Sep 6, 2016


BLACK SABBATH - Paranoid (Vertigo Records 6360 011, 1970)

Ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Rockmusik: Am 18. September 1970 erschien das zweite Album der wohl ersten Metalband überhaupt. "Paranoid" ist bis heute das Populärste aller Black Sabbath-Alben geblieben und es erreichte damals in England Platz 1 der Charts. Das Werk enthält, rückblickend beurteilt, die meisten Klassiker der Band, darunter das phänomenale "War Pigs", das eigentlich als Titelstück geplant war, denn die zweite LP sollte diesen Titel erhalten. Auch das Cover-Artwork war bereits festgelegt und auf den Albumtitel "War Pigs" ausgerichtet. Dann auch der eigentliche LP-Füller "Paranoid", der grösste Hit der Gruppe, der eigentlich nur eine Aufwärm-Jam im Studio war und ausschliesslich deshalb auf die Platte kam, weil die Band noch einen "schnellen" Song brauchte, das nicht minder populäre "Iron Man" und das geniale "Fearies Wear Boots". Im September 1970, nicht einmal ein halbes Jahr nach Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debutalbums, erschien bereits die zweite Black Sabbath LP mit dem Titel "Paranoid". Ob den damals noch so jungen Musikern Ozzy Osbourne (Gesang), Tony Iommi (Gitarre), Geezer Butler (Bass) und Bill Ward (Schlagzeug) von Beginn an klar war, was sie für einen nachhaltigen Klassiker kreieren würden, der noch nach fast einem halben Jahrhundert weiter junge Musiker rund um den Globus beeinflussen würden, darf bezweifelt werden. Fakt ist, dass "Paranoid" fast 50 Jahre später immer noch als die Blaupause sämtlicher nachfolgender Hartwurst-Scheiben gilt. Den Metal-Urknall hatten sie am 13. Februar des selben Jahres (wie könnte es anders sein - ein Freitag!) höchstselbst in Gang gesetzt. Mit ihrem Zweitling ging es auf direktem Weg in die Unsterblickeit.

Dabei deutet zunächst nichts auf so einen ewigen Klassiker hin: Gerade einmal fünf Tage sind Black Sabbath für die Aufnahmen im Tonstudio. Trotz Geldmangel und Zeitnot entsteht ein Monument, dem heute sowohl Neueinsteiger als auch Alteingesessene frenetisch huldigen. Die acht Songs sind perfekt aufeinander abgestimmt und bieten alles, was sich der Hard & Heavy Fan wünscht: Wüste, ungezügelte, rohe Power, verpackt in Songs für die Ewigkeit. Aus heutiger Sicht vielleicht etwas blueslastig und noch nicht vollständig das, was man im 21. Jahrhundert unter "reinem" Metal versteht. Damals allerdings das Härteste und vor allem Düsterste was je eine Band aufgenommen hatte. Und das noch einige Zeit vor Led Zeppelin oder Deep Purple. Ursprünglich sollte das Werk ja "Walpurgis" heissen. Gegen diesen Titel sträubte sich allerdings die Plattenfirma von Beginn weg und man schrieb den Songtext der Nummer kurzerhand in "War Pigs" um. So wurde aus einer okkulten Hexen-Vision plötzlich ein Anti-Kriegssong. Doch auch dieser Titel wurde von der Plattenfirma verworfen, weil sie ihn als zu provokant klassifizierte. Letztlich hiess das Album dann "Paranoid", um jeglichen politischen Bezug zu vermeiden.

Sobald das Eingangsriff von "War Pigs" begann, war jedem Musikhörer klar, was ihn in den nächsten 42 Minuten erwarten würde. Es ist die Geburtsstunde des Doom, jener nihilistisch-fatalistischen Spielart des Metal, die später so viele Anhänger finden sollte. Doch der Opener war noch weitaus mehr als nur das. Die einfachen, aber unglaublich charismatischen Gesangslinien des damals 21-Jährigen Ozzy Osbourne fressen sich unauslöschbar ins Gehirn einer ganzen Generation und die vertrackte Rhythmus-Struktur des Stücks kann man schlicht mit genial bezeichnen. Hier zeigt sich virtuose Spielfreude, gepaart mit dumpfer Brachialität: das ab sofort einzigartige Erfolgsrezept der Gruppe Black Sabbath. Es gab und gibt sicher technisch anspruchsvollere Bands. Eine ähnlich dichte und packende Atmosphäre vermag aber keine andere zu erzeugen. Vielleicht ist es die unbändige Wut auf das Leben, die die Arbeitersöhne aus dem trostlosten Aston, Birmingham zu derartigen Höhenflügen verleiteten. Auf jeden Fall bleibt das achtminütige "War Pigs" für immer ihr wohl stärkstes und eindrucksvollstes Vermächtnis. Die Zeilen "Generals gathered in their masses - just like witches at black masses" gehören zur Grundbildung jedes Metal-Fans. Ein auch heute noch aktuelles, energisches Statement gegen den Krieg.

Der Lockermacher "Paranoid" mutete im Vergleich dazu recht einfältig an. Ein stupendes pumpendes Riff, ein psychopathischer Gesang, ausgelegt auf einen Frontalangriff mitten ins Gesicht. Nicht mal drei Minuten, die Geschichte schreiben sollen. Angeblich wurde die Nummer in Windeseile im Studio geschrieben, um noch ein schnelles Stück im Repertoire zu haben. Es ging wie eine Rakete durch die Decke. Platz 1 in den deutschen Singles-Charts und Platz 4 in England. Von diesem Moment an waren Black Sabbath internationale Topstars. Und das Stück "Paranoid" stand fortan in einer Reihe mit zu Tode gespielten, aber unsterblichen Rock-Evergreens wie "Smoke On The Water", "Highway To Hell" oder "Kashmir". Aber Ozzy war vorher, er war der Pionier, er war der, der es allen vormachte, wie harter Rock passieren muss. Ein Jahrhundertwurf, den die Gruppe Black Sabbath allerdings später nicht mehr wiederholen konnten, weil einem ein solcher Breakout nur einmal im Leben gelingt.

Nach einem krawallhaften Einstieg setzte der nachfolgende Titel "Planet Caravan" einen unerwarteten Kontrapunkt. Begleitet von jazzigen Bongos sang Ozzy Osbourne hier relativ verwaschen durch ein Leslie-Cabinet von der Schönheit des Planeten und der Unendlichkeit des Universums. Ob Kiffer-Hymne oder nicht, in diesem Stück zeigte sich die Vielseitigkeit der angeblichen Rüpel-Rocker. Eine tiefenentspannte, irgendwie magische Nummer. 2013 griff die Gruppe dieses stilistische Element noch einmal auf: Das für die LP "13" eingespielte Stück "Zeitgeist" bedeutete eine entsprechende, nicht minder gekonnte Neuauflage von "Planet Caravan". Mit ihrem heute legendären "Iron Man" ging es anschliessend wieder zurück auf die von Niederträchtigkeit gepeinigte Erde. Schwerfällig walzend entfaltete sich eines der bekanntesten Riffs der Rockgeschichte. Tausendfach gecovert und wohl der einzige "echte" Metal-Song der ganzen Platte. Bei Livekonzerten hatte die Band während ihres gesamten Bestehens diesen Klassiker stest im Repertoire. Pure Perfektion.

Das mit Wah-Wah Effekten unterlegte "Electric Funeral" beschäftigte sich textlich mit der Angst vor den Folgen einer drohenden Atombombenkatastrophe. In Zeiten des kalten Krieges sprach das vielen Menschen aus der Seele. Optimismus ging anders, aber genau das machte den Charme der gesamten Platte aus. Hübscher Tempowechsel im Mittelpart. Nicht ganz so überragend wie die vier Titel davor, aber nichts desto trotz hochklassig. Selbiges galt auch für "Hands Of Doom". Als Rezept zur Bewältigung der nahenden Apokalypse wurde hier die Einnahme gewisser Pillen genannt. Es ist kein Geheimnis, dass alle Bandmitglieder vor allem in den 70ern stark den bewusstseinsverändernden Stoffen zugetan waren. Ein wiederkehrendes Thema in ihren Texten und 1978 schliesslich der Grund für die Trennung dieser Besetzung. Mit der holpernden Instrumental-Intermission "Rat Salad" durfte der stets unterbewertete Schlagzeuger Bill Ward sein Können zeigen. Aus heutiger Sicht vielleicht etwas antiquiert, aber natürlich trotzdem hörenswert.

Den Abschluss bildete anschliessend die durchgeknallte Drogen-Fantasie "Fairies Wear Boots". Man kann sich bildlich vorstellen, wie der schon damals brotfertige Ozzy nach einer durchzechten Nacht beim Arzt aufschlägt und ihm irgendwas von Feen in Stiefeln erzählt, die mit Zwergen durch die Nacht tanzen. Groovender, hypnotischer Boogie über die Ausweglosigkeit der eigenen Situation. "Smokin' and trippin' is all that you do". Erstaunlich klare Sicht auf die individuellen Verfehlungen, zu denen jedoch keine Alternative aufgezeigt wurde.

Das also war es, jenes wegweisende Song-Konglomerat, mit dem Black Sabbath auf ewig in Verbindung gebracht werden. Sie haben im Laufe ihrer Karriere einige ähnlich starke, wenn nicht sogar noch bessere Alben herausgebracht. Erwähnt seien beispielsweise "Sabbath Bloody Sabbath", "Volume 4", "Heaven And Hell", "The Mob Rules", das damals total verstörende und schon bald genrebildende Debutalbum und das für meinen ganz persönlichen Geschmack nach "Paranoid" beste Black Sabbath-Album "Master Of Reality", das gleichzeitig auch der Nachfolger dieser grossartigen zweiten LP war. Erfolgreicher und öffentlichkeitswirksamer indes war bis auf das Spätwerk "13" kein anderes Werk der Band als dieses atemberaubende "Paranoid": Platz 1 in England, Rang 2 in Deutschland und auch Position 12 in den USA: dies die beeindruckende Charts-Bilanz damals. Ausserdem über die Jahre vier Millionen verkaufte Exemplare - solche Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Solch ein Erfolg ist Fluch und Segen zugleich. Ozzy, Tony, Geezer und Bill leben auch mit inzwischen Mitte 60 noch von "War Pigs", "Paranoid", oder "Iron Man" und das vollkommen zurecht. Der Sound ist für damalige Verhältnisse erstaunlich heavy und transparent gehalten und überzeugt noch heute. So etwas wie ein natürlicher Alterungsprozess will sich vor allem bei den ersten fünf Black Sabbath-Alben bis heute nicht einstellen. Genau deshalb werden sie auch noch in hundert Jahren hell erstrahlen, denn wahre Kunst vergeht niemals. Erst recht nicht, wenn sie dermassen unverfälscht und spontan aus den Erschaffern hervorgebrochen ist.

Noch kurz zum Artwork der Platte: Auf dem Cover ist ein Mann mit Sturzhelm, Schild und Schwert in der Farbe eines Schweins zu sehen. Dieses Cover passt natürlich nicht zum Titel "Paranoid", sondern wurde bereits vorher entworfen, als das Album eigentlich "War Pigs" heissen sollte. Das Cover wurde nicht mehr geändert, als man den Titel "Paranoid" wählte. Ich persönlich höre mir dieses Weltklasse-Album immer noch öfters mal an, und wenn, dann von vorne bis zum Schluss, weil es keine wirkliche Schwachstelle gibt und das Werk mit den grössten Klassikern der Band einerseits, und mit absoluter Rock- und Metal-Geschichte gespickt ist. Weltklasse.







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