Aug 1, 2020


THE DANDY WARHOLS - Thirteen Tales From Urban Bohemia
(Capitol Records CDP 7243 8 57787 2 8, 2000)

Im Jahre 1994 wurden The Dandy Warhols von Courtney Taylor-Taylor (Gesang und Gitarre), Peter Holmstrom (Gitarre), Zia McCabe (Keyboard) und Eric Hedford (Schlagzeug) gegründet. Die Gruppe war musikalisch zunächst eher dem Psychedelic Rock und dem Power Pop verpflichtet, zeigten aber auch immer einen Hang zum punkigen Rocksong, der klassische Züge des rauhen Rock'n'Roll und des Garagenrock aufwiesen. Der Name der Band leitet sich vom Namen des Pop Art-Künstlers Andy Warhol ab, der sich besonders in den 60er Jahren in den USA grosser Beliebtheit erfreute und in dessen Kreis in New York die Band Velvet Underground, von der The Dandy Warhols musikalisch stark beeinflusst ist, zeitweise lebte. Courtney Taylor-Taylor und Peter Holmstrom hatten sich bereits im Alter von 14 Jahren in einem Musikcamp in Oregon kennengelernt. Taylor-Taylor begann in einer Glam Rock Band namens "Beauty Stab" Schlagzeug zu spielen. Nachdem beide das College abgeschlossen hatten, beschlossen sie, gemeinsam eine Rockband zu gründen.

Das erste Album der Dandy Warhols erschien 1995 unter dem Titel "Dandy’s Rule OK ?". Capitol Records nahm die Band noch im selben Jahr unter Vertrag. Trotzdem wollte das neue Label das zweite Album der Band mit der Begründung, es enthalte keine Hits, nicht veröffentlichen. Enttäuscht, aber nicht entmutigt, machte sich die Band daran, weiterzuproben und neue Lieder zu schreiben. 1997 kam dann das ziemlich heftige, aber sehr engagierte Album "Come Down" auf den Markt. Obwohl das Album trotz toller musikalischer Ausrichtung in perfekter Balance von Garage Rock und Psychedelic Rock und qualitativ bemerkenswerter Rocksongs nicht zum ersehnten Durchbruch in den USA führte, wurde die Band in Europa mehr und mehr zu einem Geheimtipp. Die erhöhten Verkaufszahlen in Europa führten schliesslich dazu, dass die Single "Not If You Were The Last Junkie On Earth" als Musikvideo von dem Starfotografen David LaChapelle verfilmt wurde. Der Schlagzeuger Eric Hedford verliess die Gruppe im Jahre 1998. Ihn ersetzte Taylor's Cousin Brent DeBoer.

Den endgültigen Durchbruch schaffte die Band im Jahr 2002 mit dem Titel "Bohemian Like You" vom 2000 veröffentlichten Album "Thirteen Tales From Urban Bohemia". Der Song diente als musikalische Untermalung in einem Vodafone-Werbespot. Das Bemerkenswerte an dem Album war, dass die Gruppe sich hier sehr vom Experimentieren der frühen Jahre distanzierte und sich einem breiteren Publikum zu öffnen versuchte. Die teils recht gewöhnungsbedürftigen Klanglandschaften und minutenlange Intros wichen konkreteren und konsumierbareren Titeln in mehr oder weniger normalen Songlängen. Auch der psychedelische Anteil in ihrer Musik reduzierte sich auf ein Minimum, war aber immer noch spürbar. Die frappanteste Veränderung liess sich allerdings in den härteren Rocksongs ausmachen, wie dem bereits zitierten "Bohemian Like You": Plötzlich rockten die Dandy Warhols eher wie die gemütlichen Rolling Stones, als wie die ungestümen Seeds.

Jede Medaille hat letztlich zwei Seiten, und was für die einen Hörer der Ausverkauf und das Schielen nach dem Massenmarkt bedeutete, war für den Anderen schlichtweg eine richtig schöne und eingängige Rockplatte. Die Dandy Warhols hatten das Wagnis geschafft, einen Kracher nach dem anderen einzuspielen, ohne sich dabei billigen Melodien anzubiedern. Experimente fanden natürlich auch statt, diese betrafen aber eher einen bemerkenswerten Mix verschiedener musikalischer Genres. Und was das Besondere war: Jedes Experiment funktionierte: Den musikalischen Rahmen lieferte wie üblich der bekannte Brit-, Garage-, Surf-, Alternativ-Rock und die charismatische Stimme des Sängers ansonsten finden sich Elemente aus Punk, Grunge und sogar Country. Beim ersten reinhören in das Werk war man zunächst sicherlich etwas erstaunt. Die Dandy Warhols hatten einen klaren Schritt in Richtung Kommerz gemacht und sich dabei trotzdem nicht in dumpfen Plattitüden verstrickt oder gar ihre Rockerseele verkauft.

Der Einstieg ins Album wirkte schon mal sehr erhabend und recht üppig arrangiert. Drei Songs, die alle miteinander verknüpft waren und zusammen fast 20 Minuten tolle Non-Stop Unterhaltung boten: "Godless", "Mohammed", "Nitzsche". Dabei streifte die Band all ihre vormals exzessiv angewendeten Stil-Spielereien wie Hippierock, Räucherstäbchen-Psychedelik und Breitwand-Gitarrenorgien. Auch thematisch bedeuteten diese drei Titel eine logische Abfolge: die Gottlosigkeit in der heutigen Welt, dazu Mohammed als die Verkörperung des gefählichen Propheten und Nitzsche als das Beispiel für eine radikale Denkweise. Eine hervorragende "Trilogie". "Godless" blieb mit seinem markanten Trompeten-Thema sofort im Kopf hängen. Die Riffs der drei Teile zogen sich in die Länge. Doch nach wenigen Durchläufen wickelten einen genau diese langen Reisen schön ein.

Das nachfolgende "Country Leaver" suggerierte naive Countryness, wirkte irgendwie ulkig und nicht so ernst wie die schwere Kost der drei vorangegangenen Songs. Das Stück lockerte die Stimmung merklich auf. Was nun folgte, war die wohl radikalste Veränderung in der Musik der Dandy Warhols: Ueber weite Strecken zeigte sich die Band nun von ihrer neuen kommerziellen Seite, spielte ihre Stücke irgendwo in einer guten Balance zwischen dem rhythmischen Poprock eines Tom Petty (allerdings ohne dessen hochglanzpolierten Rührseligkeit) und dem vorwärtstreibenden Rock-Beat etwa in der Art von Iggy Pop. Das nachfolgende "Solid" konnte mit seinen schrägen Klängen und dem flotten Tempo durchaus als urban bezeichnet werden. "Horse Pills" glich dagegen einem echten Noise-Inferno, mit coolen und ziemlich entrückten Raps garniert. "Get Off" war dann der zweite Hit auf dem Album, mit seiner Leichtigkeit übertraf der Song sogar das bekannte "Bohemian Like You". Die Nummer "Shakin'" zeigte sich angenehm retromässig angehaucht, "Big Indian" war einfach ein wunderschönes Lied zum träumen. Selten konnte so eine simple Akkrordfolge so faszinieren.

Mittendrin versteckte dann das ruhige Stück "Sleep", das als leicht anpsychedelisierter Ruhepol absolut perfekt funktioniert, um das Tempo für einen kurzen Moment aus dem Album zu nehmen. Ein wundersamer Klangteppich, der sich wohltuend abheben konnte. Und das bereits erwähnte "Bohemian Like You", das von der Band geschickt in den hinteren Teil der Platte gesetzt wurde, um selbst nach über der Hälfte des Werks noch einmal einen Höhepunkt aus dem Hut zu zaubern. Bis zum finalen "The Gospel", das seinem Namen alle machte und einen stimmungsvollen Abschluss dieses ebenso überraschenden wie überzeugenden Albums bedeutete.

Wer die Dandy Warhols kennen und lieben lernen will, ohne sich erst durch ihre etwas schwerer zugänglicheren Werke arbeiten zu wollen, findet hier ein tolles Album. Wer einfach nur eine Rockplatte ohne auch nur einen einzelnen Durchhänger sucht, kommt aber ebenfalls auf seine Kosten, denn hier zündet wirklich jeder Song gleich beim ersten Anhören, und jede einzelne Nummer will man sofort noch einmal hören. "Thirteen Tales From Urban Bohemia" ist eine Platte, die man nicht erst zwanzigmal Hören muss, bis sie sich einem voll erschliesst. Es ist auch eine dieser Platten, die man auch nach Jahren tatsächlich immer wieder gerne von vorne bis hinten durchhört. Es ist indes Jeder zu beneiden, der sich dieses Album zum ersten Mal anhören wird. 

2002 heiratete Peter Holmstrom seine langjährige Freundin und nahm ihren Geburtsnamen Loew an. Das 2003 erschienene Album "Welcome To The Monkey House" ist in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Gruppe Duran Duran entstanden. Im März 2005 sorgte die damals mit ihrem ersten Kind Matilda Louise hochschwangere Keyboarderin Zia McCabe für Schlagzeilen, als sie nackt für die Webseite "Suicide Girls" posierte. Im September 2005 wurde das fünfte Album, "Odditorium Or Warlords Of Mars" veröffentlicht. Die Single-Auskopplung "Smoke It" wurde wegen der darin enthaltenen Aufforderung, Marihuana zu rauchen, von den meisten amerikanischen Radiostationen boykottiert. Die Band steuerte mit "We Used To Be Friends" auch das Titellied zur Serie "Veronica Mars" und mit "Solid" zu "American Campus" bei.


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