Aug 1, 2020



THE WILD SWANS - Space Flower (Sire Records 9 26154-2, 1990)

Eines gleich vorweg: Musik von Ian Broudie erkennt man immer auf Anhieb. Er hat diesen einzigartigen, schwelgerischen Pop-Sound, den nur er hinkriegt. Er klingt nicht Retro, er IST Retro, und das war er schon immer. Alle seine Platten atmen den Geist der guten alten Zeit, als Songs noch Strophen und Refrains aufwiesen, die jedermann mitsingen kann - Songs, die selten mal die 3 Minuten-Marke sprengen und die so zeitlos sind, dass sie immer ganz nahe an die grossen Beatles-Songs herankommen. Speziell auf dem 1990 erschienenen Album "Space Flower" präsentierte er Musik, die genauso gut hätte von den Fab Four stammen können. Ian Broudie ist ein Meister der einfachen Melodie. Er hat ein Gespür für Eingängigkeit und schreibt Ohrwürmer am laufenden Band. Auch nach den Wild Swans, als er mit seiner Gruppe THE LIGHTNING SEEDS so richtig berühmt wurde, setzte er auf dieselbe Formel und konnte immense Plattenerfolge feiern.

Der am 4. August 1958 in Liverpool geborene Broudie startete seine Karriere im Jahre 1977 als Mitglied der Punk Band BIG IN JAPAN, der unter anderem das spätere FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD-Mitglied Holly Johnson angehörte. Nachdem die Band sich nach nur 15 Monaten wieder aufgelöst hatte, war Ian Broudie als Musikproduzent tätig, so etwa für die Bands ECHO & THE BUNNYMEN und THE FALL sowie für THE BODINES und THE PALE FOUNTAINS. Ab Ende 1979 spielte Broudie in der Formation THE ORIGINAL MIRRORS, der auch der spätere Status Quo-Schlagzeuger Pete Kircher angehörte. Die Original Mirrors lösten sich Ende 1981 wieder auf, nachdem die auf dem Plattenlabel Mercury Records veröffentlichten Aufnahmen ohne zählbaren Erfolg geblieben waren. 1983 gründete Broudie dann zusammen mit Paul Simpson die Band CARE. Diese Band veröffentlichte drei Singles, löste sich aber ebenfalls schon bald wieder auf. Danach bildeten Jeremy Kelly, Joseph Fearon, Paul Simpson und Ian Broudie die Gruppe THE WILD SWANS, und unter diesem Banner spielte Broudie einige Jahre recht erfolgreich seine nachwievor auf denselben musikalischen Eckpfeilern basierenden Pop-Songs, die einerseits von den New Wave-dominierten 80er Jahren, jedoch weiterhin auch von den popmusikalischen Ideen der Beatles inspiriert waren. Noch bevor mit "Bringing Home The Ashes" im Jahre 1988 das erste Album der Wild Swans erschien, hatte die Band bereits fünf Singles und EP's veröffentlicht, die allesamt zwar zur Kenntnis genommen wurden, jedoch lediglich unter Insidern und Fans hohes Ansehen genossen.

1990 richtete Ian Broudie seine Wild Swans personell neu aus und auch musikalisch gelang ein neues Konzept, das nunmehr zum Alternative Pop tendierte. Der ganze 60er Jahre Appeal kam hier nun voll zum tragen, währenddessen die zuvor noch stilbildenden New Wave Elemente gänzlich verschwunden waren. Grossen Anteil an diesem neuen "alten" Sound, der nun noch mehr dem Pop der Beatles näherkam, hatten der neu dazugekommene Multi-Instrumentalist Ian McNabb, der neben seinen sehr erfolgreichen Soloplatten vor allem auch durch seine Arbeit in der Band THE ICICLE WORKS bekannt ist, sowie der neue Schlagzeuger Chris Sharrock, der ebenfalls mit den Icicle Works gespielt hatte. Interessant war, dass die zweite Platte "Space Flower", die in der neuen Besetzung eingespielt wurde, noch erschien, als Ian Broudie bereits mit seinem nächsten Projekt erfolgreich war: den Lightning Seeds. 1989 schaffte er mit ihnen den Durchbruch: Das Album "Cloudcuckooland" schaffte es in die britischen Charts. Die Single-Auskopplung "Pure" erreichte Platz 16 der Hitparade und war damit der bislang erfolgreichste Song, den Ian Broudie veröffentlicht hatte.

Nicht zuletzt der auch für Ian Broudie eher unerwartete Erfolg seiner Lightning Seeds führte dazu, dass es nach dem Album "Space Flower" für die Wild Swans keine Verlängerung mehr gab. Broudie beendete das Bandprojekt. Ian McNabb spielte auf der Lightning Seeds LP "Cloudcuckooland" noch als Gast mit, während die anderen Wild Swans Musiker sich in alle Himmelsrichtungen verstreuten. "Melting Blue Delicious", der Opener der LP "Space Flower" besitzt diesen unwiderstehlichen Garage Pop-Groove der 60er Jahre, verfügt wie fast alle weiteren Songs der Platte über einen tollen und glasklaren Sound, der stark am Pop von Mitte bis Ende der 60er Jahre orientiert ist. Dank ausgeklügelter Arrangements und moderner Studiotechnik klingen die Stücke jedoch ganz und gar nicht hausbacken, sondern verfügen durchaus über einen zeitgemässen Sound-Charakter, ohne anbiedernd kommerziell wirken zu wollen. Genauso das macht die Songs auch aus: "Butterfly Girl", "Tangerine Temple", "Immaculate", "Chocolate Bubblegum": Sie alle entpuppen sich als wahre Ohrwürmer ohne Verfallsdatum, sie sind innert kürzester Zeit mitsingbar und werden nie langweilig. Mit dem ausgedehnten Titelstück "Space Flower", einem herrlich sanft pluckernden Boogie und dem ausladenden, über eine Distanz von 10 Minuten gleitenden "Sea Of Tranquility", das über eine längere Zeit instrumental gespielt wird und den Zuhörer wie auf einer Wolke davonträgt, bietet das Album zwei wunderschöne Höhepunkte, die man nicht unbedingt erwarten kann zwischen all den kurzen Pop-Songs. Sehr schade daher, dass Ian Broudie das neu ausgerichtete Wild Swans-Konzept nach so einem wundervollen Album nicht weitergeführt hat.

Das Jahr 1996 bescherte Ian Broudie stattdessen mit seinen Lightning Seeds den grössten Hit: "Three Lions", die offizielle Hymne zur Fussball-Europameisterschaft 1996 in England. Der Song erreichte Platz 1 der britischen Charts. Sein Titel bezog sich auf die drei Löwen, die auf den Trikots der englischen Fussballspieler abgebildet sind. 1999 sollte mit "Tilt" das letzte Album der Lightning Seeds erscheinen. Nach einer Abschiedstournee löste sich die Band auf. In den folgenden Jahren war Ian Broudie wiederum als Produzent tätig, unter anderem für TERRY HALL und die bekannten Liverpooler Bands THE CORAL und THE ZUTONS. Zuletzt produzierte er 2006 das Debütalbum der Londoner Independent-Band THE RIFLES.

Sein erstes Soloalbum "Tales Told" veröffentlichte Ian Broudie im Jahr 2004. Im Gegensatz zum poppigen Sound der Lightning Seeds- und Wild Swans-Werke ist dieses Album ruhig und sparsam instrumentiert. 2005 erschien die EP "Smoke Rings". 2009 meldete sich Ian Broudie noch einmal mit seinen Lightning Seeds zurück mit dem Album "Four Winds". Die LP "Space Flower" darf durchaus zu den besten Momenten im musikalischen Schaffen von Ian Broudie gezählt werden, auch wenn es damals wie heute kaum bekannt geworden ist.









No comments:

Post a Comment