PEARL JAM - Riot Act (Epic Records E2 86825, 2002)
Sie hatten es überlebt. Den Hype, den Selbstmord, die Isolation, das Festival - und immer noch strahlten Pearl Jam diese gewisse Erhabenheit aus, die sie von den vielen Nachahmern abhob. Eddie Vedders Charisma liess sich eben nicht im Labor klonen. Und auch wenn einige der alten Zöpfe inzwischen ab waren, spürte man endlich wieder die Leidenschaft, den Schwung, den Drang des Fünfers. "Riot Act" besass ein Herz, eine Seele und einen Eddie. Es war schon erstaunlich, wie sehr die handwerklich immer über jeden Zweifel erhabene Musik der Grunge-Veteranen mit dessen Vortrag stand und fiel. Diesmal, und da gab es kein Vertun, war man standfest. Vedders Stimme beschwörte eine Intimität herauf, die auch Stadionkonzerte zur kleinen Kammermusik werden liess. Das schnöde Wort von der Ausstrahlung drückte kaum aus, wie sein Flehen und Hauchen, sein Pressen und Säuseln Wirkung hinterliess.
In besinnlichen Momenten wie "Thumbing My Way" oder "Can't Keep" legte Vedder die Lunte für ein unweltliches Brodeln. Um so erdiger fühlten sich Weisheiten wie "It's an art to live with pain, mix the light into grey" an. Gleich darauf wusste man auch, was Vedder so bewegte: "Lost 9 friends we'll never know, 2 years ago today." Die tragischen Ereignisse des Roskilde-Festivals steckten der Band noch immer tief in den Gliedern. Doch der Weg aus dem Trauma führte über die Liebe. Und die Melodie von "Love Boat Captain" malte ein grosses Herz. Doch es war kein lasches Hippietum auf "Riot Act". Stampfend meldeten Tracks wie "Save Me", "Get Right" oder "Ghost" die Richtigkeit des Titels an. Doch dieser verkündete kein zielloses Rüpeln, eher das wissende Lautwerden einer Band, die sich längst gefunden hatte. Selbst bei elektronisch verfremdeten Grooves ("You Are") oder spitzzüngigem Sprechgesang ("Bushleaguer") kratzten Pearl Jam ihre Autorität nicht an. Mit dem furiosen "Green Disease" blickten sie sogar für einen Moment in den Rückspiegel. Und eine Frage ging in die Welt: "Can you feel this world with your heart and not your brain ?"
Kein Druck lastete mehr auf ihren Schultern, so befreit spielte die Band auf. Jeff Aments lyrisches Bass-Spiel liess sich von Matt Camerons Schlagwerk umarmen. Mike McCready posierte zu seinen Griffbrett-Exkursen, während Stone Gossard zu Vedder's Linken stand und freundlich grinste. Kein Solo verkam, kein Fauchen verhallte ungehört, kein Melodiebogen warf sich als leichtfertige Hymne dem schnellen Vergessen an den Hals. "No matter how cold the winter, there's a springtime ahead." Relaxter Optimismus war eingekehrt im Hause Pearl Jam. Wie immer seit dem zweiten Album arbeitete die Band mit Brendan O’Brien zusammen, der das Album zwar wieder nicht produzierte (was er früher tat), aber dafür abmischte. War es noch so, dass "Binaural" mehr oder weniger wie eine Zusammenstellung von Stücken eines jeweiligen Bandmitgliedes wirkte, weil neun der dreizehn Songs von einem Musiker alleine in seinem stillen Kämmerlein verfasst wurden, war auf "Riot Act" offensichtlich mehr Teamwork angesagt gewesen, auch wenn es hier wieder den einen oder anderen Alleingang, meistens von Eddie Vedder, gab. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, dass mal alle Musiker (sogar Gitarrist Mike McCready, der sonst eher sporadisch mit dem Songwriting zu tun hatte, auch wenn er auf "Yield" für die Musik dreier Songs alleinverantwortlich war) einen Song zusammen schrieben, was hier bei "Save You" der Fall war.
Ansonsten gab es Lieder von fast allen erdenklichen Kombinationen (Gossard und Vedder, Vedder und Ament, Cameron und Ament oder Vedder und Cameron, ich vermisste eigentlich nur das Duo Ament und Gossard, das seit den "Ten"-Songs "Garden" und "Deep" keinen Song mehr zusammen geschrieben hatte). Dennoch wurde "Riot Act" zu einem der sehr guten Alben von Pearl Jam mit einer deutlich niedrigeren Ausfallquote, als ich das eigentlich erwartet hatte. "Riot Act" war das siebte Album von Pearl Jam. Es erschien im Jahre 2002. Wieder genehmigte sich die Band nach der Tour zum Vorgängeralbum ("Binaural") eine längere Auszeit. Sie begann dann 2002 mit den Aufnahmen zu "Riot Act". Erneut klang das Album experimenteller. Die Band war, nach eigenen Aussagen, beim Schreiben der Songs beeinflusst vom tragischen Unfall während ihres Auftrittes im Jahr 2000 beim Roskilde Festival. Das Album erreichte Platz 5 der US-Charts und Platz 34 in England. Insgesamt konnte die Band auch auf anderen wichtigen Märkten nicht so erfolgreich charten und verfehlte die Top 10 häufig. In den USA gab es nur Gold für "Riot Act". Die ausgekoppelten Singles liefen auch nicht sehr gut. "I Am Mine" kam auf Platz 43 der Billboard Charts, "Save You" erreichte die Top 100 nicht. Immerhin erreichte "I Am Mine" später noch Platz 6 der Modern Rock Charts. Ungeachtet der weniger guten Verkaufszahlen, waren die Kritiker recht angetan vom Album. Es gab vorwiegend gute bis sehr gute Kritiken für "Riot Act".
Neu dabei war der Produzent Adam Kasper, den Drummer Matt Cameron von Arbeiten mit seiner alten Band Soundgarden kannte. Gemixt wurde das Album wieder von Brendan O'Brien. Der Arbeitsprozess ähnelte dem der Vorgängeralben. Die Musiker brachten eigenes Material mit, welches dann gemeinsam ausgearbeitet wurde. Auf "Riot Act" spielte zum ersten Mal Kenneth Boom Gaspar (Orgel) mit, was man dem Gesamtsound der Band deutlich anmerkte.
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