hit waren, um das grosse Geld machen zu können. Ihm schwebte etwas ganz Anderes vor: Eine harte Rockband mit einem dynamischen und aggressiven Sound, wie ihn keine andere Formation spielen würde. Als sich die vier Musiker schliesslich in Los Angeles fanden und zusammen ins Tonstudio gingen, waren sie allesamt arbeitslos und wollten daher gemeinsam ihre rockmusikalische Zukunft einläuten. Die Sterne hierzu standen eigentlich sehr gut, denn diese geballte Kraft an Talent und Vorwärtsdrang brachte am Ende ein Album zustande, das in der Tat nahe an der Perfektion war. Der Sound war genauso druckvoll, wie Keith Relf sich das vorgestellt hatte, die Musiker in der Band liessen kompromisslos und ungeschnörkelt gradlinige Rocksalven im Dutzend los, kurz: die fertige Produktion geriet zu einer Wuchtbrumme erster Güte.

Grosse progressive Rockbands gab es zwar schon zuhauf, aber dieses Album hatte in der Tat etwas Besonderes. Die Rockband Rush hatte schon einen eigentümlichen Sound präsentiert, der sie zu einer der grössten Bands auf Augenhöhe mit Led Zeppelin und Pink Floyd machte, Captain Beyond, 1972 gegründet, waren mehr psychedelisch unterwegs. King Crimson wiederum waren hier ziemlich in der Mitte dieser beiden stilistischen Elemente unterwegs, und doch waren Armageddon noch fähig, hier etwas Neues zu kreieren: Ihr Sound war progressiv, er war psychedelisch, aber er war auch wesentlich aggressiver, zeigte fast schon Heavy Metal-affine Züge. Das Resultat ein Werk, gefüllt mit grossartigen Rock-Kompositionen, hervorragenden Gitarrensolis, eindrücklichem-eindringlichem Gesang, der fordernd klang, und exzellenten Instrumental-Arrangements. Die meisten Songs durchbrachen die acht Minuten Grenze, jedoch ohne irgendwelche Langeweile aufkommen zu lassen. Trotz ihrer relativ grosszügigen Gesamtlänge waren auf dem Albvum nur gerade fünf Songs zu hören.

Neben dem Opener "Buzzard" präsentierten Armageddon gleich mit dem anschliessenden "Silver Tightrope", eine waschechte Progressivrock Ballade, die aus meiner Sicht eigentlich fast noch zu früh auf dem Album kam. Der Opener "Buzzard" rockte allesi n Grund und Boden, weshalb ein weiterer anschliessender Rocksong bestimmt besser platziert gewesen wäre. "Silver Tightrope" nahm dem Album durch seine frühe Platzierung ein bisschen den Power raus, war aber natürlich ein wundervoller Song, der viel Atmosphäre bot. Er hob sich auch ziemlich von den weiteren Songs des Albums ab, geriet zum eigentlichen Kontrapunkt. Wie es sich für damalige Progressiv-Rock Bands gehörte, boten auch Armageddon einen überlangen Track an, den die Band "Basking In The White Of The Midnight Sun" nannte und in vier Parts einteilte, die alle in verschiedenen Tempi dargeboten wurden und fliessend ineinander übergingen. Eine episch progressive Suite, die sehr abwechslungsreich geriet, aber zu jeder Zeit die hohe Dynamik des Sounds beibehalten konnte. Auch der die zweite LP einleitende Rocksong "Last Stand Before" war klasse inszeniertes Rock-Ohrenkino. Auch bei dieser Nummer fiel erneut der sehr druckvolle Gesamtsound auf, den man so in der Art von kaum einer anderen Band um 1975 zu hören bekam. Es gab allerdings auch da und dort Kritiker, die genau wegen dieses druckvollen Gesamtsounds die Platte für überproduziert hielten.

Obwohl Armageddon in Dee Anthony (Frampton, Humble Pie und Emerson, Lake And Palmer) und später Jerry Weintraub (Frank Sinatra, Bob Dylan) zwei ausgezeichnete Bandmanager hatten, lag es nahe, dass die Verkäufe der LP nicht berauschend ausfielen, da die Gruppe lediglich zwei Konzerte in ihrer gesamten Karriere bestritt. Nicht eben viel und natürlich auch viel zu wenig, um den Namen Armageddon in die Herzen der Rockfans zu tragen. Keith Relf kehrte später nach England zurück, nahm noch einen weiteren neuen Song mit dem Titel "Enchanted Caress" mit der Formation Illusion auf. Illusion war der neue Name der ursprünglichen Mitglieder der Band Renaissance, als diese sich reformierte und mit der grossartigen Sängerin Annie Haslam zwei beeindruckende Alben veröffentlichte. Die abschliessende Frage, ob Keith Relf länger mit Illusion kooperiert hätte oder noch einmal einen neuen musikalischen Weg beschritten hätte, blieb durch seinen tragischen Tod im Mai 1976 leider unbeantwortet.