Oct 16, 2019


ELVIS PRESLEY, CARL PERKINS, JERRY LEE LEWIS, JOHNNY CASH -
Million Dollar Quartet
(State Of The Art Records 81212, 2017 - Originalaufnahmen von 1956)

"Million Dollar Quartet" ist ein Album mit Aufnahmen, die am 4. Dezember 1956 in den Sun Studios gemacht wurden, als der ehemalige Sun-Künstler Elvis Presley mit den Sun-Musikern Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash eine Jamsession veranstaltete. Dass es dazu kam, ist vor allem einigen glücklichen Zufällen und Sam Phillips zu verdanken. Am Anfang der Geschichte stand eine reguläre Aufnahme mit einer ungewöhnlichen Zutat. Denn Sam Phillips, der Mann mit dem Riecher für grosse Talente, hatte eben ein neues entdeckt, mit dessen Hilfe er frischen Wind in den bereits ziemlich erfolgreichen Sun Studio Sound bringen wollte. Jerry Lee Lewis war zu dieser Zeit ein weitgehend unbekannter Klavierspieler, der gerade erst seine erste Single "Crazy Arms" eingespielt hatte. Aber Phillips war überzeugt, dass der junge Musiker vom Land eine grosse Zukunft vor sich hatte. Ausserdem spielte Lewis Klavier, genau das Richtige, um für Abwechslung im typischen Rockabilly Gitarren-Sound zu sorgen.

Also engagierte Phillips Jerry Lee Lewis für die neuesten Aufnahmen von Carl Perkins, "Matchbox Blues" und "Your True Love" im Sun Studio. Angeblich war Lewis, der schon damals ein ziemlicher Dickschädel war, zunächst mässig begeistert von einer solchen Session, aber immerhin war es nicht irgendjemand, sondern Carl Perkins, der seine Dienste suchte. Also begab sich der junge Pianist am 4. Dezember ins Studio, gemeinsam mit Perkins, dessen Brüdern Jay und Clayton und dem Schlagzeuger W.S. 'Fluke' Holland. Am frühen Nachmittag des 4. Dezember 1956 erschien der ehemalige Sun-Künstler Elvis Presley, der bei RCA Records unter Vertrag stand, mit seiner Freundin Marilyn Evans, um seinen alten Kollegen einen Besuch abzustatten. Presley hatte sich mit fünf Nummer 1 Singles und zwei Nummer 1 Alben innerhalb der letzten zwölf Monate zum gefragtesten Rock'n'Roll-Star hochgearbeitet und war vier Monate vorher in der Ed Sullivan Show aufgetreten, die einen Marktanteil von 83 Prozent mit etwa 55 Millionen Zuschauern erreichte.

Während eines Gesprächs mit Sam Phillips hörte Presley im Hintergrund Perkins’ Aufnahmen, die ihm gefielen, und entschied sich spontan, ein wenig mitzuspielen. Philips liess die Aufnahme weiterlaufen und hielt so die Jamsession fest. Kurz darauf gesellte sich Johnny Cash, der bereits einige Hits in den Country-Charts hatte, zu den restlichen Musikern. Laut Cashs Autobiografie soll er sogar als erster der Musiker an diesem Tag im Studio gewesen sein. Sam Phillips nutzte die Gelegenheit und benachrichtigte die regionale Tageszeitung Memphis Press-Scimitar, die unter anderem den renommierten Journalisten Bob Johnson schickte. Am folgenden Tag erschien Johnsons Artikel mit dem Titel "Million Dollar Quartet" und dem Foto, das später die Veröffentlichungen der Aufnahmen zierte.

Auf den meisten Aufnahmen kann man Presley als Leadsänger und Pianisten hören, während die anderen ihn lediglich begleiten. Carl Perkins begnügte sich mit der Leadstimme bei "Keeper of the Key", spielte grösstenteils die Gitarre und sang oft als Hintergrundstimme mit. Clayton Perkins, Jay Perkins und W.S. Holland sind hauptsächlich bei den ersten Songs zu hören, ebenso wie Charles Underwood als Rhythmusgitarrist. Bei einigen Gesangsparts ist zudem Cliff Gleaves zu hören, der mit Presley ins Studio gekommen war. Jerry Lee Lewis singt häufig mit Presley im Duett und übernimmt gegen Ende das Klavierspielen. Johnny Cash ist nicht eindeutig herauszuhören. Laut Bob Johnson soll Cash bei "Blueberry Hill" und "Isle Of Golden Dreams" zu hören sein, was 1972 von Carl Perkins bestätigt wurde, der sagte, man habe mit Cash "Blueberry Hill", "Island Of Golden Dreams", "I Won't Have To Cross The Jordan Alone", "The Old Rugged Cross", "Peace in the Valley", "Tutti Frutti" und "Big Boss Man" gesungen. Von diesen Liedern wurde jedoch nur "Peace in the Valley" auf dem Originalalbum veröffentlicht. In Cash's Autobiografie heisst es zudem, er habe weit vom Mikrophon entfernt gestanden und zudem höher gesungen als sonst, um Presley besser begleiten zu können.

Die Songauswahl der Stars mag ein wenig überraschen. Denn bis auf gelegentliche kurze Ausflüge in Rock’n’Roll-Gefilde, vor allem Chuck Berry Songs, beschränkten sich die Musiker in erster Linie auf Gospel und Country, ihre Wurzeln gewissermassen. So umfasste die Playlist unter anderem auch "Jesus Walked That Lonesome Valley" und "I Shall Not Be Moved", genauso wie "Jingle Bells" und "Don’t Be Cruel". Die meiste Zeit übernahm Elvis die Leadstimme. Am Klavier löste ihn irgendwann Jerry Lee Lewis ab, der mit seiner typischen Offenheit auf Elvis' Kommentar "The wrong man’s been sitting here on this piano" antwortete: "Well, I been wanting to tell you that all along". Wessen Stimme jeweils noch im Hintergrund zu hören ist, darüber streiten sich Musikhistoriker, Journalisten und Zeitgenossen bis heute. So gibt es Aussagen, dass Johnny Cash nur eine Stunde anwesend war und dann fuhr, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen, ohne jemals mit auf's Band zu kommen. Andere behaupten, der Countrystar habe bei mindestens 8 Stücken mitgesungen, aber weit vom Mikrofon gestanden. Jerry Lee Lewis dagegen meint, Cash konnte als Baptist die Texte der Gospelsongs nicht - Perkins auch nicht, aber der habe trotzdem einen guten Job gemacht, für einen Baptisten.

Wie auch immer, dass diese Session am 4. Dezember 1956 etwas Besonderes war, war auch den vielen Zeitgenossen klar, die spontan im Sun Studio vorbeikamen, manche davon brachten ihr Instrument mit, andere ihre Kinder. Bob Johnson, der nicht mitbekommen hatte, dass Phillips ein Band mitlaufen liess, schrieb am nächsten Tag: "If Sam Phillips had been on his toes he’d have turned the recorder on when that very unrehearsed but talented bunch got to cutting up. That quartet could sell a million". Damit war der Ausdruck "Million Dollar Quartet" geboren. Veröffentlicht wurden die Aufnahmen übrigens erst in den 80er Jahren das erste Mal. Das Musical "Million Dollar Quartet" erzählt die Geschichte der berühmten Session seit 2007 auf der Bühne nach, mit einigen künstlerischen Freiheiten.

Shelby Singleton, mittlerweile Inhaber der Plattenfirma Sun Records, die viele Sun-Aufnahmen in den 80er Jahren wiederveröffentlichte, war der erste, der Aufnahmen der Jamsession herausbrachte. Das 17 Songs umfassende "Million Dollar Quartet" erschien 1981 in Europa und beinhaltete lediglich Gospel-Aufnahmen. Mit der Entdeckung neuer Aufnahmen stieg das öffentliche Interesse an einer möglichst kompletten Veröffentlichung. So erschien 1987 "The Complete Million Dollar Session", die 1990 von RCA Records in den Vereinigten Staaten als "Elvis Presley - The Million Dollar Quartet" veröffentlicht wurde. 2006 erschien die bislang kompletteste Version zum 50. Jubiläum der Aufnahmen, die zudem die Aufnahmen chronologisch ordnet. Diese enthält sechs zusätzliche Stücke, beziehungsweise zwölf Minuten bisher unveröffentlichtes Material.




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