THE BRANDOS - Over The Border (Blue Rose Records BLU DP0411, 2006)
"The Triangle Fire" ist mit 7 Minuten das Kernstück des Albums, das mit akustischer Gitarre beginnt und sich zu einem Brandos-Meisterwerk entwickelt, bei dem wie auch bei den anderen Stücken der mehrstimmige Gesang von Kincaid und Ernie Mendillo Akzente setzt, wobei sich hier die elektrische Gitarre von Kincaid und die Uilleann Pipes von Jerry O'Sullivan ein heisses Gefecht liefern. "Dino's Song" ist das erste von drei Covers, war im Original 1968 von Quicksilver Messenger Service veröffentlicht worden und wurde in den Ursprüngen des Songs belassen, jedoch mit "Brandos-Drive" unterlegt und klingt, als wenn es in einen Jungbrunnen gefallen wäre. In "Merrily Kissed the Quaker / The New York Volunteer" lässt Kincaid seine irischen Wurzeln zur Geltung kommen, ehe man bei dem härtesten Rocker des Albums, "He's Waiting", im Original von den 60s Garage Punkern The Sonics, den stimmlichen Vergleich zu John Fogerty heranziehen muss, ob man will oder nicht. Mit "Let It Go" wird einen Gang zurückgeschaltet, ehe das traditionelle Volkslied "Guantanamera" nach 45 Minuten für einen überraschenden und sanften Ausklang eines vollkommen überzeugenden Brandos-Albums sorgt, das ich inzwischen für das beste Werk der Band halte.
In den weit über 20 Jahren ihres Bestehens hatten die Brandos etliche Besetzungswechsel zu vermelden, hier auf diesem Album besteht die Band im Prinzip aus Mastermind Dave Kincaid und Bassist Ernie Mendillo. Unterstützt wurden sie auf "Over The Border" neben den bereits erwähnten Musikern von Ex-Mitglied Frank Funaro am Schlagzeug, Andy Burton an der Hammond Orgel sowie Dennis Diken (Schlagzeug bei "She's The One" und "He's Waiting"). Produziert und arrangiert wurde das Album von Dave Kincaid, der auch alle Stücke geschrieben hat, von den Coverversionen abgesehen.
The Brandos begeisterten schon immer mit handgemachtem Rock & Roll, der bluesgetränkte Gitarrenattacken enthielt, gemischt mit Country- und Folk-Anleihen, die tief in der amerikanischen Musiktradition verwurzelt waren. Die Brandos, die von dem Film "The Wild One" derart begeistert waren, dass sie sich nach dessen Hauptdarsteller Marlon Brando benannten, formierten sich 1986 in der Besetzung David Kincaid (Gesang, Gitarre, Mandoline, Banjo), geboren am 21. März 1957 in Santa Monica,Kalifornien, Ed Rupprecht (Gitarre), Larry Mason (Schlagzeug) und Ernie Mendillo (Bass und Gesang). Der Kopf der Gruppe war der in Seattle aufgewachsene Sänger, Gitarrist und Texter David Kincaid. Der von irischen Vorfahren abstammende Kincaid spielte seit Mitte der 70er Jahre zusammen mit Larry Mason in diversen Rockbands seiner Heimatstadt Seattle. 1979 gründeten Kincaid und Mason gemeinsam mit Steve Adamek (Gesang und Gitarre) die Power Pop Band The Allies. Unterstützt wurden sie dabei von dem Songwriter Carl Funk. Die Allies konnten mit ihrer Mischung aus kraftvollem Gitarrenpop, Punk und New Wave 1982 mit dem Song "Emma Peel" einen Radio-Hit in Seattle landen und mit der im März 1982 veröffentlichten LP "Allies" einen Achtungserfolg erzielen. Die Band spielte bis Anfang 1985 in den Clubs ihrer Heimatstadt, doch dann war plötzlich die Luft raus. "Irgendwie war in Seattle nicht mehr viel los, und so entschied ich, die Stadt zu verlassen. Ich wollte im Zentrum der Dinge sein, also ging ich nach New York. Im 'Village Voice' graste ich die Annoncen nach Gruppen ab, die Musiker suchten, und landete so schliesslich bei Soul Attack, der Band, in der Ernie Mendillo und Ed Rupprecht spielten", erklärt Dave Kincaid.
Die Musiker beschlossen, mit einem veränderten Sound einen Neuanfang zu starten und nahmen mit Hilfe eines Schlagzeug-Computers in Kincaids Apartment einige Demo Songs auf. Schon bald hatten die Musiker genug Material zusammen, um es in den New Yorker Clubs vorstellen zu können. Unter dem Namen "The Brandos" und mit Kincaids altem Freund Larry Mason als nunmehr festem Schlagzeuger begann die Band im Februar 1986, in den angesagten New Yorker Clubs wie dem CBGB, Tramps und The Bitter End aufzutreten. Im Oktober 1986 gingen die Brandos ins Studio, um ihre erste LP "Honor Among Thieves" (die es in den Staaten bis auf Rang 108 in die Hitparade schaffte!) aufzunehmen, die von dem New Yorker Label Relativity Records 1987 veröffentlicht wurde. Das Album glänzte mit einem klaren und frischen Powerrock, mit satten Gitarren, klugen Texten und starken Melodien und verhalf der noch jungen Gruppe schnell zu nachhaltigem Erfolg auch ausserhalb der USA. Sänger David Kincaid beeindruckte dabei mit einer durchdringenden Stimme, die immer wieder Vergleiche mit der von John Fogerty's mächtigem Organ hervorrief. Im Mai 1987 tourten die Brandos erstmals durch Europa. Danach spielten sie bei US-Konzerten als Vorgruppe für INXS, The Cars, und den Georgia Satellites. Im Frühjahr 1988 wurde das Album "Honor Among Thieves" in der Sparte "Best Album (Independent Label)" mit einem New York Music Award ausgezeichnet, und Dave Kincaid bekam in der Sparte "Best Male Vocalist (Independent Label)" ebenfalls einen New York Music Award verliehen.
Danach begannen die Brandos mit den Aufnahmen an ihrer zweiten LP "Trial By Fire", die aber wegen Rechtsstreitigkeiten mit verschiedenen Plattenfirmen nie veröffentlicht wurde. Die Band musste zwischen 1989 und 1992 eine Zwangspause einlegen, in der sie versuchte, einen neuen Plattenvertrag auszuhandeln, und landete schliesslich, nachdem sie von RCA Records wieder gefeuert wurde, beim deutschen Label SPV Records. Das 1992 veröffentlichte Album "Gunfire At Midnight" durfte allerdings aufgrund der Rechtsstreitigkeiten, die die Karriere der Brandos in den USA für weitere sechs Jahre blockieren sollte, nur in Europa erscheinen. Dave Kincaid hierzu: "1991 haben wir uns überlegt, ob wir die Sache beenden sollen oder noch einmal durchstarten. Das Jahr zuvor war wirklich hart. Ich hatte geheiratet und konnte meiner Frau nichts bieten. Die anderen kehrten in ihre alten Jobs zurück. Ich bin eine Zeitlang Lastwagen gefahren und habe zwischendurch neue Songs geschrieben. Es war unser schlimmster Alptraum".
Doch mit dem Album "Gunfire At Midnight" brachten die legitimen Nachfolger von Creedence Clearwater Revival, wie sie oft bezeichnet wurden, ihre Karriere wieder in Schwung. Die LP bekam glänzende Kritiken, und durch ausgiebige Tourneen durch den europäischen Kontinent konnten sich die Brandos eine grosse Fangemeinde erspielen. Dass die Band zu den besten Gitarrenrockbands der Welt gehört, bewies sie mühelos mit dem ausgefeilten Gitarrenrock der LP "Gunfire At Midnight". Das vom Magazin Stereoplay als ein rauhes, ungeschliffenes Rock-Juwel bezeichnete Album enthielt ein kraftvolles Potpourri aus Country-Rockern ("Partners"), Rockabilly-Nummern ("The Last Tambourine") und dynamischen Rockern ("How The Dice Fall"). Als Singles wurden die Songs "The Keeper" (1992), "Anna Lee" (1993) und der hymnenhafte Rock-Song "The Solution" (1992) ausgekoppelt. Am Songwriting war wieder, wie auf vielen anderen Platten der Brandos, der Texter Carl Funk beteiligt.
Auf ihrem 1994er Album "The Light Of Day" wurde Ed Rupprecht, der nur an zwei Stücken des Albums beteiligt war, grösstenteils durch Scott Kempner von den fabelhaften Roots-Rockern The Del-Lords ersetzt. Bei dieser Platte setzte die Band verstärkt auf akustische Instrumente und erweiterte das Spektrum um den Einsatz von Violinen-, Banjo- und Mandolinenklängen, so dass man von einer gelungenen Mischung aus Rock und Folk, Kraft und Gefühl sprechen konnte. Von der traditionsbewussten Folk-Rock-Platte wurden die Songs "Not A Trace" (1994) und "Love Of My Life" als Singles ausgekoppelt. 1995 veröffentlichte die deutsche Plattenfirma SPV Records die zehn Titel umfassende CD "The Light Of Day" mit akustischen Versionen bekannter Songs inklusive Coverversionen wie "Twenty Flight Rock" von Eddie Cochran und "Green River" von CCR. Ganz im Stile von Creedence Clearwater Revival klang auch die CD "In Exile - Live" (1995). Das packende Live-Dokument enthielt kraftvolle, funkensprühende Songs aus den vorangegangenen Studio-Alben sowie das Traditional "The Recruiting Sergeant".
Auf dem 96er Album "Pass The Hat" präsentierten sich die Brandos in veränderter Besetzung, denn Rupprecht, Mason und Kempner waren ausgeschieden und durch Frank Funaro (Schlagzeug, ehemals bei The Del Lords) und Frank Giordano (Gitarre) ersetzt worden. Das rauhe, erdige und kraftvolle Roots-Meisterwerk, wie es von der Zeitschrift Musik Express/Sounds bezeichnet wurde, enthielt wieder jede Menge Rock-Hymnen, von denen das folkige "Tell Her That I Love Her", der Titel-Track "Pass The Hat" und das erdige "You'll Still Be Mine" besonders herausragten. Ausserdem waren auf dem Album mit "German Skies", "Let The Teardrop Fall", "The Siege" und "The Other Side" vier Songs vertreten, die von dem unveröffentlichten Album "Trail By Fire" stammten und für "Pass The Hat" neu aufgenommen wurden. Im gleichen Jahr beteiligte sich David Kincaid als Produzent, Mandolinenspieler und Background-Sänger an dem Solo-Album des Songwriters Carl Funk, das von Folk, Rock und Pop beeinflusst war.
1997 beschäftigte sich Kincaid mit den Aufnahmen seines Solo-Albums "The Irish Volunteer", das die Folk-Seite des hemdsärmeligen Rockers präsentierte und überwiegend akustische Arrangements enthielt. Im Sommer 1997 gingen die Brandos mit dem Schlagzeuger Tom Goss auf Europa-Tournee. Ein neues Album erschien im Oktober 1998. Eingespielt wurde die CD "Nowhere Zone" mit den Musikern Kincaid, Mendillo, Giordano und Funaro. "Nowhere Zone" bedeutete eine Rückkehr zum klaren amerikanischen Rock, welcher der Band den Durchbruch sichern sollte. Doch die Grosstadt Folkrock Songs wurden wieder nur von den Fans vernommen, und die Brandos zählten auch weiterhin zu den ewigen Geheimtipps. Von den Fans besonders herbeigesehnt, enthielt die CD die verbliebenen sechs Songs der unveröffentlichten Platte "Trail By Fire". Im Sommer 1999 tourten die Brandos mit dem Schlagzeuger Tom Engels wieder durch Europa und traten unter anderem im Vorprogramm von Van Morrison, Deep Purple und Bryan Adams auf. Während dieser Tour wurde das im Eigenvertrieb erschienene Konzert-Dokument "Live At Loreley" aufgenommen. Gegen Ende 1999 erschien die Zusammenstellung "Contribution - The Best Of 1985-1999", auf der die Band ihre fast fünfzehnjährige Karriere Revue passieren liess. Als besonderes Bonbon enthielt diese wundervoll zusammengestellte Roots Rock-Mischung die beiden unveröffentlichten Songs "Hallowed Ground" und "My Way To You".
Danach wurde es ruhiger um die Brandos. Zwar gab es noch ein paar kleinere Tourneen, wie im Dezember 2002 und im Juli 2006 in Deutschland, doch weitere Alben wurden zunächst nicht eingespielt. Von David Kincaid erschien 2001 aber das Solo-Album "The Irish-American's Song", auf dem er wieder authentische und grösstenteils akustische Folksongs präsentierte, die das Liedgut der irischen Soldaten im amerikanischen Bürgerkrieg aufgriffen. Anschliessend ging Dave Kincaid auch als Solist auf Tournee und trat dabei regelmässig auch in Deutschland auf.
Wenn man den gesamten Brandos-Schatz entdecken möchte, kann man letztlich getrost jedes Album der Gruppe einmal antesten. Es ist letztlich immer ein Garant für tolle Roots Rock-Musik mit einer schönen Portion Americana und dem lufitgen irischen Folkrock-Flair, für das der Name Dave Kincaid steht. Mir persönlich gefällt einfach das stilistisch sehr breitgefächerte Album "Over The Border" am besten. Es suggeriert auch vom Titel her das, wofür Dave Kincaid's Musik immer stand: Stilistische Grenzen überschreiten.
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