JILTED JOHN - True Love Stories (EMI/Rabid Records INS 3024, 1978)
In jenen Tagen, da Punk in Grossbritannien in aller Munde war, krochen selbst die unbedarftesten und dilettantischsten Möchtegern-Musiker aus ihren muffigen Löchern hervor und ballerten ihre zwei bis maximal drei Minuten langen Krachsalven in Richtung Publikum ab, und nicht wenige dieser Salven entpuppten sich als hohles Gegröle angesoffener Rüpel, die mit ihrer Urschreitherapie einfach nur Aufsehen erregen wollten. Es gab darunter aber auch immer wieder Künstler, die vielleicht nicht eben ihre drei Minuten 'Fame' erhielten, dafür später gerne zitiert wurden, wenn es um Originalität oder Relevanz ging. Und dann gab es diese Typen, die eigentlich nicht dazu geboren waren, sich auf einer Platte zu verewigen, weil ihnen jedwelche Talente abgingen, es aber trotzdem taten. Zu diesen Figuren gehörte der damals 18 Jahre alte Drama-Student am Polytechnikum in Manchester mit Namen Graham Fellows. Wie so viele Andere nutzte auch er die Gelegenheit und die Gunst der Stunde. Alles war erlaubt, eine Single-Einspielung kostete nicht viel und die Erfolgsaussichten waren aufgrund des allgemeinen Hypes auch gegeben: Dank der Punkwelle konnte so ziemlich Jeder einen Song aufnehmen und per Single für knappe drei Minuten zum Star werden. Graham Fellows nahm gleich ein paar Songs auf, schickte sie an das Plattenlabel Rabid Records in London, das neben dem Szene-Star Stiff Records das zweite Independent-Label war, das sich recht erfolgreich und engagiert dem Punk angenommen hatte und durfte eine Single veröffentlichen. Die Firma nannte ihren neuen Künstler Jilted John, denn so war die Rückseite der Single betitelt, aber diverse Radiostationen verliebten sich sofort in den naiven Pop-Knaller, so dass die Seiten eilig vertauscht wurden.
Was folgte, war eines jener Märchen, wie sie vor den Punkwirren nicht wirklich denkbar gewesen waren. Die Verkaufszahlen stiegen kontinuierlich und das Musikmagazin New Musical Express ernannte die Single "Jilted John" von Jilted John zur Platte der Woche, die grosse Plattenfirma EMI Records sicherte sich die Rechte, und als die Single schliesslich auf Platz vier der britischen Charts stand, waren bereits eine halbe Million Exemplare des Scheibchens verkauft worden. In einigen Interviews spielte Graham Fellows die 'Jilted John'-Rolle des Chips süchtigen Anorak-Losers, dem die Mädchen reihenweise wegliefen und der gerade seine letzte Flamme an den rücksichtslosen Aufreisser Gordon, der von seinem musikalischen Partner Bernard Kelly dargestellt wurde, verloren hatte, mit Verve und Überzeugung. Die Zeitungen druckten den ganzen Quark, den Jilted John ihnen erzählte, und als im Dezember 1978 sogar ein ganzes Album mit den fröhlich-traurigen Blödel-Geschichten über Kumpels, Partys, Chips und Mädchen erschien, war auf der ganzen Welt nur einer enttäuscht: Graham Fellows selbst, der die Platte für überproduziert hielt und in seinen Ohren überhaupt nicht mehr Punk war. Heutige Ohren mögen ihm da teilweise durchaus recht geben. Die Songs auf dem Album "True Love Stories" hatten mit den Rüpeleien von Sham 69, Sex Pistols oder Angelic Upstarts nichts zu tun, es klang viel eher wie ein gemeinsames Party-Demo von Blur und Pulp. Und es hatte durch den Zahn der Zeit nichts von seiner überwältigenden Qualität eingebüsst. Noch immer schwankte man beim Hören zwischen spontaner Solidarität mit dem armen naiven Kerl, schenkelklopfendem Lachen über seine melancholische Trotteligkeit und kopfschüttelndem Staunen über die totale musikalische wie textliche Unpeinlichkeit des gesamten Albums.
An der Naivität aller Beteiligten musste die ganze Sache schliesslich auch scheitern. Eine Woche vor Weihnachten erschienen, ging die Platte "True Love Stories" in der Flut der ganzen Weihnachtsplatten unter wie ein Stück Gold in einem Ozean von Gülle. Da half auch eine flammende Lobeshymne der für das Gegenteil berüchtigten Julie Burchill nichts. Als im Januar 1979 die zweite Single erschien, war Graham Fellows schon wieder Student und Jilted John vergessen, abgesehen von 1.000 glücklichen Käufern des Albums, die es über die Jahre hüteten wie einen Schatz. Dass Damon Albarn und Jarvis Cocker, obwohl beide nur im Besitz einer Kassetten-Kopie, ebenso zu Fellows' Verehrern gehörten wie Carter USM, musste man nach dem Hören des inzwischen auch auf CD erschienenen, liebevoll verpackten und kommentierten Klassikers (inklusive der Original-Version von "Jilted John" und der 'Antwort-Single' von Gordon The Moron) gar nicht mehr erwähnen. Das hörte man ebenso schnell, wie man Fellows' unwiderstehlichem Charme erlag: sofort.
Wer ist eigentlich dieser liebevoll naive Querkopf ? Graham David Fellows, geboren am 22. Mai 1959 in Sheffield England ist eigentlich ein Comedykünstler und Musiker, der bis heute in England vor allem in seinen Rollen als Comedy-Künstler unter dem Pseudonym John Shuttleworth und als Musiker unter dem Namen Jilted John bekannt ist. Die Single "Jilted John" machte ihn über Nacht bekannt. Mit dieser naiven Lovestory im autobiographischen Stil, in welcher er seine geliebte Julie an den Macker Gordon verliert "just 'cause he's better lookin' than me, just 'cause he's cool and trendy" traf er die Herzen der jungen Briten. Fellows sagte später zu seinem ersten Erfolg: "I'd written a couple of songs and I wanted to record them. So I went into a local record shop and asked if they knew any indie or punk labels. They said there were two, Stiff in London and Rabid just down the road. So I phoned Rabid up, and they told me to send in a demo. We did the demos with the late Colin Goddard of Walter & the Softies on guitar, and the drummer and bass player of the Smirks. I took it along to Rabid, who loved it. So we re-recorded it a few days later, at Pennine Studios, with John Scott playing guitar & bass and Martin Zero (aka Martin Hannett) producing". Das Stück "Jilted John" lancierte der populäre Radio-DJ John Peel in seiner Show auf BBC Radio One als nächstes grosses Ding und sprach bereits von einem grossen Hit, und dass eine namhafte und grosse Plattenfirma hinter dem Künstler stehen würde. Was später ja auch eigentlich stimmte, als EMI Records sich die Rechte an Fellows' Songs sicherte und sie noch einmal neu einspielen liess und veröffentlichte.
Als der Song in der bekannten TV-Sendung 'Top Of The Pops' vorgestellt wurde, kündigte der Sendungs-Moderator David Jensen den Song als "one of the most bizarre singles of the decade" an und verhalf dem Song dadurch noch zusätzlich zu Reputation. Nachdem "Jilted John" so erfolgreich war, haute EMI Records kurz darauf zwei weitere Singles raus, die aber floppten, auch weil sie wesentlich naiver als der Hit klangen und vom Publikum inhaltlich wohl bereits als müde Kopien seines Hits wahrgenommen wurden. Die nachgereichte LP, die quasi ein Pseudo-Konzeptalbum war und unter dem Titel "True Love Stories" ausschliesslich Songs mit Texten aus Fellows' eigenem Loser-Tagebuch präsentierte, verkaufte sich für Major Company-Verhältnisse natürlich genauso miserabel, weshalb das Kapitel 'Jilted John' damit eigentlich bereits wieder abgeschlossen war. In späteren Jahren erinnerte man sich allerdings immer wieder mal an den verschrobenen Musiker, der inzwischen vor allem als Comedy-Künstler in England bekannt geworden war. Fellows holte die 'Jilted John'-Figur erstmals im Jahre 2008 am Big Chill Festival noch einmal aus der Mottenkiste, präsentierte zusammen mit Bernard Kelly einen neuen Song über Keira Knightley's ultradünne Figur. Im Dezember 2014 gewann Fellows als 'Jilted John' den 'One Hit Wonder World Cup' in der BBC Radio 6 Music Steve Lamacq Show. 2015 kündigte Fellows ausserdem an, dass er sein Alter Ego 'Jilted John' für das Rebellion Festival 2016 in den Winter Gardens in Blackpool noch einmal aufleben lassen würde.
Bereits im Jahre 1986 kreierte Graham Fellows die Figur John Shuttleworth, einen Singer-Songwriter aus Sheffield, South Yorkshire, einen stillen Künstler mit abstrusen Ansichten. Seine ganzen musikalischen Fähigkeiten entsprangen einem billigen Yamaha PSS Alleinunterhalter-Keyboard, mit dem er hirnverbrannte Elaborate wie etwa den Titel "Pigeons In Flight" zum besten gab: Einen Song, den Shuttleworth als seinen Beitrag zum European Song Contest sah. Eine Fake-Dokumentation, die auch im englischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, hatte seine ernsten Absichten bezüglich des European Song Contests zum Inhalt. Er nannte diese Dokumentation "Europigeon" und liess in ihr vergangene ESC-Künstler wie Clodagh Rogers, Lynsey De Paul, Bruce Welch, Katrina Leskanich (bekannt als Katrina And The Waves), Johnny Logan, Cheryl Baker und die Gruppe Brotherhood Of Man auftreten und zu Wort kommen. Unter diesem Pseudonym, also John Shuttleworth hat Graham Fellows bis heute zahlreiche Alben und Singles veröffentlicht mit mehrheitlich Comedy-Inhalt. Der Comedybereich war auch für zwei weitere Figuren, die Fellows ins Leben rief, verantwortlich: Er spielte Brian Appleton, einen Rockmusik Historiker, der mit seiner Freundin Wendy zusammenlebt, eine Aromatherapeutin, die tragischerweise allergisch auf ihre eigenen Essenzen reagierte, zusammenlebte. Ebenso erfand er die Figur Dave Tordoff, einen Tüftler, der ein neuartiges Gerät zur Teppichreinigung erfunden hat, dessen grösster Wunsch es war, eines Tages so gut als Conferencier auftreten zu können wie der ehemalige Fussballstar Kevin Keegan. Im Jahre 1982 spielte Graham Fellows die Rolle des Paul McCartney in der Theateraufführung "Lennon" von Bob Eaton im Crucible Theatre in Sheffield. Unter seinem richtigen Namen veröffentlichte er 1985 ausserdem ein weiteres Album mit dem Titel "Love At The Haçienda". Es erhielt hervorragende Kritiken, verkaufte sich aber praktisch gar nicht, nur in Japan gilt es inzwischen schon fast als Kult-Album.
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