CARLTON MELTON - Out To Sea (Agitated Records AGIT036LP, 2015)
Selten hatte mich ein Albumcover auf ähnliche Weise in die Irre geleitet wie das wirklich wunderschöne Plattendesign von "Out To Sea" der Band Carlton Melton. Die Gruppe war mir zuvor gar kein Begriff, aber dank des äusserst stimmungsvollen Frontcovers kam das als Doppelalbum, zusammen mit einer Bonus-CD (mit denselben Stücken) erschienene Werk erstmal mit nach hause. Dort erstmalig aufgelegt, war die Ueberraschung dann gross: Statt der irgendwie erwarteten zauberhaften Klänge erwartete mich ein Trip in andere Sphären, ebenso überraschend wie allerdings auch faszinierend. Eine wilde Mixtur aus Drone, Spacerock und immer wieder auch Elemente von sehr frei interpretiertem Psychedelikrock, der - so bunt zusammengemixt - in der Tat eine Soundkreation lieferte, die mir so noch kaum jemals bei einer Band begegnet war. Inzwischen bin ich zu einem bekennenden Carlton Melton Fan geworden, denn die Band gab es zuvor schon recht lange, und ihre früheren Werke stehen inzwischen genauso in meiner Sammlung wie das nachfolgende Werk. Die Band Carlton Melton besteht aus Andy Duvall (Gitarre und Schlagzeug), Clint Golden (Bass und Schlagzeug), sowie Rich Millman (Gitarre und Synthesizers).
Mendocino County in Nordkalifornien ist bekannt für seine spektakuläre Aussicht auf die Küste, die riesigen Mammutbäume in uralten Wäldern und die üppige Natur, die vom Menschen weitgehend unberührt bleibt. Es ist vielleicht die logischste Heimatbasis für eine Band wie Carlton Melton, die ihre Musik in einer geodätischen Kuppel komponiert und aufnimmt (auch bekannt unter dem Namen 'The Dome'). Es ist der perfekte Rahmen für eine Band, die meditative Soundtracks kreiert, die von den Zwängen traditioneller Songkomposition befreit sind. Während Carlton Melton's Sound stark von psychedelischer Musik inspiriert ist, sind es zu gleichen Teilen Blues, Rock, Improvisation und Drone. Ob die Band an einem wohldefinierten, an Led Zeppelin oder Joe Walsh erinnernden Riff hängt oder die konventionelle Musikstruktur à la Spacemen 3 und Bardo Pond weitgehend aufgibt: Carlton Melton verwendet Lagen, Texturen und Wiederholungen, um Musik zu schaffen, die die Räume voll ausnutzt. Zwischen Noten und Akkordwechsel stehen Sonic Explorations, wenn man so will. Die Musik, die Carlton Melton macht, ist kühn und zögert nicht, dorthin zu gehen", nur um zu sehen, was zum Teufel noch in der Welt der unerforschten improvisatorischen und psychedelischen Musik übrig bleibt. Und es gibt noch viel zu erkunden und zu bedecken. Ob im The Dome oder im Live-Setting, Carlton Melton gibt sich die volle Erlaubnis, spontane Klänge zu realisieren und zu schaffen und echte musikalische Gesten zu kreieren, die das Publikum auf der ganzen Welt ansprechen. Wie viele Bands können das von sich schon behaupten ?
Carlton Melton schiessen sich in ihr eigenes Psychedelik-Universum durch Raum und Zeit. Zu Beginn des Albums "Out To Sea" im Titel "Peaking Duck" katapultiert die Band den Zuhörer in eine verschrobene Spacerock-Ecke, in der man sich als erstes, gefühlt wie in einem Ohrensessel, auf das Kommende freuen darf. "Wheel and Deal" lässt einen dann darin den Head bangen. Kurz und knackig geht die Sache zu Ende. Song Nummerdrei mit dem Titel "Diamond In The Rough" fasziniert mit Dream-Drone. der an Surface of Eceon erinnert, bevor "Out To Sea", der Titelgeber des Albums, genial verstörend verdronet beginnt, sich ebenso durch die Mitte fräst, und zum Ende sich auch so genial verflüchtigt ("amfmpm"). Der nächste Streich groovt in Stonerrock-Manier kurze dreieinhalb Minuten durch die Ohren und lässt den Kopf abermals wippen. "To Close To Home", wiederum eine Dream Drone Nummer, der Sand durch das All streut und sich die Götter die Augen reiben - ein unglaublich entspannender Song.
"Similarities": Verspielt und fragil beginnt dieser Track, bevor sich dieser zu einer wundervollen monotonen ruhigen Psychedelic/Space Hymne entwickelt, die Nie zu Ende gehen sollte. Voller positiver Energie durch dieses soeben erlebte Glücksgefühl widmet man sich dem anschliessenden "It's Been Summer All Winter", der Galaxien durch einen verlorenen Kosmonauten, herumirrend durchs All, bereist und dessen Schwingungen auf den Hörer zukommen lässt. Bei "The Barrier" schliesslich entspannt die Seele. Psychedelisch kompakter Drone ist das, der im Blutkreislauf zirkuliert und die Bluthirnschranke durchbricht - Proteine für den Geist. Gutgelaunt, funkig, fuzzig und cool holt einen "Perridle" dann wieder ins hier und jetzt, und der Kopf wippt auch schon wieder. Als Abschluss erinnert "Realms" noch einmal an die wie im Fluge vergangenen über 70 Minuten. Der Asteroid zieht weiter und holt womöglich den ein oder anderen Freak auf den ein oder anderen Planeten, sie reisen gemeinsam ins nächste schwarze Loch.
"Out To Sea" nimmt all diese verschwommenen, körnigen Momente, die man an einer Carlton Melton LP letztlich so liebt, und führt sie durch einen richtigen Aufnahmestudio-Filter. Das Ergebnis ist eine klare Vision der Band-Philosophie: Lassen Sie sich von der Musik dorthin führen, wo sie hingehört. Diese leicht benommene, leicht medikamentöse Wolke, die sich über einige vergangene Alben gelegt hatte, haben Carlton Melton in ihrer gesamten Psychedelik Rock Herrlichkeit gezeigt. Rich Millman, Andy Duvall und Clint Golden sind die wahren Rock'n'Roll-Krieger, die sie seit etlichen Jahren schon auf der ganzen Welt verbrennen. "Out To Sea" ist ein weitläufiges Psychedelik Rock Meisterwerk. Die geodätischen Kuppelaufnahmen klingen spitze. Nur weil die Band in ein richtiges Tonstudio ging (El Studio in San Francisco mit Phil Manley), bedeutet das nicht, dass alles, was vorher kam, null und nichtig ist. Im Gegenteil: Frühere Alben wie "Country Ways" und "Always Even" hatten mich nachträglich zum Fan gemacht. Die loyalen Qualitäten, der körnige Dunst und die hauchdünnen Syntheizers von Rich Millman brachten mich zurück. "Out To Sea" ist fast wie ein experimentelles Album für diese nordkalifornischen Psychedelik-Zauberer. Kann eine Band, die normalerweise mit einer kräftigen Dosis analogem Zischen und gedämpftem Rätsel aufnimmt, etwas mehr Studiopolitisches abziehen ? Die Antwort ist ein klingendes Ja.
"Peaking Duck" kommt aus brüllenden Toren. Es ist, als würde Led Zeppelin mit Klaus Schulze jammen, während massive Schlagzeugsounds und schwankende Synthesizer mit einer guten alten knackigen Wah Wah Gitarre kollidieren. Es gibt keinen Zweifel, Carlton Melton rockt. "Wheel And Deal" hält diese Zeppelin-Stimmung zunächst aufrecht, mit einem Riff aus dem "Physical Graffiti"-Playbook. Ziemlich bald jedoch fügen die Carlton Melton Musiker ihre eigene Version des klassischen Rock-Vibe hinzu und schiessen dieses Raketenschiff direkt in das Herz der Sonne. "Diamond In The Rough" ist ein schöner 7-minütiger Tagtraum. Wenn man diese grossartige, sanfte Melodie hört, kommen einen die diffusen und farbenprächtigen Lichter eines wundervollen Sonnenuntergangs in den Sinn. Es erinnert an einige von Yo La Tengo's spaceigeren Momenten. Und dann dreht sich alles plötzlich wieder von innen nach aussen. "Out To Sea" ist eine Kakophonie von Feedback und Dissonanz. Tremolo-Gitarren klingeln und durchdringen die Dunkelheit mit etwas, das im fernen Hintergrund wie etwas Leichtes und Glänzendes klingt. "Similarities" öffnet sich leicht, mit einer sauber verzögerten Gitarrenlinie. Der Track baut sich zu einem wackeligen, peppigen Rocker auf. Eine stoned wirkende Ambivalenz durchdringt diese ausgezeichnete Melodie. "It's Been Summer All Winter" ist ausbreitend und episch. Es fühlt sich sowohl in der Erde als auch in der Umlaufbahn verankert - bodenständiges Schweben irgendwie, auf jeden Fall aber äusserst faszinierend. "The Barrier" ist so schwer und verdammt beladen wie etwas, das man als Godspeed You Black Emperor erkennen könnte.
"Out To Sea" ist definitiv ein Gitarrenalbum. Noch mehr als vergangene Carlton Melton Platten. Die Synthesizers nehmen eher einen Platz im Hintergrund ein, damit Carlton Meltons Gitarrenkönnen im Scheinwerferlicht gezeigt werden kann. Weitschweifend, verträumt, schaukelnd, stimmungsvoll: alles Attribute, die diesem Album uneingeschränkt gerecht werden. Carlton Melton haben mit "Out To Sea" eine epische, berauschende Soundcollage geschaffen. Sie selbst nennen es Dome Rock. Improvisierte, experimentelle, instrumentale, psychedelische Bewegungen aus Schlagzeug, Gitarre, Bass und gelegentlich Synthesizer. Auf der Bio-Seite ihrer Website gibt es eine geschickte kleine Passage, die fast wie ein Haftungsausschluss wirkt: 'Es versteht sich, dass diese Musik nicht Jedermann's Sache ist. Wenn Sie erstklassige, moderne Produktionen und raffiniertes Songwriting bevorzugen, möchten Sie vielleicht hier aufhören. Wenn Sie alte SST-Kassetten oder eine frühere Spaceman 3-Kassette bevorzugen, die Sie kürzlich auf dem Rücksitz Ihres Autos gefunden haben, können Sie weiterlesen". Eine herrliche Definition. Carlton Melton sind mehr als nur eine gewöhnliche Rockband: Sie schaffen es, fabelhafte Stimmungsbögen zu erzeugen. Die Platte bietet eine Vielfalt an Verschiebungen in Ton, Farbe und Form - das macht "Out At Sea" zu einem Album, das es wahrlich verdient, Aufmerksamkeit zu erhalten - wie überhaupt die Gruppe Carlton Melton.
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