HUMBLE PIE - Peformance Rockin' The Fillmore (A & M Records SP-3506, 1971)
Die Bluesrockband Humble Pie entstand 1969, als sich der Sänger und Gitarrist Peter Frampton von der Band The Herd und der Schlagzeuger Jerry Shirley von Apostolic Intervention zusammenschlossen, um gemeinsam eine neue Formation zu gründen. Steve Marriott (Gitarre, Gesang, Keyboards, Harmonica) hatte die beiden miteinander bekannt gemacht, und als er sich an Silvester 1968/69 unvermittelt von den Small Faces trennte, rief er an, um zu fragen, ob er mitmachen könne. Gleichzeitig konnte er den Bassisten Greg Ridley von Spooky Tooth für das Projekt gewinnen. Aufgrund ihrer Zusammenstellung wurde die Band von der Presse sogleich als neue und vielversprechende 'Supergroup' bezeichnet. Die Antwort darauf war ihr Name: Humble Pie bezeichnet eine bescheidene Mahlzeit. Schon Ihre Debütsingle "Natural Born Boogie" war gleichwohl ein grosser Hit und erreichte Platz 4 in England. Es folgten die Alben "As Safe As Yesterday Is" und "Town & Country", das die Single "The Sad Bag of Shaky Jake" enthielt, die aber kein Hit wurde. Stilistisch liessen sich die ersten Alben zwischen Rock und Folkrock einordnen. Nach dem Zusammenbruch von Immediate Records übernahm Dee Anthony das Management der Gruppe. Unter seiner Führung wechselte die Band zu der amerikanischen Plattenfirma A&M Records, wo sie ihre ersten Erfolge mit den Alben "Humble Pie" und "Rock On" feiern konnten. Insbesondere "Rock On" warf mit der Single-Auskopplung "Shine On" einen weiteren, wenngleich nicht so grossen Hit ab, der vor allem in den USA punkten konnte. Dieser Song war einer der ersten von Humble Pie, der die lockeren Qualitäten des Gitarristen Peter Frampton zum aufblitzen brachte. Dieser lockere Rock-Groove war indes dem Sänger Steve Marriott je länger je mehr ein Dorn im Auge, und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Musikern wurde immer schwieriger.
Nach dem 1971 veröffenlichten Studiowerk "Rock On" glänzten Humble Pie jedoch noch im selben Jahr mit einem Live-Doppelalbum, das hohe Wellen schlug und insbesondere die rauhere und auch bluesrockigere Seite der Band zeigte. Humble Pie hatten jetzt eine gute Ausgangsposition, um in den Vereinigten Staaten erfolgreich zu sein. Im Zuge ihrer Tournee durch Amerika entstand in New York "Performance Rockin' The Fillmore". Als Höhepunkt eines Auftritts spielte die Band den Titel "I Don’t Need No Doctor", der auch als Single erschien. Komponiert von Ashford & Simpson klang die Humble Pie-Version dieses Titels wesentlich erdiger und rockiger und war vor allem an ihren Konzerten meist der Höhepunkt des Abends. Doch insbesondere das Doppelalbum "Performance Rockin' The Fillmore" glänzte eigentlich ausschliesslich durch Höhepunkte, und dies, obschon sich auf dem Konzertmitschnitt lediglich ein einziger Song aus der Feder der Gruppe befand: "Stone Cold Fever" vom einige Monate zuvor veröffentlichten Studioalbum "Rock On". Ida Cox' "Four Day Creep" eröffnete den Konzertreigen, gefolgt vom dynamischen und vor allem durch die Stimme Marriott's geprägte Wilie Dixon-Nummer "I'm Ready". Besonders bei letzterer Nummer fing die Gruppe an, in eine ausufernde Jam zu gehen, die sich über 8 1/2 Minuten erstreckte und die grosse Fähigkeit der Musiker unter Beweis stellte, auch lange Improvisationsteile in ihre imgrunde eher einfach gestrickten Bluesrock-Nummern einzubauen.
Zu einer wahren Jam-Orgie mutierte der Titel "I Walk On Gilded Splinters" von Dr. John, bei welchem die Band 24 1/2 Minuten lang jammte und improvisierte, Soloeinlagen bot, die handwerklich absolut perfekt waren und zu keinem Zeitpunkt gestreckt oder gar langweilig wirkten: Fesselnde Instrumentalpassagen und wie bei allen anderen Songs auch ein absolut dynamisch wirkender Steve Marriott. Die 16 Minuten "Rolling Stone" aus der Feder von Muddy Waters waren nicht weniger faszinierend. Auch hier bestach die Gruppe durch einen forschen Grundauftritt, ausufernden Soli und eine perfekte stimmliche Darbietung des Frontmannes. Insbesondere bei diesen langen und teils improvisierten Momenten wurde einem bewusst, welch grosser Verlust es für die Bluesrock-Welt bedeuten würde, wenn sich das Gespann Frampton/Marriott überwerfen würde. Das ebenso schöne wie atmosphärische "Hallelujah (I Love Her So)" von Ray Charles zeigte dies sehr deutlich, bevor sich die schiere Gewalt in der kraftvollen Rock-Eruption des Stücks "I Don't Need No Doctor" über dem Publikum ergoss. "Performance Rockin' The Fillmore" geriet meines Erachtens zu einem der dynamischten und kraftvollsten Livealben der Rockgeschichte, das auch immer wieder in einschlägigen Listen mit den besten Liveplatten der Rockmusik hoch dotiert ist.
Leider kam es schon kurz nach der Veröffentlichung von "Performance Rockin' The Fillmore" zu immer grösseren Unstimmigkeiten über die weitere musikalische Richtung. Der Gitarrist Peter Frampton, der sich von Steve Marriott immer mehr in den Hintergrund gedrängt fühlte, verliess daraufhin die Band im Herbst 1971, um eine Solokarriere zu starten. David 'Clem' Clempson von Colosseum ersetzte Peter Frampton und der Sound von Humble Pie wurde härter. Das erste in dieser Besetzung eingespielte Album "Smokin" wurde zugleich ihr erfolgreichstes. Es hielt sich nicht zuletzt deshalb wochenlang in den LP-Hitlisten, weil die Band unermüdlich auf Tournee war. Das darauffolgende Doppelalbum mit dem Titel "Eat It" konnte diesen Erfolg nicht mehr wiederholen, dennoch hielt es sich in den Top 20 und war zumindest für die Kritiker interessant, weil es die Vielseitigkeit der Band demonstrierte: Seite eins war mit kernigen Bluesrocksongs bestückt, deren Texte sich, typisch für die Rockmusik, mit Frauen, Drogen und Alkohol befassten. Auf der zweiten Seite versuchte sich Marriott an Soul-Nummern wie "That’s How Strong My Love Is" und wurde dabei von dem schwarzen Gesangstrio The Blackberries (Venetta Field, Clydie King und Billie Barnum) unterstützt. Seite drei enthielt ausschliesslich Songs von Steve Marriott und war auf Folk- und Countrymusik fokussiert. Die letzte Seite bestand aus dem Live-Mitschnitt eines Konzerts in Glasgow unter anderem mit einer Coverversion des Rolling Stones-Hits "Honky Tonk Women" und einer 13-minütigen Fassung von Jr. Walker’s "(I’m A) Road Runner". Trotz der überlangen Songs zog der charismatische Sänger Steve Marriott sein Publikum in den Bann, denn auf der Bühne wurde er zu einem Energiebündel, dem man gerne zusah und zuhörte, nicht zuletzt wegen der zahlreichen neckischen Anspielungen.
Die folgende LP "Thunderbox" wurde als glanzlos kritisiert und konnte an die Erfolge der Vorgängeralben nicht mehr anknüpfen. Für die eingefleischten Fans bewegte sich der Gesangsstil zu sehr in Richtung Soul und Gospel. Das vorerst letzte Album "Street Rats" enthielt Coverversionen des Chuck Berry-Klassikers "Rock & Roll Music" und der Beatles-Hits "We Can Work It Out", "Drive My Car" und "Rain", die aber von Marriott und seiner Band in Blues-Nummern umgewandelt wurden. Die Plattenfirma griff auf Songmaterial zurück, das die Bandmitglieder eigentlich nicht veröffentlichen wollten. Aber in der Band herrschte inzwischen eine gewisse Gleichgültigkeit, denn jeder verfolgte inzwischen seine eigenen Projekte. So spielte Steve Marriott beispielsweise mit verschiedenen Musikern die sogenannten "Scrubbers"-Sessions ein, die allerdings erst 1997 veröffentlicht wurden. Das Ende war in Sicht. Im Jahre 1975 trennte sich die Gruppe vorerst und Steve Marriott schloss sich einer Reunion der Small Faces an, die noch zwei Alben hervorbrachte. Nachdem sich die Small Faces wieder getrennt hatten, entschieden sich Steve Marriott und Jerry Shirley 1980, Humble Pie wiederauferstehen zu lassen. Allerdings präsentierte sich die Band nicht mehr in der Originalbesetzung. Am Bass war jetzt Anthony Jones und die zweite Gitarre spielte Bobby Tench, der schon mit Musikern wie Jeff Beck, Ginger Baker, Van Morrison und Eric Burdon zusammengearbeitet hatte. Sie starteten gleich mit einem weiteren Albumerfolg: "On To Victory". 1981 sollte der Erfolg mit "Go For The Throat" wiederholt werden. Das Album war aber trotz guter Kritiken lange nicht so erfolgreich wie der Vorgänger. Es folgte eine unglückselige Tournee durch Amerika: Wiederholt musste die Konzertreihe wegen eines Unfalls und wegen Krankheit unterbrochen werden. Nach zwei Alben und einer Tournee trennten sich Humble Pie erneut, und jeder ging seiner Soloarbeit nach.
Im Jahre 1991 begann Steve Marriott, wieder mit Peter Frampton zusammenzuarbeiten. Die beiden hatten sogar schon neues Material geschrieben und aufgenommen, und manch einer glaubte, dies sei ein Neuanfang für die Gruppe Humble Pie. Aber es sollte nicht sein. Am Tag nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten, am 20. April 1991, starb Steve Marriott bei einem selbstverschuldeten Brand in seinem Landhaus in Essex, weil er vergessen hatte, seine Zigarette zu löschen. Er wurde nur 44 Jahre alt. Mit seinem tragischen Tod schien auch das Schicksal der Gruppe besiegelt zu sein. Aber 2002 beschlossen Greg Ridley und Jerry Shirley, mit einer neuen Truppe Humble Pie noch einmal aufleben zu lassen und brachten ein weiteres Album mit dem Titel "Back On Track" heraus. Sie bereiteten sich sogar für eine Tournee im Jahre 2003 vor, die aber abgebrochen werden musste, da Greg Ridley am 19. November 2003 unerwartet an einer Lungenentzündung und den daraus folgenden Komplikationen in Spanien starb.
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