May 8, 2021


DAVID GRAY - A Century Ends (Hut Records CD HUTX9, 1993)

Nach vielen Jahren harter Singer Songwriter-Schule mit kleinen feinen Veröffentlichungen, die weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine treue, vornehmlich britische Fangemeinde begeisterten, kam mit dem im heimischen Wohnzimmer aufgenommenen Album "White Ladder" 1998 der grosse Durchbruch für David Gray. Plötzlich sprachen sie alle von ihm, die Feuilletonisten wie die erfolgreichen Kollegen wie Bono und Co. Ein Album, das durch seine blosse Existenz das Leben ein bisschen besser macht, titelte zum Beispiel die ehrwürdige Times. Dieser Zuspruch dürfte vor allem den Schöpfer selbst am meisten überrascht haben. Quasi über Nacht wurde David Gray zum angesagten Songschreiber und Bühnenartisten. Zahlreiche Spielfilme und US-Serien nutzten Gray's Songs für ihre Soundtracks, Songs wie "Please Forgive Me", "Babylon", "Sail Away" und die Über-Ballade "This Year's Love" wurden in aller Welt zu veritablen Hits.

Erst mit seinem Album "White Ladder" wurde David Gray also so richtig bekannt, was auch deswegen interessant ist, weil er da bereits von Caroline Records (einem Sub-Label von Virgin Records) zu EMI gereicht und auch dort schliesslich wieder fallen gelassen wurde mangels Verkaufszahlen. Nimmt man sich allerdings die nötige Zeit für seine frühen Veröffentlichungen, muss man immer wieder überrascht feststellen, dass auch diese durchgängig überzeugen, so auch und insbesondere sein Debutalbum "A Century Ends". Wohl auf kaum einem anderen Werk des Künstlers kamen die Gefühle so stark hervor. Gleichzeitig aber vermittelten diese ersten Songs ein positives und freudiges Lebensgefühl. Gefühle und positive Einstellungen: eines der wenigen Alben, auf denen diese Kombination perfekt funktionierte. Besonders imposant klangen der Titelsong "A Century Ends" und das etwas melancholische, aber dennoch hoffnungsfrohe "Lead You Upstairs". "A Century Ends" blieb bis heute aus meiner Sicht einer der grossen Klassiker des Singer/Songwriter Bereichs. Selbst wenn man alle nachfolgenden Alben von David Gray berücksichtigt: "A Century Ends" blieb kompositorisch wie gefühlsmässig das Top-Album des Mannes mit dieser umwerfenden Stimme. Auch unter vielen Fans aus aller Welt galt dieses unglaublich schöne, atmosphärisch dichte Debutalbum, das so gar nicht nach Debut klang, als eines von David Gray's grossen Highlights, auch wenn die Verkaufszahlen etwas anderes suggerierten. 

Songs wie "Shine" (welcher David den ersten kommerziellen Erfolg in Irland bescherte), oder "Birds Without Wings" klangen so kraftvoll wie zerbrechlich, wurden auf's Minimum von Stimme und akustischer Gitarre reduziert vorgetragen. Als die Platte 1992 erschien, nahm noch kaum einer Notiz von diesem grossartigen, mitunter etwas sperrig klingenden Entertainer. Die Platte erntete zwar gute Kritiken, doch das Publikum ignorierte diese 10 traumhaften Songs weitgehend. Erst der irische DJ Donal Dineen machte eine breitere, folk-verliebte Gemeinschaft auf dieses Album aufmerksam. Dies bescherte David Gray dann auch seine ersten, spärlichen Auftritte auf der grünen Insel. David Gray wurde oft beschrieben als eine Mischung aus Bob Dylan, Neil Young, Neil Finn und Eddie Vedder. Ich persönlich halte das für etwas gewagt. Tatsache ist aber: Der Musiker spielte vor seiner Solokarriere eher im Punk-Bereich. Gelegentliche gesangliche Ausbrüche, gerade in seinen frühen Jahren und insbesondere auf seinem ersten Album, belegen dies auch. Wenn man David Gray's Stimme zum Beispiel annähernd beschreiben will, so müsste man es vielleicht so definieren: Ein Punkmusiker singt Balladen. Zumindest auf diesem ersten Album, später vielleicht noch auf der Nachfolge-Platte "Flesh" von 1995 (ebenfalls ein superbes Singer/Songwriter-Album, das ähnlich unterbewertet blieb.

Es waren vor allem David Gray's Songs auf diesem Erstlingswerk, die einen immer wieder ziemlich an die Nieren gingen: Er krächzte sich durch gelebten Schmerz, quälte sich ab mit Fragen zur Existenz - immer leicht depressiv, aber auch immer wieder mit Mut zum Neubeginn an den vielen Kreuzungen im Leben. Die Dynamik in seiner Stimme hinterliess immer wieder diesen Gänsehaut-Effekt: Der Hörer verneigte sich vor so viel Herzblut, mit dem die Songs vorgetragen wurden. "Debauchery" kam als 6/8-Track daher: Im Walzer-Rhythmus sehnsüchtelte David mit einer Liebsten, und was könnte Menschen mehr trennen als das Meer ? Ein weiteres Highlight war der Song "It's All Over": Ein folkiger Track, der sich mehr und mehr zum Rocksong aufbaute, und musikalisch wie textlich den Spagat zwischen Bob Dylan und U 2 wagte. Der Versuch gelang. Sechs Minuten pure Lust, die man als höchstens 3 Minuten wahrgenommen hatte. 

Mein persönlicher Favorit auf diesem fabelhaften Erstlingswerk war der Titel "Living Room", wieder nur auf Stimme und akustische Gitarre reduziert. Textlich lief es mir hier wirklich kalt den Rücken herunter, zumal auch bei diesem Titel wieder David's Stimme für diesen Effekt verantwortlich zeigte. Das punkige Gekrächze im Schluss-Refrain brennte einem zuletzt noch unter den Fussnägeln. Meine persönliche Einschätzung: Natürlich gehört David Gray zu meinen Favoriten, aber sein Debutalbum "A Century Ends" ist ganz klar ein akustischer Meilenstein im Bereich Folkrock. Selten kann man musikalische Perlen, vorgetragen von einem Ausnahmesänger mit einem Wiedererkennungswert von Faktor 100 so einnehmend vom Anfang bis zum Schluss geniessen. Auf dem Album gab es keinen Durchhänger, sondern im Gegenteil: ein Feuerwerk an Gefühlen und musikalischer wie stimmlicher Dynamik.





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