VAN DER GRAAF GENERATOR - Pawn Hearts (Charisma Records CAS 1051, 1971)
Die Gruppe Van Der Graaf Generator gilt allgemein als die anspruchsvollste und für viele Musikkritiker auch als die beste progressive Rock Band (oder zumindest als ebenbürtig mit Gentle Giant und King Crimson). Dies, obwohl die Gitarre als eigentlich in diesem musikalischen Bereich zumeist dominierendes oder aber zumindest sehr wichtiges Instrument auf ihren Platten meist eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat. Bei etlichen Stücken der Band spielt die Gitarre gar überhaupt keine Rolle, weil sie höchstens schmückendes Beiwerk bedeutete, oder gar nicht erst vorhanden war. Peter Hammill's Kompositionen aber entspringen sehr oft eigentlich dem Singer/Songwriter Genre, allerdings orientieren sich diese Epen meist an moderner Klassik und sind von ungewöhnlicher Harmonik und oftmals repetitiven kleinen Melodien geprägt. Imgrunde ist das aber dennoch etwas völlig Eigentändiges und unerhört Ungehörtes. Es gibt wohl kaum eine andere Band, die von Folk, Blues oder Rock & Roll so weit entfernt musiziert hat, wie Van Der Graaf Generator; vom Funk und Soul sowieso und der Jazz spielt auch nur ab und zu eine Rolle. "Pawn Hearts" war 1971 das vierte Album der Gruppe und ist vom ursprünglich eher psychedelischen Nährboden der späten 60er Jahre schon weit entfernt. Zwar enthielt die originale LP nur drei Stücke, aber in diesen drei Glanzlichtern sind so viele unterschiedliche Parts enthalten, die letztendlich doch wieder schlüssig miteinander verbunden sind. Andere Gruppen aus der damaligen Zeit hätten daraus wahrscheinlich problemlos ein Doppelalbum basteln können.
Van Der Graaf Generator wurden im November 1967 von Chris Judge Smith (Gesang, Schlagzeug), Peter Hammill (Gesang, Gitarre) und Nick Pearne (Orgel) an der University of Manchester gegründet. Der Bandname spielt an auf den Van-de-Graaff-Generator, ein physikalisches Gerät. Der eigenständige Sound der Gruppe ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Orgel und Saxophon, dem weitgehenden Verzicht auf elektrische Gitarren und dem expressiven Gesang Peter Hammills. Ein weiteres Charakteristikum sind die düsteren, existenzialistischen Songtexte Hammills, die ihm den Beinamen "King Of Fear" (König der Angst) einbrachten. Die Musik pendelte von Anfang an zwischen lyrischen Passagen und heftigen, teilweise Free-Jazz-artigen Ausbrüchen. "Pawn Hearts" ist ein Werk, das wie andere Alben von Van Der Graaf Generator auf der Textebene viele negative Emotionen verhandelt. Auffällig ist neben den typischen Saxophon-Passagen von David Jacksons der hohe Anteil an obskuren Passagen. Van Der Graaf Generator werden häufig mit King Crimson und Genesis verglichen, wobei das Album "Pawn Hearts" eher Einflüsse des Stils von King Crimson aufweist, auch wenn die Arbeit von Robert Fripp im Mix nicht so prominent platziert worden ist, wie noch auf dem vorangegangenen Album "H to He, Who Am the Only One" von 1970.
Der Opener "Lemmings" beschreibt über Hammills kryptische Lyrics eine ausweglose Situation die musikalisch ebenso düster wie passend untermalt wird. David Jackson's Saxophon klingt oft wie eine zusätzliche Stimme und setzt die Effekte die notwendig sind um die bedrückende Stimmung dieser Komposition noch zu verstärken. Das chaotisch anmutende "Cogs" dürfte dann John Zorn gut gefallen haben. Fast anarchisch werden hier Kakophonien eingestreut und man meint, die Band zerstöre diesen Track nun absichtlich. Aber genau das setzt beim Hörer, der sich darauf einlässt, auch unerhörte Emotionen frei. Ungezügelte Wut wird hier zum Beispiel grossartig musikalisch umgesetzt, und schliesslich mündet das Ganze wieder in das Anfangsthema. Wenn der Song dann mit den Worten "What choice is there but to live ? To save the little ones ? What choice is there left but to try ?" und dem fast wehklagenden instrumentalen Outro endet, dann hat man eine emotionale Tour de Force hinter sich, die man vorher wohl noch kaum je so intensiv erlebt hat.
"Man-Erg" ist dann vielleicht eine der grossartigsten Kompositionen Hammill's, mit einer wundervollen zarten Melodie, die allerdings nach drei Minuten wieder in einen punkigen, instrumentalen Wutausbruch mündet. Die Schizophrenie, die gleichzeitige Anwesenheit von Gut und Böse wird hier musikalisch perfekt umgesetzt. Das erste Thema ist eindeutig klassisch inspiriert, das zweite erinnert stark an die frühen King Crimson und verebbt quasi nach weiteren eineinhalb Minuten. Danach geht es dann fast entspannt weiter, bevor wieder das zarte Anfangsthema aufgegriffen wird; das allerdings wird am Ende immer mehr vom zweiten Thema überlagert.
Die zweite LP Seite wurde vollständig von "A Plague Of Lighthouse Keepers" eingenommen. Die sich über 23 Minuten ausbreitende Mini-Oper über Isolation beginnt mit "Eyewitness" absolut grossartig. Dieses Anfangsthema steigert sich innerhalb von knapp drei Minuten enorm und wird vom klangmalerischen "Pictures/Lighthouse", in welchem David Jackson unter anderem hervorragend Nebelhörner imitiert, abgelöst. Man muss zugeben, dass dieser Track gerade hier seine Längen hat, und dass die spannungssteigernde Orgelpassage sich ein wenig in die Länge zieht. Die zweite Strophe geht in die Bridge "S.H.M." über, einem emotional sehr packendes Teil, das fast ein wenig zu kurz geraten ist. "The Presence Of The Night" zeigt dann wieder ein schräges, aber sehr eingängiges Thema, das nach den Zeilen "I know no more ways, I am so afraid, myself won't let me just be myself and so I am completely alone" in ein hoffnungsloses Chaos mündet. Anschliessend wird's mit dem versöhnlichen "Custard's Last Stand" fast melancholisch, bevor es in "The Clot Thickens" erst punkmässig losgeht, um danach zunehmend atonaler und auch durchaus anstrengend zu musizieren. Aufgelöst wird dieses Opus dann mit dem wieder sehr melodischen "Land's End/We Go Now". Instrumental und fast hymnisch endet diese verstörende, aber begeisternde Platte.
Trotz einiger zugegebenermassen anstrengenden Passagen ist "Pawn Hearts" ein packendes, aber auch ein recht sperriges Werk, welches man sich wohl am besten zuerst über die tollen Gesang-Motive Hammill's und die Texte erarbeitet, denn erst dann wird man erkennen, wie eindrücklich Musik und Text sich hier gegenseitig unterstützen. Allerdings ist diese Musik nichts für schwache Nerven, denn einem emotionalen Hörer verlangt sie doch so Einiges ab und eigentlich ist das definitiv keine Unterhaltungsmusik mehr, die man einfach so mal im Vorbeigehen konsumieren kann. Man muss diesen progressiven Meilenstein hören wie Klassische Musik: Aufmerksam und konzentriert, denn diese Musik ist sehr konzentriert und emotional und lässt keine flüchtigen Eindrücke zu. Erst, wenn man sich das gesamte Werk buchstäblich "erarbeitet" hat, offenbart sich einem die grandiose Ganzheit dieses erstaunlichen Werks, das bei weitem nicht das Einzige dieser Art von dieser bemerkenswerten Gruppe ist.
Großartige Rezension. Macht mir große Lust heute Abend die Scheibe nach langer Zeit mal wieder aufzulegen. Vielen Dank Mäse!
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