LES VARIATIONS - Take It Or Leave It (EMI Pathé Records 2C 064-12628, 1973)
Die französische Band Les Variations wurde im Jahre 1966 von Alain Tobaly gegründet. Sie spielte in ihrer Anfangsphase durchwegs Coverversionen bekannter Rock'n'Roll Epigonen wie beispielsweise von Little Richard, Chuck Berry, Elvis und den Rolling Stones. Einzige Veröffentlichung in ihrer Frühphase war 1967 eine Single mit den zwei Coversongs "Spicks And Specks" (von Bobby Bland) mit der B-Seite "Mustang Sally" (von Mack Rice). Zu dieser Zeit tourte die Gruppe intensiv durch ganz Europa und schuf sich relativ schnell einen Namen als tolle Partyband, die mit ihrem Repertoire und den dynamischen Coverversionen aus Beat, Blues, Pop und Rock einem ständig wachsenden Publikum zu gefallen wussten. 1969 unterzeichneten sie in Frankreich einen Plattenvertrag bei EMI/Pathé Records und begannen mit der Einspielung ihrer ersten Platte "Nador" auch, eigene ganz ausgezeichnete Songs zu verfassen. Les Variations war die erste und zu ihrer Zeit wohl auch die populärste Rockband in Frankreich, die ihre Songs durchwegs englisch sang. Ausserdem punktete sie in Frankreich als grossartige Live-Band mit viel Power und verkaufte ihre Musik entsprechend gut. Sie waren auch die erste Band aus Frankreich, die einen Plattenvertrag mit einem amerikanischen Label abschliessen konnte, weshalb ihre LP's auch in den USA veröffentlicht werden konnten. Ihr Sound bewegte sich in einer guten Balance zwischen den bekannten Acts The Rolling Stones, The Who und Led Zeppelin, wobei die Gruppe aber auch stets den weicheren, teils akustisch vorgetragenen Balladen grosse Beachtung schenkte.
Drei der originalen Bandmitglieder waren marokkanischer Abstammung: Joe Leb war der Sänger, Marc Tobaly der Gitarrist und Isaac Bitton spielte das Schlagzeug. Viertes Bandmitglied war Jacques "Petit Pois" Grande, ursprünglich aus Italien. Später kamen mit dem Franzosen Michel Chevalier als Ersatz für Joe Leb und dem Tunesier Robert Fitoussi weitere Musiker hinzu. 1972 gelang es Alain Tobably, mit Doug Yeagar und Charles Benanty von Applewood Productions in New York eine musikalische Partnerschaft einzugehen, welche es der Band ermöglichte, in den USA sowohl Konzerte zu bestreiten, wie auch in Lizenz ihre Platten zu veröffentlichen. Während die Gruppe in Amerika ständig Konzerte bestritt und auch Aufnahmen tätigte, erwies sich die Zusammenarbeit mit Doug Yeagar als äusserst erfolgreich. Die einzige, von der Band jemals eingespielte französisch gesungene Aufnahme "Je Suis Just Un Rock'n'Roller" entpuppte sich als ihr grösster Hit, wurde als Single sowohl in den USA wie auch in Frankreich sehr gut verkauft. Aufgenommen in Cincinnati's '5th Floor Recording Studios' erreichte die Single Platz 7 in den französischen Pop Charts. Dieser erneute Popularitätsschub ermöglichte es der Gruppe, ihr nächstes Album 1973, das Werk "Take It Or Leave It" in den renommierten Arden Studios in Memphis mit dem Top-Produzenten und Musiker Don Nix einzuspielen.
Die zehn Songs des Albums, von denen bis auf eine Ausnahme alle aus der Feder von Gitarrist Marc Tobaly stammten, überzeugten durch ihre kompositorisch sehr ausgereifte Qualität, wirkten keineswegs "fremd" im amerikanischen Umfeld, wo sie aufgenommen worden waren und entpuppten sich als durchaus konkurrenzfähig. Parallel zum Album wurde auch eine Single eingespielt, dessen A-Seite sich nicht auf dem Album fand, nämlich der Song "Only You Know (And I Know)", geschrieben von Dave Mason. Auch bei dieser Coverversion zeigte die Gruppe Les Variations, dass sie durchaus ihren eigenen Sound selbstbewusst bei einem Coversong anwenden konnte, sodass dieser eine eigene Note bekam, die sich hinter der originalen Version von Dave Mason überhaupt nicht zu verstecken brauchte.
Die Platte glänzte einerseits durch ihre hervorragende, sehr transparent gehaltene, niemals überbordende Produktion, bei der Don Nix wohl die absolut perfekte Wahl als Produzent gewesen war. Andererseits war auch die Ausrichtung der Songs nicht ausschliesslich amerikanisch, sondern griff besonders in den eher melancholischen Momenten stets auf charmante französische Sprenkel zurück, etwa bei "All I Want To Know", einer träumerisch-schwelgerischen Rock-Ballade, die ich zum Schönsten zähle, was Les Variations überhaupt aufgenommen haben. Daneben sind es aber vor allem die Rocker, die zu begeistern vermögen, wie der Opener "Silver Girl", das erdige "Rock'n'Roll Jet" oder der ultraschnelle, augenzwinkernd bei Ten Years After's "Goin' Home" abgekupferte Boogie "Take The Time To Live", das dem Gitarristen Marc Tobaly genau die Plattform bot, sich als toller Gitarrist absolut überzeugend in Szene zu setzen. "I Need Somebody" und das vom Schlagzeuger Jackie Bitton verfasste "C'Mon Joe" sind weitere Höhepunkte auf diesem tollen und sehr unterhaltsamen Album, das absolut keinen mittelmässigen Song bietet.
Ein knappes Jahr später waren Les Variations die erste französische Rockband, die einen amerikanischen Plattenvertrag unterzeichnen konnte (bei Buddha Records). Sie erweiterten ihr musikalisches Repertoire etwa um leichte nordafrikanische Einflüsse, die vor allem dazu beitrugen, dass der Gesamtsound der Band vom Rock'n'Roll hin zu recht groovigem Pop-Rock heranwuchs. Diesen erweiterten Stil präsentierte die Band auf zwei weiteren Platten, nämlich "Moroccan Roll" (1975) und "Café De Paris" (1975). Dieser Stilmix beeinflusste nicht wenige Bands in den USA und Europa, und trotzdem blieben diese beiden Alben letztlich relativ unbekannt, was sehr schade ist, denn beide sind genauso hörenswert wie die "Take It Or Leave It", die mir persönlich jedoch noch etwas besser gefällt, weil sie gradlinig rockt und von einer gewissen Aufbruchstimmung lebt, die eine Band zeigt, die einfach Freude am Musizieren hat und top motiviert bei der Sache ist. Erfolgreich war die Band in den USA jedoch weiterhin. Mit dem Einzug von Maurice Meimoun, einem französisch-tunesischen Geigenspieler arabischer Musik, erreichte die exotische Note in der Musik von Les Variations ihren Höhepunkt, was in einem respektablen Einzug der Platte "Café De Paris" in den Billboard Top 200 Album Charts resultierte und einen veritablen Single-Hit mit dem Stück "Superman, Superman" abwarf, das bis auf Rang 36 in den amerikanischen Pop Charts stieg.
Robert Fitoussi, der für Joe Leb den Posten des Sängers übernommen hatte, entschloss sich im Sommer 1975, die Band zu verlassen, um eine eigene Karriere zu starten. Er würde sich dabei F.R. David nennen und mit dem Song "Words" einen Welt-Hit des seichten Pop landen. Trotz ansehnlicher Plattenverkäufe und erfolgreicher Konzerte verabschiedete sich die Gruppe von der Bildfläche nur Monate später, zwei Wochen nach einem letzten Auftritt am 7. Dezember 1975 in der Academy Of Music in Philadelphia.
1977 reformierten sich Les Variations für kurze Zeit anlässlich einer legendären Aufnahme-Session für CBS Records International. Das Resultat war die Single "Shalom, Salem Aleicum", welche Richie Havens mit Les Variations veröffentlichte und die im Mittleren Osten einschlug wie eine Bombe, in Israel, Ägypten und Jordanien gar den ersten Platz in den Charts erreichte. Beim Song handelte es sich um eine Friedensbotschaft zwischen Anwar Al Sadat und Israel. 2009 fand schliesslich ein Tribut-Festival zu Ehren der Band Les Variations statt: 250'000 begeisterte Fans feierten am "Boulevard Rock Music Festival" in Casablanca, Marokko, die Band als die Väter der "Moroccanroll Music".
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