Mar 17, 2017

BULLSEYE - On Target (Columbia Records JC 35973, 1979)

Es gab einmal eine Zeit, in der es noch weder MTV im Fernsehen, noch Internet gab und die einzige Möglichkeit, an neue Sounds aus den Staaten heranzukommen war, in den bevorzugten Plattenläden auf ein gut sortiertes Importregal zurückzugreifen. Das war bei mir damals nicht anders. Wen interessierten denn schon die gängigen Bands, die bekannten Musiker und das dröge und sattsam bekannte Hitparadenfutter, das in den Kaufhäusern rauf und runter gespielt wurde und zum Kauf des entsprechenden Vinyls animieren sollte. In jener Zeit gab es bei mir in der Nähe noch etliche gutsortierte Plattenläden und einer davon hatte sich schon früh auf Eigenimport spezialisiert. Die Folge davon war, dass er von den offiziellen Kanälen nicht mehr beliefert wurde. Das war insofern für einen Sammler und ewig Suchenden interessant, weil dadurch viele unbekannt gebliebene Sachen den Weg in diesen Plattenladen fanden, auch, weil es sich um Sounds handelte, die der Besitzer des Ladens sich aufschnorren liess. Allerdings hatte er dabei auch immer wieder ein ausgezeichnetes Händchen, verfügte ausserdem über ein enormes Fachwissen, was ihm immer wieder zugute kam, wenn er obskure oder unbekannte Sachen einkaufte: Wenn etwa ein bestimmtes Plattenlabel, ein Produzent oder ein Musiker, den er bereits von anderen Werken kannte, im Newsletter aufgeführt war.

Ein weiterer Pluspunkt für den Direktimport bedeutete der Umstand, dass dadurch viele Platten bei ihm im Laden bereits erhältlich waren, wenn sie hierzulande noch gar nicht veröffentlicht worden waren. Eine der tollsten Entdeckungen, die ich damals auf diese Weise gemacht habe, war die Gruppe Bullseye, eine hervorragende Rockband, die sich hinter den grossen Namen der damaligen Zeit, wie etwa Boston, Kansas, Starcastle oder Journey überhaupt nicht zu verstecken brauchte, in Europa aber keinerlei Chance zu einer Vermarktung erhielt. Da war keine Möglichkeit, so eine tolle Gruppe hierzulande einem breiteren Publikum näherzubringen. Die Gruppe hatte ihre musikalischen Wurzeln im typischen Boston-Sound, dem Rock etwa von Bob Seger & The Silver Bullet Band zu Mitte der 70er Jahre nicht unähnlich. Bullseye waren jedoch eine Band aus New York City, wo sie schon kurz nach ihrer Gründung zu einem Plattenvertrag mit dem grossen Label Columbia Records kamen, ein Umstand, der die grosse Klasse ihrer Musik schon früh bestätigt sah.

Als Produzent für die erste LP "On Target" wurde Rob Stevens ausgewählt, ein verdienter kanadischer Producer, der zuvor etwa mit der kanadischen Band Crack The Sky zusammengearbeitet hatte und dieser Gruppe zu beachtlichem internationalen Erfolg verhalf. Aufgenommen im Le Studio in Morin Heights, Quebec und fertiggestellt in New York City in der legendären Hit Factory präsentierten Bullseye eine perfekte Mixtur aus hartem zeittypischem Rock, ausgestattet mit phantastischen Gesangsarrangements und Melodien, die eigentlich jederzeit kommerziell hätten zünden müssen: Da reihte sich ganz klar Hit an Hit, jeder Song verfügte über mindestens eine bis zwei prägnante Hooklines, die sofort zum mitsingen animierten und wohl so manche renommierte und etablierte Rockband hätte was  drum gegeben, solche Melodien zu kreieren.

Das Album war perfekt produziert, klang extrem gut und überzeugte durch eine ausgewogene und transparente Gesamtnote, weder nervte der harte Rock, noch zielten die mehrstimmigen und perfekt eingesungenen Gesangsparts irgendwie in eine zu kitschige Richtung: Alles in allem stimmte an diesem Rockalbum einfach alles. Die Platte wurde 1979 veröffentlicht und überzeugte mit Titeln wie "Moonwalk", "Seventh Heaven" und "I’ve Changed (Never Want To See You Again)". Zum Highlight des Albums avancierte letztlich das Stück "Treat Me Right", das zwar der Gruppe Bullseye kein Erfolg beschied, dafür der amerikanischen Rocksängerin Pat Benatar, die das Stück für so gut befand, dass sie es ein Jahr später, im Jahre 1980, als Single veröffentlichte und damit einen Hit landete. Hätte, sollte, würde - ich kenne kaum eine andere Platte, die dermassen untergegangen ist, obwohl sie eigentlich ein absoluter Hit gewesen ist. Schade, dass diesem wunderbaren Stück Musik nicht der Erfolg beschieden war, das es verdient gehabt hätte.

Bullseye bestanden aus Kevin Clougherty (Bass, Gesang), Manny Demagistris (Gitarre, Gesang), Thomas Ferrara (Gitarre, Gesang), Thomas Graves (Keyboards, Gesang) und Alan Childs (Schlagzeug). Leider konnte die Band auch in ihrer Heimat kaum nennenswert Platten verkaufen, weshalb Columbia Records den Plattenvertrag schon bald nach der Veröffentlichung der LP "On Target" wieder auflöste, was dann auch zur Auflösung der Band Bullseye führte. Der Song "Moonwalk" erreichte in Europa immerhin ein wenig Airplay, da der Song beispielsweise auch auf dem legendären Sampler "Munich City Nights" einen Platz fand. Für Interessierte sind vielleicht noch ein paar stilistische Querverweise interessant, um sich ein besseres Bild der Gruppe Bullseye zu machen: Der Opener "Treat Me Right", der später von Pat Benatar gecovert wurde, erinnert mit seiner Piano-Attacke zu Beginn und den in cleanem Gitarrensound gehaltenen Riffs sehr an die gasnz frühen Toto, während etwa der Titel "Seventh Heaven" auch auf Loverboy's Debutalbum hätte zu finden sein können. Oder die melodischen Nuancen im Stück "I've Changed (Never Want To See You Again)", die ganz besonders an Survivor erinnern. "Moonwalk" bietet den härteren Rock etwa der Gruppe Moxy und schliesslich das recht poppig ausgefallene "My Old Car", das schon fast an die lakonischen Geschichtchen von Ray Davis und seinen Kinks erinnert.

Da die Platte erst kürzlich auf Rock Candy Records auch erstmalig als remasterte CD veröffentlicht worden ist, kann man ohne Probleme an diese grossartige Rockplatte herankommen. Dank Onlineshop- und Download-Zeitalter sogar wesentlich einfacher als damals an das originale Vinyl.



 

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