Jan 26, 2018


MARIANNE FAITHFULL - Broken English
(Island Records 371 173-2, 2013 / Originalaufnahmen von 1979)

Inmitten der ausklingenden Punk-Aera und der aufsteigenden New Wave Welle meldete sich eine damals alte Bekannte mit einem phänomenalen, absolut zeitgeistigen Werk von unglaublicher Schönheit und einer Art bodenständiger Fragilität zurück: Marianne Faithfull, die Rock-Muse aus den 60er Jahren. Ihre manchmal nahe am Wegkippen angesiedelte brüchig-verraucht/verruchte Stimme erklang in einem modernen Soundgewand, für das mehrheitlich Steve Winwood sorgte, der zur damaligen Zeit selber mit zeitgenössischem Synthetik-Sound experimentierte, der in der Folge in sein bis dahin erfolgreichstes Album "Arc Of A Diver" münden würde. War schon diese famose LP immer ein Bestandteil meiner Plattensammlung, so war die 2013 neu aufgelegte Deluxe 2CD Edition eine echte Ueberraschung.

Kurz auf die Tracklists der beiden CDs geschaut, war ich erst etwas skeptisch, warum denn da zweimal dieselben Stücke zu hören sein sollen. Die originale Platte fand ich immer schon wunderbar, und interessant fand ich deshalb die Ueberschrift bei CD 2: "Original Mixes - previously unreleased". Zum ersten Hördurchgang legte ich mir erst die CD1 ein mit dem originalen, klangtechnisch restaurierten Album. Der Klang ist merklich direkter, transparenter auch als auf dem originalen Vinyl Album. Auch klingt das neue Remaster nicht mehr so ganz trocken und steril wie die unremasterte CD-Erstveröffentlichung. Leider dominieren auf der Platte ja viele synthetische Keyboard-Klänge, teils arg  kalte Sounds wie bei vielen Platten aus den 80er Jahren. Remastered aber klingt das sehr viel wärmer, eventuell auch, weil das neue Remaster sehr druckvoll klingt.

Die grosse Ueberraschung kam dann, als ich mir die CD 2 dieses Sets einlegte. Unfassbar, was ich da zu hören bekam. Die "Original Mixes" - das sind exakt die Aufnahmen, die Marianne Faithfull damals veröffentlicht haben wollte, die aber von der Plattenfirma abgelehnt wurden, weil sie zu rockig/punkig ausgerichtet waren. Dem beigelegten umfangreichen Booklet der Doppel-CD ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals ziemlich unglücklich darüber war, dass man die originalen Mixdowns der Platte nicht veröffentlichen wollte. Marianne hatte damals eine klasse Begleitband, und zu den Musikern gesellten sich im Studio dann damals angesagte Top-Sessionmusiker, allen voran Steve Winwood, dessen musikalischen Einfluss sich durch die damals veröffentlichte Version hörbar durchzieht.

Ganz anders bei den "Original-Mixes". Die waren so zu Ende gebracht worden, als würde es sich bei der Platte "Broken English" um eine waschechte Post-Punkrock Produktion handeln, was in jedem Fall Faithfull's damaliger Lebensphase entsprach. Sie verkehrte in jenen Tagen viel in Punk-Kreisen und meinte später zu den ursprünglichen Album-Aufnahmen unter anderem: "Punk made the album possible". Umso grösser war ihre Enttäuschung, als Island Records-Labelchef Chris Blackwell den Befehl gab, die Platte glattzubügeln, moderner zu arrangieren und alle Noise-Gitarren weitgehend zu eliminieren, sodass am Ende ein zwar zeitgemässes, aber leider etwas steriles Gebräu aus synthetischem Pop mit einer zugegebenermassen immer noch umwerfenden Frau Faithull am Mikrophon herauskam. Experimenteller New Wave-Sound, wie er typisch war für die damalige Zeit, bestimmte dann das Album. Wenn man den direkten Vergleich zwischen originalem Faithfull-Mix und dem späteren Album-Mix zieht, ist der Gesang der Dame auf dem Album-Mix vielleicht etwas präsenter, klingt eher nach Einzelinterpret, die originalen, nichtveröffentlichten Mixes klingen aber nach "Band" mit Sängerin, sind viel rhythmischer und auch organischer: in der Tat eine waschechte Rock-Platte.

Marianne Faithfull erzählt, dass sie damals dachte "I gave myself permission to make a record that I'd wanted to make for a long time. I was going to die and this might be my last chance to make a record. It's this sense, that fucking hell before I die, I'm going to show you bastards who I am". Faithfull bezeichnete die Platte, als sie herauskam im neuen Klang-Gewand als "overproduced" und bedauerte den Verlust des punkigen Feels der Platte. Sie sagt: "I had a copy of "Broken English" before it was overproduced, and that was a masterpiece. Unfortunately I lost it". Dem Booklet ist zu entnehmen, dass Marianne Faithfull damals mit ihrem Ehemann Ben Brierly in einem Apartment des Chelsea Hotels gewohnt hat. Bei einem Brand in dem Hotel ist dieser Album-Mix verloren gegangen und Faithfull übersiedelte danach nach Amerika.

Der für diese Deluxe Edition verantwortliche Andrew Batt fand schliesslich in den Archiven von Island Records noch ein Exemplar dieses originalen Masters. Das Anhören dieser Version der Platte ist ein Hochgenuss. Alle Songs haben eine ganz andere Charakteristik, allen voran das Titelstück "Broken English", das von den Gitarrensounds mit Stakkato-Riffs geprägt ganz anders klingt als das bekannte "Original". Ein absoluter Volltreffer ist auch das Stück "Why D'Ya Do It", das mit seinen wilden und rotzigen Gitarrenparts klingt, als wäre es von Tom Verlaine gespielt (Television). Das Stück hört sich an, als würde es vom Television-Album "Marquee Moon" stammen. Zudem ist diese Version 2 Minuten länger als die spätere offizielle Version (fast neun Minuten lang). Und dann stellt Euch das allseits bekannte "Ballad Of Lucy Jordan" mit akustischen und elektrischen Gitarren vor, und nicht so hochglanzpoliert im Synthie-Popsound wie man es kennt.

Mein persönliches Fazit: Bei dieser 2013er Deluxe Edition erhält man zum einen ganz sicher die hervorragend klingende remasterte Version eines popmusikalischen Meilensteins. Dazu das gesamte Album in Marianne Faithfull's favorisiertem, ursprünglichen Mix, den ich persönlich wesentlich interessanter finde und der meiner Ansicht nach Marianne Faithfull's Naturell als eigentlicher Rocksängerin gerechter wird. Ebenfalls ein klarer Gewinn sind die 5 zusätzlichen Bonustracks - unter anderem die damalige Maxisingle-Langversion von "Sister Morphine" (6:04). CD 1 wiederum enthält noch ein 12 Minuten langes Promo-Filmchen mit Marianne Faithfull in der Hauptrolle, unterlegt mit drei Songs des Albums. Ein schönes und dieser hervorragenden Künstlerin absolut würdiges Set.

Top-Track für mich persönlich "Why D'Ya Do It".





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