Sep 9, 2016

FRIGHT PIG - Out Of The Barnyard
(Nomenclature Music Publishing 852232004000, 2013)

Fright Pig. Allein der Name lässt aufhorchen. Und dann das Cover. Völlig abgefahren. Ein "Sensenraumfahrer" nähert sich einem Ferkel säugenden Schwein. Dahinter ein abgewrackter Bauerhof, im weiteren Hintergrund irgendwo im Nebel oder Smog eine Trabantenstadt. Was erwartet den Musikhörer hinter so einer auf den ersten Blick absurd wirkenden Plattenhülle ? Nun, es ist auf jeden Fall extrem gut gemachter und interessant aufgebauter Progressive Rock. Aber in welchem Stil ? Wo sind die Anleihen ? Das ist wahrlich schwer zu sagen. Da gibt es Genesis zu Peter Gabriel-Zeiten, da gibt es Neal Morse-Harmonien (zu Spock's Beard oder Transatlantic-Zeiten). Der Gesang ist durch die oftmals weniger eingängigen Linien schwer zu fassen. Vielleicht ein bisschen in der Art von Daniel Gildenlöw. Und mit seiner Band Pain Of Salvation haben auch die Metal-Anteile auf diesem Werk irgendwie zu tun. Aber auch die wilden Passagen bei Emerson Lake & Palmer, vo allem deren teils wild und ungestüm wirkenden Keyboard-Attacken im Stile eines Keith Emerson scheinen durch. Es ist alles irgendwie wie bei der ersten Platte der Gruppe HAKEN, nur nicht mit so viel Metal-Anteil, aber immer noch mit einer gehöriger gehörigen Rock-Komponente. Die Kompositionen sind extrem vielschichtig und verschachtelt. Das kann man nach einigen Hördurchgängen gar nicht alles erfassen! Die Fright Pig-Musiker müssen sich auch ernsthaft mit klassischer, beziehungsweise barocker Musik auseinandergesetzt haben, denn sehr viele Skalen kommen aus dem klassischen Umfeld. Dann gibt es auch Folklore-Anteile, im letzten Stück gar Country-Passagen. Aber keine Angst: das löst sich alles in Rock auf, der immer wieder an die 70er Jahre erinnert.

Es fällt wirklich schwer, das musikalische Repertoire von Fright Pig in wenigen Sätzen treffend zu umschreiben. Aber es ist grandios, niemals langweilig. Atemberaubend in seiner Vielfalt, für manchen Zuhörer vielleicht fast schon ein bisschen zu viel. Progressive Rock von Schweinen für Schweine ? Was lässt sich bei einem solchen, zugegebenermassen recht originellen Bandnamen alles hineininterpretieren, wenn sich zudem die Musiker Pseudonyme wie Pig Maillion oder Pig Lee Whigli verabreichen. Fünf Jahre schweineintensiver Arbeit stecken in jedem Fall in diesem muskelbepackten Heavy Progressive Rock-Album, und das hört man in der Tat: Die Stücke wirken sehr ausgereift, sie sind gespickt mit technischen Kabinettstücken, gut produziert und schliesslich sagenhaft vielseitig in punkto Arrangements oder angerissenen musikalischen Stilen. Insofern wäre ein Bandname wie etwa 'Chamäleon' auch nicht unpassend gewesen, denn kein Stück gleicht dem anderen. Dennoch wirkt das Album wie aus einem Guss.

Der kehlig-kraftvolle Gesang von Sänger Pig Mailion wirkt sehr amerikanisch. Man hört Chöre, vergleichbar jenen der Band KANSAS und neben einem extrem muskulös wirkenden Schlagzeug-Spiel bekommt man vielfach sehr kraftvolle, tiefgestimmte Gitarren und fette Keyboards zu hören. Die Band spielt sehr, sehr variabel und durchläuft dabei auch zahlreiche Subgenres des Progressive Rock von voluminiösem Symphonic- über melodiösen Neo- und keyboardgeschwängerten Retro-Progressive Rock bis hin zu hartem und breakigem Progressive Metal. Würde man den Silmix von Fright Pig kurz zusammenfassen, könnte man sagen: Sie kombinieren die Erhabenheit und Eleganz von TRANSATLANTIC mit der druckvollen Härte von METALLICA. Dabei wirken ihre Songs manchmal in der Tat etwas überpathetisch, fast schon überladen, auf der anderen Seite gibt den Kompositionen gerade auch die kompromisslose Härte den ungemeinen Schwung, der solch teilweise komplexen Progressive Rock-Stücken oftmals fehlt. Hier sind ein paar Musiker beherzt zu Werke gegangen und haben sich vielleicht in ihrem Schweinestall geschworen: Den ganzen 'Traumtheatern' dieser Welt zeigen wir jetzt mal, wo der Hammer hängt.

Es fällt einem auf, dass die technische Versiertheit der Musiker über weite Strecken wie ein Showcasting wirkt, so als ob sie es allen beweisen müssten. Das lässt das Album insgesamt vielleicht etwas arg prätentiös und aufgeblasen wirken. Es wird unglaublich viel zusammen- und hineingepackt, so dass man ob der häufigen Tempo- und Rhythmuswechsel bei aller Melodiösität schon mal ins Hyperventilieren kommen kann. Die Gitarren bestimmen oberflächlich zwar das Geschehen, aber die agilen Keyboards verleihen den Stücken einen symphonisch-progressiven Schlag, was auch Platz für gelegentliche Akustikgitarren-Intermezzi lässt. Damit alles geordnet verläuft, reiht die Band Songs und Instrumentals abwechselnd auf wie an einer Perlenkette. Und von Stück zu Stück mischt man den wuchtigen, temporeichen Kompositionen nebenbei Flamenco-Parts, Western-Gefiedel oder Irish Folk unter.

Somit ergibt sich ein gewaltig abwechslungsreiches Klangbild: Man stelle sich beispielhaft ein irisches Akustikgitarren-Riff vor, das in eine mellotrongeladene Passage übergeht, die von Orgelparts überschwemmt wird, welche anschliessend mit einem Gitarren- und Moog-Solo versehen werden, um schlussendlich wieder in das ursprüngliche Akustik-Riff zurückzublenden, und all das in kaum einer Minute Spielzeit. Das lässt einem buchstäblich sprachlos zurück. Oft ist solches akustisches Gebaren nahe an der Reizüberflutung: Die Fülle prasselt regelrecht auf den Hörer ein, weil die Instrumentalisten fast permanent bis zum Anschlag aufspielen. Aber nicht vergessen bitte: Emerson Lake & Palmer, Queen oder Dream Theater haben solch dramatische musikalische Exzesse auch immer wieder vorgefüht, und es hat sie noch jeder Hörer überlebt.

Alles in allem präsentieren Fright Pig mit ihrem einzigen Album "Out Of The Barnyard" ein Album, das den Zuhörer staunen lässt, wie mit sagenhafter Selbstverständlichkeit Stile und Subgenres des progressiven Rock quasi im Hochgeschwindigkeitstempo miteinander verquickt werden. Ein Werk, dem man ob seiner auf die Spitze getriebenen Atemlosigkeit hin und wieder eine Art atmosphärischer Entspannung wünschen möchte, die für Ausgewogenheit sorgt. Und dem Schlagzeuger liesse sich auch klar machen, dass nicht jedes Stück ein Schlagzeugsolo ist, zu dem die anderen Musiker nur als schmückendes Beiwerk eingesetzt sind. Wüsste man es nicht besser, könnte man nämlich hinter dem Schlagzeughocker glatt einen Mike Potnoy vermuten. Das Album ist aber dennoch eine dicke Empfehlung für alle Freunde des kraftvollen, melodischen Progressive Rock, das so endet, wie es enden muss, nämlich mit einem brachialen Gewitter, das indes vorher schon während der ganzen Länge der Platte in akustischer Form über den fix und fertigen Zuhörer hereinbrach. 

Noch kurze Anmerkungen zu den Stücken auf diesem Album: "Re-Creation" ist im Stile der Flower Kings oder Kaipa gespielt, mit etwas mehr Kraft hier und da vielleicht. "Incident At Pembroke" klingt wie eine progressive Rockband, die im letzten Moment merkt, dass das Venue, in dem sie auftreten wird, ein Irish Pub ist. Das Ganze beginnt sehr folkloristisch, mündet dann aber bald in veritablen Hardrock, der über typische progressive Elemente verfügt. In dieselbe Kerbe haut "The Meaning Of Dreams": Jazzige Orgelanleihen, die vor einigen Jahrzehnten auch Keith Emerson präsentiert hatte, vermischen sich mit modernen Progressive Metal-Elementen. In "Barque de la Lune" spielt die Band nach einem romantischen Klavierintro ein akustichses Gewitter, mit dem sie sich vor Dream Theater nicht verstecken müssen, wobei es nie zu derb wird: Das virtuose Klassik-Klavier kehrt wieder, aber auch die frickeligen Gitarrenpassagen, und so pendelt das Stück immer zwischen Neo-Klassik und höchst melodiösem Tech-Metal, ohne dabei die Gefilde des Retro Progressive Rocks zu verlassen. 

"Darkest Of Forms" zeigt dann ein weiteres Mal, dass es eben nicht immer in einer Katastrophe enden muss, wenn eine Progressive Rockband sich am Mainstream Rock versucht. Es kommt eben immer darauf an, wie man das macht. Und Fright Pig verstehen es ganz grossartig, das beste aus diesen beiden stilistischen Welten zu vereinen. "Presumido" ist dann ein weiterer Progmetal-Kracher. Hart, aber hörbar und mit einer tollen akustischen Gitarre, welche die Musik dauernd anders zu verorten sucht, als ihr das eigentlich natürlich wäre. Das abschliessende "The Claustrophobia Of Time" ist dann erneut vollkommen anders. Der Beginn ist deutlich von Emerson Lake & Palmer inspiriert, es ist aber auch ein ausgesprochen folkiges Akkordeon eingestreut. Nach dem chaotischen Einstieg schält sich ein Song heraus, der auf gesanglicher Ebene wieder Züge des typischen amerikanischen Melodic Rock trägt, wenn auch die Begleitung einen elegant wirkenden härteren Progrock dazu spielt. Das Ganze mündet schliesslich in einen herrlich überkandidelten Orgelrock ganz im Geiste von Keith Emerson. 

Fazit: Wem ausufernde und extrem fordernde Tempi-, Stimmungs- und Stilwechsel Spass machen und einiges an schwerverdaulichem progressiven Rock gewohnt ist, dem bieten Fright Pig mit ihrem leider einzigen Werk ein ganz eigenes musikalisches Universum, dessen beide Pole "70er Jahre Progressive Rock" und "moderner Prog-Metal" heissen. Die Scheibe ist rasant, fordernd und trotzdem gut ausgependelt. Ihr eigener musikalischer Planet gerät nicht so schnell durch etwaige Pol-Verschiebungen in Turbulenzen. Anders gesagt: Wer schon so abgebrüht ist, dass ihn Dream Theater oder Haken niht mehr aus der Fassung bringen können, der sollte sich diese Sauerei unbedingt einmal anhören.





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