SUSTO - & I'm Fine Today (Rocksnob Records SNOB004, 2017)
Susto bestach auf dem Werk mit einer enorm frischen, dynamischen Aufbruchsmusik, in der mutig viele Elemente miteinander verknüpft wurden, die zunächst vermeintlich gar nicht zwingend zusammenpassen wollen, schliesslich aber etwas ganz Eigenes ergaben, in dem zwar klassisch der Song, beziehungsweise das Songwriting als Basis stand, die formale, instrumentelle und klangliche Umsetzung allerdings viele Ausrufezeichen setzte.
Nach mehreren regional erfolgreichen Jahren mit seiner Band Sequoyah Prep School und deren drei Alben, welche zwischen 2005 und 2008 veröffentlicht wurden, gönnte sich Justin Osborne eine längere Auszeit in Kuba, liess sich in den vielen Latin Music Clubs den Kopf durchpusten und schöpfte neue Inspiration und Kreativität. Zurück in Charleston begann er an einem groben Konzept für Susto zu arbeiten, als ihn sein Produzent Ryan Wolfgang Zimmerman (Brave Baby, Jordan Igoe, Grace Joyner, Band Of Horses) mit dem aus Austin Texas hergezogenen Sänger, Songschreiber und Gitarristen Johnny Delaware bekannt machte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und bildeten ab sofort den künstlerischen Kern der Band.
Susto bedeutet in etwa ein Fachausdruck für eine vorwiegend in Lateinamerika vorkommende psychische Massenkrankheit, die in Panik mündet, wenn die Seele den Körper verlässt. Derart furchterregend musste man sich die Musik von Susto allerdings nicht vorstellen. So begeisterte ihr gleichnamig betiteltes Debütalbum aus dem Frühjahr 2014 die musikalischen Medien in den USA noch sehr mit einer fast konventionell gestrickten, dabei hervorragend gelungenen Mischung aus Singer/Songwriter-Musik auf Folk- und Country Rock-Basis mit spaceigen Cosmic Americana-Ausflügen.
Auch Band Of Horses-Leader Ben Bridwell wurde zu einem grossen Susto-Fan und beeinflusste Osborne und Delaware eventuell indirekt in ihrer Experimentierfreudigkeit und Kreativität im Studio und bei den aufwändigeren Songarrangements für "& I'm Fine Today". Schon der Opener "Far Out Feeling" wartete mit locker pulsierenden Rhythmen, perlenden Keyboards, opulenten Streichereinsätzen, clever angeordneten Blasinstrumenten sowie weiblichen Backingstimmen auf. Im starken Kontrast dazu folgte der melodische, harmonieselige Country Rock von "Hard Drugs" mit einem schonungslosen Songtext über Trennung und Einsamkeit. Oft wurden unbequeme Themen verhandelt, etwa im selbsterklärenden, riffstarken "Gay In The South" oder im eingängigen, mit intelligenter Instrumentierung ausgestatteten Schlüsselsong "Cosmic Cowboy" das Infragestellen von Gott, und das in den amerikanischen Südstaaten, wohlgemerkt. "Havana Vieja" packte kubanische Motive in einen von aufregenden Soundlandschaften durchzogenen Kurzfilm, das folkig-akustisch beginnende "Diamond's Icaro" lebte später von psychedelischen Orgelschüben und verklärten Gesangskulissen.
Die komplexe, im Zentrum des Albums positionierte Powerballade "Mountain Top" entwickelte sich zum Ende abrupt zu einem vehementen Alternativrocker mit heftigen Rhythmen und plakativem Sprechgesang. Das vertrackte, beat-heftige, mit Synthesizerschleifen durchzogene "Jah Werx" bildete dann den kurzen, fulminanten Schlusspunkt in allerfeinster Bon Iver-Manier. Andere Koordinaten, die den endlos scheinenden musikalischen Susto-Kosmos wenigstens annähernd beschreiben können, sind Wilco, Band Of Horses, The Head And The Heart, Delta Spirit, Lumineers, Blitzen Trapper, Okkervil River, Bon Iver, The National, Elliott Brood, The Low Anthem, Califone und My Morning Jacket. Seit diesem brillianten und äusserst vielfältig-spannenden Werk haben Susto im Jahre 2019 mit "Ever Since I Lost My Mind", inzwischen beim renommierten Plattenlabel Rounder Records im Vertrieb, den Nachfolger für "& I'm Fine Today" veröffentlicht.
No comments:
Post a Comment