JACO PASTORIUS - Truth, Liberty & Soul(Live In NYC • The Complete 1982 NPR Jazz Alive! Recordings)(Resonance Records HCD-2027, 2017)
In seinem kurzen Leben revolutionierte Jaco Pastorius das Jazz-Spiel der Bassgitarre und bestimmte in den 70er Jahren die Musik der wichtigsten Jazz-Fusion Musiker Pat Metheny und Weather Report zu einem Grossteil mit. Sein grösster Ehrgeiz jedoch bestand darin, eine eigene Big Band zu gründen. Dieses im Jahre 2017 erstmals veröffentlichte Live-Set fängt einen fulminanten zweistündigen Auftritt von Pastorius' gefühlvollem, swingendem und sehr ausgelassenem Word-of-Mouth-Orchester im Jahr 1982 ein, mit dem Saxophonisten Bob Mintzer, dem Trompeter Randy Brecker und dem Mundharmonika-Maestro Toots Thielemans als prominenteste Mitmusiker. Das im Soul-Jazz angesiedelte Pastorius-Sahnestück "The Chicken" lebt von Pastorius' sich ständig verändernden Basslinien, der schnelle Charlie Parker Bebop-Klassiker "Donna Lee" entfaltet sich auf kühne Art und Weise als Unisono-Bass- und Tuba-Thema, während beispielsweise "Three Views Of A Secret" von Toots Thielemans dominiert wird, der fast schwebende, an Gil Evans erinnernde Harmonien erzeugt. John Coltrane's Klassiker "Giant Steps" ist ebenfalls ein Highlight hier.
Klanglich ist "Truth, Liberty & Soul" zweifellos die am besten klingende Word-of-Mouth-Aufnahme aller Zeiten, insbesondere im Vergleich mit den Live-Alben "Invitation" von 1983 und deren erweiterter, zweiteiligen, nur in Japan veröffentlichten Version des vollständigen Konzerts, aus welchem "Invitation" ursprünglich zusammengezogen wurde ("Twins I & II: Live in Japan, 1999, Warner Brothers Japan). Und auch die posthume Veröffentlichung "The Birthday Concert" von 1995, die erste Live-Performance einer Reihe von Big Band Auftritten, die später zum Kern-Repertoire der Word of Mouth Big Band werden sollten, aufgenommen auf der Party zum 30. Geburtstag des Bassisten in Fort Lauderdale, reicht nicht an "Truth, Liberty & Soul" heran. Das hier Gebotene ist Musik, die buchstäblich aus den Lautsprechern springt, um den kompletten Raum zu füllen, mit einem derart funky ausgelegten Soul, herrlich swingenden, Be Bop-streifenden improvisatorischen Streifzügen und freien Improvisationen von bemerkenswerter Gruppensynchronität, dass man nur staunen kann.
Doch das Konzert bot noch viel mehr: Schöne, elegant komponierte Balladen, kontrastreich und raffiniert gespielt, ja sogar eine Reggae-Melodie und - während Pastorius' gemeinsamer "Bass And Drums Improvisation" mit Andrew Erskine - eindeutige Verweise auf Jimi Hendrix, wenn die Beiden die amerikanische Nationalhymne anstimmen. Dass dies eine NPR-Aufnahme ist, bedeutet, dass der Klang tadellos ist, jedes noch so kleine Detail, um die volle tonale Darstellung von Pastorius' Linien wiederzugeben, ist hautnah erlebbar. Jaco Pastorius dominiert nur ganz selten, sondern fungiert weitgehend als Moderator für sein Ensemble, bestehend aus Peter Erskine, seinem ehemaligen Freund von Weather Report am Schlagzeug und Don Alias (ebenfalls am Schlagzeug), den Saxophonisten Mintzer, Frank Wess und Howard Johnson und den Trompetern Randy Brecker, Lew Soloff und Jon Faddis. Auch wenn Jaco Pastorius mal mit seinem Spiel in den Vordergrund tritt, begleitet oft nur von einem kleinen Hauch Trompete und/oder Klavier, behält er immer die Kontrolle, bleibt er immer sparsam und unauffällig und sieht sich als Teil des Ensembles. Wenn seine Bass-Perlchen Wassertropfen wären, würden sie die Schüssel niemals überfüllen.
"Donna Lee" ist einer der Höhepunktes des ersten Teils des Konzerts - die Pauken kontrastieren mit einer an Sun Ra erinnernden, futuristischen Stimmung in den Refrains. "Soul Intro / The Chicken" enthält als Intro eine Fanfare wie aus einer dieser Late Night Talkshows der 80er Jahre, bevor das titelgebende Huhn ins Getümmel springt, um Jitterbug zu spielen. Das Stück entpuppt sich als wahrer Wohlfühl-Moment. Toots Thielemans spielt bei mehreren Stücken auf der Mundharmonika, aber seine Beiträge haben meist eher begleitenden Charakter. Er ist auch klar effektiver in seinem Spiel, wenn er begleitet statt bläst, was wiederum ein bisschen an Duke Ellington's Musik erinnert. "Reza / Giants Steps" ähnelt einem waschechten E-Bass Konzert, so ein wenig wie in jenen Momenten in Miles Davis' Second Great Quintet, als Tony Williams solierte, die Musik unter Kontrolle hielt und seine Mitmusiker den Raum um ihn herum füllten. So zeigt das auch Jaco Pastorius hier: Zeitweise spielt er so schnell, dass man sich fragt, ob Irgendjemand so etwas überhaupt transkribieren könnte. Es ist ein bisschen so, als würde man sich fragen, wie man die Temperatur eines Sterns misst: Besser nur im Licht schwelgen und das Geschehen staunend in sich aufsaugen. "Truth, Liberty & Soul" ist eine wahre Sternstunde des Jazz Fusion, eine der brilliantesten Aufnahmen von Jaco Pastorius und einer der besten Jazz Live-Auftritte, den man seinen Ohren und seinem Herzen gönnen kann.
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