Aug 17, 2020



RICHARD BETTS - Highway Call (Capricorn Records CP 0123, 1974)

Was der Gitarrist der Allman Brothers Band auf dem 1973 erschienenen Meisterwerk "Brothers And Sister" bereits andeutete, setzte er im folgenden Jahr auf seinem ersten Soloalbum konsequent fort: Seine Vorliebe für die Countrymusik. Nicht erstaunlich, denn Richard "Dickey" Betts stammte aus einer musikalischen Familie, in welcher immer Musik gespielt wurde, hauptsächlich Bluegrass, Country, sowie Western Swing. Als Kind bereits an der Ukulele geschult, lernte er später nach und nach auch die Mandoline, das Banjo und die Gitarre zu spielen. Im Alter von 16 Jahren verliess er sein Elternhaus und begann zuerst im Grossraum Florida, mit der Zeit auch entlang der Ostküste und schliesslich im mittleren Westen der USA in verschiedenen Bands Erfahrungen zu sammeln, bevor er im Jahre 1967 zusammen mit seinem späteren Allman Brothers-Gefährten Berry Oakley die Formation SECOND COMING, seine erste eigene Band, gründete. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mit später ebenfalls bekannt werdenden Musikern zusammengespielt und wichtige Erfahrungen gesammelt, beispielsweise in einer Band namens GROUP CALLED THE JOKERS, in welcher ein gewisser Rick Derringer mitmischte und den später zum Hit werdenden Rock-Song "Rock'n'Roll Hoochie Koo" spielte.

1969 traf Richard Betts auf den Gitarristen Duane Allman, welcher sich zu der Zeit einen Namen als hervorragender Studio-Gitarrist geschaffen hatte und daher von Otis Redding's Produzent Phil Walden gefördert wurde. Walden's Idee war, Duane Allman eine kompetente Begleitband zur Seite zu stellen, um dem Gitarristen ein passendes musikalisches Korstett zu verpassen, damit dieser seinen unglaublich virtuosen und hervorragenden Stil, die Gitarre zu spielen, einem breiteren Publikum zugänglich machen kann. Allman's soulig-bluesiger Spielstil war längst in aller Munde. Bei den dafür anberaumten Jam Sessions durch die beiden Allman Brüder Duane und Gregg wurde Berry Oakley als Bandmitglied verpflichtet, der seinen Kumpel Richard Betts gleich mitbrachte. Die Allman Brothers Band war geboren. Bis zum Album "Brothers And Sisters", dem grössten kommerziellen Erfolg der Gruppe, stand der Blues eher im Vordergrund, ausserdem der Hang der Gruppe zu langen Jams auf der Bühne, die manchmal den 30 Minuten-Rahmen locker sprengten (zum Beispiel die Songs "Whipping Post" oder "Mountain Jam". Einer dieser Longtracks stammte aus der Feder von Richard Betts und hiess "In Memory Of Elizabeth Reed", ein locker-flockiger Westcoast-Jam, der öfters mal die 20 Minuten-Marke überschritt und neben dem typisch laidbacken Rock-Sound der Band auch jazzige Elemente aufwies und der heute einen der herausragenden Songs der Band darstellt.

Als Duane Allman 1971 bei einem Motorradunfall ums Leben kam, übernahm Richard "Dickey" Betts die Rolle des Leadgitarristen und die Band schwenkte für die Aufnahmen zum Album "Brothers And Sisters" in eine eher von der Country Rock Musik beeinflusste Richtung, was sich beispielsweise in den später zu Millionen-Hits mutierenden Songs wie "Ramblin' Man" oder dem Instrumental "Jessica", das Dickey Betts seiner 1972 geborenen Tochter Jessica gewidmet hatte, niederschlug. "Jessica" war der grösste kommerzielle Hit der Allman Brothers geworden und es schien nur logisch, dass Richard Betts im Folgejahr, als er mit den Arbeiten zu seinem ersten Solo-Album begann, von diesem Sound inspirieren liess. Besonders das Stück "Ramblin' Man" hätte genauso gut von seinem Soloalbum "Highway Call" stammen können. Auf diesem wundervollen Soloalbum intonierte der Gitarrist und Sänger zusammen mit einer erlesenen Mannschaft ausgebuffter Session Musiker diesen lockeren und fröhlichen Country Rock, der zudem auch noch hervorragend aufgenommen war. Den routinierten Keyboarder Chuck Leavell brachte er gleich von den Allman Brothers mit. Klar, dass die instrumentalen Leistungen der Vollblutmusiker ihresgleichen suchten. Unterstützung bekam Betts noch durch das Country-Gesangstrio The Rambos sowie vom Bluesgrass-Quartett The Poindexters.

Das Album startete mit dem locker groovenden "Long Time Gone". Betts' einzigartige Stimme und seine wunderbar jubilierende Gitarre prägten diese und auch die folgenden Nummern. Das nachfolgende "Rain" war ähnlich angelegt wie "Long Time Gone" und folgte demselben hervorragenden Arrangement-Muster. Auch dieser Song zog den Zuhörer magisch in seinen Bann. Mit "Highway Call " folgte anschliessend der Titelsong der Platte: eine wunderschön inszenierte Ballade, die von der Weite von Amerika's Highways erzählte und von Sehnsucht förmlich durchflutet wurde. Chuck Leavell glänzte darauf mit einem federleichten Klavier-Solo, das herrlich gedankenverloren und völlig unangestrengt klimperte. "Let Nature Sing" war eine fast hymnenhafte Ode an die Schönheit der Natur. Durch die Mitwirkung der Poindexters mit ihren akustischen Instrumenten wirkte dieser Song am stärksten in der traditionellen Country Musik verhaftet.

Das fast die gesamte zweite Seite der LP füllende instrumentale Stück "Hand Picked" schliesslich war eine grandiose, über vierzehn Minuten lange, leicht jazzig arrangierte und im Western Swing-Stil vorgetragene Jam Session, wie sie stilistisch rockiger auch von den Allman Brothers Band immer wieder gerne ins Szene gesetzt wurde, mit dem Unterschied, dass hier teils klassische Country-Instrumente wie beispielsweise die hervorragend gespielte Geige von Vassar Clements in den teils langen Solis Akzente setzte. Auch Chuck Leavell und Richard Betts steuerten hier mit ihrem Klavier und der Gitarre hervorragende Soloarbeiten bei, welche "Hand Picked" zum Höhepunkt dieser fabelhaften Platte werden liessen. Zum Abschluss des Albums gab es dann mit "Kissimmee Kid" noch ein kleines weiteres Instrumental, das aber flotter gespielt wurde, obendrauf. Das Stück verwies auf den Ort Kissimmee in Florida und war von Geiger Vassar Clements komponiert worden.

Das Album "Highway Call" überzeugte von der ersten bis zur letzten Minute und bot eine hervorragend gespielte und ausgezeichnet arrangierte Sammlung toller Songs und Jams, die Richard Betts' Ruf als einer der grössten Gitarristen seiner Zeit bestätigten. Schade ist die Tatsache, dass sich Richard Betts in späteren Jahren nicht mehr auf ein musikalisch ähnlich ausgerichtetes Album hat hinreissen lassen. Seine weiteren Alben, zum Beispiel mit der Band Great Southern, waren stilistisch wieder näher am Sound der Allman Brothers, teilweise sogar noch stärker im Blues Rock verwurzelt. So blieb es leider bei diesem einen wundervollen magischen Moment aus dem Jahre 1974, auf welchem dieser wunderbare Sänger und Gitarrist die Messlatte hochschraubte im Bereich Country Rock.





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