Sep 8, 2016

THE STRAWBS - Deadlines (Arista Records SPART 1036, 1978)

Das letzte Album der Strawbs zu Ende der 70er Jahre bedeutete einen radikalen Wandel hin zum reinen Rock-Pop der damaligen Zeit. Weggewischt waren die noch letzten verbliebenen Folk-Sprenkel vergangener Jahre- Vom Folk und Folkrock der frühen Tage der Band war schon einige Jahre zuvor nicht mehr viel übrig geblieben. Im Grunde waren die Strawbs schon seit ihrem denkwürdigen Album "Hero And Heroine" aus dem Jahre 1974 eine andere Band als zu Beginn ihrer Karriere, als immerhin mit Sandy Denny in den Anfangstagen noch eine der grossen Stimmen der britischen Folkmusic am Mikrophon stand. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des allerdings nicht minder grandiosen Werks "Deadlines" stand Strawbs-Gründer Dave Cousins genervt durch die ewigen Verrisse der englischen Musikpresse und angetrieben durch den Wunsch nach neuen Horizonten vor der Entscheidung,die Band zu verlassen, was er auch in einem der Songs für das Album zum Ausdruck brachte, indem er etwa im Titel "The Last Resort" anmerkte: "Will you miss me, I doubt it". Die positive Wende brachte jedoch der Wechsel zur Plattenfirma Arista Records, welche der Gruppe jene musikalische Freiheit zugestand, die sie brauchte, um unvoreingenommen und kreativ an das neue Werk heranzugehen, ohne im Vorfeld schon befürchten zu müssen, dass endlose Diskussionen mit den Verantwortlichen eine Veröffentlichung der Platte in die Länge ziehen würden.

Die Strawbs, zu jenem Zeitpunkt noch als Vierer-Stammformation unterwegs, bestehend aus Dave Cousins (Gesang und akustische Gitarre), Dave Lambert (Gesang und Gitarre), Chas Cronk (Bass, akustische Gitarre und Gesang) und Tony Fernandez (Schlagzeug und verschiedene Perkussions-Instrumente), boten für die Aufnahmen zu diesem Album die zwei zusätzlichen Musiker und Keyboarder John Mealing und Robert Kirby auf, welche auch live das aktuelle Line-Up vervollständigten. Die Musiker spielten die Songs zum neuen Album ein, das zum erstenmal ein rein Rock-orientiertes Werk werden sollte. Schon der Opener "No Return" zeigte mit seinem satten Rock und der wilden Entschlossenheit des Songtextes, wohin die neue musikalische Reise jetzt gehen sollte. So typisch amerikanisch hatten die Strawbs bislang nie geklungen. Der Vorteil war, dass die Band sich in den vergangenen Jahren immer wieder in den Vereinigten Staaten aufgehalten hatte, sich dort auch eine treue Fangemeinde schaffen konnte, und so erstaunte es nicht, dass Dave Cousins und Dave Lambert vor allem mit Songs an den Start gingen, die dem amerikanischen Rock- und Pop-Spirit entsprachen. Mit dem nachfolgenden "Joey And Me" wurde ein lockerer Gassenhauer über das "freie Leben on the road" nachgereicht, der genauso amerikanisches Lebensgefühl versprühte, einen lockeren Westcoast-Rock Groove präsentierte und laut seiner persönlichen Einschätzung noch heute zu den Favoriten von Dave Cousins gehört.

Die klaviergetragene Rockballade "Sealed With A Traitors Kiss" erinnert beispielsweise an die frühen Poprock-Songs von Phil Collins, nachdem er bei Genesis ausgestiegen war, um eine Solokarriere zu beginnen. Ein solcher Song hätte damals ganz bestimmt Furore gemacht, wäre er denn als Single veröffentlicht und entsprechend gepusht worden. Noch heute kann man sagen, dass die Strabs mit dieser neuen musikalischen Ausrichtung ein sehr viel grösseres Publikum hätten erreichen müssen, als es damals tatsächlich der Fall war. Man kann darüber spekulieren, ob der Zeitpunkt für solche Musik der richtige oder der falsche war. In der Tat spielten damals reine Rock- und Pop-Bands in Amerika wie hierzulande eine relativ kleine Rolle, gemessen am gesamten Musikmarkt. Es war die Zeit der grossen Veränderung hüben wie drüben, der Punk- und die New Wave-Welle hatten jeden Musiker und Fan erfasst, man stand an der Schwelle zum Plastik-Zeitalter. Da musste eine solche Platte wie "Deadlines", auch wenn sie noch so perfekt eingespielt und produziert war, schon fast wie ein Anachronismus wirken.

Die unverschämt lockere und wunderschöne Rockballade "I Don't Want to Talk About It" war das nächste Beispiel grossartigen Songwritings, und auch dieser Titel ist heute noch so aktuell wie damals. Kein bisschen abgelutscht oder old fashioned klingt dieser traumhaft schöne Song mit ihrer zeitlosen Message "You lit the fire and let it burn, you've reached the point of no return". Bei diesem Titel sang Dave Lambert, doch Dave Cousins stimmte gleich den nächsten Song an: "The Last Resort", einer der Höhepunkte dieses Albums. Ein forscher Song, dessen Temposteigerung sich allerdings so gar nicht rockig aufbäumte, sondern den Laidback-Groove des gesamten bisherigen Albums einfach noch forcierte. Der Song verströmt dieses typische Westküsten-, Highway- und "lass den lieben Gott einen guten Mann sein"-Feeling, eine perfekte Symbiose aus grossartigem Songwriting und unbekümmertem Lebensgefühl.


Selbstreflektierend und bewusst vorwärtsgerichtet präsentierte sich die zweite Seite des Albums mit dem ersten Stück "Time And Life", einem inzwischen typischen Strawbs-Titel, der diese rockig-dramatische Komponente aufwies, ohne sich irgendeiner platten Härte zu bedienen. Die Magie der früheren Jahre schimmerte bei diesem Stück trotzdem leicht durch, was hauptsächlich durch den Einsatz des Mellotrons, gespielt von Gastkeyboarder Robert Kirby gelang. In die Moderne wurde dieser Track aber auch durch den zweiten Keyboarder John Mealing gehievt, der mit seinen Polymoog- und Minimoog-Sequenzen für tolle Kontrapunkte sorgte. Auch das nachfolgende "New Beginnings" folgte dem Konzept der musikalischen Neuausrichtung und Zukunftsorientierteit der Gruppe. Der Song widmete sich dem Umstand, Kinder zu haben, und wie sich dies auf die Persönlichkeit des Menschen auswirkt, wie sich seine Vorstellungen von Verpflichtung und das Setzen von Prioritäten im Leben dadurch verändert und dass man schlussendlich für den ganzen Rest senes Lebens eine andere Vorstellung davon haben werde, wie man mit sich selbst und den Nähsten in seiner Umgebung umgeht. Ein an die Empathie der Menschen appellierender Song ? Das hat durchaus was.
 

Mit dem nächsten Stück "Deadly Nightshade" erinnerte sich Dave Cousins an den früheren Song "Down By The Sea" - zumindest lässt dies das markante Grund-Riff des Stücks erahnen. Sollte man bei diesem Titel allerdings den Eindruck gewonnen haben, dies wäre nun alles Neue gewesen, das die Strawbs dem Zuhörer präsentiert hatten, der musste völlig überrascht sein vom das Album beschliessenden, mystisch-folkrockigen "Words Of Wisdom". Wieder konnte man im Songtext die Zeile "No Return" nachhören, also noch einmal vermittelte Dave Cousins seine Position, nicht mehr zurückblicken, sondern zukunftsorientiert musizieren zu wollen. Dieser düstere, später aber auch recht dramatische und von einem unglaublich erhabenen Arrangement geschwängerte Song gehört für mich persönlich zum allerbesten, was diese Gruppe je gespielt hat. Mächtig zieht sich diese riesige akustische Wolke immer mehr zusammen, nur um sich kurz vor einem heftigen Gewitter einfach zu verabschieden: Die Spannung entlädt sich nicht, sie klingt einfach aus. Ein bemerkenswertes Ende für ein Stück, das sich kontinuierlich auf einen ganz bestimmten Punkt aufbäumt. Dies wiederum war irgendwie symptomatisch für die ganze Platte. Dave Cousins hatte ganz bewusst die neue musikalische Ausrichtung aufgezeigt, liess sich aber trotzdem irgendwie noch ein Hintertürchen offen. Zu gross war seine Enttäuschung über die Erfolge der vergangenen Jahre. Immerhin ist bemerkenswert, dass er sich daduch nie hat entmutigen lassen und immer wieder nach neuen Ausdrucksformen gesucht hat. 

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Songs zu diesem Album in lediglich einer Woche komponiert und eingespielt wurden. Die Band musste trotzdem alle Songs ein zweites Mal aufnehmen, weil die originalen fertigen Bänder einem unbeabsichigten Löschen im Tonstudio zum Opfer fielen. Das Plattenlabel Arista Records, das die Strawbs neu unter Vertrag nahm, hegte grosse Hoffnungen in die neue Platte, veröffentlichte auch einige Singles, reichte die Gruppe von TV-Sender zu TV-Sender wie zum Beispiel der damals sehr populären "Multi Coloured Swap Shop" von Noel Edmonds. Auch organisierte das Plattenlabel eine Promotion-Tour, die Dave Cousins jedoch vorzeitig abbrach und nach England zurückkehte, als er vom plötzlichen Tod seiner ehemaligen Weggefährtin Sandy Denny hörte.

Das Plattencover der "Deadlines" LP wude vom renommierten Hipgnosis-Team realisiert, das für seine Arbeiten für Pink Floyd, Genesis, Paul McCartney, Hawkwind, Roy Harper, Black Sabbath und zahlreiche weitere berühmt ist. Zahlreiche Kritiker äusserten sich damals eher negativ zum Album, sprachen oft und gerne von "Strawbs, die versuchen, nicht wie Strawbs zu klingen". Ich halte das für ziemlichen Blödsinn. Es entsprach dem ebenso innovativen, wie dem aufgrund erfolgsloser vergangener Produktionen entsprungenen Gedanken von Dave Cousins, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Das selbstgewählte, nicht aufgezwungene neue Klangbild der Gruppe bescherte den Fans immerhin einige der besten Kompositionen der Strawbs. Erst heute, fast 40 Jahre nach der Veröffentlichung, kann man nachhören, wie zeitlos und unvergänglich Songs wie "The Last Resort", "Words Of Wisdom" oder "I Don't Wanna Talk About It" geblieben sind. Aufgrund der hohen Qualität der Kompositionen und des hervorragenden Klangbildes würde ich persönlich die "Deadlines" zusammen mit dem 1974er Werk "Hero And Heroine" als die beiden besten Strawbs-Platten nach der klassischen folkigen Frühphase bezeichnen.


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