CABARET VOLTAIRE - Red Mecca (Rough Trade Records ROUGH27, 1981)
Cabaret Voltaire war eine Industrial- und Techno-Band aus Sheffield, benannt nach dem Zürcher Cabaret Voltaire, der geistigen Wiege der Dada-Bewegung, und dies noch lange Zeit, bevor überhaupt Jemand erstmals von Technomusik gesprochen hatte. Cabaret Voltaire wurde 1973 in Sheffield von Stephen Mallinder, Richard H. Kirk und Chris Watson gegründet und war in erster Linie ein Projekt, um experimentelle Sounds zu erzeugen, weniger um Songs zu schreiben. Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt traf die Band noch auf ein feindlich gesinntes Publikum, welches ihre elektronischen Klänge ablehnte und Rock'n'Roll erwartet hatte. Die Musiker wurden bei diesem Konzert durch Besucher attackiert und Stephen Mallinder zog sich den Bruch eines Wirbelknochens zu. Die Akzeptanz beim Publikum besserte sich erst mit dem Auftauchen des Punk in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Nachdem sie 1978 ihren ersten Plattenvertrag bei Rough Trade Records erhalten hatten, konnten die Bandmitglieder aufgrund der Verkaufserfolge ihrer ersten LPs Mix-up, beinhaltend einee Coverversion des Seeds-Klassikers "No Escape" und "The Voice of America" sowie der Singles "Extended Play", einer 7"-EP inklusive des Underground-Hits "Do the Mussolini (Headkick)" und "Nag Nag Nag" ihre bürgerlichen Berufe aufgeben.
Cabaret Voltaire galten letztlich als einer der allerersten Vorboten des synthetischen Beats, auch Wegbereiter des späteren Technosounds wurden sie schon genannt, weil sie bereits 1974, als sie sich formierten, Gitarren, Bässe und Schlagzeuge durch Synthesizer und Rhythmuscomputer ersetzten, um damit surrealistische Ton-Collagen und obskure Klangwelten zu erschaffen, die irgendwo zwischen Pop, Punk und Elektronik angesiedelt waren. Getreu dem für die Band verwendeten Namen Cabaret Voltaire verstanden sich die drei Musiker anfänglich ebenfalls als eine Art wandernde Elektronikbühne als Ausdruck einer Anti-Kultur, quasi einer alternativen Musik-Kunstform. Ihr erster öffentlicher Auftritt vor zahlendem Publikum endete im Mai 1975 allerdings in einem Desaster. Das Gastspiel musste unter einem Hagel von Bierdosen und Plastikbechern abgebrochen werden. Ebenso wie das erste Londoner Gastspiel im Vorprogramm der Buzzcocks. Allerdings arbeiteten die drei Musiker von Beginn weg auch mit Video-, Film- und Dia-Projektionen und untermalte die dabei gezeigten expressiven Bilder und Visionen mit schwer verdaulichen Rhythmusorgien, exzessiven Improvisationen und einem monotonen, eindringlichen Sprechgesang. Diese provokative, suggestive Avantgarde erzeugte beim erstaunten Publikum immer wieder Irritation und Verwirrung. Einerseits wurden die verfremdeten, verzerrten Klänge als immens stark, intensiv und gehörfreundlich empfunden, andererseits unterstellte man den drei Performance-Künstlern, dass sie kein Gefühl und keinen Instinkt für ihre eigene Musik gehabt hätten.
Bei aller Innovation und dem Aufbruch in eine neue Zeit hatten Cabaret Voltaire stets den vergangenen Sound im Fokus, und der Einfluss dieser Musik aus vergangenen Tagen war grösser, als man das vielleicht hätte vermuten können, wenn man sich ihre Klangnovitäten anhörte. Ihre teils abstrakten Coverversionen von Songs der Seeds oder von Velvet Underground untermauerten nicht nur deren Wichtigkeit für die Entwicklung der Rockmusik, sondern ebneten auch Bands wie Cabaret Voltaire neue Wege. Elektronische, teils verstörend verfremdete Beatsongs aus den 60er Jahren waren ein probates Mittel, Klassiker der Rockmusik in die Neuzeit zu retten. Dagegen wirken heutige Coverversionen alter Rocksongs geradezu todlangweilig. Mangelnde Phantasie oder fehlender Pioniergeist konnte man der Gruppe Cabaret Voltaire keinesfalls unterstellen. Ihre dahingehende Schock-Taktik pflegte die Band sehr und machte sie zu einem ihrer wichtigsten Markenzeichen. Was wir beim heutigen Amnhören als durchaus interessant und irgendwie vertraut empfinden, wirkte damals ziemlich radikal, auch wenn sich die rein elektronische Musik längst etabliert hatte. Was Cabaret Voltaire letztlich auszeichnete, respektive sie von rein elektronischen Künstlern unterschied war die Tatsache, dass bei den drei Musikern immer eine relative Kälte im Sound dominierte, eine Unnahbarkeit, die verstörend wirkte, und die teilweise deshalb auch als oberflächlich und nichtssagend wahrgenommen wurde.
Metallische, maschinelle Schärfe, dumpfe Atonalität und kalte Ästhetik gehörten während der gesamten Schaffenszeit der Gruppe zu ihren Hauptingredienzien. Die zeitweilig geradezu archaisch simplen Songgebilde, basierend auf zumeist recht ausgefallener Elektronik, vermochte die Band mit ihrem technischen Industriesound auf der Bühne jedoch nicht zu reproduzieren. Dafür dehnte sie ihre gleichförmigen Rhythmusgrundlagen episch aus, um mit einfachsten Stilmitteln eine grösstmögliche Wirkung zu erzielen, um letztlich grossangelegte Stimmungsbilder zu schaffen. Insgesamt blieben Cabaret Voltaire in letzter Instanz wohl eher ein Künstler-Trio, das den intellektuellen Zuhörer bediente, die breite Masse konnte ihren teils drastischen Vorstellungen von Musik einfach nicht folgen. So blieben die drei Musiker auch eigentlich während ihres gesamten Schaffens eher ein ewiger Geheimtipp, denn ihre Musik wurde später in der Entwicklung der Dance- und Elektronikmusik immer wieder erwähnt. Sowohl Klaus Schulze, wie Eno, Robert Fripp, die ganzen deutschen Keyboardmusiker aus der Krautrock- und Elektronikszene, aber auch die sich langsam entwickelnde Techno-Szene zitierte öfters die Band Cabaret Voltaire als Inspirationsquelle für ihre eigene Musik.
"Red Mecca" war das dritte Studioalbum von Cabaret Voltaire, veröffentlicht im September 1981, erneut bei dem Independent Label Rough Trade Records. Im November 1979 waren Cabaret Voltaire durch die USA getourt und erhielten dort sehr gute Reputationen, auch, weil die Band vom Umstand profitieren konnte, dass sich christliche Vereine inzwischen im Fernsehen breitgemacht hatten, und einer dieser "Fund Raiser" der Kirche war der sehr populäre TV-Evangelist Eugene Scott, welcher der Band einige Auftritte im amerikaweit ausgestrahlten Fernsehen organisierte. Cabaret Voltaire reagierten darauf, indem sie 1980 das Mini-Album "Three Mantras" veröffentlichten, auf welchem sdie Musiker den aufkommenden Islam in der westlichen Gesellschaft thematisierten und kritisch hinterfragten, was ihnen fundamentalistische Kirchenvertreter in den USA mit entsprechendem Airplay dankten. "Red Mecca" war dann die Kulminierung dieses neuen Interesses an der islamischen Religion und Kultur. Richard H. Kirk äusserte sich dazu wie folgt: "The whole Afghanistan situation was kicking off, Iran had the American hostages. We were taking notice. It's not called by coincidence. We weren't referencing the fucking Mecca Ballroom in Nottingham!". Das Album "Red Mecca" wurde im Western Works Studio in Sheffield England im Mai 1981 aufgenommen.
Mit dem Album "Red Mecca" ernteten Cabaret Voltaire nach vielen entbehrungsreichen Jahren endlich die erhoffte Reputation. Bei diesem Album waren sie auch künstlerisch auf einem Niveau eingependelt, das es auch dem 'gewöhnlichen' Publikum ermöglichte, den Zugang zu dieser aussergewöhnlichen Band zu finden. Sicherlich hatte die New Wave mit ihren ebenfalls teilweise stark elektronisch geprägten Sounds der Band letztlich geholfen, auch wenn ihre Stücke nachwievor nicht den gängigen musikalischen Trends folgten. Der New Musical Express in England bezeichnete die Musik auf dem Album "Red Mecca" mangels passender Schublade hochtrabend "technische Trance Musik" und wusstre gar nicht, wie richtig sie mit dieser stilistischen Einschätzung lag. Was das Magazin wohl nicht absehen konnte war, dass sich diese Musik in den folgenden Jahren immer weiter verfeinern und entwickeln würde, bis zum typischen Dancesound der 90er Jahre, dem Trance, dem Goa-Stil und ganz allgemein der Technomusik, wie man sie schliesslich weltweit in den Clubs und Hallen hören konnte.
Nach dem guten Erfolg der Platte "Red Mecca" entschied sich die Band dazu, erstmalig auch organische Instrumente zum Einsatz zu bringen. Auf der 1982 veröffentlichten EP "2 x 45" präsentierte sie vier um die 8 Minuten lange Stücke auf zwei 12" Maxi-Singles mit 45 Umdrehungen und reicherten die vier Titel zum gewohnten Elektronik-Aufbau mit Klarinette und Saxophon an. 1982 erwies sich für Cabaret Voltaire als ein ereignisreiches Jahr. Zunächst gab sie unter dem Pseudonym The Pressure Company im Januar ein Benefiz-Konzert in Sheffield zugunsten der polnischen Gewerkschaft Solidarität, spielte für eine Live-Platte zwei Konzerte in Japan und schrieb unter dem Einfluss eines New York Aufenthalts einige ihrer bekanntesten Songs, wie zum Beispiel "Yashar" um. In New York entstand denn auch das Album "The Crackdown", produziert von Johnny Luoango, der auch Werke von Blancmange und Level 42 produziert hatte. Gast bei diesen Aufnahmen, die diesmal auf Funk, Soul und ethnischer Musik basierten, war der Soft Cell Keyboarder David Ball. Cabaret Voltaire orientierten sich mit diesem Projekt an moderner Disco- und Tanzmusik und erschlossen sich damit noch einmal einen grösseren Interessentenkreis.
Nach erfolgreichen Tourneen durch Europa, Amerika und Japan entschied sich Chris Watson im Jahre 1983, aus der Band auszuscheiden; gleichzeitig veränderte sich die Musik von Cabaret Voltaire noch stärker in eine wesentlich kommerziellere Richtung. Das Album "The Crackdown", erschienen bei Virgin Records, verstärkte bei der Band dieses Vorhaben logischerweise, denn die Platte erreichte in Grossbritannien die bisher höchste Chartplatzierung, nämlich Platz 31. 1994 lösten sich Cabaret Voltaire zunächst auf. Nachdem Kirk das Projekt ohne seine beiden ursprünglichen Mitstreiter wiederbelebte, erschienen 2009 und 2010 Kollaborationen mit Kora sowie The Tivoli. Eine Reunion in der ursprünglichen Originalbesetzung schloss Kirk jedoch noch 2011 ausdrücklich aus.
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