May 25, 2016


999 - Separates (United Artists Records UAG 30209, 1978)

Als dieses zweite Album der britischen Formation 999 im September 1978 erschien, war noch deutlicher als bei ihrem Plattendebut erkennbar, dass sich hinter dieser brillianten vermeintlichen Punk Band eine grossartige Combo verbarg, die sich wesentlich mehr musikalische Qualitäten auf ihre Weste schreiben durfte als blosses Pogo-Gehabe. Im Grunde waren 999 etwa soviel Punk wie die Labelkollegen The Stranglers. Wo Letztere allerdings viel Art Rock Elemente in ihrem Sound zeigten, wiesen 999 eher den bodenständigen Rock'n'Roll der 60er Jahre als stilistisches Merkmal auf. Punk im eigentlichen Sinne war die Band aber auch alleine schon optisch nicht wirklich. Ihr schon fast popperhaftes, eher grellbuntes Erscheinungsbild (das die Gruppe auch auf ihren ersten Plattencovers zeigte) verriet eher eine Nähe zum bunten und flippigen Kunststil eines Andy Warhol. Verwurzelt einerseits im wilden 60's Rock'n'Roll etwa der Kinks, klangen 999 spätestens hier auf diesem zweiten Album schon frappant wie eine ausgewachsene Power Pop Gruppe, die sich vielleicht am ehesten noch mit dem sogenannten Punk der Gruppe The Clash vergleichen liess, ansonsten aber einfach mächtig Dampf machte und unheimlich Spass bereitete.

Gegründet im englischen Northampton, startete die Gruppe unter dem Namen 48 Hours, benannt nach einem gleichnamigen Song der Band The Clash. In 999 benannten sich die Jungs dann um, als sie in London Fuss gefasst hatten und sich in der dortigen Punk-Szene rasch einen Namen als schmutzige, schnelle und rotzige Live-Band schufen. Frontmann Nick Cash (mit gebürtigem Namen Keith Lucas) war kein Unbekannter: Er war schon Mitte der 70er Jahre Mitglied der legendären Combo Kilburn & The High Roads, der Band von Ian Dury gewesen. Im Sog der Punkwelle veröffentlichten 999 im Juli 1977 ihre erste, selbstproduzierte und auf dem eigenen Label Labritain veröffentlichte Single "I'm Alive", die klassische Rock'n'Roll-Muster britischer Prägung erkennen liess, durch den exaltierten Gesang von Nick Cash aber klar ins Punk-Raster passte. Sowohl Fans wie Kritiker mochten diese Single sehr und bescherten der Gruppe alsbald einen gewissen Geheimtipp-Status unter Kennern. Einer dieser Fans war auch der legendäre John Peel, der die Single im Radio rauf und runter nudelte, bis schliesslich auch die Talentscouts von United Artists Records auf die Jungs aufmerksam wurden und ihnen einen Plattenvertrag servierten. Nicht nur hatten 999 oft und erfolgreich im angesagten Punk-Club The Hope & Anchor gespielt, sie waren dort auch mit den Lokalmatadoren The Stranglers aufgetreten, die ebenfalls bei United Artists unter Vertrag standen.

999 bestanden von Anfang an aus Nick Cash, dem Gitarristen Guy Days, dem Bassisten Jon Watson und dem Schlagzeuger Pablo Labritain und spielten in der Folge einige Singles für United Artists ein, die allesamt auffällig bunt daherkamen (meist in farbigem, z.B. grell-grünem Vinyl) und sowohl Punk-, wie Pop-Muster aufwiesen, die ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlten. Schon bei diesen frühen Singles konnte man Elemente des Power Pop Sounds erkennen: "Me And My Desire", "Emergency" oder "Nasty Nasty" verfügten über fast unanständig gute mehrstimmige Refrains, die einfach hängen blieben im Kopf und klar machten, dass hier eine Band am Werk war, die ihren Fokus wesentlich stärker auf Qualität ausgerichtet hatte als auf Stecknadeln.

Eines der typischen Merkmale des britischen Frühpunks war, dass etliche Band zumeist nur einige wenige Singles veröffentlichten (wenn überhaupt), weshalb es schon früh auch etliche Punk Sampler zu kaufen gab, auf denen Bands zu hören waren, die selber kaum je eine grössere Kundschaft erreichen konnten als bestenfalls die brettharten Fans, die an ihre Konzerte pilgerten. Von den grossen Plattenfirmen gab es zumindest zwei, welche je einen kommerziell sehr erfolgreichen Sampler zusammengestellt hatten. Beide erschienen im Frühjahr 1978 und auf beiden waren auch Songs der Gruppe 999 zu hören: Auf Warner Brothers erschien der Sampler "Front Row Festival" und bei Polydor die Zusammenstellung "20 Of Another Kind", beide heute noch als Sammlerobjekte sehr begehrt. 1978 war auch das Jahr von 999: Beide LP's erschienen in diesem Jahr.

Das Debutalbum "999" erschien im März und erreichte lediglich einen Rang 53 in den Charts und war nach einer Woche auch schon wieder verschwunden aus den Listen. Dies bezieht sich ja aber nur auf die Verkaufszahlen - live war die Band weitaus erfolgreicher. Schon im Herbst wurde die zweite LP "Separates" nachgereicht und die war sowohl technisch, wie auch kompositorisch wesentlich ausgereifter als das Debutalbum. Produziert wurde die LP "Separates" von Martin Rushent, dem zu jenem Zeitpunkt bereits legendären Produzenten, der seit den frühen 70er Jahren etliche Meisterwerke der Rockmusik produziert hatte, etwa von Curved Air, Danny Kirwan, Dr. Feelgood, XTC oder den Punk-Vertretern The Buzzcocks und The Stranglers. Die schiere Wucht der Stranglers Produktion "Rattus Norvegicus IV" ist in Ansätzen auch auf dem 999 Album "Separates" zu hören, was die Platte insgesamt noch näher zum Bereich Power Pop schiebt. Punk klang dreckiger, dilettantischer und roher - 999 waren dagegen eher die Rocker mit dem goldenen Herzen und spielten durchaus anspruchsvollen, dennoch druckvollen Sound, der sich letztlich wie ein Amalgam aus The Kinks und The Stranglers anhörte.

"Separates" war gemessen an den Verkaufszahlen ein Misserfolg, die Platte erreichte nicht einmal die Charts. Nur die daraus ausgekoppelte Single "Homicide", ein Titel, der später auch auf zahlreichen Punk-Samplern zu finden war, fand den Weg in die britische Hitparade und bescherte der Band auch einen Auftritt samt entsprechendem Live-Videoclip in der Sendung "Top Of The Pops". Die Gruppe um Nick Cash tourte emsig weiter, spielte auch Tourneen in Amerika, wo ihre LP später unter dem irreführenden Namen "High Energy Plan" dem Publikum mit einer veränderten Tracklist nachgereicht wurde. Nach einem Autounfall von Schlagzeuger Pablo Labritain, der zwischenzeitlich durch Ed Case ersetzt wurde, geriet die Band ein wenig aus der Spur, machte aber wieder ernsthaft weiter, als Pablo Labritain wiedergenesen zur Band zurückkam. Die Gruppe wechselte zu Radar Records und später zu Polydor und danach zu insgesamt 14 (!!) weiteren Kleinstlabels, wo sie kontinuierlich weitere Platten veröffentlichten.

999 sind auch heute noch aktiv und spielen regelmässig unter anderem am alljährlichen britischen Punk Festival "Holidays In The Sun" und begeistern noch immer junge und ältere Punk-Fans mit ihrem sehr unterhaltsamen und auch vielseitigen Power Pop Punk Rock'n'Roll, oder wie imemr man ihren tollen Sound bezeichnen mag. Neben den originalen Bandmitgliedern Cash, Days und Labritain kam mit Arturo Bassick der ehemalige Bassist der Formation The Lurkers neu hinzu. 2016 markiert das 40-jährige Bestehen der Band und wird gefeiert mit einer ausgedehnten Tournee durch England.

"Separates" ist ein kerniges, in seiner Grundstruktur punkiges Power Pop/Rock-Werk, das man sich auch nach fast 40 Jahren noch immer mit viel Spass anhören kann.



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