Nov 21, 2017


NEAL MORSE - So Many Roads (Radiant Records 3984-14796-2, 2009)

Neal Morse, der ehemalige Frontmann der Amerikanischen Progressive Rockband Spock's Beard und Mitglied der fantastischen Prog-Supergroup Transatlantic, tourte im Jahre 2008 durch Europa. Die Aufnahmen zum Dreifach-Album "So Many Roads" stammten aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland (Bochum und Aschaffenburg). Wer sich ein Neal Morse Album kaufte, wusste eigentlich immer schon zum vornherein sehr genau, was ihn erwarten würde. Der Wiedererkennungswert dieses Musikers war schon immer extrem gross. Genau das wurde von den Musikfreunden allerdings manchmal auch kritisiert. Zu vorhersehbar sei die Musik, die Texte mit übertriebenem Kirchenbezug und irgendwie wäre es immer dasselbe. Ich konnte diese Kritik zwar immer irgendwie nachvollziehen, bei mir stach sie allerdings überhaupt nicht. Ganz das Gegenteil war der Fall. Ich bewunderte es, wie es Neal Morse mit einigen wenigen musikalischen Bausteinen immer wieder schaffte, wundervolle Musik zu produzieren. Auf "So Many Roads" gab es Songs aus den verschiedensten Dekaden des Musikers zu hören. Spock's Beard-Titel wurden genauso gespielt wie etwa ein 30 Minuten langes Medley zweier Transatlantic-Songs. Und zwischendurch natürlich immer wieder Songs seines Solo-Schaffens. Die Spielfreude der Band war dabei jederzeit phantastisch. Die Fans feierten jeden Song lautstark und bei besonderen Momenten gab es auch schon mal Extra-Applaus. So muss eine Live-Platte im Grunde auch klingen.

Die Band spielte hier bei diesen Konzertaufnahmen sehr tough, war allerdings durch etliches Touren mit Neal Morse auch perfekt eingespielt. Höhepunkte für mich auf diesem drei Alben umfassenden Live-Statement waren sicherlich die Spock's Beard Klassiker "At The End Of The Day" - hier in einer unglaublich schönen fast schon intimen Variation dargeboten und natürlich auch das fabelhafte "Walking On The Wind". Aber auch die Neal Morse Solosongs "Question Mark Medley", "So Many Roads" und "Leviathan" waren in diesen Live-Versionen absolute musikalische Leckerbissen. Und wenn dieses Dreierpack dann mit Transatlantic's "Stranger In Your Soul / Bridge Across Forever" zu Ende ging, gewann ich persönlich den Eindruck, bei diesem klasse Konzerten ein klein wenig dabei gewesen sein zu dürfen. Obwohl Konzerte von Neal Morse tatsächlich so lange dauern können, bot "So Many Roads" eine Zusammenstellung mehrerer Auftritte in Deutschland und den Niederlanden. Das funktionierte immerhin so bruchlos, dass selbst der Zusammenschnitt aus Bochum und Zaandam "Stranger In Your Soul / Bridge Across Forever" nicht gestückelt wirkte. Zeigte natürlich ebenfalls, wie sehr Neal Morse und seine holländische Begleitband hier aufeinander eingespielt waren. Der Verzicht auf grosse Namen etwaiger öfters mal hinzugezogener Gastmusiker fiel absolut gar nicht ins Gewicht. Besonderes Lob ging an Jessica Koomen, deren volle und gleichzeitig ätherische Stimme an diesen Auftritten Neal Morse's Gesang hervorragend ergänzte.

Ueber die teils plakativen und phrasenhaften Texten war schon öfters diskutiert worden, man wusste eigentlich immer, was Neal Morse ideell bewegt (Sprichwort: christliches Gedankengut), und so bekam man ihn auch. Ähnliches galt für die Musik. "So Many Roads" bot einen recht repräsentativen Querschnitt durch sein Schaffen. Gleich der Einstieg "At The End Of The Day" ging zurück in alte Spock’s Beard Tage zu Zeiten von deren Album "V" und überzeugte durch eine druckvolle Interpretation. Danach ging es weiter mit der Nummer "Leviathan", dem sperrigsten Stück des Studioalbums "Lifeline". Achtbar, man sollte bloss nie auf die Idee kommen, den Song mit ähnlich gearteten Monstren Van Der Graaf Generator's zu vergleichen. Die folgende Ballade "The Way Home" gewann durch den etwas rauheren Vortrag gegenüber dem Studio-Original, blieb aber immer noch ein ziemlich atmosphärisches und eindringliches Folklied. Absolut überzeugend waren auch die beiden karg instrumentierten Stücke "That Crutch" vom Album "Songs From The Highway" und "We All Need Some Light", die durch ihre unprätentiöse Art zu den Höhepunkten des Sets gehörten. Wie Neal Morse überhaupt oft am besten klang, wenn der ganze Bombast ein wenig zurück geschraubt wurde, und der Singer/Songwriter, respektive bei "Help Me / The Spirit And The Flesh" der Musiker mit einem wundervollen Feeling für den Blues überzeugte.

Brachte es die erste der drei Platten dieses Sets immerhin auf sieben Stücke, so schmückten sich die anderen beiden Scheiben lediglich mit je drei Liedern, oder besser gesagt Epen. Die Readers Digest-Versionen von "Question Mark" und "Testimony", das "Testimedley", komprimierten die zugrunde liegenden Alben sehr effektiv; Glanzstück war aber das zwölfminütige, abwechslungsreiche "Help Me / The Spirit And The Flesh", das wieder den zurückhaltenden Neal Morse zum Vorschein brachte. Klasse Song. Blieben auf der abschliessenden CD noch "Walking On The Wind", eine der schönsten Kompositionen von Neal Morse überhaupt, sowie das für dieses Set titelgebende Stück "So Many Roads", das auf einer Lauflänge von insgesamt über 30 Minuten ein unglaublich vielschichtiges und wundervolles musikalisches Highlight bildete. Und dass die Band an dem nahtlos anschliessenden Transatlantic-Longtrack "Stranger In Your Soul / Bridge Across Forever" ebenfalls mit Ueberlänge und einer Laufzeit von wiederum 31 Minuten nicht scheiterte, zeigt ihre Klasse. Die vorliegende Interpretation brauchte sich jedenfalls hinter keiner bereits bestehenden Version zu verstecken, mit derart viel Verve und Sicherheit wurde sie gespielt.

Ein adäquater Abschluss der kleinen, aber nicht kurzen Neal Morse-Nabelschau. Man mochte über das Konzept streiten, mehrere Auftritte und Auftrittsorte zu einem Album zusammen zu schweissen. Aber die Live-Atmosphäre kam hier absolut gediegen herüber, wie durch das gut aufgelegte, mitsingende Publikum bei "We All Need Some Light" und unterstrich ausserdem den Vorteil, den eine Konservierung schon immer besass: Man muss sich dreieinhalb Stunden voluminösen Neal Morse-Code nicht an einem Stück zu Gemüte führen. Und entging so letztlich eigentlich immer der Gefahr, sich an 'too much Drama' satt zu hören. Abgesehen von dem Verzicht auf Auszüge aus "Sola Scriptura" (vielleicht dem 2008er Live-Paket "Sola Scriptura And Beyond" geschuldet) und den ersten Soloalben, bot "So Many Roads" einen perfekten Überblick und eventuellen Einstieg in Neal Morse's Schaffen. Und damit der frühen Spock's Beard. Und Transatlantiv. Und der Epigonen. Wer also in jene Welt der retroprogressiven Rockmusik hineinschnuppern wollte, der war spätestens bei diesem Mammutprodukt exzellent aufgehoben. Ein gut aufgelegter Neal Morse, fähige Begleitmusiker und weitgehend ansprechendes Songmaterial machten "So Many Roads" zum vielleicht hörenswertesten Live-Album des höchst produktiven Musikers.






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