NEIL MERRYWEATHER - Kryptonite (Mercury Records SRM-1-1024, 1975)
Der umtriebige kanadische Bassist, Sänger, Songwriter und Produzent Neil Merryweather hatte etwas von einer langen und rauhen Strasse. Geboren in Toronto als Robert Neilson Lillie, zuerst aufgetreten unter dem Namen Bobbie Neilson spielte er mit einigen der lokalen Künstler, darunter The Mynah Birds, The Tripp und Cockburn Flying Circus. Im Jahre 1968 verliess er diese Band, um seine erste eigene Gruppe mit Kolleginnen und Kollegen zu gründen. Die Band verliess Toronto, liess isch in Los Angeles nieder und ergatterte schon nach kurzer Zeit und einigen vielversprechenden Demoaufnahmen einen Plattenvertrag bei Capitol Records. Neilson änderte seinen Namen nun erneut, diesmal in Neil Merryweather, und so sollte auch die erste Platte heissen. Gleichzeitig trat die Band nun auch unter diesem fixen Namen auf. Das Debutalbum "Merryweather", ein schwerblütiges Blues Rock-Konstrukt mit Reflexionen des bereits abklingenden psychedelischen Pop der Hippie-Aera war allerdings bereits nicht mehr ganz so up to date, dennoch ein sehr solides Album und immerhin noch ein Debutalbum, das zumindest aufhorchen liess. Gastmusiker wie Steve Miller, Dave Mason von Traffic und die Blues-Legende Charlie Musselwhite sorgten für ein paar exzellente musikalische Tupfer, dass sich aber trotzdem leider recht schlecht verkaufte. "Word Of Mouth" erschien als zweites Album im folgenden Jahr, und weil sich dieses Werk erneut nur sehr schlecht verkaufte, beschloss die Gruppe, wieder zurück nach Toronto zu ziehen.
Zurück in Toronto, stellte Neil Merryweather schon kurze Zeit später eine komplett neue Band zusammen und veröffentlichte zwei stilistisch ähnliche Alben, die vielleicht noch etwas mehr Bluesanteil aufwiesen. Seiner neuen Freundin Lynn Carey war dieser bluesige Einschlag wohl am stärksten geschuldet, denn diese verfügte über eine annähernd dynamische Stimme wie Janis Joplin, und sie war es auch, die nicht nur diese neue Band, sondern auch die beiden entsprechenden Alben massiv aufwertete. Doch auch diesen beiden Werken wurde erneut keine nennenswerte Aufmerksamkeit zuteil. Merryweather und Carey arbeiteten darauf weiterhin unter dem Namen Mama Lion mit einer Reihe von ausgewählten Sessionmusikern zusammen. Unter dem Namen Mama Lion veröffentlichten die beiden ebenfalls zwei Alben, die stilistisch wieder etwas schwerblütiger klangen als die Alben zuvor, aber der eigentliche Star hier war ganz klar Lynn Carey, auch, weil sie sich ausgezeichnet schon auf den Plattencovern präsentierte, leicht provokativ (für damalige Verhältnisse gar ungebührend), und vor allem stimmlich absolut exzellent.
Lynn Carey schaffte es im Dezember 1972 gar ins Penthouse Magazin und wurde zum "Pet Of The Month" gewählt - heute wohl ein ziemliches no go, aber damals noch ein provokantes Mittel, um die Musikerin zu promoten. 1972 kehrte Neil Merryweather mitsamt seiner Musiker von Mama Lion mit Ausnahme von Lynn Carey, die nun eine Solokarriere anstrebte, zurück nach Los Angeles und ging erneut ins Tonstudio, um weiter neue Musik aufzunehmen. Dies resultierte in zwei weiteren Alben, nämlich "Heavy Cruiser" und "Lucky Dog", beide unter dem Bandlogo HEAVY CRUISER veröffentlicht nd beide Werke in hartem bretterndem Rock'n'Roll gehalten, wesentlich schneller und rüpelhafter als zuvor noch mit seinem bis dahin bekannten erdigen Heavy Rock.
Merryweather blieb nun in Los Angeles stationiert, schaltete in einem lokalen Musikmagazin eine Anzeige und suchte nach neuem musikalischem Personal. Auf die Anzeige meldeten sich ein Schlagzeuger, ein Keyboarder, der noch über eines der ersten Mellotron-Modelle verfügte (ein "Chamberlain"-Modell) sowie allerlei Synthesizer-Instrumentarium und zwei neue Gitarristen. Mit diesen Musikern veröffentlichte Merryweather 1974 das Album "Space Rangers". Dies war die bis anhin experimentellste und zugleich virtuoseste Platte, die er aufgenommen hatte. Auf dem Album fand sich gleichermassen sein bekannter Heavy-Sound, ausserdem schon Teile der aufstrebenden Glam Rock-Welle und insbesondere durch den neuen Keyboarder auch Spacerock- und Psychedelikrock-Elemente. "Space Rangers" wurde auch sein bislang kommerziell erfolgreichstes Projekt: Das Album stieg bis auf Rang 5 der Billboard Charts und die ausgekoppelte Single "Hollywood Boulevard" erntete sehr viel Airplay im Radio.
Weitestgehend ohne die Unterstützung seiner Plattenfirma Mercury Records und nach Konzerten als Support Act beispielsweise für T. Rex, Kiss und das Electric Light Orchestra, modifizierte Merryweather nicht nur Sound, sondern auch seine Band Space Rangers. Timo Laine verliess die Gruppe. Er wurde später zu einem der Gründerväter der sogenannten Synthesizer-Gitarre, war Tüftler und Musiker zugleich und deshalb innerhalb eines festen Band-Lineups nicht glücklich. Er wurde ersetzt durch James Herndon, der ebenfalls ein Chamberlain Mellotron besass und deshalb für Merryweather die ideale Neubesetzung des Keyboard-Postens darstellte. Ausserdem stiess der Gitarrist Michael "Jeep" Willis zur Band. Beide Wechsel erwiesen sich als goldrichtig, denn das in der neuen Besetzung eingespielte Album "Kryptonite" wurde zum bisher besten Werk von Neil Merryweather, und es sollte in der Folge auch sein Bestes bleiben. Merryweather vereinte darin auf perfekte Weise so ziemlich alle bis dato angesagten musikalischen Trends mit einer grossen Leichtigkeit, wie sie vorher nicht zu hören war: Auf der einen Seite der schwere und harte Glam Rock etwa eines Alice Coopers, auf der anderen Seite der leicht überdrehte und kommerziell ausgerichtete Glamrock der Gruppe The Sweet. Dies kombinierte Merryweather allerdings mit dem sphärischen Space-Rock von Hawkwind, und als wäre das nicht schon abenteuerlich genug, liess er auch noch seine schon in der Vergangenheit oft präsentierte schwere Doom-artige Härte, ganz in der Tradition von Black Sabbath, in den Sound miteinfliessen. Damit rückte das Album "Kryptonite" natürlich sehr in die Nähe der zu jener Zeit erschienenen typischen Rock-Alben etwa von Black Sabbath ("Sabbath Bloody Sabbath"), Hawkwind ("Warrior On The Edge Of Time") oder Alice Cooper ("Welcome To My Nightmare").
Die ersten beiden Tracks auf "Kryptonite" sind schon zwei der Highlights auf dem Album: "Kryptonite" und "Star Rider" sind atemberaubend und zwei herausragende Space Metal Songs - wahrscheinlich die besten Titel auf dem Album. Vergleichen lassen sich diese Gitarrensounds vielleicht am ehesten mit jenen von UFO-Gitarrist Michael Schenker. Was sie so bemerkenswert macht ist die Tatsache, dass sie von Neil Merryweather arrangementmässig perfekt in den Spacesound der Keyboards eingebettet worden sind. Zusammen mit dem knorrigen und vorwärtsdrängenden Bass, gespielt von Merryweather, baut sich dadurch eine bedrohliche Dynamik auf, die durchgehend konstant hoch bleibt. Das nachfolgende "Always Be With You" wirkt dann wie ein wieder auf den Boden zurückkommend: Eine typische AOR-Rockballade aus jenen Tagen. Durch die schöne mehrstimmige Vokalarbeit und das trotzdem vorhandene unterschwellige Hardrock-Arrangement wirkt der Song absolut eigenständig, passt aber hervorragend auf diese Platte und vor allem als Verschnaufpause nach den zwei Rock-Brettern zuvor. "Give It Everything We Got" überrascht eingangs mit einem Funky Groove, arrangiert mit dem Synthesizer als impulsgebendem Instrument, ausserdem erklingen hier mit dem Chamberlain Mellotron wiederum herrliche Gegenparts, bevor Gitarrist "Jeep" mit einem traumhaften Gitarrenteil während der nachfolgenden drei Minuten dem Stück die Krone aufsetzt - auch hier ist zweifelsohne eine gehörige Portion Michael Schenker herauszuhören. Der Titel endet mit einer echten Bruchlandung in einem Crash aus Gitarren- und Synthesizerklängen.
Der nächste Titel erinnert frappant an Mott The Hoople, die "Hollywood" Aera von Alice Cooper und an den modifizierten AOR-Sound der späteren The Sweet. "Groove" ist vielleicht nicht der beste Song des Albums, jedoch zeigt er Merryweather's Bezug zur Aktualität besonders gut: Hier klingt der Sound nicht mehr retrospektiv, sondern zukunftsorientiert: Viele Bands hatten zu Mitte der 70er Jahre nach neuen Soundmöglichkeiten gesucht, verloren sich dabei bisweilen auch in eher weniger kreativen Ergüssen. Trotzdem ist "Groove" beileibe kein richtiger Durchhänger auf dem Album, vielmehr der Song, der nicht so ganz zum Rest des Albums passen will: der musikalische Widerhaken vielleicht. Mit "Real Life Love" präsentiert die Gruppe dann erneut einen Song, der ganz gut auch von The Sweet hätte stammen können. Er erinnert mit seinem Glamrock-Arrangement an einige Singles von Andy Scott und Co. Nicht schlecht, aber die nachfolgende Nummer "You Know Where I'd Rather Be" toppt das locker. Hier erklingen wieder die Space Rangers: Abgehoben, rockend, wüst und hart, und mit einem brillianten Arrangement versehen, bäumen sich die Musiker wieder auf und präsentieren einen heavy und meatllisch klingenden Rocker mit Fuzz Gitarrenriffs der Extraklasse. Zum Schluss kehren die Space Rangers zurück zu den Sternen im dieses hervorragende Album beschliessenden "Let Us Be The Dawn". Das ist wieder eine dieser anpsychedelisierten, bleischweren Heavy- und Space-Rock Hamnen, wie man sie von Neil Merryweather kennt. Noch einmal erhält das Chamberlain Mellotron einen grossen Freiraum, manövriert sich das Raumschiff in die endlosen Weiten des Weltalls, um sich irgendwo im schwarzen Nirgendwo zu verlieren. Ein genialer Abschluss eines überzeuenden Werks, das ich bis heute zu den besten Geheimtipps der 70er Jahre zähle.
Nachdem die Band von einer Amerikatournee wieder zurück nach Los Angeles kam, drehte Mercury Records den Geldhahn zu, weil die Verkaufszahlen für das Album "Kryptonite" weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren. Dies führte zur Auflösung der Space Rangers. Neil Merryweather arbeitete einige Jahre als Produktionsmitarbeiter für verschiedene Rockmusiker, darunter auch Randy California von der Gruppe Spirit. Später zog Merryweather kurzzeitig nach London um, arbeitete für ein neu geschaffenes Unterlabel der Plattenfirma Chrysalis Records (Dureco in Amsterdam) und veröffentlichte ein weiteres Soloalbum, betitelt "Differences". Er produzierte auch das einzige Album der holländischen Band Carlsberg, das auf Dureco Records erschien. 1980 gründete er wieder eine Band mit dem Namen EYES, bleib damit aber relativ erfolglos, obwohl er für das einzige Album wiederum auf den bewährten Gitarristen Michael "Jeep" Willis zurückgriff. Schliesslich kehrte Merryweather wieder zurück nach Los Angeles, tat sich mit der Ex-Runaways Musikerin Lita Ford zusammen, für die er das Management übernahm und auch in ihrer Band den Bass spielte und ihr Soloalbum "Out For Blood" produzierte. Nachdem er sich persönlich und musikalisch mit der Musikerin Lita Ford überworfen hatte, kehrte Merryweather dem Musikbusiness für lange Zeit den Rücken, ehe er in jüngeren Jahren wieder mit Michael "Jeep" Willis die Space Rangers reaktivierte und auch anfing zu malen. "Kryptonite" blieb aber insgesamt sein unumstrittenes Meisterwerk, das er nie mehr toppen konnte.
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