Jun 23, 2020


LEGEND - Legend (Red Boot Album) (Vertigo Records 6360 019, 1970)

Mickey Jupp's zweites Album von 1970 war ein Kessel Buntes mit allerlei Fifties-Zutaten, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sowas von hoffnungslos 'out of Fashion' war, dass er schon wieder sympathisch wirkte. Herrliche Doo-Wop Chöre, etwas geschmackvoller Blues, viel Boogie-Feeling, countryeske Momente; eine klasse Produktion von Tony Visconti (David Bowie) und Top-Toningenieur Eddie Offord (Taste, Yes, Emerson Lake & Palmer) und fertig war eine Platte, die imgrunde überhaupt nicht in die angesagte progressive Umgebung passte, für die das Label Vertigo damals stand. Ich teile die Einschätzung vieler Musikkritiker, dass Mickey Jupp einer der wichtigsten Songschreiber Englands ist, und ich bin ebenfalls der Meinung, dass dieses vor allem seines Covers wegen meist "Red Boot" genannte Album seinen Kultstatus zu recht geniesst.

Für das bemerkenswerte und vor allem den Rock'n'Roll visuell perfekt in Szene setzende Coverbild war der Designer Karl Stoecker verantwortlich, dessen Zauberformel denkbar einfach war: Eine klassische Stiefelette, der er ein züngelndes Flammen-Gewand verpasste. Alleine diese Schlichtheit reichte aus, um den Rock'n'Roll schon ohne Hörprobe zu transportieren: Zu offensichtlich war dieser visuelle Effekt. Umso überraschender dann die vielseitige Mixtur auf diesem Werk, die Mickey Jupp mit seiner Band treffsicher und geschmackvoll umsetzte. Mit "My Typewriter" gab es hier einen leicht schrägen Midtempo-Song, der erst sieben Jahre später auf Stiff Records als Single veröffentlicht wurde (!). Dieser Song von Mickey Jupp nahm schon viel vom künftigen New Wave vorweg. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Titels im Rahmen der LP 1971 konnte man bestenfalls von frühem Pub Rock sprechen, der damals ebenfalls noch in den Kinderschuhen steckte.

Eine ganze Reihe schöner und sehr unterhaltsamer Songs bietet die LP aber auch wegen der sehr eleganten Produktion von Tony Visconti. Zwar wurden besonders bei den Rock'n'Roll-Stücken fast alle Zähne gezogen, doch der Wohlklang, der manchmal etwas üppig ausfällt, tut den Songs teilweise sehr gut, verleiht ihnen eine durchaus eigenständige Note. Durch diese speziellen Arrangements klingt die Platte am Ende eben nicht wie so manch andere traditionelle Rock'n'Roll-Scheibe, und Tony Visconti hatte damit wohl den Musiker Jupp verstanden, denn der war sehr viel mehr als just another Rock'n'Roll Kid. Der Vielfältigkeit dieses Zeit seines Lebens unterschätzten Künstlers wurde diese Produktion eigentlich genau gerecht. Ob der rockende Einstieg mit "Cross Country" die beste Wahl war, ist eigentlich egal, denn schon mit dem nachfolgenden waschechten Rock'n'Roll "Cheque Book" ist man mittendrin im Retro-Rock'n'Roll. Blues spielt die Band dann in "Lorraine Part 1" - es gibt mit "Five Years" eine tolle folkige Pop Ballade, die noch den Geist der verblichenen 60er Jahre in sich trägt, und schliesslich mit "Anything You Do" einen rhythmisch sehr ansprechenden Quasi-Doo Wop, der letztlich aber doch mehr im Rock verwurzelt ist als im klassischen Fünfziger Jahre Sound. "Hole In My Pocket" ist dann ein weiterer Rock'n'Roll-Titel, der schon nahe an die späteren Kompositionen herankommt, die Mickey Jupp nach seiner Zeit mit Legend geschrieben hat.

Die Platte verkaufte sich relativ schlecht, wurde aber bald zum Sammelobjekt, was den Wert des Originals kontinuierlich steigerte, da aufgrund der niedrigen Verkaufszahlen auch nur wenige Exemplare in Bestzustand zu finden waren. Der Wert für ein gut erhaltenes Exemplar dieser Platte liegt mittlerweile bei rund 100 bis 200 Euro, Tendenz - wie bei allen originalen Swirl Veröffentlichungen - steigend. Interessant im Zusammenhang mit der Platte ist auch der Umstand, dass das Label Vertigo kein Stück aus der LP ausgekoppelt hat als Single. Dazu ging Mickey Jupp mit seiner Band noch einmal ins Tonstudio und nahm zwei separate Titel auf, nämlich "Life" und "Late Last Night". Die Single war ein Flop und half auch nicht, die Verkaufszahlen der LP anzutreiben. Dasselbe tat die Band übrigens auch beim ein Jahr später veröffentlichten dritten Legend-Werk "Moonshine": Obwohl auch jene Platte einige Titel bot, die sich zu einer Singleauskopplung geeignet hätten, wurden zwei Non LP Titel als 7" aufgelegt: "Don't You  Never" mit der B-Seite "Someday".

Mickey Jupp löste die Band Legend kurz nach Veröffentlichung der dritten LP "Moonshine" auf, nachdem auch diese Platte erneut relativ schlecht verkauft wurde. Er zog sich zurück und kehrte erst im Jahre 1978 wieder ins professionelle Musikbusiness zurück, als er 1978 einen Vertrag bei Stiff Records unterzeichnen konnte. Das kurze Zeit darauf von Nick Lowe und Gary Brooker (Procol Harum) produzierte Album "Juppanese" eröffnete Mickey Jupp endlich eine etwas erfolgreichere Karriere, die sich in mehreren ausserordentlich hörenswerten Alben eindrücklich nachhören lässt. Endlich konnte er mit seiner Musik auch Geld verdienen - seine Songs wurden unter anderem von Dr. Feelgood, Dave Edmunds oder auch Elkie Brooks (Vinegar Joe) gecovert, was sicherlich auch ein bisschen die Qualität seiner Kompositionen beweist.

Mickey Jupp lebt heute in Boot/Eskdale (England), wo er einen Kunst- und Handwerksladen betreibt, gibt aber immer noch regelmässig Konzerte im kleinen Rahmen in Pubs und hat in den letzten Jahren immer wieder mal selbstproduzierte CDs mit Songs veröffentlicht, die er im stillen Kämmerchen in seiner "Music Cottage" aufgenommen hat, teils zusammen mit seinem alten Legend-Weggefährten Mo Whitham.


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