Feb 17, 2016


WIPERS - Youth Of America (Park Avenue Records PA 82802, 1981)

Greg Sage vorzustellen ist vielleicht ein bisschen schwierig, denn bei allem, was der Gitarrist in vielen Jahren gespielt hat, steht dieses 1981 erschienene Album ziemlich einsam da, denn es bietet nicht den trockenen und ruppigen American Punk Rock, den der Musiker auf seinen anderen Platten üblicherweise abfeierte. Hier spielt er eine Art Progressive Punk Rock, treibende Rock-Salven, die recht anspruchsvoll und aussergewöhnlich ins Szene gesetzt sind und den üblichen 2- oder 3-Minuten Rahmen auch immer wieder sprengen. Man kann allgemein lesen, dass Greg Sage grundsätzlich zur typischen US-Punk Rock Gemeinde gehört, zu denen vor allem die bekannten Protagonisten Black Flag, Minutemen, Saint Vitus oder die Screaming Trees gezählt werden, doch Greg Sage ist um einiges vielseitiger interessiert. Er sprengt oft das enge Korsett des Punks, sucht nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, lässts seine Gitarre manchmal ein Eigenleben entwickeln, das stilistisch nicht eindeutig zuzuordnen ist, weshalb man den Mann bis heute nicht grundsätzlich auf den typischen Vertreter der Punk Musik reduzieren kann.

Sicher: Er hat viel Punkiges gemacht, er lärmte schon mal derart, dass man auch nicht mehr hinhören mochte. Und doch hat er im Jahre 1981 diesen einen sensationellen Meilenstein "Youth of America" hingelegt, der nicht mit seinen anderen Platten verglichen werden kann. Diese Platte dürfte meiner Meinung nach in keiner gut rockenden Plattensammlung fehlen, weil sie klar Grenzen überwindet, experimentell und trotzdem kompakt wirkt, klanglich die Räudigkeit des archaischen Punks mit dem grossen Pomp des progressiven Rocks verbindet und dadurch ziemlich alleine für sich steht.

"Youth of America" unterscheidet sich ziemlich vom sonstigen Platten-Ausstoss seiner Wipers. Die Platte klingt wesentlich differenzierter als andere Post-Punk Produktionen aus jener Zeit. New Wave entstand ja letztlich aus dem britischen Punk heraus, und Greg Sage ist ja ein Amerikaner. Die Amis konnten in jenen Tagen Bands wie "Television" oder "Talking Heads" ihr eigen nennen. Hier passt das Album "Youth of America" stilistisch auch sehr gut dazwischen, wenngleich es hier eher härter und schneller zu Werke geht - eine Art Ramones mit Anleihen beim progressiven Rock vielleicht.

Zum Zeitpunkt der Aufnahmen zu diesem genialen Album war es üblich, möglichst kurze Riffs zu spielen und dabei hart, laut und schnell zu agieren ("Discharge" ist da noch immer Spitzenreiter mit einem 13-sekündigen Song!!!). Ganz anders Greg Sage, der beispielsweise im über 10 Minuten langen, äusserst spannend aufgebauten "When It's Over" eine Art Boléro (Ravel) in Punk Rock präsentierte. Damit erntete er in Amerika zwar keinen üppigen Beifall, dafür aber in Europa. Hierzulande war man fasziniert von den Wipers, und ich frage mich noch heute, warum der Mann diesen einmal eingeschlagenen Weg später nicht konsequent weiterverfolgte. Greg Sage verkaufte in den Staaten jeweils nur mässig Platten. Auch "Youth of America" war alles andere als ein Kassenschlager. Heute jedoch höre ich oft, wie herausragend dieses Album damals doch gewesen sei. Viele Fans auch der anspruchsvolleren Klänge bezeichnen "Youth Of America" als einen der ganz grossen Geheimtipps schlechthin.

Das hat was für sich: Wenn man sich heute diese Platte wieder anhört, dann kommt es einem manchmal so vor, als hätte 25 Jahre lang kaum eine Band mehr eine gute Punk Rock Platte gemacht, oder zumindest nicht mehr auf so einem hohen kompositorischen Niveau. Wayne Kramer, der ehemalige Kopf der Gruppe MC5 vielleicht: Der bringt auch heute noch diesen unwiderstehlichen Groove, der einem immer wieder fesselt - dieses Rohe und Kernige, das trotzdem sauber durchkomponiert ist und nicht dem blossen Herunterdreschen von zwei Akkorden folgt.


"When It's Over" ist das herausragende Stück auf diesem phantastischen Album. 10 Minuten Geradeaus-Rock pur. Aufgebaut auf einem sich immer wiederholenden, völlig hypnotischen Gitarrenriff zeigt es einige Parallelen zum "Boléro"-Thema von Maurice Ravel. Quasi ein Ravel-Punk. "Taking Too Long" ist hypnotischer Rock, eigentlich ein richtiger Jam-Rock, der völlig losgelöst wirkt, dabei aber trotzdem immer straff strukturiert bleibt. Greg's Leadgitarre spielt hier - wie auf etlichen anderen Stücken des Albums auch -  eine äusserst prägnante Linie, die in den Gehörgängen kleben bleibt. "Pushing The Extreme" ist ein ultraschneller Punk Rock, fett gespielt und mit einem derart scharfen, schneidenden Flying V-Solo, dass es Dir die Zahnplomben aus der Knabberleiste sägt.


"Youth Of America": Der Titel-Track entstammt angeblich einem Traum von Greg Sage, in welchem er sich die Zukunft einer zunehmend orientierungslosen, von Kommerz zerfressenen Jugend vorstellt. Wie man heute sehen kann, zeigte er sich hier schon fast als sowas wie ein Visionär.

"Youth Of America" ist eines der leider ziemlich unbeachtet gebliebenen Alben eines Musikers, der Grenzen überwand innerhalb eines Musikstils, der sich sonst nur in sehr engen Grenzen bewegt. Leider erfuhr diese innovative Platte keine Fortsetzung, weshalb dieses Album sein musikalischer Geniestreich darstellt. Die Platte gibt es in zwei Coverausführungen, im Original bot sie ein Bild der Band im klassischen Black & White Look. Mir persönlich etwas zu rock and rollig und/oder waveig, was nicht unbedingt den Inhalt der LP reflektiert.



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