ROXY MUSIC - Roxy Music (Island Records ILPS 9200, 1972)
Roxy Music wurden im Laufe ihrer Existenz zu einer der einflussreichsten Artrock-Bands aus England, deren Stil den Weg für verschiedene aufkommende Musikrichtungen, wie etwa die New Romantic oder auch die New Wave, ebnete. Roxy Music wurden im Jahre 1971 von Bryan Ferry, Andy Mackay und Brian Eno in London gegründet. Nachdem die Urbesetzung um Schlagzeuger Paul Thompson und Graham Simpson am Bass erweitert wurde, fanden Roxy Music im ehemaligen Mitglied der Band The Nice, David O’List, einen namhaften Gitarristen, der jedoch bereits wenige Monate später die Band nach Spannungen mit Thompson wieder verliess. Sein Nachfolger wurde Phil Manzanera, der Roxy Music zuvor bereits als Roadmanager unterstützt hatte. In dieser Besetzung wurde das erste Album "Roxy Music", produziert von Pete Sinfield, eingespielt, das im Juni 1972 erschien und in den britischen LP-Charts bereits Platz 10 erreichte. Eine erste Single, "Virginia Plain", stürmte im August 1972 ebenfalls die englischen Charts und erreichte Rang 4. Rik Kenton hatte für die Aufnahmen zu dieser Single bereits Graham Simpson am Bass abgelöst, doch blieb dies auch seine einzige Veröffentlichung mit Roxy Music. Sein Nachfolger John Porter arbeitete mit der Band auf den folgenden Tonträgern, der Single "Pyjamarama" sowie dem Album "For Your Pleasure". Musikalisch erweiterte die Band mit diesem Album ihre Rock'n'Roll Nostalgie im Stile der amerikanischen Band Sha Na Na, die 1972 noch das eponyme erste Album gekennzeichnet hatte, bald um Einflüsse aus schmalzigem Canzone-Gesang, serieller Musik, Jazz, Kurt Weill und Velvet Underground zu einer überaus eigenwilligen Mixtur.
Anfang Februar 1972 verliess der Gitarrist David O'List, der zuvor bei der Band The Nice gespielt hatte, die Gruppe Roxy Music abrupt nach einer Auseinandersetzung mit Paul Thompson, als die Band eben beim Vorsprechen mit David Enthoven von EG Management war. Als O'List nicht zur nächsten Probe erschien, wurde Phil Manzanera gebeten, mitzukommen, unter dem Vorwand, der Sound-Mixer der Band zu werden. Als er ankam, wurde er dann aber eingeladen, Gitarre zu spielen und erkannte schnell, dass es ein informelles Vorspielen war. Was der Rest der Gruppe nicht wusste war, dass Phil Manzanera klammheimlich das gesamte Repertoire erlernt hatte und sofort als O'List's permanenter Ersatz eingestellt wurde. Manzanera, der Sohn eines englischen Vaters und einer kolumbianischen Mutter, hatte als Kind lange Zeit in Südamerika und insbesondere in Kuba gelebt, und obwohl er nicht den gleichen künstlerischen Hintergrund wie Bryan Ferry, Andy Mackay und Brian Eno hatte, war er vielleicht das kompetenteste Mitglied der Band, mit einem Interesse an einer breiten stilistischen Vielfalt innerhalb der Rockmusik. Phil Manzanera kannte einige bekannte Musiker, zu denen insbesondere auch Robert Wyatt von The Soft Machine gehörten. Zwei Wochen nachdem Manzanera der Band beigetreten war, unterschrieben Roxy Music schliesslich einen Vertrag beim EG Management.
Roxy Music bestand nun in der Besetzung Rik Kenton, Phil Manzanera, Bryan Ferry, Paul Thompson und Andy Mackay. Mit diesem Team finanzierte EG Management die Aufnahme der Tracks für ihr erstes Album "Roxy Music", aufgenommen im März und April 1972 und produziert von dem King Crimson Lyriker Peter Sinfield. Sowohl das Album als auch sein berühmtes Cover-Artwork wurden anscheinend fertiggestellt, noch bevor die Gruppe beim Label Island Records unterschrieb. Der damalige A&R-Mitarbeiter von Island Records Tim Clark berichtete später, dass, obwohl er stark argumentierte, dass Island die Formation unter Vertrag nehmen sollte, der Firmenchef Chris Blackwell zunächst unbeeindruckt von der Gruppe war und Clark nahm an, dass er nicht interessiert sei. Ein paar Tage später aber standen Tim Clark und David Enthoven im Flur der Island-Büros, um Cover-Bilder für das Album zu sehen, als Blackwell vorbeiging, einen Blick auf das Kunstwerk warf und sagte: "Sieht gut aus. Haben sie schon unterschrieben ?" Die Band unterzeichnete ein paar Tage später bei Island Records . Die LP wurde zu einem grossen Erfolg, als sie im September 1972 die Top Ten der britischen Album-Charts knackte. Um die nötige Aufmerksamkeit auf ihr Album zu lenken, beschlossen Roxy Music, eine Single zu veröffentlichen. Ihre Debütsingle war "Virginia Plain", das in den britischen Charts Platz 4 belegte. Das vielschichtige visuelle Image der Band, erstmals auf schrille Art und Weise präsentiert in ihrer Debüt-Performance bei der Sendung Top of the Pops der BBC, wurde zu einem Eckpfeiler für den Glam Rock-Trend in Grossbritannien. Das Video von "Virginia Plain" wurde später von der britischen Comedy-Serie 'Big Train' parodiert. Die Single sorgte für ein erneutes Interesse am Album. Schon bald nach "Virginia Plain" verliess Rik Kenton die Band, die in der Folge nie wieder einen festen Bassisten haben würde.
Im Juni 1973 verliess auch Brian Eno im Streit mit Bryan Ferry die Band und widmete sich fortan Soloprojekten. Sein Nachfolger wurde Eddie Jobson, der nicht nur Synthesizer und Keyboards spielte, sondern auch mit seinen Fähigkeiten an der Violine eine weitere Farbnote in die Musik der Band brachte. Mit Jobson sowie dem festen Studiobassisten John Gustafson entstanden die Alben "Stranded" (1973), "Country Life" (1974) und "Siren" mit dem Single-Hit "Love Is The Drug", der Platz 2 der britischen Charts erreichte (1975). Sie waren nach Ansicht der Autoren des Rocklexikons melodisch weniger innovativ als die Vorgängeralben, sondern funktionierten eher als musikalische Vehikel für Bryan Ferry's Lyrik und seinen manierierten, teils rezitativen, teils Stakkato-artigen Gesang. Die Musikjournalistin Ingeborg Schober bescheinigte Roxy Music dagegen, sie mache weiterhin äusserst differenzierte Musik für Leute, die sich an Feinheiten, Details und Details von Details erfreuen können. 1975 konstatierte die deutsche Musikzeitschrift Sounds dann aber, die Band habe ihre innovative Kraft verloren, Roxy Music wären nicht mehr neu. Nach der Veröffentlichung des Albums "Siren" im Jahre 1975 sollte für vier Jahre kein neues Studioalbum entstehen. Lediglich das Livealbum "Viva! Roxy Music", das Konzertaufnahmen aus den Jahren 1973 bis 1975 vereinte, kam 1976 auf den Markt. In einem am 19. Juni 1976 im New Musical Express veröffentlichten Interview verkündete Bryan Ferry schliesslich die Beendigung der Zusammenarbeit von Roxy Music aufgrund musikalischer Differenzen. Das Rocklexikon verwies in diesem Zusammenhang auf den fehlenden Erfolg der Band auf dem lukrativen amerikanischen Markt: Das Album "Siren" etwa erreichte 1975 nur Platz 30 in den US-Charts.
In der Folgezeit veröffentlichte Bryan Ferry drei Soloalben, mit denen er verstärkt auch in den USA Fuss zu fassen versuchte. Phil Manzanera hatte bereits 1975 mit seiner ehemaligen Band Quiet Sun das Album "Mainstream" eingespielt und gründete mit 801 eine neue Formation, zu der anfänglich auch Ex-Kollege Brian Eno gehörte. Als Solist und mit Unterstützung von 801 spielte Manzanera vier Alben, "Diamond Head", "801 Live", "Listen Now" und "K-Scope" ein. Andy Mackay wurde Produzent der britischen Fernsehserie Rock Follies, die 1976 und 1977 zwei kommerziell erfolgreiche LPs abwarf. 1978 bereiste Andy Mackay die Volksrepublik China und veröffentlichte nach Beendigung dieser Reise das Album "Resolving Contradictions". Ende 1978 trafen sich Ferry, Manzanera und Mackay in den Basing Street Studios in London, um ein neues Album aufzunehmen. Mittlerweile hatte sich in Grossbritannien der populärmusikalische Zeitgeist gedreht. Nach dem Aufkommen von Disco, Punk und New Wave entstanden um 1979 in Grosbritannien Bands in Opposition zur Punk-Bewegung, die Musik machen wollten, wie sie Roxy Music schon ein halbes Jahrzehnt zuvor produziert hatten. New Romantic oder New Wave Bands wie Spandau Ballet, The Human League, aber auch Visage oder Blondie erklärten in Interviews immer wieder, Roxy Music sei ihr musikalisches und popkulturelles Vorbild. Die neue Besetzung von Roxy Music Ende 1978 bestand aus Ferry (Gesang), Manzanera (Gitarre), Mackay (Saxophon), Paul Thompson (Schlagzeug), Paul Carrack (Keyboards), Gary Tibbs und Alan Spenner (beide Bass). Im Frühjahr 1979 erschien das sechste Studioalbum "Manifesto", das es in den US-Charts auf Platz 23 schaffte. Die beiden nachfolgenden Alben "Flesh And Blood" (1980) und "Avalon" (1982) waren kommerziell ebenfalls überaus erfolgreich und trugen dazu bei, ihren Ruf als stilprägende Band zu festigen. Ihnen folgten noch erfolgreiche Tourneen. Musikalisch verzichteten Roxy Music auf die Bizarrerien der ersten Phase und lieferten stattdessen unterkühlte, perfekt produzierte Popsongs von hoher Diskotheken-Tauglichkeit.
1981 gelang der Band mit der anlässlich des Todes von John Lennon eingespielten Coverversion von "Jealous Guy" ihre einzige Platz 1 Notierung in den britischen Charts. Nach Abschluss der letzten Tournee durch die USA löste Bryan Ferry die Band Ende Mai 1983 ein weiteres Mal auf. Nach fast 20 Jahren kam es 2001 zur Wiedervereinigung von Ferry, Manzanera, Mackay und Thompson. Verstärkt durch Gastmusiker wie den Gitarristen Chris Spedding, der mit Ferry bereits in den Jahren 1976 und 1977 zusammengearbeitet hatte, gingen Roxy Music auf Welttournee. Dabei kam es im Juli 2005 auch zu einem Auftritt im Rahmen von 'Live 8'. Roxy Music machten Musik um der Musik willen ('music for the sake of music'), wie Ferry in einem Interview erklärte. Für ein lange erwartetes neues Studioalbum, das sich in Vorbereitung befand, wurden, laut Phil Manzanera bis 2008, bereits 18 Titel eingespielt. Daran war nach den allerersten Alben erstmals auch wieder Brian Eno beteiligt. Das Stück "Love Is The Drug" vom Album "Siren" wurde 2010 in dem Film 'Love and other Drugs - Nebenwirkung inklusive' (mit Jake Gyllenhaal und Anne Hathaway in den Hauptrollen) verwendet. Eine Coverversion kam im Film Sucker Punch vor.
Anders als andere Rockbands ihrer Ära legten Roxy Music von vornherein grossen Wert auf Ästhetik und Stil und waren damit dem allgemeinen Zeitgeist etwa zehn Jahre voraus. Namentlich in den Anfangsjahren führten die Bandmitglieder bei ihren Glam Rock-Auftritten in Leder, Seide, Goldlamé und Federn gekleidet, mit Geschmeide behängt, teilweise karmesinrot oder silberblond gefärbt eine abgefeimte Transvestitenshow auf. Auch bei späteren Auftritten nutzte Ferry etwa mit einer angedeuteten Nazi-Uniform Accessoires aus der Abseite. Diese Form der Ästhetisierung wurde später im New Wave aufgegriffen, weshalb Roxy Music als die klassische Proto New Wave Band galt, auf die nachfolgende Künstler immer wieder Bezug nahmen. So bestand beispielsweise die Gruppe Duran Duran darauf, ihr grösstes musikalisches Vorbild seien Roxy Music gewesen. Das Innencover des Duran Duran Albums "Astronaut", das 2004 erschien, war eine Hommage an Roxy Music, erkennbar am Foto, auf dem die Bandmitglieder sich so ablichten liessen wie dreissig Jahre zuvor Roxy Music auf deren zweitem Album "For Your Pleasure". Auf beiden Fotos standen die Bandmitglieder in ähnlicher Weise mit Gitarre in der Hand nebeneinander. Auch die Band Scissor Sisters liess sich Anfang 2006 in ähnlicher Pose fotografieren und komponierte danach mit Roxy Music einige bislang unveröffentlichte Stücke. Götz Alsmann behauptete, die Tolle, die er seit seinem 15. Lebensjahr trage, sei durch die Frisuren inspiriert worden, die Bryan Ferry und Andy Mackay auf den Fotos im Innencover des ersten Albums Roxy Music trugen.
Bis auf die Alben "Manifesto" und "Avalon" zeigten die Plattencover von Roxy Music Frauen in Unterwäsche oder mit tief ausgeschnittenen Kleidern. Auf dem zweiten Album "For Your Pleasure" posierte Amanda Lear mit einem schwarzen, gezeichneten Puma. Für das Album "Siren" posierte das Model Jerry Hall als blau angemalte Nixe. Nach der Photo-Session für "Siren" wurde Jerry Hall für zwei Jahre Ferry's Lebensgefährtin. Für einen Skandal sorgte 1974 das Cover des Albums "Country Life": Es zeigte zwei Frauen in durchsichtiger Spitzenunterwäsche. Wegen angedeuteter Masturbation und der Durchsichtigkeit der Kleidung, bei der die Schamhaare der Models zu sehen waren, durfte das Album in Irland nicht mit Originalcover in die Plattenläden gestellt werden. Auch in den Niederlanden, in Spanien und den USA wurde das Album zensiert. Feministinnen warfen Roxy Music Sexismus und die Verwendung des weiblichen Körpers als Ware vor. Die Band selbst war auf keinem Cover der Studioalben abgebildet, sondern nur auf den Innenteilen oder auf den Rückseiten. Beim Album "Siren" war die Abbildung der Band eine Bleistiftzeichnung auf der Rückseite. Layout und künstlerische Gestaltung der Albumhüllen galten als wegweisende Designs für die Ära des New Wave.
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