PAUL THORN - What The Hell Is Goin On? (Perpetual Obscurity Records 467582, 2012)
Auf seinem damals bereits zehnten Album präsentierte der Singer und Songwriter Paul Thorn zur Abwechslung mal etwas Anderes: Er coverte seine Lieblingssongs von anderen Interpreten und Autoren. Und er hatte wohl sehr viel Spass dabei. "What The Hell Is Goin On?" war der Nachfolger zu "Pimps And Preachers", jenem grandiosen Werk, mit dem sich der ambitionierte Künstler aus Tupelo, Mississippi auch in hiesigen Fankreisen einklinkte. Mit ziemlichem Erfolg, denn Paul Thorn's kerniger Rock Gesang kam auch hierzulande sehr gut an. Einer, wie man ihn nicht mehr so häufig findet in der weiten Roots Rock-Welt und der sein Label Joe Cocker from the South sicher nicht zu Unrecht erhalten hatte.
Der Name Paul Thorn steht seit 1997 auf der Roots-musikalischen Landkarte, als er mit seinem Debütalbum "Hammer & Nail", veröffentlicht bei A&M Records, erstmalig für Aufsehen sorgte. Bis dahin war gar nicht mal klar, welche Laufbahn er überhaupt einschlagen würde. So arbeitete er als Tischler, Fallschirmspringer und als Profiboxer im Supermittelgewicht - bis er 1988 in Atlantic City der Latino-Boxlegende Roberto Duran unterlag. Nach diesem Schlüsselerlebnis gab es für ihn fortan nur noch die Musik. Thorn hatte genug erlebt, um daraus reichlich Stoff für seine Songs zu schöpfen, die Eigenarten des Südens hatte er bereits mit der Muttermilch aufgesogen, die streng religiöse Erziehung seines Vaters, der als Prediger unterwegs war, prägte ihn genauso wie sein Onkel im fernen Kalifornien, der in jungen Jahren als Zuhälter im Halbweltmilieu lebte und von dem er gelernt hatte, wie man vorwärts kommt im Leben, wie man ein richtiger Fighter werden kann.
Diese Ambivalenz zwischen Gut und Böse, Jesus und Teufel, Erfolg und Verzweiflung zog sich dann auch wie ein roter Faden durch die meisten Paul Thorn-Songs und machte seine Alben so unerhört attraktiv. Bis 2008 erschienen in mehr oder weniger regelmässigen Abständen sechs weitere Alben, sowohl Studioproduktionen als auch Live-Mitschnitte mit unterschiedlichen stilistischen Schwerpunkten, alle grundsätzlich aber im Bereich zwischen Roots Rock, Gospel, Singer/Songwriter, Rhytm'n'Blues und Southern Rock. Das 2010 veröffentlichte Album "Pimps And Preachers" bildete dann einen vorläufigen künstlerischen Höhepunkt: ein wunderbares, 13 Titel umfassendes Statement mit einer Fülle von Hooks, Riffs und Refrains, wie man sie nur selten in dieser geballten Qualität zu hören bekam. Konsequenterweise war dies auch zuhause in den Vereinigten Staaten mit Abstand seine bis dato erfolgreichste Veröffentlichung.
Danach vollzog Paul Thorn mit "What The Hell Is Goin On?" einen richtigen Schnitt. Hier ging es für einmal nicht um eigene Erfahrungen und Befindlichkeiten, nicht um in der eigenen Biographie akustisch Nachgezeichnetes: Der 'Mark Twain of Americana' legte als Songwriter Pause ein und erfüllte sich den langersehnten Wunsch, einen Stapel seiner absoluten Lieblingsstücke von anderen Künstlern aufzunehmen und ihnen seinen eigenen Southern Roots Rock-Stempel aufzudrücken. Wie gut, dass er sich dabei auf seine über viele Jahre perfekt eingespielte Band verlassen konnte. Von Anfang an war der versierte Lead & Slide-Gitarrist Bill Hinds mit dabei, ein Mann wie ein Fels, der mit Thorn in vorderster Front ein wahres Dreamteam bildete. Keyboarder Michael Graham und Drummer Jeffrey Perkins waren ebenfalls über eine Dekade schon mit an Bord, nur Bassist Ralph Friedrichsen kam neu hinzu und hatte sich schnell in den festen Teamverbund eingefügt.
Zusammen hatten sie einen sehr erlesenen bis ungewöhnlichen Songkatalog ausgetüftelt: Da stand Material von bekannten Americana-Grössen wie Buddy Miller und Ray Wylie Hubbard neben dem noch eher unbeschriebenen irischen Newcomer Foy Vance. Der New Orleans-Pate Allen Toussaint fand seinen Platz zwischen der englischen frühsiebziger Rock Truppe Free und der aktuelleren Soul/Rhythm'n'Blues-Grösse Eli 'Paperboy' Reed ebenso wie der Blues von Elvin Bishop und dem vielleicht besten Solo-Song von The Band's Rick Danko.
Zum Start gab es mit "Don't Let Me Down Again" eine alte Lindsey Buckingham-Nummer aus der Ära vor Fleetwood Mac (Buckingham-Nicks, 1973) in einer munteren Shuffle und Slide-Version, bevor Thorn Ray Wylie Hubbard's "Snake Farm" von Texas in die tiefsten Mississippi-Sümpfe transplantierte. Buddy & Julie Miller's "Shelter Me Lord" wurde ganz im Stil von Joe Cocker's "Mad Dogs & Englishmen" zelebriert - die McCrary Sisters hatten daran einen hohen Gospel-Anteil. Von Elvin Bishop stammte der Titeltrack "What The Hell Is Goin' On" und Elvin Bishop wirkte hier als Gastmusiker mit. In einem wahren Blues Rock Stomp duellierten sich Bishop und Bill Hinds gleich mehrfach mit deftigen Electric Slide-Attacken. Der "Small Town Talk" von Rick Danko kam lässig-groovy im typischen New Orleans-Modus ähnlich wie später Allen Toussaint's "Wrong Number", das Thorn völlig im Kontrast zum Original (also zu Aaron Neville's hohem Falsett) sang. Überhaupt erwies sich Thorn wieder als brillanter Könner, wenn er diese gefährlich an der Kitschgrenze schrammenden Balladen auf die rauhe Americana-Seite rüberholte. Das gilt auch für Donnie Fritts' "She's Got A Crush On Me" - etwa eine Mischung aus "A Whiter Shade Of Pale" und "Dark End Of The Street". So eine Falle lauerte bei Nummern wie "Walk In My Shadow" und "Bull Mountain Bridge" natürlich nicht. Erstere war eine Southern-Adaption eines weniger bekannten Hard Rock-Titels von Free ("Tons Of Sobs", 1969), die zweite ein Country Boogie von Wild Bill Emerson mit dem grossen Delbert McClinton im Duett und illustren Chorsängern wie Kevin Welch und Danny Flowers.
Es blieb dann der Abschlussnummer von Eli 'Paperboy' Reed vorbehalten, das Fragemotto von "What The Hell Is Goin On?" am besten zu beantworten: Sein "Take My Love With You" geriet zur ultimativen Verknüpfung von Rock'n'Roll, Soul, Boogie und Spiritual mit unbändiger Leidenschaft, zwingender Tanzbarkeit, hoher Musikalität und toller Roots Rock-Partylaune. Paul Thorn ist eine Entdeckung wert. Seine Musik macht einfach Spass. Dies gilt insbesondere für seine Fähigkeit, an sich eher konventionellen Kompositionen einen völlig neuen Schliff zu verpassen, oder anders gesagt: Fremde Songs zu eigenen zu machen. Brilliant gemacht.
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