LIVIN' BLUES - Live '75 (Ariola Records XAT 89243, 1975)
Livin' Blues waren eine der besten Bluesbands in Holland. Ihren Namen gab sich die Gruppe nicht etwa, was öfters mal vermutet wird, in Anlehnung an das damals in den Vereinigten Staaten populäre Bluesmusik-Magazin "Living Blues", vielmehr hatte der Bandname seinen Ursprung in einer amerikanischen Theatergruppe, die unter dem Namen "Living Theatre" bekannt war. Die Gruppe entstand im Jahre 1967 aus der Beatcombo Andy Star & The Stripes und ihre Startformation bestand aus dem Gitarristen Ted Oberg, dem Bassisten Ruud Franssen, dem Sänger Björn Pool und dem Schlagzeuger Niek Dijkhuis. Ein Jahr später wuchs die Band auf fünf Mann an, als der Mundharmonikaspieler John Lagrand und der Sänger und Saxophonisten Nicko Christiansen zur Band stiessen. Christiansen ersetzte dabei den Sänger Björn Pool. Doch das Personalkarussell drehte sich weiter, die spätere Formation war noch immer im Entstehen begriffen. So ersetzte der Bassist Gerard Strötbaum den Originalbassisten Ruud Franssen und Cesar Zuiderwijk, der zuvor bei Hu & The Hilltops spielte und später zu Golden Earring wechseln sollte kam als neuer Schlagzeuger, der Niek Dijkhuis ersetzte. In dieser ersten, gefestigten Formation gewann die Gruppe mehr und mehr Fans und spielte viele Auftritte in ganz Holland, was ihr schliesslich einen Plattenvertrag beim Plattenlabel Phonogram einbrachte. Livin' Blues spielten während einer Tournee von Fleetwood Mac einige Supprt Acts, was der Gruppe zusätzliche Reputation einbrachte.
Nachdem Livin' Blues zwei relativ erfolglose Singles produziert hatten, stieg der Bassist Strötbaum wieder aus und wurde ersetzt durch Henk Smitskamp, der wohlbekannt war durch seine Engagements bei den sehr populären holländischen Bands Sandy Coast und Motions. Das nun in der Besetzung Oberg, Lagrand, Christiansen, Zuiderwijk und Smitskamp operierende Quintett nahm 1969 das bahnbrechende und bis heute wohl populärste Album der Gruppe mit dem Titel "Hell's Session" auf. Es war die erste Produktion des Gründungsschlagzeugers von Golden Earring Jaap Eggermont, für ein neues Plattenlabel mit dem Namen Red Bullet Records, das später weltweit bekannt werden sollte durch die Platten von Golden Earring, welche auch bei dem Label erschienen. Nach der Veröffentlichung der LP "Hell's Session" drehte sich das Personalkarussell weiter bei Livin' Blues. Henk Smitskamp wurde ersetzt durch Ruud van Buuren, der zuvor bei der Psychedelic Rockband Groep 1850 tätig war und der später in der rock'n'Roll-Formation Long Tall Ernie & The Shakers spielen sollte. Als Cesar Zuiderwijk indes Golden Earring beitrat, war Dick Beekman, der ehemalige Cuby And The Blizzards Schlagzeuger der nächste Wechsel in der Bandbesetzung. Livin' Blues schienen ihren Bassisten und insbesondere ihren Schlagzeuger im Jahresrhythmus zu ersetzen. Als das Nachfolge-Album "Wang Dang Doodle" zu einem international viel beachteten Album und einem veritablen Erfolg wurde, begann die Gruppe Livin' Blues auch ausserhalb von Holland in ganz Europa zu touren. Mit John Le Jeune (Ex-Island) gab es einen erneuten Wechsel beim Schlagzeuger, aber auch dieser blieb nur knapp ein Jahr bei der Band. Diese feierte mit dem Stück "L.B. Boogie" einen weiteren Hit und besuchten erstmals Polen, wo sie zu einer der populärsten Bands in jenen Tagen avancierte.
Als der eingewechselte Schlagzeuger Le Jeune zur Schick Band wechselte, kam erneut ein neuer Schlagzeuger mit Namen Arjan Kamminga, der wiederum nur für eine kurze Zeit bei der Gruppe blieb, der aber immerhin auf dem dritten Album "Rockin' At The Tweedmill" zu hören war. Dieses Album wurde erstmals ausserhalb Holland's eingespielt, und zwar in England. Produziert wurde es vom legendären Mike Vernon, der für sein erfolgreiches Blue Horizon Label zahlreiche populäre Blues- und Bluesrock Bands produziert hatte, so unter anderem die Artwoods, Jellybread, Ten Years After, Chicken Shack, Fleetwood Mac, John Mayall's Bluesbreakers und Savoy Brown. 1973 kam schliesslich der Engländer Kenny Lamb zur Gruppe und wurde der letzte Schlagzeuger der ersten Aera von Livin' Blues. Das nächste Album "Ram Jam Josey" wurde wiederum von Mike Vernon produziert, der Kenny Lamb auch empfohlen hatte. Lamb spielte bis dahin bei Jellybread, die ebenfalls von Mike Vernon betreut wurden. Im Jahre zerfiel die sogenannte "Mark I" Besetzung von Livin' Blues. John Lagrand ging zur Gruppe Water, Nicko Cristiansen gründete die Band Himalaya, Kenny Lamb kehrte nach England zurück und Ruud van Buuren wechselte zu den erfolgreichen Rock'n'Rollern Long Tall Ernie & the Shakers. Ted Oberg blieb bei Livin' Blues, weil deren Manager (Ted's Mutter!) neue Verträge mit Ariola und Grandad Music hatte aushandeln können, welche es der Band ermöglichten, weiterzuarbeiten und auch weitere Aufnahmen in Angriff nehmen zu können. John Fredriksz, ehemals bei George Cash und den legendären Q65, der Sänger, dem das Image anhaftete, jeweils immer erst zu einer Band zu stossen, kurzu bevor diese sich auflöste, kam als neuer Leadsänger zu Livin' Blues. Auch der Keyboarder Paul Vink, zuvor in der Gruppe Finch tätig, kam hinzu, blieb aber nur ein paar Monate.
Die nächste Bandbesetzung wurde komplettiert durch den zurückgekommenen Henk Smitskamp, der grade bei Shocking Blue ausgestiegen war, dem ehemaligen Brainbox-Gitarristen Ronnie Meyjes und Michel Driesten am Schlagzeug. Diese neue Formation hatte allerdings gänzlich nichts mehr zu tun mit der so kernigen und herzhaften Bluesrock-Band von zuvor. Stattdessen konnten Livin' Blues nun einen Disco Hit in Holland feiern mit dem Stück "Boogie Woogie Woman", das musikalisch weiter nicht hätte vom ursprünglichen Sound der Gruppe entfernt sein können. Fast zeitgleich lieferte Ariola allerdings auch das Live-Album "Live '75" aus, und das war wiederum von ganz anderem Schrot und Korn. Bei diesem Auftritt in Quartett-Besetzung, wiederum mit ausgewechselten Musikern, zeigte die Gruppe einen wunderbaren Auftritt voller Dynamik und Power. Alelrdings war das eigentlich auch wieder iene komplett andere Gruppe, denn hier bestand sie nun aus dem Urgestein Ted Oberg an der Gitarre, dem zurückgekehrten Henk Smitskamp am Bass, dem Sänger John Fredriksz und dem Schlagzeuger Cor Van Der Beek, der kurz zuvor für den geschassten Michel Driesten in die Band kam und der Gruppe mit seinem harten Drumming wieder mehr Druck und Dynamik verlieh. Van Der Beek spielte zuvor ebenfalls wie Smitskamp zuletzt bei Shocking Blue, die beiden daher waren perfekt aufeinander eingespielt, und das hörte man auch. Das von Martin Duiser produzierte Album zeigte eine hochenergetische Bluesrock-Band, die sich als explosive Bluesrock-Band präsentierte und sich um Kopf und Kragen rockte. Schon der Opener "Black Spider Woman" nahm sogleich rasant Fahrt auf und diese Power zog sich letztlich durch den gesamten Auftritt, der im Kunstmin in Dordrecht stattfand.
Der Gitarrist Ted Oberg, als einziges Bandmitglied seit der Gründung der Gruppe dabei, bestimmte auf dem Album weitestgehend den bluesrockigen Kurs. Es darf auf jeden Fall als Glücksfall gelten, dass dieser Auftritt auf Platte festgehalten werden konnte, denn neben dem bereits erwähnten Opener brillierten Oberg und seine Mitmusiker auch bei "I'm A Rambler", dem unverwüstlichen "Hoochie Coochie Man", dem ehemaligen Hit "L.B. Boogie", der bei den Fans nachwievor sehr beliebt war und schliesslich auch bei der finalen Fremdkomposition "Boney Marony". Insgesamt präsentierten Livin' Blues hier 7 exzellente Bluesrock-Kracher, die sich ohne jeglichen Dynamik-Abfall konsequent durch ein schweisstreibendes Programm holzten, als gäbe es kein Morgen. Danach konnte es eigentlich nur noch heissen: Feierabend. Aber weit gefehlt: Es folgte ein weiteres, extrem gutes Studioalbum, betitelt "Blue Breeze", das auch ziemlich grosse Erfolge feiern konnte und zwar weltweit, bevor die Band dann doch noch aufgrund ihrer permanenten und auch weiterhin bestehenden häufigen Personalwechsel innerlich zerfledderte. die Musiker gaben sich nunmehr fast im Wochentakt die Klinke in die Hand und im Jahre 1986, als John Lagrand und Nicko Christiansen die Gruppe einmal mehr neu reformierten, war selbst das bislang einzige konstante Gründungsmitglied Ted Oberg nicht mehr mit dabei. Es gab auch in den folgenden Jahren weiterhin zahlreiche Reinkarnationen der Gruppe Livin' Blues, aber keine mehr, die aus qualitativer Sicht besonders erwähnenswert gewesen wäre. Mit ihren frühen Werken aber, und vor allem mit diesem phantastischen Live-Kracher von 1975 haben Livin' Blues einige hervorragende Platten gemacht, die man sich heute noch mit Hochgenuss anhören kann.
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