Jan 14, 2018



MAGMA - Mekanïk Destruktïw Kommandöh (Vertigo Records 6499 729, 1973)

Im Jahre 1969 vom klassisch ausgebildeten französichen Musiker Christian Vander gegründet, war die Gruppe Magma etwas völlig Neues, das nicht nur in Kreisen der Progressiven Rockmusik, sondern auch im avantgardistischen Umfeld und innerhalb der E-Musik für Furore sorgte, denn zur Musik, die vom Stil her ein wenig an den Jazz/Rock-Stil der englischen Gruppe The Soft Machine erinnerte, gehörte eine eigene, von Vander ersonnene Kunstsprache. Die Lingua des in seiner Phantasie popularisierten Planeten Kobaia artikulierte sich wie eine rückwärts gesprochene Mixtur aus deutschen und slawischen Sprachfetzen. Ein ganzes musikalisches Stilumfeld war geschaffen. Es nannte sich fortan "Zeuhl". Die Musik Magmas erzählte Mythen von dem fiktiven Planeten Kobaïa, der von ausgewanderten Erdenbewohnern kolonisiert wurde. Die beiden ersten Alben der Band beschrieben dabei die Reise nach Kobaïa, die Erleuchtung und die Rückkehr der Astronauten auf eine dem Untergang geweihte Erde. Erlösung versprach der Glaube an eine 'Kreuhn Kohrman' genannte Lichtgestalt, die die Menschheit aus dem 'Theusz Hamtaahk', dem Zeitalter des Hasses, führen würde. Die Trilogie "Theusz Hamtaahk" beschrieb eine Konfrontation zwischen Erdenbürgern und Kobaïanern, die zweite Trilogie aus den Alben "Köhntarkösz", "K.A" und "Ëmëhntëhtt-Rê" berichtete von einer Verbindung des frühen Ägypten mit den Kobaïanern. Die Mythologie war stark von dem esoterischen Buch 'Urantia' beeinflusst, einer Art Pseudo-Bibel, die religiöse Elemente unterschiedlichsten Ursprungs mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Science Fiction verbindet.

Christian Vander und Klaus Blasquiz entwickelten die Kunstsprache Kobaïanisch, in der die meisten Texte der Band vorgetragen werden. Auch trugen die Mitglieder der Gruppe oft kobaïanische Namen, darunter Zebëhn Straïn dë Ğeuštaah (Christian Vander), Klötsz Zaspïaahk (Klaus Blasquiz) oder Ẁahrğenuhr Reuğhelem/ësteh (Bassist Jannick Top). Daneben waren die Texte auf den Plattenhüllen ebenfalls oft in der Sprache des Planeten verfasst. Auch die Genrebezeichnung 'Zeuhl' ist dem Kobaïanischen entlehnt. 'Zeuhl' oder 'Zeuhl Wortz' bedeutet 'himmlische Musik', 'Musik der allumfassenden Macht'. Kobaïanisch (oder eine seiner Varianten) wurde über die Jahre zum wichtigen Stilmerkmal des 'Zeuhl', auch bei anderen Bands wie etwa Weidorje, Koenjihyakkei, Zoïkhem oder Ruins. Christian Vander sah sich selbst und sein musikalisches Konzept relativ nahe an dem Universum von Nico, der Künstlerin von Velvet Underground und hatte für seine kosmische Musik auch ein allumfassendes Konzept: Eine Art totale Kunst, absolute Kommunikation, wie sie beispielsweise auch für den Bau der Pyramiden massgebend war. Musikalisch war Vander's Konzept etwas völlig Neues, denn es vereinte völlig unterschiedliche Musikstile und ethnische Besonderheiten, die bis dato weder von Jazz-, noch von Rockmusikern aufgegriffen worden waren. So wurden die von Jazzmusiker John Coltrane entwickelte Splitterphrasierungstechnik ("Sheets Of Sound") mit den melodie- und kontrapunktfeindlichen Harmonie- und Rhythmusakzentuierungen kombiniert. Dazu kamen Voodoo Rhythmen, Chor-Einsätze, jenen der russischen Oper nicht unähnlich, sowie verschiedenste Blues- und teils exotische folkloristische Elemente.

Die Musik von Magma wurde von der Rhythmusgruppe um Christian Vander dominiert, die von E-Piano und Bläsern unterstützt wurden. Im Laufe der Bandentwicklung blieb die Gruppe dieser Klangmischung treu, der Gesangspart entwickelte sich dabei immer mehr in Richtung ekstatischem, komplexem mehrstimmigen Chorgesang, sodass gleichzeitig bis zu sechs Sängerinnen und Sänger beteiligt waren. Die Besetzung der Band hatte sich somit oft verändert. Praktisch auf jedem Album unterschied sich die Besetzung mehr oder weniger stark von der der vorherigen Veröffentlichung. Die einzigen personellen Konstanten waren und sind Stella (seit 1973) und Christian Vander, dessen Schlagzeugstil bis heute die meisten Stücke dominiert, der die meiste Musik komponiert hat und der auch häufig als Sänger in Erscheinung trat. Sein Schlagzeugspiel ist stark vom Jazz-Schlagzeuger Elvin Jones beeinflusst. Die stark von monolithischer rhythmischer Komplexität und geringer melodischer Modulation geprägte Musik Magmas zeichnete sich von Beginn an durch ausgeprägte Einflüsse von Carl Orff (auf musikalischer Ebene) und John Coltrane (auf spiritueller Ebene, wie Vander betonte) aus. Kennzeichnend für Magma wurden lange Kompositionen mit vertrackter Rhythmik, die den philosophischen und futuristischen Inhalt weniger mit Science Fiction Klängen, sondern mehr in theatralischer und emotionaler Form umsetzten.

Das Album "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" erschien als dritter Output der Band im Jahre 1973 und war eher ein Misserfolg, denn die beiden Alben davor verkauften sich besser, sie waren auch noch näher an bekannten Jazz-Mustern ausgerichtet. Allerdings war die Musik auf diesem Album erstmals nicht mehr ganz so sperrig, sodass sie auch einem breiteren Publikum zugänglich war. Heute gilt dieses Werk als so etwas wie die kommerzielle Geburt von Magma, weshalb der Band fortan mehr Gewichtung und Aufmerksamkeit zuteil wurde. Das Album gilt heute als das Bekannteste der Band. Es umfasst nur eine eigentliche Komposition, welche in mehrere Abschnitte unterteilt ist. Der Schwerpunkt lag ursprünglich auf längeren Klavierpassagen und ausgedehnten Chorgesängen, was die Plattenfirma allerdings ablehnte, weil der Wunsch nach mehr Nähe zur Rockmusik gewünscht war. So schrieb Vander die Musik zu "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" teilweise um und berücksichtigte nun für die finale Fassung, welche dann auch veröffentlicht wurde, mehr elektrisch verstärkte Instrumente wie E-Gitarren und ausserdem einen satteren Bläsersatz, womit er das ganze Werk wesentlich energetischer ausrichtete. Die Platte erfordert viel Bereitschaft, Neues und Ungewöhnliches entdecken zu wollen und wirkt vielleicht im ersten Hördurchgang recht wild und sperrig. Hat man allerdings einmal den Zugang zu Christian Vander's Welt gefunden, lässt sie einem nicht mehr los. Die Stücke des Albums "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" wurden ausnahmslos von Christian Vander komponiert. Das Album wurde in der Besetzung Christian Vander, Top, Blasquiz, Manderlier, Garber, Olmos, Lasry, Stella Vander und vier weiteren Sängerinnen eingespielt. Das Werk war ein Konzeptalbum, das in 7 Sätze unterteilt war, und wurde von vielen als das Meisterwerk der Band betrachtet. Das Musikmagazin 'eclipsed' wählte "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" auf den 28. Platz seiner Liste der 150 wichtigsten Progressive Rock Alben. Im Juni 2015 wählten Redakteure des Magazins Rolling Stone das Album auf Platz 24 der 50 besten Progressive Rock Alben aller Zeiten. Die französische Ausgabe listete 2010 das Album auf Platz 33 der 100 besten französischen Rock-Alben.

Im April 1974 nahmen C. und S. Vander, Blasquiz und Top das Album "Wurdah Ïtah" auf, auf dem die letztendliche Version der Filmmusik zum Film 'Tristan et Yseult' von Yvan Lagrange zu hören war. Ursprünglich als Soloalbum von Christian Vander erschienen, gehört es heute zum Repertoire von Magma. Auch als Konzeptalbum konzipiert war das Album "Köhntarkösz" von 1974, zu dem Jannick Top das Stück "Ork Alarm" beitrug. Alle anderen Stücke des von C. und S. Vander, Top, Blasquiz, Bikialo, Michel Graillier (Piano) und Brian Godding (Gitarre) eingespielten Albums waren Kompositionen von Christian Vander. Die Aufnahmen erfolgten im Mai 1974. Für jene, die in den frühen 70er Jahren keine Gelegenheit hatten, die Band live zu erleben, veröffentlichten Magma im Jahre 1975 eine Live Doppel-LP, die unter dem Namen "Magma Live" erschien. Die Aufnahmen für dieses Album wurden zwischen dem 1. und 5. Juni 1975 in der Taverne de l´Olympia in Paris gemacht. Zu hören waren S. und C. Vander, Klaus Blasquiz, Bernard Paganotti am Bass, Gabriel Federow an der Gitarre, Benoit Wîdemann und Jean-Pol Asseline an den Keyboards und der damals 19-Jährige Didier Lockwood an der Geige. Die beiden Stücke "Hhai" und "Lihns" waren vorher noch auf keinem Studioalbum zu hören.

1976 erschien das Album "Üdü Ẁüdü" mit C. und S. Vander, Top, Blasquiz, Paganotti, Graillier, Lisa Deluxe und Catherine Szpira (beide Gesang), Pierre Dutour (Trompete) und Alain Hatot (Saxophone, Flöte). Auf dieser Platte fand sich die Top-Komposition "De Futura". Die Aufnahmen erfolgten im Mai 1976. Zu dieser Zeit existierten Magma nur noch virtuell, da sich die Band vorher aufgelöst hatte. Ursprünglich erschien "Üdü Ẁüdü" daher auch unter der Bezeichnung "Vandertop". Das Album "Inédits" wurde 1977 veröffentlicht. Es enthielt Live-Mitschnitte verschiedener Formationen von Magma zwischen 1972 und 1975. Zu hören waren bislang unveröffentlichte Stücke, die bis dahin nie von einer Studiobesetzung eingespielt wurden, aber zum regelmässigen Live-Repertoire der Band gehörten. Das Cover des Albums "Attahk" von 1978, das musikalisch getragener, streckenweise fast schon sakral erschien, entwarf H. R. Giger. Produzent und Toningenieur war wieder Laurent Thibault. Die Besetzung bestand aus S. und C. Vander, Garber, Wîdeman, Deluxe, Blasquiz, Guy Delacroix (Bass), Tony Russo (Trompete) und Jacques Bolognesi (Posaune). Christian Vander fungierte zum ersten Mal als Leadsänger, Blasquiz als Backgroundsänger. Aus diesem Album wurde zu Werbezwecken eine Single mit den Stücken "Last Seven Minutes" und "Spiritual" ausgekoppelt.

Im Winter 1978/79 löste sich die Band zum zweiten mal auf. Zum zehnjährigen Bandjubiläum fanden vom 9. bis 11. Juni 1980 mehrere Konzerte mit Musikern aus den verschiedenen früheren Besetzungen und dem damals aktuellen Line-up statt. Die beiden dabei entstandenen, "Retrospektïw I - II" und "Retrospektïw III" betitelten Alben von 1981 enthielten Aufnahmen dieser Jubiläumskonzerte. Eine stabile Besetzung bildete sich allerdings auch jetzt nicht heraus, feste Mitglieder blieben lediglich Christian und Stella Vander, Benoît Wideman, die Bassisten Jean-Luc Chevalier und Dominique Bertram (die zur gleichen Zeit zu zweit Bass spielten) der Sänger Guy Khalifa und die Sängerin Lisa Deluxe. Das 1984 erschienene Studioalbum "Merci" enthielt erstmals Anklänge an Disco und Funk. Es wurde von Christian und Stella Vander, Wideman, Khalifa, Deluxe, dem Schlagzeuger Francois Laizeau und dem Bassisten Marc Eliard eingespielt und von Bläsersätzen und weiteren bei einzelnen Stücken unterstützt. Die Texte waren nur noch partiell in Kobaïanisch, meist jedoch englisch und französisch. Aussergewöhnlich für dieses Album war auch, dass Christian Vander sich neben der Produktion auf Perkussion, Gesang, Celesta, Keyboards und Klavier beschränkte und seinen angestammten Platz am Schlagzeug Leizeau überliess. Trotz der mitunter quirligen Melodien wurde im Pressetext darauf hingewiesen, dass die Stücke von "Merci" alle den Tod zum Thema hätten. Mit "Ooh Ooh Baby", dem funkigsten und vielleicht in der gesamten Bandgeschichte am wenigsten charakteristischen Titel, wurde auch erstmals eine Single nicht zur Promotion ausgekoppelt, die jedoch keinen kommerziellen Erfolg hatte. Auf der B-Seite war das Stück "Otis" zu hören.

In der Folgezeit erschienen zahlreiche Alben von anderen Projekten Christian Vanders wie dem Christian Vander Trio (Jazz), Welcome (Jazz), Fusion (Fusion, Jazzrock), Offering oder Les Voix de Magma, bei denen auch Musiker von Magma beteiligt waren. Die beiden letztgenannten Projekte fügten sich klanglich nahtlos in das Magma-Gesamtwerk ein. Ausserdem veröffentlichte Christian Vander Soloaufnahmen. 1987 gründeten Francis Linon, der Tontechniker von Magma, und Stella Vander die Plattenfirma Seventh Records. Unter dem Namen Magma erschienen für über zehn Jahre allerdings lediglich nachveröffentlichte Live-Aufnahmen aus den 70er und frühen 80er Jahren. Die einzige Ausnahme bildete das bereits erwähnte Album "Mekanïk Kommandöh," das 1989 erschien. 1996 formierte Christian Vander Magma neu, nachdem ein Freund ihm anbot, eine Tournee zu organisieren, wenn er wieder eine Band zusammenstellen würde. Die Band, die im Dezember desselben Jahres durch Frankreich tourte, bestand aus C. und S. Vander, Simon Goubert (Schlagzeug), Isabelle Feuillebois (Gesang), Philippe Bussonet (Bass), Franck Vedel und Jean- Francois Déat (Keyboards) sowie dem Sänger Bertrand Cardiet. 1997 schied Simon Goubert aus, der Pianist Pierre-Michel Sivadier, der auch schon bei Offering spielte, stiess hinzu. Zur zweiten Jahreshälfte schieden Vedel und Déat aus, Emmanuel Borghi (Keyboards) und James Mac Gaw (Gitarre) ergänzten die Band. 1998 erschien mit der Single "Floe Essi" / "Ektah" erstmals seit 1984 neu eingespieltes Material der Band.

Im Jahr 2000 feierten Magma das 30-jährige Bandjubiläum. In Paris im Trianon fanden im Mai zwei Konzerte statt, bei denen erstmals die komplette "Theusz Hamtaahk"-Trilogie aus "Theusz Hamtaahk", "Wurdah Ïtah" und "Mekanïk Destruktïw Kommandöh" von derselben Band aufgeführt wurden. Dies geschah in der Besetzung C. und S. Vander, Feuillebois, Mac Gaw, Borghi, Bussonnet, Antoine Paganotti (Gesang, Piano) und Jean-Christophe Gamet (Gesang). Unterstützt wurde die Band teilweise von Julie Vander und Claude Lamamy (Gesang) bei "Wurdah Itah", beziehungsweise einem Bläsersatz bei "Mekanïk Destruktïw Kommandöh". Die Aufnahmen wurden als dreifaches CD-Set veröffentlicht. Im Jahre 2004 legten Magma mit "K.A" dann ein neues Album vor, das ein Stück aus den 70er Jahren rekonstruierte und daher stilistisch direkt an die klassische Phase der Band Mitte der 70er Jahre anschloss (und erneut kobaïanische Texte aufwies). Die kurz darauf erfolgte Veröffentlichung "Uber Kommandoh" war eine nicht autorisierte Kompilation. Ab 2006 setzte die Gruppe ihr Rekonstruktionswerk fort und arbeitete an "Emëhntëht-Rê", einem albumfüllenden Stück, das 2009 ihre zweite Alben-Trilogie vervollständigte.

Im Februar 2008 verliessen die Paganotti-Geschwister und Emmanuel Borghi die Band aus persönlichen Gründen, wurden aber bei "Emëhntëht-Rê" ebenso als Gastmusiker geführt wie auch Claude Lamamy, Marcus Linon (Sohn von Stella Vander und Francis Linon) und Pierre-Michel Sivadier. Die Hauptbesetzung bildeten C. u. S. Vander, Feuillebois, Hervé Aknin (Gesang), Benoît Alziary (Vibraphon), Mac Gaw, Bruno Ruder (Fender Rhodes) und Bussonnet. Diese Besetzung war es auch, die im Jahre 2012 "Félicité Thösz" einspielte. Hierbei handelte es sich um ein Album aus neueren Kompositionen aus den Jahren 1992 und 1993, sowie 2001 und 2002, die aber erst seit 2009 bei Konzerten von Magma zu hören waren. Bei den beiden nachfolgenden Studio-Minialben "Rïah Sahïltaahk" (2014) und "Šlag Tanz" (2015) ersetzte Jéremie Ternoy Bruno Ruder. Im Juli 2015 gab James Mac Gaw bekannt, an Krebs erkrankt zu sein. Im Juli 2016 spielten Rudy Blas Gitarre und Jérôme Martineau-Ricotti Keyboards, die restliche Besetzung blieb gleich. Die Gruppe um Christian und Stella Vander ist auch heute noch aktiv.





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