HOWLIN' WOLF - The London Howlin' Wolf Sessions
(Chess Records CH-60008, 1971)
Die Idee war so bestechend wie fulminant: Das renommierte Blues Label Chess Records schickte Chester Arthur Bennett, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Howlin' Wolf, im Mai 1970 nach London, um mit einigen der hervorragendsten Rockmusikern ein Album aufzunehmen. Die daraus resultierenden Sessions bedeuteten letztlich einen absolut gelungenen Schulterschluss zwischen der alten und einer neuen Generation einiger hervorragender vom Blues der alten Schule inspirierter Musiker, was diese Platte zu einem wichtigen Zeitdokument machte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Chess Records damit einem vorherrschenden Trend Rechnung trug, der seit geraumer Zeit in Europa die Musikszene mitbestimmte: dem sogenannten 'British Blues Boom', der so exzellente Bands wie Fleetwood Mac, Savoy Brown, Ten Years After oder Chicken Shack hervorgebracht hatte.
Mit von der Partie bei diesen in London aufgezeichneten Studiosessions waren die Gitarristen Eric Clapton und Hubert Sumlin, die Pianisten/Keyboarder Steve Winwood, Ian Stewart, Lafayette Leake und John Simon sowie die Rhythmusgruppe der Rolling Stones: Bill Wyman am Bass und Charlie Watts am Schlagzeug, die sich alle in der ersten Woche im Mai 1970 im renommierten Olympic Studio einfanden. Bei den Einspielungen der Titel ging Howlin' Wolf keine Kompromisse ein, es wurden ausschliesslich Stücke aus seiner Feder und derjenigen von Willie Dixon und James Oden, sowie die bekannte Nummer "Highway 49" von Joe Williams aufgenommen. Alles Material also, das Howlin' Wolf im Laufe seiner Karriere bereits einmal veröffentlicht hatte. Dies wiederum gestaltete die Sessions wesentlich einfacher als geplant, da sämtliche involvierten Musiker die Stücke längst kannten, auch, weil sie sie zum Teil selber schon oft gespielt oder gar aufgenommen hatten.
Diesem Umstand war es wahrscheinlich zu verdanken, dass diese Platte bei aller Versiertheit der beteiligten Protagonisten, unheimlich locker klang, dabei stets kompetent wirkte und sehr viel Blues-Authentizität herüberzubringen vermochte, gerade so, als wäre hier ein Genre-Klassiker gerade erst entstanden. Glanzpunkte setzten immer wieder Eric Clapton und Steve Winwood, aber auch ein zum damaligen Zeitpunkt blutjunger Mundharmonika-Spieler mit Namen Jeffrey M. Carp, über den man so gut wie nichts im Vorfeld der Aufnahmen wusste, ausser, dass er von Hubert Sumlin wärmstens empfohlen wurde. Sumlin hatte ihn in Chicago spielen sehen und ihm einen Vertrag mit Capitol Records für seine Band The 43rd Street Snipers ermöglicht. Carp hätte laut Sumlin einer der grössten Mundharmonika Spieler der Welt werden können, wäre er nicht kurz nach den Aufnahmen zu diesem Howlin' Wolf Album unter nie ganz geklärten Umständen im Alter von erst 19 Jahren bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen.
Musikalisch bewegte sich Howlin' Wolf mit seinen Gaststars zurück zu seinen Wurzeln. Seine in den Jahren zuvor veröffentlichten Werke "The Howlin’ Wolf Album" und "Message To The Young" waren eine Kreuzung von Bluesmusik mit psychedelischem Rock gewesen, die nicht nur wenig Resonanz in den Charts fand, sondern auch künstlerisch nicht alle Kritiker und Fans überzeugen konnte. Mit den London Sessions ging der Bluesmusiker deshalb zurück zu den Klangfarben des klassischen Chicago Blues. Die Idee, Howlin’ Wolf auf einem Album mit zeitgenössischen Bluesrockern zusammenzubringen, ging auf den Chess-Produzenten Norman Dayron zurück, der nach einem Auftritt der Paul Butterfield Blues Band, Electric Flag und Cream mit den beiden Top-Musikern Mike Bloomfield und Eric Clapton hinter der Bühne Scherze machte und letzterem dabei offerierte, ein Album mit Howlin’ Wolf aufzunehmen. Als Eric Clapton bewusst wurde, dass das Angebot absolut ernst gemeint war, nahm er sofort an.
Es war dann letztendlich auch Eric Clapton, der die Teilnahme der Rolling Stones Musiker Ian Stewart, Bill Wyman und Charlie Watts arrangierte, während sich der Chess Label-Verantworliche Norman Dayron um weitere Sessionmusiker kümmerte. Interessant war dabei, dass Label-Chef Marshall Chess sich zunächst dagegen gewehrt haben soll, den langjährigen Howlin' Wolf-Gitarristen Hubert Sumlin extra für Session-Aufnahmen nach England einfliegen zu lassen, doch Clapton bestand darauf, dass Sumlin an den Sessions teilnahm. Die eigentlichen Aufnahmen zum späteren Album fanden schliesslich vom 2. bis 7. Mai 1970 statt. Nicht alle Musiker waren an allen Tagen verfügbar, weshalb es immer wieder dazu kam, dass andere Musiker einsprangen, wie etwa Ringo Starr oder Klaus Voormann.
Howlin' Wolf selbst war zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen ebenfalls nicht bei bester Gesundheit, da er seit längerem Probleme mit seinem Herzen und der Leber hatte, weshalb er den Rat zweier Ärzte einholte, die ihn seit einiger Zeit behandelten. Diese meinten, er wäre gesünder, wenn er arbeitete als wenn er nicht musizieren würde, rüsteten ihn darum mit einem Arsenal an Pillendosen aus und gaben grünes Licht für die Reise. Die glasklare Produktion von Glyn Johns machte diese Aufnahmen zu einem Juwel auf Vinyl, das zu keiner Zeit irgendwie konstruiert oder gar durcharrangiert wirkte, sondern lebendig und greifbar klang, als würde hier eine Band direkt und livehaftig vor dem Zuhörer spielen. Dieser Live-Mix war denn auch bewusst so gewollt, da auch viel Live Equipment im Tonstudio zum Einsatz kam, das zwar manchmal etwas arg rauschte oder brummte, den Sound dadurch insgesamt aber lebendiger und fühlbarer machte. Howlin' Wolf brachte damit ein bisschen den verrauchten Blues Club ins heimische Wohnzimmer. Man munkelte, dass zu der Produktion der LP auch Rolling Stones Sänger Mick Jagger mit seiner Mundharmonika einzelne Passagen beisteuerte, dies ist jedoch im Reich der Legenden angesiedelt und konnte nie eindeutig geklärt werden, obwohl offizielle Fotos Jagger und Howlin' Wolf im Studio zeigten.
Howlin' Wolf's London Sessions waren ein kommerzieller Erfolg, weshalb sich im Dezember 1971 auch Muddy Waters, im Folgejahr Chuck Berry und 1973 auch Rock'n'Roll Legende Jerry Lee Lewis nach London aufmachten, um ähnliche "Session"-Alben einzuspielen, allerdings mit weniger zählbarem Erfolg. Howlin' Wolf's letztes Album "The Back Door Wolf" entstand im Jahre 1973. Seinen letzten Auftritt hatte der Bluesmusiker im November 1975 im Chicago Amphitheater, zusammen mit B.B. King, Albert King, O.V. Wright und Luther Allison. Auf dem sehr intensiven Konzert kroch er während des Stücks "Crawling King Snake" über die Bühne, am Ende erhielt er über fünf Minuten stehende Ovationen. Hinter der Bühne wartete ein mehrköpfiges Ärzteteam, um ihn nach dem Auftritt zu versorgen. Zwei Monate später verstarb er bei einer Herzoperation in Chicago. Howlin' Wolf liegt neben seiner Frau Lillie auf dem Oak Ridge Cemetery, Hillside, Cook County (Illinois), begraben. Jedes Jahr findet in West Point, Mississippi, zur Erinnerung an ihn das 'Howlin’ Wolf Memorial Blues Festival' statt.
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