I SEE HAWKS IN L.A. - Live And Never Learn
(Western Seeds Record Company WSR CD-013, 2018)
I See Hawks in L.A. schwebten recht sorgenfrei durchs erste Jahrzehnt ihres Bestehens, aber im Jahre 2018 kamen sie aus einer Phase, in der sie sich mit Sterblichkeit, grossen Entscheidungen und dem langsamen Verlust der Möglichkeiten der Jugend befassen mussten. Die Veröffentlichung ihres Debütalbums am 11. September 2001 (!) lag fast 17 Jahre zurück. Seitdem wurden die Bandmitglieder weder reich noch berühmt, aber sie waren noch immer da und sehr aktiv, vielleicht künstlerisch gestärkt von dem steinigen Weg, den sie zurückgelegt hatten, den Erfahrungen einer geschundenen Seele. Eines schien klar: Es ging den Hawks immer vor allem um die Musik, um ihre Freundschaft zueinander und um das darin zu entdeckende Abenteuer.
"Live And Never Learn" war das erste Hawks-Album seit "Mystery Drug" von 2013. In den fünf dazwischen liegenden Jahren starb Rob Waller's Mutter an Krebs; Paul Lacques hatte im zurückliegenden Jahr gar beide Eltern verloren. Viele der Songs auf "Live And Never Learn" wurden geschrieben und aufgenommen, während sie mit der Trauer und mit anderen Herausforderungen, die einen besseren Ausgang nahmen, kämpften. Von den Hawks kam dann die Message an alle Fans, die ihre Eltern verloren hatten: "Wir verstehen Euch. Wir wissen jetzt, wie das ist". Ihre Familien, gute Freunde und die Musik halfen der Band, diese Schicksalsschläge zu überstehen, sowohl persönlich als auch künstlerisch. Das Songwriting von Waller/Lacques wurde von Beiträgen von Bassist Paul Marshall und Drummer Victoria Jacobs ergänzt. Ein Song, der rockende "King Of The Rosemead Boogie", enthielt verdrehte textliche und spirituelle Beiträge von Mitgliedern der Band Old Californio.
Zwei Songs, "White Cross" und "Singing In The Wind", entstanden als Co-Kompositionen per E-Mail mit Peter Davies von der britischen Band Good Intentions. Mit verhallten Telecaster-Gitarren, präzisem Bass und Harmoniegesang hatten sie den typischen Hawks-Sound, aber die Songtexte nahmen den Zuhörer mit von Memphis zu den Mooren von Nordirland. "Last Man In Tijuana" brachte den Zuhörer dann wieder zurück zu den vertrauteren Gefilden der Berge Kaliforniens. Der Song, den die Hawks vor einigen Jahren schrieben, erzählte die Geschichte einer Trennung übers Mobiltelephon, während die Flammen näherkamen. Er passte gut auf das Album, weil Marshall sein Haus in Tujunga im Herbst 2017 gleich zweimal verlassen musste. "Meine Zeit war fast abgelaufen", sagte er, "als die Flammen vor dem Tor loderten".
In vielen Songs des Albums ging es um die persönlichen Probleme der Musiker. "Poor Me" befasste sich mit dem ernsten Thema des Selbstmitleids eines Alkoholikers, aber es wurde mit dem Humor, den jeder Hawks-Fan kennt, präsentiert. Dave Zirbel steuerte Pedal Steel zu diesem Abschiedssong an den Alkohol bei, während Waller "I better not have no more" sang. Zirbel traf den emotionalen Kern vieler Songs auf diesem Album mit seinem subtilen und überraschenden Spiel. Drummer Victoria Jacobs hatte einen nachdenklichen Song über das Vergehen der Zeit geschrieben; "Spinning" erwies sich als ein kleines Meisterwerk psychedelischer Folkmusik. Nachtgedanken und aussergewöhnliche Bilder zogen durch diesen wunderschönen Song. In "My Parka Saved Me" sang Jacobs über ihren Frontalzusammenstoss als Teenager an einem Winternachmittag auf Lake Michigan. Der Doo Wop Gesang der Hawks, 50er Jahre-Akkorde und Danny McGoughs süsse Orgel sorgten in dieser Geschichte für eine sanfte Landung.
Auch Hawks-typische Themen fanden sich auf dem Album. "Planet Earth" und "Ballad For The Trees" belegten den langjährigen Einsatz der Band für die Natur. "Stoned With Melissa" war eine weitere Marijuana-Hymne der Hawks, allerdings mit einer realistischen, traurigen Wendung. "King Of The Rosemead Boogie" stellte einen Helden des San Gabriel Valley in all seiner (oder ihrer) Pracht vor. Um Reue und die Dualität von Erde und Geist ging es in "Isolation Mountains" und "Tearing Me In Two", die von der Fiddle des langjährigen Bandfreunds Dave Markowitz und dem innovativen Akkordeon von Richie Lawrence getragen wurden. Die Band beendete ihre Aufnahmen und liess sie vom fünffachen Grammy-Gewinner Alfonso Rodenas (Los Tigres del Norte), der auch schon Mystery Drug und andere Paul Lacquer-Projekte gemischt hatte, abmischen. Als die Mixdowns zurückkamen und toll klangen, brandete Optimismus bei den Hawks auf - vielleicht irrational, vielleicht aber auch das nötige Heilmittel in den USA. Auf "Live And Never Learn" klangen I See Hawks In L.A. jedenfalls besser als je zuvor.
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