SAVOY BROWN - Boogie Brothers (Decca Records SKL 5186, 1974)
Als die LP "Jack The Toad" im Juni 1973 in den USA erschien, gingen Savoy Brown nach den vielen guten Erfahrungen erneut in den Staaten auf Tournee, um das Album zu promoten, was der Gruppe respektable Verkaufszahlen bescherte. Die grösste Tour in der zweiten Hälfte des Jahres spielten Kim Simmonds und seine Mannen mit einem noch relativ jungen, aber vielversprechenden Trio namens Z.Z. Top. Diese Vorgruppe heizte beim Publikum gehörig ein, sodass diese gemeinsamen Konzerte erneut für ausverkaufte Hallen und Clubs sorgten, zumal Z.Z. Top's zuvor erschienenen ersten zwei Alben in den USA schon für Aufsehen gesorgt hatten und ihr drittes Werk "Tres Hombres" gerade zu einem ersten Höhenflug für die Band ansetzte und ebenfalls promotet wurde. That little ole'band from Texas konnte jedoch erst ein knappes Jahr später nicht nur in den USA einen Single-Hit feiern mit dem noch heute unsterblichen "La Grange": die Single erreichte Platin in den USA.
Bei Savoy Brown wurden jedoch kleinere Brötchen gebacken. Nach der US-Tournee standen weitere Konzerte, diesmal in der Heimat England an. Diese Auftritte bestritten Savoy Brown jedoch nicht mehr als Headliner, sondern als Aufheizer für die in England längst etablierten Status Quo. Dies sorgte insbesondere bei Kim Simmonds und dessen Bruder Harry für grossen Unmut, zumal man sich in den USA inzwischen als regelmässige Charts-Acts etabliert hatte. Zu Ende dieser Konzertreihe in England sah die Bilanz aus der Sicht von Savoy Brown ernüchternd aus: Status Quo's aktuelle Single "Caroline" stand in den Top 5 und das dazugehörige Album "Hello!" bescherte den Boogie Rockern einen Platz 1. Das Savoy Brown Album "Jack The Toad" hingegen ging komplett unter, und auch die ausgekoppelte Single "Coming Down Your Way" blieb ohne Echo.
Kim Simmonds war frustriert und fasste mal wieder eine Neuausrichtung seiner Band ins Auge. Diesmal war dessen Bruder Harry Simmonds die treibende Kraft. In seinem Portfolio als Manager fanden sich unter anderem auch die Bands Chicken Shack und Hemlock. Letztere hatten 1973 ein erstes Album veröffentlicht, das jedoch kaum zur Kenntnis genommen wurde, sodass sich die Musiker über das verlockende Angebot von Harry Simmonds freuten: Sie sollten die neue Backing Band für Kim Simmonds werden. Hemlock waren durchaus gestandene, professionelle und vor allem hervorragende Musiker: Der Sänger und Gitarrist Miller Anderson war Gründungsmitglied der Keef Hartley Band, der Bassist Jimmy Leverton und der Schlagzeuger Eric Dillon spielten zuvor bei Fat Mattress. Nur wenige Wochen später erklärte auch Chicken Shack Gitarrist Stan Webb, er wolle die Gruppe pausieren lassen, wenn nicht gar ganz auflösen. Auch ihn reizte das Angebot, bei Savoy Brown einzusteigen. Das war der Startschuss für das nächste Kapitel in der Savoy Brown Geschichte: die Boogie Brothers.
Harry Simmonds' Idee war auch sogleich, den Namen Savoy Brown durch den neuen Bandnamen Boogie Brothers zu ersetzen, eine Idee, die vor allem den drei Gitarristen in der Band gerecht werden sollte: Simmonds, Webb und Anderson. Der einzige Grund, weshalb in der Folge auf diesen neuen Bandnamen verzichtet wurde war, dass Savoy Brown in den USA inzwischen sehr populär geworden waren und Kim Simmonds es als ein zu grosses Risiko einschätzte, mit einem neuen Album im Gepäck in den Staaten unter neuer Flagge zu reisen. So blieb es beim Namen Savoy Brown und die nächste LP erhielt den Titel "Boogie Brothers". Die Aufnahmen zu diesem Album begannen schon kurz nach der definitiven Aufstellung des neuen Band Line-Up's. Auch die Musik erhielt eine entscheidende Neuausrichtung: Sie wurde einerseits härter als jemals zuvor, und ausserdem wurde der typisch amerikanische, Southern Rock-gefärbte Bluesrock Sound zum vornherein mitberücksichtigt, da die Band inzwischen ja in den USA weitaus populärer geworden waren als sie es in ihrer alten Heimat noch waren. Dennoch fanden die ursprünglichen Aufnahmesessions wieder in London statt, im der Plattenfirma Island Records gehörenden Basin Street Studio Komplex.
Schon zu Beginn der Basic Aufnahmen klangen die rundumerneuerten Savoy Brown völlig anders: Eine engagierte Drei Mann Gitarren-Attacke anstelle des bisherigen Gitarren Leaders plus einem Rhythmus-Gitarristen zur Unterstützung liessen die Songs ungemein dynamisch und rockig klingen. Vereinzelte Twin Guitar Melodieläufe liessen durchaus Parallelen etwa zu Lynyrd Skynyrd oder Wishbone Ash erkennen. Was hier jedoch anders war: Die Stücke waren wesentlich tiefer im Blues verwurzelt, was der Band genügend Spielraum für unterschiedlich klingende Songs liess. So klang der harte Bluesrocker "Rock'N'Roll Star" wie ein satter, fetter Hard Rock Jam, der ziemlich rauh und ungehobelt daherkam, wohingegen das recht unauffällige und sehr zurückgenommene Kabinettstückchen "Always The Same" fast schon als akustischer Folkblues durchging. Kim Simmonds selbst hat sich auf keiner früheren oder späteren Savoy Brown Produktion dermassen weit im Hintergrund gehalten, wie bei "Boogie Brothers".
Kompositorisch tritt er lediglich zweimal in Erscheinung: Der Opener "Highway Blues", ein harter Bluesrock-Titel und der das Album beschliessende, nur sehr spartanisch instrumentierte "Threegy Blues" stammten aus seiner Feder. Miller Anderson steuerte hingegen gleich fünf Songs bei, und die waren bemerkenswert unterschiedlich, sowohl in der Spielweise wie auch der Virtuosität. Neben dem fast schon mit einem Mitsing-Refrain ausgestatteten "Me And The Preacher", dessen Songtext durchaus einen religiösen Touch hatte und ein wenig an den mehrstimmigen Gesang aus Gospel Songs erinnerte und dem fast schon Hard Rock Niveau ereichenden Titelstück "Boogie Brothers" konnte Miller Anderson vor allem mit seiner Komposition "Everybody Loves A Drinking Man" überzeugen, welche durch die drei Gitarren (eine davon die tolle Slide von Kim Simmonds) und dem Mitgröhl-Refrain alle Zutaten eines harten Southern Rock Songs aufwies. Dieser Titel wurde denn auch als Single ausgewählt, welche in der Folge jedoch nur in Deutschland und Kanada offiziell veröffentlicht wurde. In den USA kam die Single dagegen nicht über ein Promo-Muster für DJ's hinaus. Mit "My Love's Lying Down" steuerte schliesslich auch Stan Webb einen Titel bei, und den hielt ich persönlich stets für den Interessantesten auf diesem Album, denn er rollte sehr leichtfüssig und erinnerte ein wenig an Chicken Shack Songs der zweiten Periode nach 1970, als sich auch dort eine leichte Abwendung vom traditionellen British Blues abzeichnete.
Die LP erschien Mitte April 1974 in den USA auf dem London Records Label, in Deutschland bei Nova Records, beide Labels dem Decca-Konzern zugehörig. Wie schon im Vorfeld erwartet, erwies sich das neue Werk besonders in den Staaten als recht erfolgreich, und so tourten Savoy Brown erneut vor allem in den USA, um "Boogie Brothers" zu promoten. Die Platte erreichte Rang 101 in den Billboard Charts und hielt sich dort für acht Wochen. Entgegen bisheriger Veröffentlichungen der Band entschied sich Decca Records in England, die Platte dort nicht mehr als Deluxe-Veröffentlichung im FOC-Format (aufklappbar) zu genehmigen und sie lehnte auch eine Single-Veröffentlichung von "Everybody Loves A Drinking Man" in England ab. Durch das Fehlen einer Single verkaufte sich jedoch auch das Album relativ schlecht, was schliesslich dazu führte, dass sich Decca Records von weiteren Albenveröffentlichungen in England distanzierte. "Boogie Brothers" war die letzte LP der Gruppe, die noch in ihrer alten Heimat England veröffentlicht wurde. Die Besetzung mit drei Gitarristen hielt nicht einmal ein Jahr. Stan Webb und Miller Anderson stiegen im Februar 1975 aus und gründeten die leider erfolglose Rockband Broken Glass, die auch ein ganz tolles Album veröffentlichte, das jedoch komplett unterging. Eric Dillon und Jimmy Leverton verliessen schliesslich ebenfalls die Band, um fortan als Studiomusiker zu arbeiten, was Kim Simmonds erneut vor das Problem stellte, eine komplett neue Band aufzustellen, denn ans Aufhören dachte er keineswegs und wenn man bedenkt, was er dem "Boogie Brothers" Projekt folgen liess, brauchte man sich kaum Sorgen zu machen um weitere, tolle Musik der Gruppe Savoy Brown.
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