BITCH MAGNET - Box Set
(Temporary Residence Records 656605-31502-7, 2011, Aufnahmen von 1987-1989)
Bitch Magnet, was ist das denn für ein Name ? Zu Lebzeiten dieser Band las ich irgendwo ein Interview mit dem Bassisten und Sänger Sooyoung Park, der später mit der Formation SEAM deutlich eingängigere Musik machte, in dem er sagte, man hätte diesen Namen gewählt, weil offensichtlich keines der Bandmitglieder in diese Kategorie passen würde. Bis heute frage ich mich, ob dieser Scherz so eine gute Idee war. Aber was soll's, so hiessen sie nun einmal, machten ihren Weg, und auf dem um die Hülle gewickelten Werbezettel steht: "The entire recorded History of the seminal American post-punk group whose influence on underground music is still heard over 20 years later". Aus heutiger Sicht kann man sie ohne Übertreibung als Vorläufer des "Postrock"-Genres sehen, wobei "Genre" als Begriff im Widerspruch steht zur grossen Heterogenität aller Bands in diesem Pool. Sie wurden häufig mit BASTRO verglichen, und David Grubbs spielte eine Saison lang Gitarre bei ihnen. Auch SLINT, deren grossartiges Album "Spiderland" von 1991 allen Musikhörern hiermit wärmstens ans Herz gelegt sei, kann man an dieser Stelle erwähnen. Beide Bands ähneln sich in ihrer Ausstrahlung, die die scheinbar widersprüchlichen Merkmale Introvertiertheit und Expressivität gleichermassen in sich vereint.
Bitch Magnet gingen allerdings ruppiger und weniger differenziert an die Sache. Ihr Sound bewegte sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Noise- und Independent Rock, Post-Punk und Post-Hardcore. Die melodische Zugänglichkeit ihres früheren Materials wurde von Anfang an durch Sooyoung Park's Gesang relativiert, der vor allem in den eher gesprochenen und geshouteten Passagen (und davon gibt es einige) an das trockene Gekrächze von Steve Albini erinnert. Meist waren die Gesänge weit in den Krach der Gitarren und Orestes Delatorre's raumgreifendes Schlagzeugspiel hineingemischt, sodass Bitch Magnet sich anhörten wie eine Instrumentalband mit Gesang, falls man das so sagen kann; auf ihrem finalen Album "Ben Hur" gab es zwei reine Instrumentalnummern, darunter das als Single dem Album vorausgehende "Valmead". Diese Single, um noch einen letzten Bezug herzustellen, war eigentlich eine Split-EP mit CODEINE, noch so einer Independentr Rock Singularität an der Jahrzehntwende 80er/90er.
Es ist löblich und irgendwie auch überraschend, dass das Plattenlabel Temporary Residence Bitch Magnet's gesamten Back-Katalog plus allem, was die Band sonst noch so aufgenommen hat, als nett aufgemachtes Package wiederveröffentlicht het. Das Wort "remastered" ist indes nirgends zu lesen, statt dessen hat ein gewisser Alan Douches die ganzen Songs 2011 gemastert. Es darf aber durchaus angenommen werden, dass die auf diesem Set versammelten Aufnahmen klanglich überarbeitet worden sind, wenn auch nur geringfügig gegenüber den originalen Veröffentlichungen. Wie auch immer, der Sound hat sich stark verbessert, wenn man ihn mit den ursprünglichen Original-Ausgaben vergleicht. Das ist vor allem auf "Umber" dem zweiten Bitch Magnet Album zu hören. Nicht, dass mich der verzerrte Matsch, in dem vor allem die irrwitzigen und sich über mehrere Takte streckenden Break-Eskapaden von Orestes Delatorre gut zu identifizieren waren, damals gestört hatte, aber die neue Transparenz macht alles nuancierter, ja aufgeräumter, unten herum hat alles mehr Druck, und die Dynamiksprünge sind fühlbarer - vor allem auf "Americruiser", dem schönsten Track des Albums, dessen Laut-Leise-Wechselspiel aus heutiger Sicht vielleicht etwas antiquiert wirkt, aber dennoch kaum etwas von seiner monolithischen Strahlkraft verloren hat. Am Ende steht da eine Wand aus heulenden Feedbacks, und mir wird klar: Meine Platte hat geleiert, denn die Wand auf dieser CD hat keine Wellen mehr.
Unbedingt gewürdigt werden muss das komplexe und schnelle "Navajo Ace", ein Höhepunkt in den Liveshows und rhythmisch teilweise auf Anhieb gar nicht so leicht durchschaubar. Die Simplizität der Akkordstruktur wirkt aber dem Risiko der Verbasteltheit entgegen, so dass es vor allem unverschämt geil rockt. Als Bonus gibt es auf dieser CD einen alternativen Mix des Openers "Motor" mit lauterer Kick Drum und leiserem Gesang. Keine neuen Erkenntnisse, stört aber auch nicht weiter.
Dem nach heutigen Masstäben eher mässig klingenden Sub-Demosound des Debüts "Star Booty" von 1988 kann natürlich auch das ausgefeilteste Mastering nicht beikommen. Bitch Magnet waren hier noch deutlich songorientierterer unterwegs: "C Word" und "Sea Of Pearls" lassen einen sogar an die seinerzeit gerade ein Jahr aufgelösten HÜSKER DÜ denken. Sooyoung Park's knarzige Stimme irritiert nur am Anfang, zumal sie durch einen ziemlich fiesen Hall-Effekt kommt, später stellt man fest, dass sie ein wichtiges Quentchen Originalität hineinbringt. Bands, die sich so ähnlich anhörten, gab es damals ohne Ende; da ist es wichtig, ein paar Unterscheidungsmerkmale zu haben. Highlight dieser nur 8 Songs enthaltenden EP: das schnelle "Hatpins", dessen erste Strophe gesprochen wird, die zweite gebrüllt. Auf dieser CD gibt es auch das meiste Zusatzmaterial, vor allem Alternativ-Versionen von "Umber"-Stücken.
"Dragoon", der neuneinhalbminütige Opener von "Ben Hur" ist, um gleich zum Punkt zu kommen, der Höhepunkt im Gesamtwerk dieser Band. Bitch Magnet bewältigen zahlreiche Tempo-, Rhythmus- und Dynamikwechsel mit Bravour und modellieren eine sperrige Skulptur aus mit jeder Minute schöner werdendem, sensiblen Krach. Es gibt nur 2 kurze Sprechpassagen, ansonsten ist alles instrumental. Das Gewaltsstück "Dragoon" hat in über 20 Jahren kein bisschen Kraft verloren. Das tonnenschwere, dröhnende Intro mit der unheilvollen Cymbal-Glocke muss man gehört haben. Dagegen fällt der Rest des Albums ein wenig ab, was nicht heisst, daß nichts Gutes mehr kommt: Das langsame "Ducks And Drakes" glänzt einmal mehr durch das virtuose Schlagzeugspiel und Sooyoung Park's wunderbar gedengelte Bassfiguren. Bei "Mesentery" wird die verhältnismässige Eingängigkeit des Songs durch eine ultrahohe Dichte an rhythmischen Verschiebungen bis an die Schmerzgrenze konterkariert, und "Crescent" ist zum Abschluss nochmal ein gefühlvoller, hochmelodischer Indierock-Song; der einzige seiner Art auf dieser insgesamt eher experimentellen, dekonstruktivistischen, manchmal in ihrer Knarzigkeit ansatzweise verpuffenden Platte. Produziert hat damals der bereits genannte Steve Albini. In den Credits des originalen Vinyls wird dieser Job einem gewissen "Arden Geist" zugeschrieben, was dann wohl ein Pseudonym war. Extras: "White Piece Of Bread", das seinerzeit auf der Sub Pop-Compilation "Endangered Species" zu finden war, und ein schnelles, kurzes Hardcore-Stück namens "Sadie".
Im der Box beigelegten Booklet gibt es Abbildungen von Konzert-Flyern, ein paar Fotos und die nötigen Credits. Für eine Werkschau dieser heutzutage wohl nahezu unbekannten Truppe hätte ich mir allerdings eine dieser hochjubelnden und den musikhistorischen Impetus des Hochgejubelten in wortgewaltiger Art womöglich leicht überdehnenden Expertenlaudatios gewünscht. Nun ja. Dass es dafür also nicht gereicht hat, schmälert nicht den Wert dieser verdienstvollen Veröffentlichung.
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