Mar 8, 2017

CRAVINKEL - Garden Of Loneliness (Philips Records 6305 124, 1971)

Cravinkel waren eine deutsche Folkrock-Band der 70er Jahre um den später durch seine Arbeit in der Gruppe TRIO bekannten Gitarristen Kralle Krawinkel. Gegründet wurde Cravinkel im Jahre 1969 in Wilhelmshaven. Die Gruppe spielte ausschliesslich in lokalen Schuppen ihre rechteigenständig/eigenartige Folkrock-Musik, die ursprünglich stark von der Hippie- und der Underground-Aera der ausgehenden 60er Jahre beeinflusst war. Um der möglichen Aussicht auf einen Plattenvertrag näher zu sein, zog die Gruppe 1970 dann nach Hamburg, wo in den 70er Jahren in Deutschland die meisten grossen Plattenfirmen ansässig waren. Der Umzug sollte sich letztlich gelohnt haben, denn die Band erhielt einen ungewöhnlich gut dotierten Plattenvertrag bei Philips, einem Sublabel des Label Phonogram. Zur Schaffung einer möglichst kreativen Umgebung zog Cravinkel anschliessend nach Volkmarst (in der Nähe von Bremervörde).

In London nahmen Cravinkel 1970 ihre erste selbstbetitelte LP auf und gingen anschliessend mit Frumpy und Spooky Tooth auf Europatournee. Im September 1970 eröffneten sie das Love and Peace-Festival auf Fehmarn, der selbsternannten europäischen Antwort auf das Woodstock Festival. Der Auftritt von Cravinkel wurde dort jedoch wegen technischer Probleme vorzeitig abgebrochen. Nach einem Besetzungswechsel veröffentlichte die Band 1971 ein weiteres Album, das nun deutlich progressiver klang als das Debüt. Insgesamt enthielt das zweite Album lediglich drei ausgeprägt lange Titel. Das zweite und letzte Album hatte also stilistisch kaum mehr etwas mit dem Debütalbum gemeinsam. Statt kurzer melodiöser, eher Folk-orientierter Songs wurden auf "Garden Of Loneliness" drei zum Teil sehr lange und recht abwechslungsreiche Stücke geboten, auf denen gekonnt improvisiert wurde. Die Band war hier wesentlich näher beim Underground Sound der damaligen Zeit angelangt, auch beim inzwischen etablierten Krautrock. Ausserdem konnte man Aehnlichkeiten etwa zu Sweet Smoke (durch die langen improvisierten Passagen) erkennen. Die gesamte Produktion war exzellent, die drei überlangen Stücke gekonnt durcharrangiert, weshalb auf den langen Tracks zu keiner Zeit irgendwelche Längen auszumachen waren. Die mehrstimmigen Gesangsarrangements indes wirkten teilweise ziemlich schräg, sie kamen rauh und etwas ungehobelt herüber, waren aber absolut passend zu den Titeln, manchmal fast so etwas wie kleine und interessante Widerhaken im Gesamtsound, die besonders in den langen Jams als überraschende Stimmungswechsel wahrgenommen werden konnten.


Die Musik auf "Garden Of Loneliness" bedeutete insgesamt eine grosse Steigerung in der Qualität gegenüber dem Debutalbum, es klang teilweise sogar ziemlich amerikanisch, besonders bezüglich der eingebauten Folk-Elemente und der betont progressiven Ausrichtung. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich klingen, dürfte aber den eigentlichen Charme dieser Platte letztlich ausmachen: Amerikanisch gefärbter progressiver Underground-Krautrock mit einem schönen Anteil Folk: Auch nicht unbedingt eine alltägliche Mixtur, auch für damalige Verhältnisse nicht, wo ja stilistisch eigentlich alles möglich war. In ganz besonderen Momenten, etwa nachzuhören im Stück "Stoned" klangen die mehrstimmigen Gesangsarrangements von Cravinkel schon ähnlich wie jene der amerikanischen Gruppe Crosby Stills Nash & Young - ein Qualitätsmerkmal, und nicht das Einzige bei dieser insgesamt wirklich hervorragenden Platte. 

Mit dem zu einer epischen Länge von 20 einhalb Minuten ausgedehnten Stück "Stoned" auf der B-Seite der Platte zeigte die Formation ihr ganzes Können. Die gesungenen Improvisationen entsprachen nicht nur dem ehemaligen Zeitgeist, dem aus der Flower Power- Ära entwickelten Drang, sich in Improvisationen um ein musikalisches Grundthema zu versuchen. Jene Improvisationskünste, die von Gruppen, wie Cream, Blind Faith, Deep Purple oder Black Sabbath vorgegeben worden waren, führten auch hier auf einen musikalischen Eigenweg, der üblicherweise mittels bewusstseinserweiternder Drogen beschritten wurde und die Möglichkeit eröffnete, instrumentale Grenzen zu überschreiten. 

Das knapp über 10 Minuten lange Stück "Sittung In The Forest", mit dem die A-Seite der LP begann, zeigte noch in vielen Passagen, dass Cravinkel einst im Folkrock-Bereich ihre Wurzeln hatten. Ein wechselnder, sich in die Bereiche des Blues und des Soul begebender Gesang, untermalt von teilweise zweistimmigen Gitarreneinlagen und einem eher dezent gespielten Schlagzeug, liessen insgesamt hörbar erahnen, dass in der Gruppe ein grosses musikalisches Potenzial schlummerte. Das der LP den Titel gebende Stück "Garden Of Loneliness " war vor allem dank der virtousen Gesangspassagen innerhalb seiner fast 10-minütigen Länge, nie gleichförmig gestaltet, sondern erging sich in ständigen Tempi-Wechseln. Den vokalen Höhepunkt bildete hier der finale Refrain, der sich mittels stakkato-artiger Gesangseinschübe über eine Zeitspanne von gut drei Minuten erstreckte und dessen Ende abrupt kommen sollte. 

Häufig standen im Vordergrund der drei Jams auch zweistimmige Gitarrensoli, welche damals vor allem durch die Band Wishbone Ash bekannt geworden waren. Cravinkel bedienten sich dieses Stilelements aber ebenfalls ohne jegliche Anbiederungen an andere Bands und Musiker. Bei Cravinkel klang auch die Gitarrenarbeit stets virtuos, eigen und ziemlich wiedererkennbar. Anfang 1972 brannte das Haus in Volkmarst, in welchem Cravinkel als Wohngemeinschaft lebte, vollständig ab und zerstörte ihr gesamtes Hab und Gut. Der Brand hatte die Auflösung der Band zur Folge. Der originalen Langspielplatte lag damals ein gefaltetes, übergrosses Poster bei, und auch die Plattenhülle selber war zeitgemäss bunt und noch sehr in der Tradition der psychedelischen Plattencovers der ausgehenden 60er Jahre gehalten. 

Nachdem Cravinkel auf der ersten veröffentlichen LP eher eine Vielzahl von guten, jedoch mundgerecht gefertigten 3-Minuten Songs ablieferte, stellten sich jene Stücke auf der "Garden Of Loneliness" für manchen Kritiker eher als sperrig dar, obwohl sie dies keineswegs waren. Diese Platte ist auch nach über 45 Jahren noch immer interessant anzuhören, denn sie spiegelt ein Zeitfenster wieder, in welchem sich Musik nicht primär durch die Anzahl der verkauften Tonträger definierte. Kommerziell gesehen konnte die Gruppe mit diesem Werk damals keinen Blumentopf gewinnen. Auch eine Umbesetzung nach 1970, als für den Schlagzeuger Achim "Acrym" Brierley der neue Musiker Günter Thoenes und als zweiter Gitarrist Klaus George Meier in die Band kamen, konnte dies nicht verhindern.

Während Gert "Kralle" Krawinkel zu Beginn der 80er Jahre mit TRIO durchaus erfolgreich war, versuchten sich Rolf Kaiser und Klaus George Meier zunächst bei der Bremer Rockgruppe WOLFSMOND, die sich zunehmend etablieren konnte, ehe sich die beiden mit Boris Haupt - genannt George B. Miller als Musikformation zusammen taten, um sich in der Folgezeit ausschliesslich dem deutschsprachigen Rock zu widmen. Unter dem Namen "Rote Sand" und später "Meier Miller Kaiser" gelang ihnen jedoch nur ein mässiger Erfolg als lokale Gruppe innerhalb der 80er Jahre Deutschrock-Szene. Günter Thoenes trieb es nach einigen Umwegen zu der Rockformation AQUARELL. In den 90er Jahren zog "Kralle" Krawinkel samt Tonstudio nach Spanien, Klaus George Meier schloss sich der Cover-Gruppe Hagen Allstars an. Von Günter Thoenes ist nur bekannt, dass er bei diversen Jazz-Formationen als Schlagzeuger im Einsatz stand. Der Bassist Rolf "Mick" Kaiser führte bis 1997 in Bremerhaven eine Szene-Kneipe und starb leider viel zu früh. Die Band Cravinkel geniesst bis heute zurecht Kultcharakter.



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