Es gibt Platten, von denen eine ganz eigentümliche Faszination ausgeht, die manchmal nur schwer zu beschreiben ist. Solche Platten laufen bei mir unter der Bezeichnung 'Herzalben', weil sie den Kopf schon bei den ersten Klängen ausschalten und direkt die Seele berühren. Noch verstärkt wird dieses Gefühl, wenn es sich wie bei diesem Beispiel um ein Live-Album handelt. Hier stellt sich noch zusätzlich der Effekt des Gefühls ein, selber dabei gewesen zu sein, als es passierte. Mehr emotionale Nähe geht fast nicht. Aber natürlich hat das Ganze auch eine Vorgeschichte, wie so Vieles im Leben. Und die geht so: 1970 gründete der Gitarrist Eric Clapton die Gruppe Derek & The Dominoes, zusammen mit den weiteren Musikern Bobby Whitlock, Carl Radle und Jim Gordon. Clapton hatte die Musik der Allman Brothers und insbesondere die Spielweise von Duane Allman, die er durch Aufnahmen von Aretha Franklin und anderen kannte, bewundert und den Musiker schon lange treffen wollen. Duane Allman seinerseits verehrte, wie viele andere Musiker zu jener Zeit auch, Eric Clapton's Musik. Der Musikproduzent Tom Dowd, welcher zur damaligen Zeit beide Künstler betreute, ermöglichte schliesslich ein folgenreiches Zusammentreffen der beiden Musiker.
Als Eric Clapton von Tom Dowd hörte, dass die Allman Brothers Band vorhatte, in Miami ein Konzert zu bestreiten, bestand er darauf, ihrem Auftritt beizuwohnen. Nach dem Auftritt gingen Clapton und Allman zusammen in ein Tonstudio, wo quasi über Nacht ein sehr starkes Band zwischen den Beiden entstand. Tom Dowd berichtete, dass die beiden sich intensiv über Musik austauschten, ihre Gitarren tauschten und fachsimpelten - uneingeschränkt, nur aus Bewunderung für die Technik und Leichtigkeit des jeweils Anderen. Duane Allman fragte, ob er den nächsten geplanten Studioaufnahmen von Eric Clapton beiwohnen dürfte, was Clapton wie folgt beantwortete: "Bring deine Gitarre mit - Du musst spielen! Obwohl geplant war, dass Duane Allman später bei Aufnahmesessions nur auf einem oder zwei Songs mitspielen sollte, trug er am Ende zu fast allen Titeln auf dem später "Layla And Other Assorted Love Songs" benannten Doppelalbum seine Beiträge an der Gitarre bei, sogar zu denen, an welchen zuvor bereits gearbeitet worden war. Bobby Whitlock sagte später dazu: "Duane Allman brachte das Beste von uns allen zum Vorschein".
Wie wichtig letztlich diese Kollaboration der beiden legendären Musiker war, zeigte sich nicht nur im Umstand, dass das Album "Layla And Other Assorted Love Songs" zu einem Meilenstein im Schaffen des britischen Gitarristen Clapton wurde, sondern bestimmte auch auf ganz eigentümliche Weise das Leben von Derek Trucks, dem Neffen des originalen Allman Brothers Schlagzeugers Butch Trucks. Laut seiner eigenen Aussage wurde dem kleinen Derek schon von Kindstagen an die "Layla"-Platte rauf- und runtergespielt, sodass er sich dieses Werk schon verinnerlicht hatte, bevor er mit dem Gitarre spielen anfing. Soweit der Link zwischen dem originalen Doppelalbum von 1970 und dem ziemlich genau ein halbes Jahrhundert später veröffentlichten Live-Album der Tedeschi Trucks Band, das den passenden Titel "Layla Revisited" erhalten hat.
Jedes Jahr im August findet in Arrington, Virginia das viertägige 'Lockn' Festival' statt. Beim entsprechenden Festival im Jahre 2019 stand dort auch die Tedeschi Trucks Band auf der Bühne. Unterstützt wurde die personell sehr umfangreiche Band vom Gitarristen Trey Anastasio der Jam Band Legende Phish. Mit etwas Verspätung, auch Covid-19 bedingt, erschien endlich der Mitschnitt dieser besonderen Performance in Form eines Doppelalbums. Die Tedeschi Trucks Band führte an diesem Festival das gesamte "Layla And Other Assorted Love Songs" Album in korrekter Reihenfolge des Originals live auf. Die Gruppe begann ihren Auftritt mit dem Titel "I Looked Away" und liess diesen am Ende in den "Bell Bottom Blues" übergehen, die ersten beiden Songs von Eric Clapton's "Layla"-Album. Als das Publikum dann staunend "Keep On Growing" hören durfte, wurde Allen klar: Die Tedeschi Trucks Band und Trey Anastasio würden das komplette Album spielen.
Wie eingangs erwähnt, sind die Verbindungen zwischen der Tedeschi Trucks Band und dem "Layla"-Album tief verwoben: Angetrieben von zwei der grössten Gitarristen des zwanzigsten Jahrhunderts, Eric Clapton und Duane Allman, wurde "Layla And Other Assorted Love Songs" zufällig am 9. November 1970 veröffentlicht, dem Tag von Susan Tedeschi's Geburt. Später waren Chris und Debbie Trucks so grosse Fans des Albums, dass sie dazu inspiriert wurden, ihren erstgeborenen Sohn Derek zu nennen. Jahrzehnte später war Derek Trucks schliesslich fünfzehn Jahre lang selbst Mitglied der Allman Brothers Band und tourte ausgiebig mit Eric Clapton. Die Verbindung zwischen der Musik und den Interpreten ist so tief, dass sich dieses Album fast schon vorherbestimmt anfühlt.
Das Schöne an dieser Aufführung war und ist jedoch, dass das originale Album nicht einfach nur 50 Jahre nach dessen Entstehung für die Bühne nachgezeichnet, sondern gleichzeitig auch kreativ weiterentwickelt wurde. Dies wiederum ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch dem Phish-Gitarristen Trey Anastasio zu verdanken, der für die eine oder andere Ausweitung der Songs verantwortlich zeichnet. Diese Ausweitung wiederum ermöglicht es den insgesamt drei beteiligten Gitarristen Derek Trucks, Trey Anastasio und Doyle Bramhall II, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und dadurch die originalen Songs nicht nur länger, sondern auch intensiver erlebbar zu machen. Jedenfalls wirken die überlangen Varianten beispielsweise der Titel "Keep On Growing" oder "Anyday" nicht als in die Länge gezogenes Gegniedel selbstverliebter Gitarristen, sie können sich viel mehr als meisterhafte Beispiele beweisen, wie man einen Song von ursprünglich normaler Songlänge als äusserst kreativen Jam umsetzen muss, um ihm noch mehr Intensität und Qualität zu verleihen.
"Layla Revisited" gehört definitiv zu den grossen Live-Werken der vergangenen Jahre und man darf durchaus sagen, dass es vor allem auch das bislang intensivste und schönste Album der beiden verheirateten Musiker Derek Trucks und Susan Tedeschi geworden ist. Auch ist es ein weiteres schönes Beispiel dafür, warum diese Gruppe inzwischen zu den hervorragendsten Live-Bands überhaupt gezählt wird. "Layla Revisited" ist an Intensität, Gefühl, Spielfreude und kreativem Momentum kaum zu toppen. Hier ist eine tolle Mannschaft in einem genialen Moment, an welchem alles passte, hörbar über sich hinausgewachsen. Wer das originale Album von Eric Clapton's Studioalbum kennt und schätzt, kommt an diesem Konzertereignis kaum vorbei. Meisterhaft!
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