JOHNNY WINTER AND - Live At The Fillmore East 10/3/70
(Collectors' Choice Records 6 1774-26000-2 5, 2010 / Aufnahmen von 1970)
"Ok, comin' on strong, Johnny Winter And!" und nach der kurzen Ansage ging es ab am 3.Oktober 1970 im legendären Fillmore East mit einer starken Version von "Guess I'll Go Away" von Johnny Winter's kurz zuvor veröffentlichtem Album "Johnny Winter And". Der Auftakt zu einem der allerbesten Live-Dokumente in der ziemlich umfangreichen Gesamtdiscographie dieses Ausnahme-Gitarristen, der wie nur ganz wenige weisse Musiker den Blues so sehr in seiner schwarzen Seele trug. Zu Beginn der 70er Jahre war es für etliche damalige Gitarrenstars interessant, sich zur Erweiterung ihrer musikalischen Entwicklung einen zweiten erstklassigen Gitarristen in ihre Bands zu holen. Man denke da etwa an Peter Green von Fleetwood Mac, der sich Danny Kirwan, als dann dritten Gitarristen für seine Erfolgs-Band verpflichtete und mit dem er in Konzerten lange und gute Jams entwickelte. Oder Eric Clapton, der sich 1970 mit dem wohl besten Slidegitarristen aller Zeiten und Allman Brother, Duane Allman, zusammentat, um das Debutalbum "Layla And Other Assorted Love Songs" unter dem Namen Derek And The Dominos in Miami aufzunehmen. Auch Carlos Santana erweiterte seine Band mit dem 17-jährigen Ausnahmekünstler Neal Schon, der die ohnehin schon erfolgsverwöhnte Band der ersten Besetzung mit dem Werk "Santana III" zu neuen gitarristischen Höhepunkten trieb, was Carlos Santana ganz neue Impulse in seinem Spiel gab.
So ging es wohl auch Johnny Winter, der bis zu diesen vier Fillmore East-Konzerten eine kometenhafte musikalische Entwicklung genommen hatte. Das Fillmore East war für ihn ohnehin der Eintritt zu Rock- und Bluesehren gewesen, nachdem er im Dezember 1968 dort bei einer weiteren der legendären "Super Sessions" von Al Kooper und Mike Bloomfield als Spezialgast im Fillmore East aufgetreten war (erschienen als "The Lost Concert Tapes 12/13/68"). Danach nahm CBS Records den Gitarristen Johnny Winter sofort mit einem hohen Vorschuss unter Vertrag. 1970 kam seine damalige Band mit Tommy Shannon (Bass) und Uncle John Turner (Schlagzeug) nicht weiter voran, was wohl alle anfing zu langweilen. Winter formierte eine neue Band und verpflichtete hierfür die ehemaligen McCOYS, welche 1965 den weltberühmten Song "Hang On Sloopy" veröffentlicht hatten - kaum zu glauben, wie Rick Derringer, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Rick Zehringer unterwegs, einmal erzählte.
Seit 1971 hatten Fans immer auf weitere Live-Veröffentlichungen von "Johnny Winter And" gehofft, aber es kam kein Nachfolger mehr für das ebenfalls sehr gute "And Live" Album von 1971. Das ist deswegen schade, weil Johnny Winter gerade in der Interaktion mit Rick Derringer teils ellenlange Solo-Improvisationen zum besten gab, welche für das damals erschienene offizielle Live-Album nicht mitberücksichtigt worden waren. Viele dieser erstklassigen Gitarrenduelle blieben daher in den Archiven verborgen, denn auf der "Live And" waren nur die kürzeren Titel der Auftritte im Fillmore East, sowie deutlich gekürzte Versionen der ursprünglich über 20 Minuten und mehr laufenden Gitarren-Battles zu hören. Teile dieser bis dato ungekürzten nicht veröffentlichten Songs waren hier nun erstmalig in voller Länge zu hören. Durch die Kürze des damaligen lbums von lediglich 40 Minuten blieben viele erstklassige Titel leider nicht nur unveröffentlicht, sondern auch gekröpft.
Die Titel "Good Morning Little Schoolgirl" und "Mean Town Blues" waren hier auf dieser CD dieselben Versionen wie auf der damaligen Platte "And Live", wobei allerdings der Letztere mit 18 Minuten doppelt so lange war, wie die gekürzte Version von "And Live" mit nur 9 Minuten Lauflänge. Ein weiteres Highlight war hier die 22 Minuten lange Gitarrenorgie des Slow Blues "It's My Own Fault", in der vor allem auch Rick Derringer zeigte, dass er virtuos perfekte Soli zum Lead-Play von Johnny Winter spielen konnte. Die beiden Musiker spielten simultan zusammen, dann jeder der beiden wieder total gegensätzliche eigene Lead-Lines, die im nächsten Moment aber schon wieder in einer anderen gemeinsamen Harmoniefolge endeten. Was der Eine an Ideen vorgab, griff der Andere auf und entwickelte sein eigenes, neues Solo. Rick Derringer war dabei ein absolut gleichberechtigter Gitarristen-Partner neben Johnny Winter und virtuos auf jeden Fall ebenbürtig, auch wenn man Rick Derringer üblicherweise eher dem Rockbereich zuordnet und nicht dem Blues. Wenn man also lange Gitarrensoli mag, die zudem auch noch kernig und bisweilen recht rockig gespielt werden, dann kommt man bei diesem Album voll auf seine Kosten. Die CD ist von Anfang bis Ende einfach nur klasse.
Der Sound ist sehr gut und sehr deutlich besser als bei der offiziellen damaligen "And Live" aus dem Jahre 1971. Rick Derringer spielte immer auf der linken Seite, Johnny Winter rechts auf der Bühne (und entsprechend im Panorama des Sound des Stereo Mixes. Die zugegebenermassen etwas dürftig aufgemachte CD-Veröffentlichung in Form eines eher recht schlichten Digi-Packs mit einem einfachen beigelegten Faltblatt täuscht sehr über den wirklich erstklassigen musikalischen Inhalt hinweg. Auf drei Seiten kann man darin die Geschichte der leider nur kurzlebigen Band und der insgesamt vier Konzerte im Fillmore East nachlesen. Noch besser wäre natürlich eine Doppel-CD gewesen mit dem sehr guten Rest von "And Live" und einigen Alternativ-Versionen, vor allem in deren originalen Lauflängen sowie einem etwas ausführlicheren Booklet. Aber Hauptsache, man kann diese Aufnahmen überhaupt haben, denn diese kurze Zeit der Aktivität von Johnny Winter und Rick Derringer gemeinsam auf den Bühnen ist einfach unverzichtbar, da Johnny Winter damals am allerbesten die Bluesmusik mit der Rockmusik zu verbinden wusste, wie das sonst kaum ein anderer weisser Musiker schaffte, dabei in beiden Elementen absolut glaubwürdig zu klingen.
Seine Rock-Phase endete schliesslich im Jahre 1976, als er seinen Stadionrock praktisch ohne grössere Blueselemente soweit ausgebaut hatte, dass er sich 1977 zur musikalischen Umkehr entschloss und sich wieder dem reinen Blues widmete, was er auch bis zu seinem Tod konsequent fortführte. 1977 war dann für Johnny Winter ein qualitativ hervorragendes Jahr, denn in dem Jahr arbeitete Winter mit Muddy Waters zusammen, der in der Folge drei Alben mit Johnny Winter veröffentlichte, von denen das erste, "Hard Again" auch als eines der Besten von Muddy Waters gilt.
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