JOHN ZORN - The Big Gundown (Nonesuch Records 979 139-1, 1986)
Der am 2. September 1953 in New York City geborene John Zorn ist ein amerikanischer Komponist und Bandleader. Er spielt Saxophon und Klarinette. John Zorn arbeitet ausserdem als Musikproduzent, ist Inhaber des Plattenlabels Tzadik und des Veranstaltungslokals Stone Music Lab in Manhattan und hat mit vielen experimentellen Musikern, insbesondere im Bereich Neue Musik und im Jazz, zusammengearbeitet. Zorn spielte als Kind Klavier, Gitarre und Flöte. Während seines Studiums am Webster College erlernte er, beeinflusst durch Anthony Braxton und seinen dortigen Lehrer Oliver Lake, das Saxophonspiel. Anfänglich eher an Neuer Musik interessiert, wandte er sich in den 70er Jahren dem Jazz zu. Er brach die formale Ausbildung ab und kehrte auf dem Umweg über die Westküste nach New York zurück, um sich im Umfeld der Musikszene der Lower East Side auf musikalische Projekte zu konzentrieren. Er verdiente sich während dieser Zeit seinen Lebensunterhalt unter anderem mit Arbeit in einem Schallplattenladen.
Zu seinen frühen Einflüssen gehört, neben Braxton, Eugene Chadbourne und Ornette Coleman, auch Karlheinz Stockhausen. Zorns Musik ist charakterisiert durch die Verarbeitung zahlreicher musikalischer Stile aus verschiedensten Quellen, wie etwa Filmmusik zu Zeichentrickfilmen, Free Jazz, Hardcore oder jüdische Folklore. Zorn kombiniert dabei oft kurze musikalische Sequenzen in collagenartiger Form, teilweise in rasanter Abfolge. 1975 gründete er sein Theatre of Musical Optics und begann zunächst die Zusammenarbeit mit Chadbourne, Tom Cora, Wayne Horvitz, Polly Bradfield und LaDonna Smith. Internationale Anerkennung erreichte er in den 80er Jahren. Während des nächsten Jahrzehnts arbeitete er sowohl in New York als auch in Tokio, wo er viele Werke schrieb und aufführte. 1998 produzierte er das Album "1930" des japanischen Noise-Künstlers Merzbow.
Zorn bekennt sich explizit zu seiner jüdischen Herkunft und verarbeitet in einigen seiner Projekte traditionell jüdische Elemente. Er gründete das Plattenlabel Tzadik. Dabei formulierte er eine neue sogenannte Radical Jewish Culture und verabschiedete ein Manifest über das radikale Judentum seiner Musik, in dem er unter anderem erklärte: "Der Jude ist immer Ursprung einer doppelten Infragestellung gewesen: der Infragestellung des Selbst und der Infragestellung des Anderen. Da ihm nie die Möglichkeit gewährt wird, aufzuhören, jüdisch zu sein, ist er gezwungen, die Frage seiner Identität zu formulieren. Daher ist er von Anbeginn mit dem Diskurs des Anderen konfrontiert, und oft hängt sein Leben davon ab. Mir wurde klar, dass ein Jude jemand ist, der naiv glaubt, dass er, wenn er selbstlos zu seiner Gastkultur beiträgt, akzeptiert werden wird. Aber wir sind die Aussenseiter der Welt. Das ist es, was mich am Stamm anzog: die Kultur des Aussenseitertums".
"The Big Gundown" wurde von September 1984 bis September 1985 von Don Hünerburg für Nonesuch Records aufgenommen, zusammengestellt und 1986 veröffentlicht. Das Album war schon im Titel eine Hommage an den italienischen Filmkomponisten Ennio Morricone. Es enthielt auf eine radikale Weise verarbeitete Coverversionen von Filmmusiken des Komponisten zu Filmen von Claude Lelouch, Gillo Pontecorvo, Bernardo Bertolucci, Elio Petri und besonders Sergio Leone. Ursprünglich vorgesehener Titel war daher auch "Once Upon A Time In The Lower East Side", als Anspielung auf Leones Klassiker 'Es war einmal in Amerika'. Der letztendlich gewählte Titel des Albums bezog sich auf einen Spaghetti-Western aus dem Jahr 1966, 'The Big Gundown', von Sergio Sollima, mit Lee Van Cleef in der Hauptrolle, zu dem Morricone damals die Musik schrieb. Richard Cook und Brian Morton sahen John Zorn in der Rolle eines künstlerischen Puppenspielers und verglichen ihn mit der Rolle George Martins bei den Aufnahmen der Beatles sowie des frühen Frank Zappa. Sie hielten das Album für in jeder Hinsicht bemerkenswert und zählten es zu den wichtigsten Alben der 80er Jahre. Sie bewerteten das Werk mit der höchsten Punktzahl, zusätzlich aufgewertet durch eine Krone. Guy Peters wertete das Album als Genre-sprengend und eines der risikoreichsten der 80er Jahre. Das Album könne als einer der erfolgreichsten Befürworter des vorherrschenden dekonstruktivistischen Ansatzes in der Literatur und der Musik gewertet werden. John Zorn ging beständig auf der schmalen Grenze zwischen Bewunderung und Nachahmung, was auch eine Konsequenz aus der Ausdrucksstärke des Werkes von Morricone selbst war.
John Zorn wählte bewusst neben Musikern seines regulären Umfeldes aus der New Yorker Jazzfusion- und Artrockavantgarde wie Bill Frisell, Arto Lindsay, Fred Frith und Wayne Horvitz zusätzlich eher dem Jazz-Mainstream oder anderen Genres zuzuordnende Musiker wie den Mundharmonikaspieler Toots Thielemans für den Titel "Poverty" (aus 'One Upon A Time In America'), den Organisten John Patton für seine Interpretation von "Erotico" aus dem Film 'The Burglars' sowie die Sängerin Diamanda Galás und den Gitarristen Vernon Reid für "Metamorfosi" aus, ein Thema aus Elio Petris Film 'Die Arbeiterklasse geht ins Paradies' ('La classe operaia va in paradiso'). "The Big Gundown" legte die Grundlage für nachfolgende Konzeptalben Zorns wie "Spillane" 1987 und "Spy Vs Spy" 1988.
Zorn komponierte weitere Film-Soundtracks und arbeitete für Orchester und Ensembles wie zum Beispiel das Kronos Quartet. Auf seinen Musiklabels Tzadik und Avant hat er eine grosse Fülle von Alben eingespielt und produziert. Sehr viele Werke, die unter Zorns Namen veröffentlicht werden, wurden von ihm lediglich komponiert. So schrieb er mindestens vier verschiedene Songbooks: das Mitte der 90er Jahre entstandene erste "Masada"-Songbook (205 Titel), "Book Of Angels" (2004; 316 Titel), "Book Beriah" (2009) und "The Bagatelles" (2015; 300 Titel). Sie werden nach und nach von verschiedensten Musikern vertont, sowohl von Angehörigen der New Yorker Downtown-Szene als auch von Anderen, wie etwa Pat Metheny. Insbesondere das frühe Schaffen von Zorn zeichneten sich durch Maximalismus aus, in expliziter Opposition zum damals in der Konzertmusik vorherrschenden Minimalismus. Zorns Kompositionen aus dieser Zeit bestanden oft aus kurzen, sprunghaft wechselnden Versatzstücken, die auf unterschiedliche Musiktraditionen (einschliesslich Popmusik und von Animationsfilm-Musik inspirierte Elemente) zurückgriffen. Auch kam in seiner Musik bis in die 90er Jahre hinein Melodie als Strukturelement kaum vor, dies änderte sich vor allem durch das Masada-Quartett, mit dem er auch erstmals Jazz spielte.
In der aktuellen Ausgabe des 'Jazzbuch' wird John Zorn als der herausragende und einflussreichste Jazzmusiker der Gegenwart bezeichnet. Diese Einschätzung ist aber sehr umstritten, weil Zorns Musik sich nicht in erster Linie aus der afro-amerikanischen Musiktradition herleitet. Vielmehr stellt diese nur einen Einfluss unter vielen dar. Zorn lehnt die Bezeichnung Jazzmusiker für sich selbst rigoros ab. Eine sehr grosse Rolle in Zorns Schaffen spielt die Verknüpfung von Musik mit visueller Kunst, einschliesslich der Album-Cover, die oft zu Kontroversen führten. Bei der Erstellung der Cover für seine Tzadik-Veröffentlichungen arbeitete Zorn mit der Designerin Chippy (Heung Heung Chin) zusammen.
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