JON LORD - Sarabande (Purple Records TPSA 7516, 1976)
Jon Lord war in erster Linie als Gründungsmitglied der Hardrock Band Deep Purple bekannt. Der Musiker galt als einer der Wegbereiter der Kombination von Rock mit Klassik. Sowohl sein Vater als auch seine Tante waren Performance-Künstler, die ihr Talent als Duo mit einer lokalen Tanzgruppe zur Aufführung brachten. Erste musikalische Aktivitäten entwickelte Lord am Klavier der Familie, an dem er ab dem Alter von fünf Jahren klassischen Unterricht bekam. Als Teenager beeindruckte ihn die musikalische Performance von Jazz-Organisten wie Jimmy Smith, und die von Pionieren des Rock'n'Roll-Pianos, wie Jerry Lee Lewis. Im Alter von 19 Jahren zog Jon Lord 1960 nach London, wo er an der Central School of Speech and Drama Schauspiel studierte. Als sich 1963 davon das Drama Centre London abspaltete, wechselte Lord mit anderen Lehrern und Schülern dorthin und schloss dort 1964 sein Studium ab. Von der Musik des Swinging London angezogen, begann Lord in diversen Jazz- und Rhythm & Blues-Combos zu spielen, die überwiegend in kleineren Kneipen und als Clubgigs in der Region London auftraten. Erste Erfolge konnte er mit der Bill Ashton Combo feiern, einer Jazzgruppe, die sich nach dem Saxophonspieler benannte. 1963 wechselte Jon Lord zu der von Derek Griffiths geleiteten Band Red Blood And His Bluesicians, was ihm ermöglichte, an seine erste elektrische Orgel zu kommen. Nach eigener Aussage war er in der Aufnahme des Kinks-Hits "You Really Got Me" als Pianist zu hören.
Die nächsten Jahre erspielte sich Jon Lord die Fähigkeiten zum Profimusiker. Er trat als Organist den bluesig-rockigeren Artwoods bei, deren Bandleader Art Wood, der ältere Bruder des späteren Rolling Stone Ronnie Wood, war. Die Artwoods veröffentlichten mehrere Singles und EPs, darunter das heutige Sammlerstück "Art Gallery", traten in Fernseh- und Radiosendungen auf und hatten viele Auftritte, schafften jedoch keine Hitparadenplatzierung, sodass sie sich bald wieder auflösten, nachdem ihr letzter Versuch, die Charts unter dem Pseudonym St. Valentine’s Day Massacre zu erreichen, ebenfalls scheiterte. Ronnie Wood nahm mit Jon Lord später drei Instrumentalnummern unter dem Namen Santa Barbara Machine Head auf. The Flower Pot Men, die eher ein Gesangsensemble waren und einen psychedelischen Hit hatten, waren für eine gebuchte Tournee auf Musikersuche und engagierten Jon Lord sowie Nick Simper und den Schlagzeuger Carlo Little, der bei den Screaming Lord Sutch’s Savages bereits an Ritchie Blackmores Seite spielte. Kurz darauf gründeten Jon Lord und Ritchie Blackmore Deep Purple, auch Nick Simper wurde als Bassist engagiert. Zwischen 1968 und 1976 galten Deep Purple als eine der populärsten und kreativsten Bands, wobei Jon Lords virtuoses Hammond-Orgelspiel massgeblichen Anteil hatte. Zwischen den Aufnahmen diverser Hardrockalben und zahlreichen Welttourneen mit Deep Purple fand er immer wieder Zeit für Soloprojekte. Zeitweise mit Unterstützung durch Deep Purple, wie 1969 bei "Concerto for Group and Orchestra" oder in Form von Soloalben wie "Gemini Suite", verband er Rockmusik mit klassischer Musik. Für den Film 'The Last Rebel' (1971) schrieb er mit Tony Ashton die Musik, die von Ashton, Gardner & Dyke eingespielt wurde.
"Sarabande" war eines seiner stärksten Soloalben, das vom 3. bis 6. September 1975 in Oer-Erkenschwick, laut Covertext 'in der Nähe von Düsseldorf' mit der Philharmonia Hungarica unter der Leitung von Eberhard Schoener aufgenommen wurde. Es erschien im Jahre 1976. Jon Lord knüpfte hier an die musikalische Form der Suite aus der Barockmusik eines Johann Sebastian Bach an. Jeder Track erinnerte an einen barocken Tanz: Fantasie, Sarabande, Aria, Gigue, Bourrée, Pavane, Caprice. Lord gelang damit eines der kompaktesten und stimmigsten Rock-Alben in Verbindung mit klassischer Musik. Unter den Kompositionen für Orchester und Rockband, die Jon Lord in den 70er Jahren schrieb, bildete "Sarabande" den Schlusspunkt. Das gleichnamige Album gilt bei vielen als sein gelungenster Versuch, zwischen den beiden Klangkörpern zu vermitteln. Dafür liessen sich auch durchaus Argumente finden: Die Musik auf "Sarabande" wirkte nicht so zerrissen wie auf den früheren Platten. Statt auf symphonische Dramatik setzte Lord nun auf eine entspannte Abfolge von Stücken und Stimmungen im Geiste einer barocken Tanzsuite. Die Rockband agierte dabei wesentlich geschmeidiger und weniger poltrig als die diversen Besetzungen, die er bis dahin verwendet hatte. Dafür waren nicht zuletzt Pete York am Schlagzeug und das spätere Police-Mitglied Andy Summers als Gitarrist verantwortlich.
Dass das Album bei Rockfans besser ankam, lag wohl hauptsächlich daran, dass der Hörer wesentlich leichter überblicken konnte, wo er sich gerade befand. Insbesondere die häufigen, oft auch ziemlich simplen Ostinato-Figuren (sprich: Riffs) erleichterten den Zugang. Lords "Gigue", "Bourrée", "Pavane" und die weiteren 'Tanzstile' hatten insgesamt doch nur bedingt etwas mit den barocken Vorbildern zu tun. Was die Suite aber tatsächlich mit dem Barock verband, war die rhythmische Motorik, die hier viel ausgeprägter in Erscheinung trat als bei Lords früheren Werken "Windows", "Gemini Suite" oder dem "Concerto for Group and Orchestra". Die Verschmelzung zwischen klassischer Thematik und Rockmusik gelang hier auf symbiotische Weise. Das Titelstück bediente sich hörbar bei David Brubecks "Take Five", indem sich das Stück von einem 5/4 in einen 3/4-Takt wendete.
Nachdem sich seine Stammband Deep Purple 1976 das erste Mal aufgelöst hatte, gründeten Jon Lord, Ian Paice und Tony Ashton danach die Gruppe Paice Ashton Lord, die 1977 das Album "Malice In Wonderland" veröffentlichte. Nach einer Tournee und noch während der Vorbereitungen für ein weiteres Album lösten sich Paice Ashton Lord schon 1978 wieder auf. Jon Lord wurde daraufhin Keyboarder bei David Coverdales Whitesnake, wohin ihm 1979 auch der ehemalige Deep Purple Schlagzeuger Ian Paice folgte. Während der erfolgreichen Jahre bei Whitesnake gastierte Jon Lord auf diversen Alben von Cozy Powell, Graham Bonnet und vielen anderen und nahm mit "Before I Forget" ein weiteres Soloalbum auf. Jon Lord, der Whitesnake 1984 zu Gunsten eines Neubeginns mit Deep Purple verlassen hatte, nahm mit der Gruppe weitere sechs Alben auf und gastierte mit ihr weltweit. 2002 trennten sich Deep Purple erneut und Jon Lord widmete sich nun ausgiebig diverser Solo-Projekte. Sein letztes Konzert mit Deep Purple gab er am 19. September 2002 in Ipswich (England).
2003, er gastierte gerade für einige Monate mit Stücken seines vorletzten Soloalbums "Pictured Within" in Australien, gab Lord zusammen mit der lokalen Bluesband The Hoochie Coochie Men im Sydney Opera House ein Konzert, das später auf CD sowie auf DVD erschien. Sein 2005 erschienenes Album "Beyond The Notes" bestand aus genreübergreifenden eigenwilligen Kompositionen. Auf ihm war auch das Stück "The Sun Will Shine Again" zu finden, das Lord für die ehemalige Abba-Sängerin Anni-Frid Lyngstad schrieb und mit dem sich die schwedische Sängerin erstmals seit acht Jahren wieder live zeigte. Zuletzt komponierte Jon Lord zwei weitere klassische Werke: Das "Durham Concerto", das er 2007 zusammen mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra in der Kathedrale von Durham gab, war eine Auftragskomposition anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der University of Durham. "Boom Of The Tingling Strings" wurde 2008 zusammen mit dem Queensland Orchestra in Queensland uraufgeführt. Am 9. August 2011 - er war gerade mit dem Jon Lord Blues Project auf Tournee - teilte Lord der Öffentlichkeit mit, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs leide. Weiter sagte er alle Konzerte für das folgende Jahr ab. Am 16. Juli 2012 verstarb Jon Lord im Alter von 71 Jahren an den Folgen der Krankheit in London. Bis zum Schluss hatte er im Studio an seinem letzten Album gearbeitet und auch noch der Abmischung beigewohnt. Nur wenige Tage vor seinem Tod wurde das Projekt fertiggestellt.
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