DAN BERN - Fifty Eggs (Work Records 489717 2, 1998)
Dan Bern ist ein grandioser Geschichtenerzähler, Fabulierer und Querdenker. Die Texte des US-Songwriters zeugen von einer flammenden Liebe zur Sprache, die er virtuos nutzt, um uns immer wieder neue Leseweisen der Welt anzubieten. Sein wichtigstes Werkzeug ist dabei neben kleineren Erzählungen und Kurzgeschichten der gute, alte, traditionelle Song, wie ihn schon Generationen vor ihm geformt haben - von Bob Dylan bis Elvis Costello, von Woody Guthrie bis Bruce Springsteen. Wenn auf diesen musikalischen Pfaden Jemand wandelt, der die Saiten der akustischen Gitarre schrammelt, mit einer nasalen Stimme ausgestattet ist, nicht die Blümchen von der Tapete singt, weil er etwas zu sagen hat und das auch noch ausgesprochen eloquent erledigt, dann ist die Sache meist klar: ein neuer Bob Dylan winkt. Das Songwriter-Trauma ? Nein, das muss nicht sein. "Well, I think in a way Bob Dylan was sort of the Dan Bern of the '60s", soll letzterer die ständigen Vergleiche seiner Person mit der mürrischen Legende treffend kommentiert haben. Weil es auch in der heutigen Zeit genug Anlässe zur Beschwerde gibt, ist es um so schöner, wenn das Jemand mit solch sprühendem Sarkasmus und musikalischer Vielseitigkeit zuwege bringt: mit aggressiver Punk-Attitüde an der akustischen Gitarre im Song "Tiger Woods" beispielsweise, weicher Ballade bei der einfühlsamen Erinnerung an das Seles-Attentat ("Monica"), edlem, von Band und Cello unterstütztem Groove und Texten, die geschaffen wären, ein für allemal den Unterschied zwischen Zynismus und Bitterkeit zu erklären. So mag die Korrektur der Evolutionstheorie ("Aliens Came And Fucked The Monkey") vielleicht nicht lehrplanfähig sein, doch bei dem Versuch, Plastikblumen, Faxgeräte und Michael Jordan mit der Menschheitsgeschichte in Einklang zu bringen, allemal hilfreicher als Darwin's Finken.
Dan Bern wurde am 27. Juli 1965 in Mount Vernon, Iowa geboren. Er ist der Sohn zweier auf der Flucht vor den Nazis emigrierter Juden (deutschstämmiger Familienname: Bernstein). Vergleiche mit Bob Dylan begleiteten den Musiker seit seinem ersten Album und zugegeben: starke Ähnlichkeiten sind nicht von der Hand zu weisen. Aber Dan Bern ist keine simple Bob Dylan-Kopie, sondern ein eigenständiger, entdeckenswerter Singer/Songwriter, der über ein sehr abwechslungsreiches eigenes Instrumentarium verfügt, wie beispielsweise die Steel Gitarre, das Cello und die Mundharmonika, nebst allerlei sechssaitigem Gerät. Er ist ein sehr überaus guter Songschreiber mit nachdenklichen, kritischen Texten und im Gruinde ein klassischer Geschichtenerzähler, Poet, Querdenker und kritischer Zeitgeist, der textlich vielleicht sogar noch näher an Ray Davies als an Bob Dylan ist. Seine Einflüsse sind entsprechend vielfältig. Nest den bereits Erwähnten kann man durchaus auch einen John Prine, Randy Newman oder auch Tom Petty dazuzählen.
Zu seinem zweiten Album "Fifty Eggs" von 1998 merkte der deutsche 'Rolling Stone' an: "Es ist vor allem die Musik, die das Album zu einer der wichtigsten Songschreiber-Platten des Jahres adelt. Präzise und ohne auf Klischees zurückzugreifen, treibt Bern seine Songs voran". 13 Songs mit einer Gesamtlaufzeit von 54:53 Minuten präsentierte der Musiker auf seinem brillianten zweiten Werk. Einzelne Songs herauszupicken und zu beschreiben, wäre unnötig gepuzzelt, man muss es in der Gesamtheit erfassen, den Sarkasmus, den Kampfgeist, das brilliante Hirn dahinter entdecken und verinnerlichen, die skalpellartigen Mundharmonika-Attacken von Kopfhaut bis Fussnägel flehen lassen, ja so geht das. Ein Tag voller Wehmut, Sentimentalität, Schmerz, Wahrheit. Für Tage an denen man am liebsten durch die Wand gehen möchte, nachdem man seinen Kopf an diese geschlagen hat. Über Tage des Mutigseins, des Aufbruchs, des Wollens aber nicht Könnens oder Dürfens. An Tagen an dem der Spiegel verhängt sein sollte weil man nur Dorian Gray erblicken würde. Solche Tage wie dieser oder jener.
Die Musikerin Ani DiFranco spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieses vortrefflichen Albums, und zwar sowohl als Mitmusikerin, aber auch als Arrangeurin und letztlich Produzentin. Das wiederum lässt Dan Bern stilistisch näher an Ani DiFranco herankommen als an Bob Dylan. Roadsongs, musikalisch typisch amerikanisch dargeboten, mit allem, was der sogenannte Americana-Sound hergibt - vom erzählenden Talking Blues bis zum simplen, straighten Rock'n'Roll-Song. Das wäre nicht besonders erwähnenswert, wenn da nicht noch Dan Bern's fabelhaften Songtexte wären. Die Art, wie Bern seine Geschichten schreibt, liegt ganz in der Tradition jüdischer Erzähler: gewandt, ausdrucksstark, humorvoll und hintersinnig. Dan Bern ist der Sohn zweier auf der Flucht vor den Nazis emigrierter Juden. In dieser Tradition schreibend, auch die Mythen der Beatnik-Literatur aufgreifend, reiht sich der Mann von der Westküste nahtlos in die Galerie von Bob Dylan über Kinky Friedman bis Randy Newman ein und erzählt seine skurrilen Geschichten. Als er zum ersten Mal Dylan's "Leopard Skin Pill Box Hat" hörte, habe er sich sofort eine Gitarre gekauft, sagt Bern, und genau das hört man - sowohl musikalisch als auch in den Geschichten mit ihrer New American Language.
Dan Bern konnte seine Popularität stetig steigern, wenngleich ihm bis heute ein echter Hit verwehrt blieb. Einige seiner späteren Alben, wie "New American Language", "The Swastika EP", "Fleeting Days" und "My Country II" veröffentlichte er unter dem Namen Dan Bern & The International Jewish Banking Conspiracy. Diese Band, mit welcher er mehrere Jahre auch live äusserst aktiv blieb, bestand aus dem Keyboarder Wil Masisak, der auch Schlagzeug, Bass und Gitarre spielte, aus dem Gitarristen und Steel Gitarristen Eben 'Eby Brown' Grace, dem weiteren Gitarristen und Bassisten Brian 'Slim Nickel' Schey, Paul Kuhn am Cello, Anna Phoebe an der elektrischen Violine, sowie den beiden Schlagzeugern Colin 'Spanky' Mahoney und Jake Coffin. Im Frühjahr 2007 gewann Den Bern's Album "Breathe" den 'Annual Independent Music Award' für das beste Singer-Songwriter Album in der Sparte Folk. In den Jahren 2009 und 2010 spielte Dan Bern oft mit Common Rotation, einer Musiktruppe aus Los Angeles, deren Besetzung aus Gesang, Gitarre, Banjo, Trompete, Saxophon und weiterem aussergewöhnlichen Instrumenarium bestand, zusammen. Eines dieser Konzerte vom September 2009 in der M Bar in Los Angeles wurde live mitgeschnitten und erschien im Frühling 2010 unter dem Titel "Live In Los Angeles". Dabei präsentierte Dan Bern die Hälfte der Songs ausschliesslich solo, die andere Hälfte zusammen mit der Band Common Rotation.
Bern's Songs fanden auch Einzug im Film 'Walk Hard', für dessen Soundtrack er 16 Songs beisteuerte. Viele der Songs machten erst die Theatralik des Films aus, wie beispielsweise das dylaneske "Royal Jelly" oder das melodiöse "(Have You Heard The News) Dewey Cox Died". Dan Bern lieferte daraufhin für weitere Filme zahlreiche Songs, etwa für die Kinofilme 'Get Him to the Greek' und 'Father's Day'. Bern’s Song "One Dance" fand sich im Film 'Zero Effect'. Bern schrieb ausserdem den Titel "Swing Set", ein Duett mit Emmylou Harris, für die Broadway Produktion des Stücks 'Family Week', inszeniert von Jonathan Demme und er schrieb auch den Titelsong zu Demme's Dokumentarfilm 'Jimmy Carter: Man From Plains'. Im Jahre 2012 veröffentlichte Dan Bern gleich zwei neue Alben mit amerikanischer Roots-Musik: "Drifter", das wiederum ein Duett mit Emmylou Harris enthielt, sowie "Doubleheader", ein Album, das sich mit der Geschichte des Baseball beschäftigte. Dieses Werk spielte er in Bob Weir's TRI Studios in Marin County ein. Auf beiden CDs waren erneut die Musiker der Band Common Rotation zu hören.
Neben der Musik betätigte sich Dan Bern in jüngeren Jahren auch als Schriftsteller und schrieb und illustrierte unter anderem das Buch 'Cleaver the Gronk', erschienen im Jahre 2012 und die Novelle 'Quitting Science', das 2004 erschienen war. Er veröffentlichte seine Bücher unter dem Pseudonym Cunliffe Merriwether. Bern lebt mit einer Frau und seiner Tochter in Los Angeles. Dan Bern ist ein grosser Baseball-Fan, und einer seiner inzwischen populärsten Songs "Johnny Sylvester Comes Back To Visit The Babe" setzt sich auch mit diesem Thema auseinander. Dan Bern erzählt darin die Geschichte der beiden Baseball-Legenden Babe Ruth und Johnny Sylvester.
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