JEFF CROSBY - Postcards From Magdalena (Blue Rose Records BLULP 0715, 2018)
Seit langem schon ist der Singer/Songwriter Jeff Crosby aus Idaho unterwegs auf den staubigen Strassen der weiten Prairie mit längeren Stopps in Kalifornien, Oregon und Nashville, um aber immer wieder in seine Heimat zurückzukehren - und sei es nur für das alljährliche Braun Brothers Reunion Festival, das sich von einem durchaus respektablen lokalen Ereignis zu einem wichtigen Event des Genres gemausert hat. Dort geriet er mit seinen attraktiven, charaktervollen Auftritten auf den Radarschirm von Blue Rose Records, die ihn postwendend unter Vertrag nahmen und Jeff Crosby's viertes Studioalbum "Postcards From Magdalena" auf dem schwäbischen Label veröffentlichten. Es ist inzwischen fast schon Tradition: alle paar Jahre gelangt ein interessanter Musiker auf den Americana/Roots-Plan, der nicht nur vom Leben on the road, der Kleinstadt-Tristesse mit all ihren Spiessigkeiten, von bitterer Liebe, neuer Hoffnung und Selbstreflektion singt, der eine grundgute Stimme mit genau der richtigen Dosis Rauhheit besitzt und Begleitmusiker ausgewählt hat, die einen astreinen Job machen, sondern darüber hinaus dieses ganz spezielle, relaxte 70er Westcoast Feeling ausströmt, das man vor vielen Jahrzehnten mal im Zusammenhang mit Gram Parsons 'Cosmic American Music' genannt hat.
Israel Nash ist so ein Typ, Elijah Ocean muss man erwähnen und ganz sicher gehört auch Jeff Crosby in diese Kategorie. Geboren und aufgewachsen in Donnelly, Idaho zog es Crosby mit Anfang 20 nach Los Angeles, wo er 5 Jahre in der Nähe des Sunset Boulevard alle Höhen und Tiefen eines talentierten Newcomers erfuhr. Hier schrieb er seine ersten starken Songs und begann seine Karriere mit über 250 Shows pro Jahr im Stil eines echten Troubadours. Er verpflichtete, rund um den Gitarristen/Keyboarder John Gilbertson und seinen Bruder Andy Crosby am Bass, seine Begleitband The Refugees und hinterliess mit den Alben "Jeff Crosby" (2011), "All Nighter" (2014) und "Waking Days" (2015) erste Spuren auf Tonträger. Über zwei Jahre spielte er dazu parallel als Gitarrist bei dem kultig-legendären Pacific Northwest Singer/Songwriter und Jam Rocker Jerry Joseph, bekannt von Little Women, als Solomusiker, aktiv aber auch bei den Jackmormons, bei der Band Stockholm Syndrome, und ausserdem auch Songautor für die weitaus populäreren Widespread Panic.
Seit 2016 konzentrierte sich Jeff Crosby voll auf die Songs, die Aufnahmen und die Produktion zu seinem Album "Postcards From Magdalena". Es sollte sein bis dato reifstes, professionellstes und stilistisch breitest gefächertes Projekt werden und seinen Durchbruch, nicht nur in den USA von Küste zu Küste, sondern auch bei der stetig wachsenden internationalen Americana-Gemeinde bewirken. Keine Frage, es war ihm gelungen, das Album geriet in der Tat zu einem Genre-Meisterwerk. Die zehn für das Album eingespielten Songs waren inspiriert von den verschiedenen Plätzen und Kulturen, die Crosby in den Jahren zuvor besucht hatte - teilweise für länger, um richtig einzutauchen: England, Island, Kolumbien, Nicaragua und in den Vereinigten Staaten Portland, Oregon, Los Angeles, Alaska, Nashville und natürlich immer wieder Donnelly, Idaho bei seiner Familie und alten Freunden. Mehr noch als auf den Vorgängerplatten hatte sich Jeff Crosby mit seinem Team nun sehr um eine originelle Ausgestaltung seiner Songs gekümmert. So hatte er beispielsweise die Klangmöglichkeiten der Pedal Steel Guitar genutzt, um teilweise regelrechte Soundlandschaften zu kreieren - Ben Waligoske aus Colorado (Springdale Quartet, King Cardinal) und Paul Brainard aus Portland (Richmond Fontaine) wechselten sich dabei ab.
Diese beiden Musiker gehörten zum erweiterten Kreis der Refugees um John Gilbertson und Andy Crosby sowie den Schlagzeugern William Prescott, Marshall Vore und Ryan Wykert, Keyboarder Daniel Blumenfeld oder Multi-Instrumentalist Roger Alan Nichols. Der erfahrene Gregg Williams (Blitzen Trapper, The Dandy Warhols, Jerry Joseph, Pete Droge, Jesse Malin) hatte den Grossteil der Aufnahme-Sessions in Portland produziert. Ein paar Feinheiten wurden in Nashville nachgearbeitet. Es gab - und das war vielleicht das Ungewöhnlichste an diesem Album - gar keinen Song mit 'Magdalena' im Titel, dennoch schwebte dieser Name atmosphärisch über dem gesamten Album. Denn Magdalena gilt unter Sprachgelehrten als Synonym für seltene, aus dem Innersten kommende Schönheit. In Wirklichkeit entstand der Album-Opener in Kolumbien in der nördlichen Provinz Magdalena am karibischen Meer. In "Best $25 I Ever Spent" schildert Jeff Crosby ein modernes Hippie-Szenario einer lauen Nacht am Strand mit seiner Liebsten - trefflich intoniert als lockerer 70er Jahre Country Rock mit perlenden Gitarren, einer Pedal Steel Gitarre und diesem klaren, leicht nasalen Gesang von einer markanten Stimme mit rauhem Unterton, die den Zuhörer von nun an als grösstmöglicher Sympathieträger begleiten sollte.
Mit "Everything Will Change" folgt ein weiterer Pedal Steel-getränkter Road Song mit Motiven einer Tour auf der Interstate 80 durch Wyoming, während Crosby in der Westcoast-Träumerei "Full Moon On Sunset" über seine Zeit im Herzen von Los Angeles sinnieren mochte. "Cold Summer" bietet Fleetwood Mac-Feeling all over, neben tollen Harmonien im Chorus begeistern die vielen Gitarren-Licks aus der Lindsey Buckingham-Trickkiste. Mit "Hearts Too Heavy" folgt eine nachdenkliche, emotionale Ballade, sehr intensiv gesungen und schnörkellos von der guten Band untermalt. Nach dem langsamen Start des eigentlich recht traurigen "What Stories, What Light" kommt ab Mitte des Songs nochmal richtig Fahrt auf, das ist bester Country Rock im Geist der frühen Eagles oder Jackson Browne: "I'm dreamin' American dreams in the ocean of desire known as the western world". Nicht nur mit dieser Zeile erweist sich Jeff Crosby als wortgewandter Poet. Durchweg schreibt er unbedingt mitlesenswerte Songtexte.
"It's Us" kommt als straighter Midtempo Rocker mit mehreren elektrischen Gitarren und druckvoller Rhythm Section, der mit über 6 Minuten längste Track "Sunrise Over Iceland (For Lois)" überzeugt mit einer unwiderstehlichen Hookline und delikaten Arrangements mit besonderer Instrumentierung von Steel Guitar, Drums, Slide Guitar, Klavier und Banjo. Es ist ein Trauerlied über den Verlust einer Freundin, von deren Tod er auf Island erfährt. Nichts kann mehr so sein wie zuvor. "Beautiful And Strange" erinnert an Tom Petty zwischen leicht melancholisch und melodisch-poppig, ausgestattet mit herrlich twangenden Gitarren über dem kalifornischen Beat. Am Ende der regulären Scheibe steht der einzige wirkliche Solosong. In "Hotel Bibles" bereut der Erzähler seine schweren Fehler, die zur Aufgabe einer grossen Liebe führten. Akustische Gitarre, Mundharmonika, Gesang: Bob Dylan meets Steve Earle Folk der Güteklasse A, nichts weniger. Zwei exklusive Bonus Tracks runden diese ausgezeichnete Veröffentlichung ab: Während "Lonely In Love" zunächst noch ein weiteres Mal auf der California Cosmic Country Rock-Schiene fährt, ergehen sich Jeff Crosby und seine Band auf "Time Is Cryin" in schwer elektrischen, massiv klotzenden Southern Blues Rock, der musikalisch stark vom eigentlichen Thema abweicht. Sozusagen ein echter Rausschmeisser. Ein tolles Album, das zu entdecken sich unbedingt lohnt.
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