Nov 20, 2017


CARAVAN - In The Land Of Grey And Pink (Deram Records SDLR1, 1971)

Caravan waren eine britische Band, deren Stil als Progressive Rock, Art-Rock und auch Avantgarde-Rock klassifiziert wurde. Am treffendsten war wohl die herkunftsbezogene Angabe 'Canterbury Sound', da Caravan sich 1967 aus dem dicht gewobenen Netz jener stilbildenden Musikszene in Canterbury formierte, die auch die Gruppen Soft Machine, Matching Mole und Hatfield And The North hervorbrachte und in der Musiker wie Kevin Ayers, Hugh Hopper, Robert Wyatt und der aus Australien stammende Daevid Allen wichtige Kristallisationspunkte darstellten. Urmutter der Canterbury-Szene war die 1963 gegründete Gruppe Wilde Flowers, die sich im Juni 1967 auflöste. Ihr hatten bis 1966 schon einige Gründer von Soft Machine angehört (Robert Wyatt, Kevin Ayers und Hugh Hopper). Vier der verbliebenen Wilde Flowers Mitglieder gründeten Anfang 1968 dann Caravan, nämlich der Gitarrist Pye Hastings, Bassist Richard Sinclair, dessen Cousin Dave Sinclair an den Keyboards sowie Richard Coughlan am Schlagzeug. Die erste Besetzung von Caravan war mit diesen vier Mitgliedern komplett und im Oktober 1968 erschien die Debüt-LP "Caravan" mit allerdings nur mässigem und zunächst nur auf Grossbritannien beschränkten Erfolg. Durch Rundfunk-, Fernseh- und Festivalauftritte gelang es der Gruppe jedoch zunehmend, auf sich aufmerksam zu machen und auch auf dem Kontinent immer mehr Anhänger zu gewinnen.

Mit den bis zum Juli 1971 erschienen weiteren Alben "If I Could Do It All Over Again, I'd Do It All Over You" sowie "In The Land Of Grey And Pink" gelang der endgültige Durchbruch. Die drei ersten LPs galten in der Folge als jene, die den klassischen Caravan-Sound authentisch repräsentierten: Witzige Texte, eingängige, dabei aber nicht simple Themen, Jams, die eine halbe LP-Seite einnehmen konnten, mit jazzigem und zum Teil psychedelischem Einschlag. Musik, die im Vergleich mit Soft Machine eher auf Easy Listening ausgerichtet war. Charakteristisch waren dabei David Sinclair's Spiel an der Orgel und Pye Hastings' Gesang. "In The Land Of Grey And Pink" erschien im Jahre 1971 bei Deram Records und gilt bis heute als Klassiker des Canterbury Sound. Das Album wurde von Ende 1970 bis Anfang 1971 in den A.I.R. London Studios und den Studios von Decca Records aufgenommen und im September 1971 über das zu Decca gehörende Label Deram veröffentlicht.
"In The Land Of Grey And Pink" war das letzte Album Caravans in Originalbesetzung, da Dave Sinclair die Band noch 1971 verliess und dann zunächst mit Robert Wyatt weiterarbeitete. Pye Hastings zufolge soll Sinclair mit den Einkünften bei Caravan unzufrieden gewesen sein. Caravan spielten auf dem Album melodiösen, vom Canterbury Sound geprägten Progressive Rock. Die Gitarre stand gegenüber den weiteren sounddominierenden Instrumenten wie Orgel, Flöte und Saxophon eher im Hintergrund, es fanden sich Einflüsse aus Folk, Easy Listening und Improvisationsmusik. Die humorvollen Songtexte und das Artwork waren von pastoralen und phantastischen Motiven durchzogen.

Das zentrale Stück dieses Albums war sicherlich "Nine Feet Underground", das die ganze zweite Seite der LP einnahm, ein echtes Meisterwerk. Dabei war es von seinem Aufbau her eigentlich gar nicht besonders komplex, es war letztlich ein 23 Minuten dauerndes perfektes Zusammenspiel der vier Musiker, wobei vor allem David Sinclair's wilde Ausbrüche am Synthesizer und Richard Sinclair's Gesang hervorstachen, während die Gitarre, wie bei allen frühen Caravan-Werken, keine besonders dominante Rolle einnahm. Die Musik wurde insgesamt sehr relaxt vorgetragen, die Melodien wurden lässig aus dem Ärmel geschüttelt. Das wirkte im ersten Moment vielleicht etwas unspektakulär, und das war es weitestgehend auch. Erst am Ende von "Nine Feet Underground" wurde die Musik zunehmends dynamischer und rockiger, auch durch das in den Vordergrund drängende Gitarrenspiel. Die gebotene Musik zog den Zuhörer jedoch trotzdem in seinen Bann, da sie sehr fliessend und angenehm wirkte. Man musste sich einfach treiben lassen, dann konnte man die Schönheit dieser Musik erleben. Dafür zeichnete in erster Linie David Sinclair mit seinem tollen Orgelspiel verantwortlich, der in langen Exkursionen den Hörer mit auf eine wundervolle Klangreise nahm. Kurze, aber heftige Einsprengsel an Saxophon und Flöte lockerten das Ganze immer wieder auf. "Winter Wine" und "Nine Feet Underground" waren letztlich die zeitlosen Highlights dieser Platte.
"In The Land Of Grey And Pink" konnte sich zwar nicht in den Charts platzieren, verhalf der Gruppe Caravan aber dennoch zum Durchbruch. Heute gilt das Album als Meisterwerk der Band und zeitloser Klassiker des typischen 'Canterbury Sound'. Das Musikmagazin Eclipsed urteilte, das Album lebe von einem Wohlfühlfaktor, der einen in Staunen versetzt und wählte es auf den 31. Platz seiner Liste der 150 wichtigsten Progressive Rock Alben. Im Juni 2015 wählte das renommierte Fachblatt Rolling Stone das Album auf Platz 34 der 50 besten Progressive Rock Alben aller Zeiten. "In The Land Of Grey And Pink" wurde 1989 erstmals auf CD veröffentlicht. Remasterte Versionen mit unveröffentlichten Bonustiteln und alternativen Versionen erschienen 2001 und 2011, letztere mit einem Surround-Mix von Steven Wilson.

Ab Mitte 1971 liessen sich häufige Wechsel der Gruppenzusammensetzung registrieren; als Konstanten im Line-Up erwiesen sich lediglich Hastings und Coughlan, amüsant nachzuvollziehen auch anhand des kommentierten Canterbury Family Tree, der 1977 dem Soft Machine-Album "Triple Echo" beigelegt worden war. Die musikalische Ausrichtung von Caravan veränderte sich seitdem nach Auffassung von vielen Fans und Kritikern, insbesondere nach dem vierten Album "Waterloo Lily" vom Mai 1972, eher zu ihren Ungunsten. Support Act Auftritte für Slade und Status Quo in Australien liessen eine teilweise Hinwendung zu konventionellen Songstrukturen ratsam erscheinen. Trotzdem bewältigte die Band ihren Spagat zwischen kunstvollen Instrumentalpassagen und den weltlichen Erfordernissen des Rockgeschäfts meist recht gut. Das Album "Cunning Stunts" konnte sich in Grossbritannien immerhin auf Position 50 der Album Charts vorkämpfen und erreichte in den USA Platz 124. "Blind Dog At St. Dunstan's" brachte es noch einmal auf Platz 53 in den britischen Charts.

Im Jahre 1978 lösten sich Caravan das erste Mal offiziell auf, um seit 1980 in erneut veränderter Zusammensetzung mehrfach wieder aufzuleben, nun überwiegend als Live-Band. Dabei traf zwischenzeitlich auch die Ausgangsformation wieder zusammen. 2006 traten Jim Leverton und Geoffrey Richardson als Mitglieder der Band von Paul Roland auf dessen Album "Re-Animator" auf. Caravan galten zwar als Wegbereiter des typischen 'Canterbury Sound', sie selbst jedoch variierten bereits kurz nach dem Etablieren dieses Stils jedoch immer wieder mit ihren vorgelegten Stilmerkmalen, sodass sie letztlich auch die Ersten waren, die diesen Stil kontinuierlich weiterentwickelten und manchmal dabei sogar ziemlich weit weg drifteten.
"In The Land Of Grey And Pink" bleibt indes so oder so eines der wichtigsten und wohl auch schönsten Canterbury-Alben überhaupt, das sich auch heute noch lohnt, zu entdecken.



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