May 6, 2017


TRAFFIC - John Barleycorn Must Die (Island Records ILPS 9116, 1970)

Der Name Steve Winwood ist untrennbar mit drei der grossartigsten britischen Rockbands überhaupt verbunden. Zuerst war Winwood in den 60er Jahren als sogenanntes Wunderkind an den Keyboards bei der The Spencer Davies Group, danach war er eines der Gründungsmitglieder der Jazzrock-Gruppe Traffic und schliesslich war er auch bei der leider nur sehr kurzlebigen Supergroup Blind Faith mit dabei. Insbesondere das Ende von Blind Faith kam für alle beteiligten Musiker sehr viel schneller, als sie sich das vorgestellt hatten. Nach nur einer einzigen überragenden Platte ("Blind Faith") und einer vorzeitig abgebrochenen Tournee, hatte sich der Traum von einer neuen Supergroup bereits wieder ausgeträumt. Steve Winwood plante darauf die Einspielung eines Solo-Albums. Als musikalische Mitstreiter holte er sich dafür nach und nach seine alten Traffic-Bandkollegen Jim Capaldi und Chris Wood ins Tonstudio. Der vierte Traffic-Mitstreiter Dave Mason arbeitete zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits an einem Solobalum, welches unter dem Titel "Alone Together" veröffentlicht wurde und ein paar von Mason's besten Stück enthielt. Der Sprung von der Winwood-Soloplatte zu einer Reunion der Band Traffic lag durch die erneute gemeinsame Studioarbeit dennoch in greifbarer Nähe.

Anfang 1970 existierten Traffic also nicht mehr. Ihr musikalisches Portfolio umfasste gerade mal drei Alben, eine Handvoll Singles und zwei bereits kurz nach der Auflösung veröffentlichte Zusammenstellungen. Schlagzeuger Jim Capaldi betätigte sich nach dem Aus von Traffic vorderhand als begehrter Sessionmusiker, der Bläser Chris Wood schloss sich Dr. John an und wurde Mitglied von Ginger Baker's Airforce, während Gitarrist und Sänger Dave Mason bereits seine Solokarriere in Angriff genommen hatte, vorher aber auch schon mit den Rolling Stones, mit Jimi Hendrix und Delaney & Bonnie unterwegs gewesen war. Stevie Winwood seinerseits begann ebenfalls gleich nach der Auflösung von Traffic damit, neue Songs zu schreiben und das erste Soloalbum zu planen, für das er den Titel "Mad Shadows" ausgesucht hatte. Er nahm zwei Songs auf, nämlich "Stranger To Himself" und Every Mother's Son", mit Hilfe des Produzenten Guy Stevens. Winwood lud zwei seiner früheren Musikerkumpels zu den Sessions im Tonstudio ein, Jim Capaldi und Chris Wood. Dies führte innert weniger Tage gemeinsamer Arbeit zur offiziellen Traffic-Reunion. Chris Blackwell, Chef der Plattenfirma Island Records, gefiel diese Idee ausserordentlich gut, weshalb er in die Produktion des anstehenden Albums mit einstieg, weshalb Guy Stevens allerdings seinen Job kündigte und die Idee zum Album, nämlich den Titel "Mad Shadows" gleich mitnahm, um danach mit der Gruppe Mott The Hoople ein Album mit demselben Namen zu produzieren.

Das Ergebnis der erneuten Wiederbelebung der Gruppe Traffic resultierte im augenscheinlich besten Studio-Werk, das diese Gruppe veröffentlicht hat. "John Barleycorn Must Die" vereinte einerseits die bekannten Jazz-Rock Themen der vergangenen paar Jahre, öffnete aber auch neue stilistische Schubladen wie etwa den britischen Folk (das Titelstück ist ein altes Folk-Traditional) und den typischen Folkrock jener Tage, wie ihn beispielsweise auch Fairport Convention serviert hatten. In jeder Hinsicht aufgefrischt, moderner und grösstenteils vom Spät-60er Jahre Ballast befreit, klang "John Barleycorn Must Die" wesentlich zukunftsgerichteter als die Vorgänger-Alben. Fast schon wie ein Makel haftete diesem Album das Etikett 'Jazz-Rock' als Beschreibung an, wobei man korrigierenderweise feststhalten muss, dass nicht jede Platte, auf welcher Saxophon- oder Flöten-Solis gespielt werden, notwendigerweise gleich in den Bereich Jazz gelegt werden muss. Die Stücke auf diesem Album gerieten teilweise länger als auf den ersten drei Traffic Alben, das stimmte zwar, und sie gaben auch viel Raum für Improvisatioenn, wurden aber nie zu ausufernd oder verloren sich gar im Jammen.

Tatsächlich waren auf diesem Album etliche und deutlich hörbare Rhythm'n'Blues-, Soul- und an manchen Stellen auch frühe Funk-Einflüsse, wie etwa beim Opener "Glad" vorhanden, neben dem Folk und Folkrock, der von Steve Winwood bewusst eingewoben worden war. Das Songwriting blieb aber dennoch durchgehend hochklassig, sogar mehr als das, es war schlichtweg hervorragend.
Auch stimmlich wirkte Winwood hier wesentlich gereifter, nahm den ehemaligen Shouter zu Spencer Davis Group-Tagen völlig zurück, was gleichzeitig aber auch songdienlicher wirkte. Sei es der dann doch überwiegend folkrockige Titelsong, oder das superbe "Empty Pages", oder aber auch der titel "Freedom Rider", der sich gerüchtehalber um Jim Morrison gedreht haben soll: Kompositorisch war Steve Winwood hier fast schon bei der Qualität seiner in der fernen Zukunft noch zu veröffentlichenden Soloalben angekommen. Dass vier der insgesamt sechs originalen Songs auf dem Album gar gänzlich ohne einen Bass auskamen, war zwar einerseits ein Wagnis, das zu jener Zeit nur die Doors eingingen, das Traffic hier andererseits perfekt gelang. Möglicherweise funktionierten diese basslosen Stücke genau deswegen so gut. 

"John Barleycorn Must Die" erschien im Juli 1970 und wurde zum erfolgreichsten Album der Gruppe Traffic. Der hier präsentierte musikalische Ideenreichtum war sehr beeindruckend und auf andren Alben der Gruppe nie in so homogener und kompakter Art und Weise hör- und fühlbar. Das Herzstück der Platte blieb aber zweifellos Steve Winwood's Bearbeitung des traditionellen Folksongs "John Barleycorn", einem Synonym für Alkohol in der alten Zeit, wie dieser in London auch heute noch gerne mal spöttisch tituliert wird. Das Album zeigte zudem die beste Arbeit des Songwriter-Duos Steve Winwood / Jim Capaldi. Auch wenn die beiden Nachfolger-Platten "The Low Spark Of High Heeled Boys" und "Shoot Out At The Fantasy Factory" durchaus gleichwertig sind, wurde diese musikalische Geschlossenheit, dieser nahezu perfekte Genuss wie hier demonstriert, nicht mehr erreicht.

1974 kam mit Roscoe Gee ein neuer Bassist zu Traffic, die nunmehr aus Steve Winwood, Jim Capaldi und Chris Wood bestanden. Nachdem die Alben "The Low Spark Of High Heeled Boys" und "Shoot Out At The Fantasy Factory" deutlicher hörbare Elemente des Jazz-Rock aufwiesen, bedeutete das letzte gemeinsam eingespielte Album "Where The Eagle Flies" erneut ein Versuch, sich dem Stil des Werks "John Barleycorn Must Die" anzunähern. Die Band löste sich trotz dieser wiederum einmalig schönen Platte aber kurz nach deren Veröffentlichung endgültig auf. Winwood widmete sich danach konsequent seiner Solokarriere, veröffentlichte 1977 mit seinem selbstbetitelten Debutalbum noch einmal dem späten Traffic-Sound, um ab 1980 mit dem Erfolgsalbum "Arc Of A Diver" im elektronisch gefärbten Hochglanz-Pop anzukommen, dem er für viele Jahre treu blieb, weil er ihm etliche veritable Hits und hervorragende Plattenverkäufe generierte.

1994 kam es zu einer Traffic-Reunion von Steve Winwood und Jim Capaldi, bei der Chris Wood nicht mehr mittun konnte, da er bereits 1983 an Leberversagen verstorben war. Die wiedergeborenen Traffic gingen dabei unter anderem mit Grateful Dead auf Tournee, veröffentlichten mit "Far From Home" auch ein neues Album. Obwohl die Tour und auch die Platte hervorragende Kritiken erntete, gingen die beiden Musiker jedoch schon bald darauf wieder ihre eigenen Wege. Jim Capaldi starb am 28. Januar 2005 in London an Magenkrebs.





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