CHUCK BERRY - From St. Louie To Frisco (Mercury Records SR-61176, 1968)
Drei Jahre später landete Chuck Berry im Gefängnis. Was sich als ein deutlicher Knick in den meisten Biografien bemerkbar macht, war auch für ihn sicherlich nicht die ruhmreiche Stunde seines Lebens, aber wer weiss, ob die Dinge so gekommen wären, wäre seine Jugend anders verlaufen: Mit 18 Jahren wurde er wegen eines bewaffneten Überfalls von drei Läden und dem Raub eines Autos mit einer falschen Waffe zu drei Jahren im Jugendarrest verurteilt und sass in der Vollzugsanstalt Algoa ein. Sein Glück im Unglück war die Gesangsgruppe, an der er sich beteiligte. Zuerst durften die Musiker in ihrem Gefängnis, dann in anderen Anstalten und schliesslich auch in Konzertsälen ausserhalb auftreten. Dass dies ein Durchbruch für Chuck war, wäre vielleicht zu viel gesagt, aber er hatte so die Möglichkeit, weiter Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen. Kurz nach seiner Entlassung lernte er die junge Themetta Suggs kennen und nicht einmal ein Jahr später heirateten die beiden, zwei Jahre nach der Hochzeit wurde ihre Tochter Darlin Ingrid geboren. Chuck hielt die Familie mit einer Reihe von Gelegenheitsjobs und Hilfstätigkeiten über Wasser, bis er seine Ausbildung zum Kosmetiker abschloss und anfing, in der Branche zu arbeiten und sich von seinem Gehalt ein kleines Haus in Saint Louis leisten konnte. Sein Gehalt reichte aber nicht aus, um der Familie den gewünschten Lebensstandard zu sichern und so begann er, mit verschiedenen Bands und Künstlern auf der Bühne zu arbeiten, um sich so etwas dazu zu verdienen. In dieser Zeit orientierte er sich in seinem Stil und seiner Gitarrentechnik vor allem an den frühen Bluesmusikern wie T-Bone Walker und Ira Haris, bei dem er auch Gitarrenunterricht nahm. In dieser Zeit lernte er auch seinen langjährigen musikalischen Partner und Freund Johnnie Johnson kennen, der ihn insbesondere in seinen ersten Jahren begleitete. Schnell wurde man auf den Jungen und talentierten Musiker aufmerksam und schon bald tourte er mit Johnsons Trio im ganzen Land.
Mitte des Jahres 1955 gelang Chuck Berry mit der Neuinterpretation eines alten Country-Klassikers unter dem Namen "Maybellene" der Durchbruch als Musiker. Die bei dem Chicagoer Label Chess Records aufgenommene Single verkaufte sich aus dem Stand über eine Million mal und machte ihn und seine Mitmusiker schlagartig einem breiteren Publikum bekannt. Ob sie die Welle ritten, die den Rock'n'Roll in dieser Zeit in den Mainstream und in die Wohnzimmer der ganzen Nation und später der ganzen Welt spülte oder sie selbst verursachten, ist nicht so einfach zu beantworten, aber schon bald gehörten die Band zu den grössten und begehrtesten Acts der USA. Die folgenden Singles "Roll over Beethoven", "Sweet Little Sixteen" und "Johnny B. Goode" stürmten neben einem guten Dutzend anderer Songs aus seinem Repertoire die Charts und er war in jeder Fernseh- und Radioshow vertreten. Langsam aber sicher hielt diese neue aufregende Art von Musik auch auf der anderen Seite des grossen Teiches Einzug und konnte vor allem in Grossbritannien und später dann auch in Kontinentaleuropa Fuss fassen.
Insbesondere hier blieb die Nachfrage nach seiner Musik auch am grössten, während sie in den USA aufgrund eines weiteren Konfliktes mit der Justiz einen Einbruch erlebte: Ende der Fünfzigerjahre kam er ein weiteres Mal ins Gefängnis und wurde so eines der prominentesten Opfer des kürzlich eingeführten 'man-acts'. Das Gesetz sollte vor allem den Menschenhandel und die illegale Prostitution in den Vereinigten Staaten eindämmen, wurde aber oft mit rassistischer Motivation gegen Schwarze und Latinos eingesetzt, wenn diese zwischen Staaten wechselten oder Ihre Arbeitsstelle wechselten. Berry sass weitere anderthalb Jahre ein und polarisierte seine Fans, die sich in einer in den Fünfzigern noch immer von Alltagsrassismus und Diskriminierung geprägten Gesellschaft bewegten. Nach seiner Entlassung im Jahr 1963 gelang ihm die Rehabilitation im Showgeschäft vor allem auch durch die zunehmende Popularität der Beatmusik in Europa. So konnte Berry schon nach einem Jahr eines seiner erfolgreichsten Alben "St. Louis to Liverpool" herausbringen, in dem er einen starken Bezug zu der Beatbewegung in England herstellte und sich auf dem dortigen Markt etablierte. Bis in die Mitte der Siebziger hinein konnte er seine Popularität auch in den Vereinigten Staaten wieder aufbauen und brachte in der Zwischenzeit mit "My Ding-a-Ling" seinen ersten Nummer 1 Hit heraus.
Während in den folgenden Jahren sein Studio-Output sank, war er ein international gefragter Livekünstler und spielte sowohl auf grossen Jazz- und Rockfestivals als auch im Weissen Haus vor Präsident Carter. Seine Musik und besonders solche Hits wie "No Particular Place To Go" und "You Never Can Tell" wurden fester Bestandteil der Popkultur und als eines der wenigen Stücke verliess sein Song "Johnny B. Goode" auf den Schallplatten der Voyagersonden die Erde als ein repräsentatives Beispiel für irdische Musik. Bis ins hohe Alter hinein gab Chuck Berry Livekonzerte und kurz vor seinem Tod nahm er sein Letztes, seiner Frau gewidmetem Album "Chuck" auf, was sein erstes Studioalbum in fast vierzig Jahren werden sollte. Jedoch sollte er den Start des Albums nicht mehr persönlich erleben. Am 18. März 2017 wurde Chuck Berry tot in seiner Wohnung in St. Charles County in Missouri aufgefunden. Chuck Berry dürfte die populäre Musik, wie wir sie heute kennen, wie nur wenige Andere, entscheidend mitgeprägt haben.
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