WHISKEY HOWL - Whiskey Howl (Warner Brothers Records WSC 9012, 1972)
Der Bluesrock hatte in Kanada eine lange Tradition, und dies schon ab Mitte der 60er Jahren. In den frühen 70er Jahren waren überall regionale und überregionale Bands sehr aktiv und auch recht erfolgreich unterwegs. Vancouver hatte die Lokalmatadoren Powder Blues, Halifax feierte die Band Dutch Mason, in Montreal waren Offenbach die grossen Stars und Winnipeg hatte Big Dave McLean, der das Publikum mit dem 12-Bar Blues begeisterte. Ganz besonders beliebt und als eigentliches kanadisches Bluesmekka bekannt war Toronto, dem seine geographische Nähe zu den amerikanischen Blues-Stätten Chicago und Detroit zugute kam. In Toronto traten schon früh jene bekannten amerikanischen Blues- und Bluesrock-Bands auf, die in den USA populär waren. Sie alle kamen meistens auf einen Abstecher nach Toronto, wenn sie im Verlaufe ihrer Tourneen auch Kanada auf dem Spielplan hatten. Es entstanden nach und nach auch sehr gute musikalische Beziehungen zwischen den beiden Staaten, insbesondere aber zwischen Musikern aus Chicago und Detroit und dem kanadischen Toronto. Drei der frühesten und populärsten Bluesbands aus Kanada kamen aus Toronto und der benachbarten Stadt Hamilton: die Downchild Blues Band, McKenna Mendelson Mainline und Crowbar mit King Biscuit Boy wurden bis nach Deutschland bekannt, wo man ihre Platten ebenfalls sehr schätzte.
In dieses sehr aktive kanadische Blues-Milieu kamen auch die Musiker der Band Whiskey Howl. Gegründet im Jahre 1969, also schon relativ spät, stammten die Mitglieder der Band Whiskey Howl aus den umliegenden Dörfern um Toronto, schufen sich aber nach und nach einen richtig guten Ruf in der regionalen Blues- und Bluesrock-Szene. Angeführt vom tollen Bluesharp spielenden John Bjarnason, konnten Whiskey Howl unter anderem für Led Zeppelin und zahlreiche amerikanische Blues-Veteranen Opening Gigs bestreiten, von welchen jener mit John Lennon's Plastic Ono Band der vielleicht Spektakulärste war, denn dort standen Whiskey Howl einerseits vor, andererseits aber auch mit John Lennon's damaliger Ferak-Band auf einer Bühne bei der historischen Toronto Rock & Roll Revival Show.
John Bjarnason war einer der frühesten Vertreter der Bluesenthusiasten Toronto’s, er studierte den typischen Mundharmonika-Style etwa eines Muddy Waters oder Howlin’ Wolf und präsentierte sein Talent in der Colonial Tavern an der Yonge Street in Toronto. Zwei lokale Musiker boten ihm dabei professionellen Unterricht an, als sie sein Talent erlebten. Bjarnason erinnerte sich: "I got my background in the blues from Chris Whiteley, who I went to school with at Don Mills Collegiate. The first band I play in was actually called the Don Mils Blues Band, which was just a neighborhood group". Zuvor genoss Bjarnason in Yorkville's Hippie Haven ausserdem Gitarrenlektionen von Joe Mendelson (McKenna Mendelson Mainline). Bjarnason’s nächste Band, genannt The Back Door, konnte durch die erlangten Fähigkeiten schon sehr bald auch in grösseren Locations auftreten, wie beispielsweise dem Broom & Stone, zusammen mit lokalen Grössen wie Shawne oder Jay Jackson & The Majestics. Whiskey Howl entstanden letztlich aus Bjarnason's damals populärer Yorkville Band Sherman & Peabody. Neben Bjarnason und dem Gitarristen Peter Boyko war auch ein solider Sänger namens John Witmer dabei, welcher den Basisten Gary Penner und den Schlagzeuger Ron Sullivan aus seiner ehemaligen Gruppe aus Downsview mit dem Namen Harry’s Blues Band mitbrachte.
Mit diesem aktuellen Line Up debutierten Whiskey Howl in Yorkville im Night Owl Coffeehouse am 28. Juli 1969. Noch bevor die Band einen Monat zusammen war, konnte sie als Opening Act für Led Zeppelin spielen, als diese im Rock Pile in Toronto vor ausverkaufem Haus mit 1200 (!) begeisterten Fans aufspielten. Wieder einen knappen Monat später traten Whiskey Howl in John Lennon’s Revival Show im Varsity Stadium auf, als dort auch Alice Cooper seine Aufwartung machte und an jenem Abend einem Huhn den Kopf abhackte. Denkwürdig aus Sicht der Band war auch der Umstand, dass sie an diesem Abend gleich zweimal auftrat, nämlich einerseits als Whiskey Howl und zusätzlich auch noch als Backing Band für den eingeflogenen Rock-Exzentriker Screaming Lord Sutch.
Im Frühjahr 1970 gingen Whiskey Howl ins Tonstudio, um vier Songs aufzunehmen. Zwei davon waren wenig spektakuläre Blues-Standards, zwei davon eigene Kompositionen, die allerdings auch nicht sonderlich attraktiv waren. Von der Gruppe selber finanziert, verblieben diese vier Aufnahmen in den Händen der Band, es wurden ab und zu Demo-Cassetten davon vervielfältigt für Promoter und Konzertveranstalter, aber in den offiziellen Verkauf kamen sie nicht. Durch die Unterstützung des Rockkritikers Ritchie Yorke, der von der musikalischen Qualität von Whiskey Howl überzeugt war und wohlwollende Konzertkritiken in den lokalen und landesweiten Medien schrieb, versuchte die Band im Sommer jenes Jahres zu einem Plattenvertrag zu kommen, was jedoch - noch - nicht gelang. Leider verabschiedete sich in dieser hoffnungsfrohen Zeit des engagierten Aufbruchs ausgerechnet der Harp-Spieler John Bjarnason von der Band. Er wollte keine Musik mehr machen, sondern sich seinem angestammten Beruf als Chiropraktiker zuwenden. Michael Pickett, ein ebenfalls sehr talentierter Blues-Harp Spieler, der in Harry’s Blues Band gespielt hatte, besetzte die vakante Stelle. Es sollten in der Folge aber auch noch weitere personelle Veränderungen folgen, was zu einem schicksalsgleichen Merkmal der Band wurde. Ein Merkmal, an welchem die Gruppe letztlich dann auch auseinanderbrechen sollte.
Den Anfang machte das Gespann Peter Boyko und Gary Penner, sie wurden durch den Gitarristen Dave Morrison und den Bassisten Rick Fruchtman ersetzt. Der nun wieder umgekrempelte Fünfer ging anschliessend ins Eastern Sound Studio, zusammen mit Johnny Sandlin, dem später äusserst erfolgreichen Produzenten etwa der Allman Brothers, plus einer Handvoll eigener Songs und einiger Coverversionen. Die Plattenfirma Warner Brothers gewährte der Gruppe einen relativ grosszügigen kreativen Freiraum, stellte nur sehr wage Bedingungen an das Endprodukt. Schliesslich standen Whiskey Howl zu jenem Zeitpunkt schon ziemlich weit oben in der Hierarchie der kanadischen Bluesszene. Der Verantwortliche des Labels äusserte sich dazu wie folgt: "We don't want to get in your way and stifle your creativity. As long as you're not stark raving maniacs in the studio, we're happy to let you do your thing". Produzent Johnny Sandlin, der da schon in den renommierten Muscle Shoals Studios in Alabama tätig gewesen war, konnte der Produktion daher seinen ganz eigenen Stempel aufdrücken. Und der war einzig und alleine darauf ausgelegt, kein Hochglanz-Produkt einspielen zu wollen. Sandlin sagte: "Don't push it, don't rush the groove". Und so spielten Whiskey Howl ihr Album mit der grösstmöglichen künstlerischen Freiheit und dem damit verbundenen weitgehenden Verzicht auf grössere Studio-Gimmicks oder langwierigen Overdubbing-Geschichten grösstenteil in wenigen Takes ein.
Johnny Sandlin organisierte auch eine Bläsergruppe, bestehend aus den lokalen Grössen Keith Jollymore, Dave Woodward und Phil Alperson, um den Sound von Whiskey Howl auf ein hörbar höheres qualitatives Level zu hieven. Standards wie die Titel "Caldonia", "Early In The Morning" und "Let The Good Times Roll" und eine Downtempo Bluesnummer von Memphis Slim mit dem Titel "Mother Earth" gewannen dadurch an Fülle und Ausdruck. Daneben standen originale Kompositionen der Band wie "Down The Line" und "Jessie’s Song", die durch ein rootsiges Gitarrenpicking schon sehr ähnlich wie spätere Allman Brothers Stücke klang, was auch die Mundharmonika und der Gesang von "One Hot Lady" verriet. Die beiden absoluten musikalischen Höhepunkte auf dem Album waren sicherlich das von der Band komponierte "Pullin' The Midnight" mit exzellenten Soli von Michael Pickett und Johnny Sandlin, sowie die Coverversion von Leadbelly's "Rock Island Line". Das war schon eine sehr ungewöhnliche Idee, einen ausgewiesenermassen elektrischen Blues-Standard als vierstimmige Acapella-Nummer aufzunehmen. Das Endergebnis war aber einfach faszinierend. Pickett meinte dazu später erklärend: "We didn’t think of ourselves strictly as a blues band. None of us were purists. We loved all kinds of music, from Folk and Blues to Jazz and Rhythm'n'Blues. We were very roots-oriented and that always showed in our sound".
Als Whiskey Howl’s selbstbetiteltes Album im Sommer 1972 erschienen war, mit einem Frontcover, das die Band in Blautöne gefärbt auf der Spadina Avenue ausserhalb von Grossman zeigte, wurde die Platte sehr oft in den Radiostationen im ganzen Land vorgestellt und gespielt, auch die Kritiken waren ausgezeichnet. Es folgten Tourneen durch ganz Kanada, zumeist mit Vorgruppen, aber auch als Doppelpack mit anderen populären Acts jener Zeit, wie etwa Dr. Music, der Band Pine oder auch mit der aus Edmonton stammenden recht bekannten Gruppe Pioneer Days. Die Gruppe existierte jedoch trotzdem nur bis 1974, auch, weil sich keine langfristige Vertragsmöglichkeit mit einem Plattenlabel ergab. Warner Brothers verlängerte nicht nach dem Erscheinen des Debutalbums, weshalb es bei diesem einzigen Werk von Whiskey Howl blieb. Reformiert wurde die Gruppe später zweimal, 1976 und 1981, jedoch ohne eine weitere Plattenveröffentlichung.
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