ET CETERA - Et Cetera (Global Records 6306 901, 1971)
Der Musiker Wolfgang Dauner aus Stuttgart gilt als einer der wenigen weltweit anerkannten deutschen Jazzmusiker. Bereits als Kind früh auf dem Klavier geschult, machte er interessanterweise seinen Abschluss an der Musikhochschule Stuttgart im Fach Trompete. Seine grosse Liebe blieb aber das Klavier. Die Präferenz für zeitgenössischen Jazz führte 1963 zur Gründung der ersten eigenen Gruppe: Das Wolfgang Dauner Trio mit Eberhard Weber am Bass und Fred Braceful am Schlagzeug. Musikern, mit denen er noch bis weit in die 70er Jahre zusammenarbeitete. Die Bedeutung Dauners für den modernen Jazz und Jazzrock in Deutschland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie ist vergleichbar mit der Pionierarbeit, die Miles Davis in den USA für den Jazz und Jazzrock geleistet hat. Aufgrund seiner Mitwirkung in verschiedenen Jazzbands während der frühen 60er Jahre war Dauner schon Veteran der Jazzszene, bevor er seine eigene Band gründete. Die ersten von ihm veröffentlichten Alben waren dem experimentellen modernen Jazz zuzuordnen, beeinflusst von Bill Evans, Steve Lacy, Sun Ra und anderen. Seine bis 1969 erschienenen Alben sprachen in erster Linie reine Jazzfans an.
Die Blüte der psychedelischen Musik um 1968/69 schuf neue Möglichkeiten. Dauner, mit einigen der besten jungen Jazzmusiker an seiner Seite, hatte genug vom ins klischeehafte abdriftende Spiel des Jazz, was zum damaligen Zeitpunkt überwiegend stattfand und nahm sich vor, sämtliche vorhandenen Regeln zu brechen. Was die Gruppe Faust wenige Jahre später für die Rockmusik bedeutete, liessen Dauner und seine Musiker dem Jazz widerfahren. Erstes Ergebnis war das aussergewöhnliche Album "Für", erschienen im Sommer 1969, das nicht mehr dem Jazz zuzuordnen war, sondern ein Experiment vorantrieb mit dem einzigen Ziel, Grenzen zu überschreiten: Die musikalische Revolution ihrer selbst Willen. Noch radikaler war die Veränderung, im Vergleich zu den vorherigen Produktionen, welche die Musik, nun dem Wolfgang Dauner Quintett geschuldet, auf dem Werk "The Oimels", Anfang 1970 den Fans bescherte. Wolfgang Dauner und seine Mitstreiter präsentierten sich hier als Psychedelic-Jazz-Pop-Band. Neben der von den Psychedelic-Fans so geliebten verzerrten Gitarre, Sitar-Klängen und anderen Freak-Outs zogen die fünf Musiker alle Register, ihre Vorstellungen von Psychedelic-Pop zu Gehör zu bringen.
Die Jahre 1969 und 1970 waren für Wolfgang Dauner und seine wechselnden Mitstreiter ein musikalischer Jungbrunnen, der im Ergebnis acht Alben hervorbrachte, welche unter wechselnden Bandnamen (Wolfgang Dauner Quintett, Wolfgang Dauner Group oder Et Cetera) auf verschiedenen Labels veröffentlicht wurden. Für Freunde der progressiven Rockmusik allemal hörenswert waren insbesondere die Alben "Rischka's Soul" (eingespielt 1969, veröffentlicht 1972) und "Et Cetera" (1971). Die Besetzung, die "The Oimels" einspielte, hatte sich für "Et Cetera" nur geringfügig geändert. Statt des zweiten Gitarristen Pierre Cavalli spielte diesmal Dauners langjähriger Weggefährte, Fred Braceful als weiterer Schlagzeuger neben Roland Wittich mit. Auch die 1972 erschienene LP "Knirsch" (mit Jon Hisemann und Larry Coryell) und das 1973 erschienene Live-Doppelalbum, ebenfalls unter dem Bandnamen Et Cetera, waren für die Freunde der progressiven Rockmusik absolut hörenswert. Die Leser der Zeitschrift Sounds wählten Wolfgang Dauner 1972 zum Musiker des Jahres.
Der Musiker Siegfried 'Sigi' Schwab aus Ludwigshafen am Rhein, entwickelte bereits in der Kindheit einen starken Drang zum Musizieren. Seine Instrumente waren der Kontrabass und die Gitarre. Mit 16 Jahren nahm er an der Musikhochschule in Mannheim für beide Instrumente ein Studium auf. Sein musikalisches Interesse galt sowohl der klassischen Musik als auch dem Jazz. Schon sehr früh war der brasilianische Gitarrist Laurindo Almeida sein musikalisches Vorbild. Schwab spielte zunächst in lokalen Bands, betätigte sich schon früh als Studiomusiker (etwa für Wolfgang Laudt und Erwin Lehn) und wurde nach seinem Wechsel nach Berlin festes Mitglied der Rias-Berlin Big-Band. 1967 erschien in den USA und in Europa seine erste Soloplatte, für Schwab eine sehr interessante Erfahrung neben seiner Tätigkeit als Studiospezialist noch in einer völlig anderen Musikszene Erfahrungen zu sammeln. Der Zusammenarbeit bei The Oimels und Et Cetera ging ein Zusammenspiel auf dem Gulda Festival in Ossiach, Kärnten, Österreich voraus. Die damalige Band bestand aus Jean Luc Ponty, Sigi Schwab, Wolfgang Dauner, Eberhard Weber und Fred Braceful. Et Cetera war, wenn man so will, die Nachfolgeband des Wolfgang Dauner Quintetts. Aus heutiger Sicht empfindet Schwab The Oimels als einen ganz wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zu Et Cetera, der ersten Jazz Freerock Band der 68er-Nachfolge, dem damaligen modernsten und provozierendsten Ensemble.
Neben seinen eigenen Projekten oder als festes Bandmitglied verschiedenster Formationen wie Embryo auf den Alben "Father, Son And Holy Ghost" von 1972 und "Rocksession" von 1973 hatte Sigi Schwab in unzähligen Produktionen unterschiedlichster Art (vom Schlager bis zum experimentellen Jazz) als Studiomusiker mitgewirkt. Daneben komponierte er Fernseh-, Film- und Bühnenmusik. Seine Filmmusik zu 'Vampyros Lesbos - Erbin des Dracula' (1971) wurde in den späten 90er Jahren mit dem Untertitel 'Sexadalic Danceparty' erfolgreich neu als CD aufgelegt und der Titel "The Lion & The Cucumber" wurde unter anderem in Quentin Tarantino's Film 'Jacky Brown' verwendet. Auch die Aufnahmen zu 'The Vampires of Dartmoor' sind in Fan-Kreisen heiss begehrt. Sigi Schwab blieb später in verschiedenen musikalischen Projekten äusserst aktiv. Der Spagat zwischen Klassikszene und moderner improvisierender Musik war sein Lebensthema geblieben. Ebenso wie Dauner lehnte er eine Unterscheidung zwischen E- und U-Musik völlig ab: "Es gibt nur eine universelle Musiksprache, natürlich mit feinen Verästelungen und in allen denkbaren Achsen".
Eberhard Weber aus Stuttgart gilt ebenfalls als herausragende Persönlichkeit der Jazz-Szene und geniesst internationale Anerkennung. Er spielte mit Gary Burton, der Pat Metheny Group und Jan Garbarek. Weber kam ebenfalls schon als Kind zur Musik. Sein Vater lehrte ihn im Alter von 6 Jahren, Cello zu spielen. Als Mitglied des Schulorchesters wurde er von seinem Musiklehrer ermutigt, auf den Kontrabass umzusteigen. Zunächst darin geübt, den Kontrabass auf klassische Weise mit einem Bogen zu spielen, trainierte er aufgrund seines steigenden Interesses an der Jazz-Musik auch immer mehr die Zupftechnik. Weber spielte in mehreren Schulbands und entschied sich schliesslich, das Cello-Spiel gänzlich zu Gunsten des Bass aufzugeben.
1960 traf Weber mit Wolfgang Dauner zusammen, spielte mit ihm zahlreiche Alben ein, sodass es nur folgerichtig war, dass er bei den bahnbrechenden Projekten The Oimels und danach auch bei Et Cetera dabei war. Die Zusammenarbeit mit Dauner riss praktisch niemals völlig ab, jedoch beschritten beide seit 1973, dem Erscheinungsjahr von Weber's erfolgreichem Album "The Colours Of Chloe" ihre eigenen Wege und kamen nur noch gelegentlich für gemeinsame Projekte zusammen. Weber arbeitete mit dem Gitarristen Volker Kriegel und für kurze Zeit mit dem New Dave Pike Set zusammen. Anknüpfend an sein Soloalbum "The Colours Of Chloe" gründete er wenig später die Band Colours mit Rainer Brüninghaus und Charlie Mariano. Nach fast acht erfolgreichen Jahren mit Colours sah Weber keine Möglichkeiten mehr, diese durch kreativen, musikalischen Diskurs voranzutreiben. Nach eigener Aussage wollte er auf keinen Fall bereits Dagewesenes wiederholen, nur um die Band am Leben zu halten. Colours lösten sich 1981 auf. Ab 1982 wurde Weber ständiges Mitglied der Band des norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek und arbeitete bis Ende der 90er Jahre mit ihm zusammen. Seit 1985 gab Weber ausserdem Solokonzerte, bei denen er sich elektronischer Klangvervielfältiger bediente, die sein Spiel aufnahmen und es in veränderter Geschwindigkeit und Modulation wieder ausgaben. Weber kann auf eine umfangreichen Diskografie verweisen und war als Gastmusiker bei den verschiedensten Produktionen (unter anderem mit Kate Bush) beteiligt.
Fred Braceful, ursprünglich aus Detroit, verstorben 1995 in München, studierte am Konservatorium in Chicago Klavier, spielte zu dieser Zeit aber bereits in der Band seines Vaters Schlagzeug. Als Soldat der US Armee kam er Ende der 50er Jahre nach Deutschland und liess sich nach Beendigung des Militärdienstes in Stuttgart nieder. Dort lernte er Wolfgang Dauner kennen, zu dessen Trio er seit 1963 gehörte. Unter anderem spielte er mit Dauner auf den Alben "Free Action", "Für“, "Rischka`s Soul", "Output", "Et Cetera", "Knirsch" und "Et Cetera Live" mit, war also fast bei allen Projekten Dauner's bis dahin mitbeteiligt. Wie damals üblich, war Fred Braceful nicht an eine Band gebunden, sondern spielte auch noch mit vielen anderen bekannten Jazzmusikern, wie etwa Dollar Brand, Hans Koller, Albert Mangelsdorff, Manfred Schoof und zahlreichen Weiteren. 1973 gründete Braceful mit dem Gitarristen und Bassisten Andy Goldner und dem Keyboarder Thomas Balluf die Gruppe Exmagma. Exmagma spielten drei Alben ein, stilistisch irgendwo zwischen Jazzrock und Avantgarde. 1976 war er Mitbegründer von Moira. Auf dem Album der Band hatte er allerdings nicht mitgewirkt. Anfang der 80er Jahre zog er nach München und gründete dort sein eigenes Trio, wobei er zusätzlich noch mit anderen Musikern zusammen spielte. Soweit bekannt, war seine letzte Aufnahme die Einspielung der CD "Langsames Blau" mit dem Trio des Saxophonisten Michael Hornstein.
Die Freeman-Brüder schrieben in ihrer sehr empfehlenswerten Enzyklopädie 'The Crack In The Cosmic Egg' über Wolfgang Dauner und Et Cetera: Als ständiger Auslöser musikalischer Revolutionen heckte Wolfgang Dauner äusserst sorgfältig eine der raffiniertesten Schwindeleien in der Geschichte des Krautrocks aus. Er schaffte es, seine bereits seit längerer Zeit bestehende Band unter dem Namen Et Cetera als neue Band zu vermarkten mit einem psychedelischen Cover als Blickfang der gleichzeitig veröffentlichten LP auf dem absichtlich Hinweise auf die Musiker fehlten. So kam es, dass das Album, obwohl auf Global Records, ein auf die Veröffentlichung von Jazz spezialisiertes Label erschienen, dem Rockmusik-Markt mit einem entsprechend grösseren Käuferkreis zugeordnet wurde und überraschend zum Verkaufsschlager avancierte. Trotz seiner radikalen Mischung aus Rock, Jazz, Weltmusik und Avantgarde zog das Album erstaunlicherweise grosse Aufmerksamkeit auf sich. Die Leser der Zeitschrift Sounds wählten 1971 Et Cetera auf Platz 1 der Rubrik Newcomer des Jahres, obwohl die Band schon seit 1968 unter verschiedenen Namen existierte und bereits mehrere Alben eingespielt hatte. Ein Auftritt der Band im Beatclub am 24.Juli 1971 brachte dann alles ans Licht.
Das Album "Et Cetera" enthält eine aussergewöhnliche Mischung verschiedener musikalischer Einflüsse irgendwo zwischen instrumentalen Amon Düül II, Embryo und Dauner's eigenem Klassiker "Output", arabischer und indischer Musik, für die in erster Linie Sigi Schwab mit seinem grossen Instrumentarium verantwortlich zeichnet, und ungewöhnliche Avantgarde Elemente, insbesondere von Dauner's ringmodulierten Keyboards. All dies summiert sich zu einem Potpourri mit vielen Überraschungen, nicht zuletzt auch durch Fred Braceful's ungewöhnlicher Rezitation in "Lady Blue", die zu Vergleichen mit Malcolm Mooney's (Gruppe Can) Sprechgesang veranlasste. Die Freeman-Brüder zählen das Werk "Et Cetera" zu ihrer 'The Krautrock Top 100' Liste.
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