WOLFGANG AMBROS - Der letzte Tanz (Mercury Records 811 213-1, 1983)
Das industrielle Wirtschaftssystem und die natürliche Umwelt des Menschen setzen Grenzen. Der Druck der hungernden Milliarden auf die reichen Zentren wird wachsen. Die Ausplünderung der Welt wird kriegerische Mittel erfordern. Die allgemeine Aufrüstung wird drückender und gefährlicher. Die Mächtigen werden Lösungen zu ihren Gunsten durchzusetzen versuchen. Die technischen Mittel zur Ausübung von Herrschaft werden immer verfeinerter. Immer leichter können Menschen mit Instrumenten der Meinungsmanipulation irregeleitet werden. Zugleich wird die Anfälligkeit der Zivilisation immer grösser. Gefährliche und abenteuerliche Gewaltakte aus der Gesellschaft abgedrängter Menschenschichten und Völker verursachen Panikreaktionen, die zwangsläufig zu Konflikten führen.
Schrille Töne, grelles Licht, wies weitergeht, das wissen wir nicht.
Wehe wehe, wenn ich an das Ende sehe!
Keine Hoffnung, alles aus. Wir machen Schluss in Saus und Braus.
Wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe!
Nichts ist mehr so, wie es früher war.
Früher war alles wunderbar.
Wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe!
Alles hängt durch, nichts ist mehr grad.
Es ist nichts draus geworden, schad, schad, schad.
Wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe!
Heisse Rhythmen ohne Plan,
es ist der Tanz auf dem Vulkan.
Wehe, wehe, wenn ich an das Ende sehe.
Warum, warum, geht's nicht weiter fragt der Hansi.
Weils halt, weils halt - aus ist, sagt der Franz.
Kann man kann man gar nichts machen -
das ist der letzte Tanz.
Was kommt nachher, was kommt nachher ? fragt der Hansi.
Niemand weiss das, alles unklar - sagt der Franz.
Ich hab Angst, ich halts nicht aus, ich will weg, ich dreh durch!
Sinnlos Hansi, es ist der letzte Tanz.
Als Wolfgang Ambros 1983 für mich sein ultimatives Meisterwerk vorlegt, hat er schon drei Jahre zuvor meine volle Beachtung erhalten für das bis dato beste Werk mit dem Titel "Weiss wie Schnee". Der Wechsel zum Label Bellaphon hatte zur Folge, dass Ambros seinen bis dahin vor allem von Bob Dylan inspirierten Texte (er sang auch Dylan auf österreichisch) eine beachtliche Portion mehr brutale Ehrlichkeit einspritzte, wodurch seine Musik in einem ganz neuen Licht erstrahlte. Da war zwar immer noch eine grosse Essenz der sogenannte "Austro-Pop" (wofür man dessen Erfinder erschlagen müsste), doch es zeichnete sich schon ab, dass Wolfgang Ambros stärker in Richtung Rockmusik einschwenkte. Mit denselben Musikern wie bei "Weiss wie Schnee" arbeitete er dann drei Jahre später auch beim letzten Tanz zusammen. Für mich ist diese Platte die mit Abstand beste Arbeit dieses tollen Musikers, der neben den erfolgreichen Oesis Georg Danzer, Peter Cornelius und Rainhard Fendrich immer eher ein bisschen zweite Wahl war, zumindest in unseren Breitengraden.
Was Ambros zumindest mit Georg Danzer gemeinsam hatte waren seine bisweilen bissigen, sarkastischen, immer aber brutal ehrlichen Texte. Und da schieden sich die beiden Musiker dann aber - musikalisch. Trat Georg Danzer auf der Stelle, hat Wolfgang Ambros immer wieder Experimente gewagt, Kalkül war ihm imemr ein Gräuel. Er spielte immer genau die Musik, die gerade seine Gedanken reflektierten, probierte den Rockaufstand (um unter anderem neben Falco dem Trend zu folgen), fand sich dabei aber immer wieder bei sich selbst, und machte zwar einen Schritt vorwärts, aber auch immer wieder zwei Schritte zurück.
Der letzte Tanz ist die letzte Poprock-Platte, bevor es an der nächsten Kreuzung nach Gomorrha geht. Gradeaus führt der Weg nur noch in die Hölle, das ist die Alternative. Ambros sagt dazu: Du bist ein Polizist, und ich frag mich, warum Du das bist! Ich weiss, es geht mich nichts an, trotzdem wär ich froh, wenn ich es wüsste. Ich glaub, Du bist im falschen Traum: Du träumst von einer Ordnung, die es nicht gibt. So lange sich die Erde schon dreht, hat es immer einen gegeben, der das Recht vertritt. Doch der Bürger und der Polizist gehen heute nicht mehr im gleichen Schritt. Die Leute sind so gemein: Sie zeigen Dir Respekt und lassen sich von Dir alles gefallen. Doch kaum drehst Du Dich um, tun sie alle wieder, was sie wollen. Du bist verbittert und nervös, hast überhaupt keine Freude mehr am Leben. Und dann komm ich daher und Du siehst: es geht mir gut und denkst: Na warte, Dir wird ich es geben! Und dann holst Du mich aus dem Auto und stellst mich an die Wand und ich weiss: am liebsten würdest Du mich umbringen. Und Du quälst mich, und ich fürchte mich - und das baut Dich wieder auf. Weisst Du, was ich glaube ? Ich glaube, Du bist einfach dumm. Du bist ein Polizist, und langsam wird mir klar, warum Du das bist.
Eiskalt und immer sprungbereit, das ist das Motto unserer Zeit. Gewalt, gepaart mit Nüchternheit - das Erolgsrezept von heute. Modern ist heute der Nonkonformist, der gern und willig Scheisse frisst. Er ist voll Tücke und voll List, und was auch geschieht: er ist ein Optimist. Ambros zieht vom Leder - er sieht den Menschen am Abgrund. Nicht nur den Menschen - sondern auch denjenigen, der Gegensteuer geben will. Hoffnungslos verloren sind wir - wir, der Haufen Scheisse, der unsere Erde kaputtmacht. Alle sind wir schuld, nicht nur die Anderen. Wir sind auch die Anderen. Die, die sich brüsten, anders sein zu wollen. Die nicht mehr rauchen, um die Umwelt nicht noch mehr zu belasten, und dann den Grillofen zünden, mit dem SUV um die Welt karren und noch essbare Lebensmittel in den Müll schmeissen. Ja und ? Ist doch alles scheissegal, wir können alles machen. Nur kein schlechtes Gewissen kriegen, es machen ja alle mit. Und was alle machen, ist Mehrheit. Und Mehrheit ist gut. Nur nicht auffalen, sonst kommt der Polizist. Oder der Psychiater mit dem weissen Kitelchen, wo der Reissverschluss und die Bandagen hinten sind. Da, wo man nicht drankommt, wo man eingeschnürt ist. Wo man nicht mehr richtig atmen kann, wo es einem plötzlich in der Kehle eng wird. Dort, wo wir uns zugenebelt haben, vom Schwachsinn der Welt, vom Kleingeist und von der Hinterfotzigkeit, und plötzlich merken, dass wir den letzten Tanz tanzen.
Die Leute sind ungut, voll Missgunst und voll Neid. Sie schrecken vor nichts zurck in ihrer Hinterfotzigkeit. Jeder weiss und merkt das, weils ja jeder spürt. Aber wenn Du nicht mitspielst, wird alles so kompliziert. Ja, so ist das, vergiss es. Du kannst nichts machen, ausser mitmachen. Arschloch, Mitläufer, Planetverdrecker, Weltverpester, unnützes Subjekt, zu nichts zu gebrauchen. Alternative Litaneien hechelnd, aber den Müll nicht trennen. Wichser. Verpiss Dich, schiess Dich in den Kopf, mach Schluss. Der letzte Tanz - und Du hast noch immer Rhythmus im Blut. Meinst Du. Mein weiter...
Also was ist jetzt ? Wenn keiner mitgeht, geh ich allein. Ich habe keine Geduld mehr. Wenn einer mitgeht, dann sind wir halt zwei. Meine Stimmung schwankt heute, irgendwas in mir schreit. Du kannst nicht mehr warten, Du hast nicht mehr viel Zeit. Geh weiter und bleib nicht stehen - Du weisst doch: Ein kleiner Moment noch, und Du wirst schwach. Und die Stimmung am Nullpunkt und irgendwas in mir schreit. Keiner kann warten, keiner hat Zeit, jeder will es wissen, hier und heute. Vergiss die Gesetze, weil heute hast Du sicher noch andere Sorgen. Aber heute ist wichtig, weil irgendwas in mir schreit. Du kannst nicht mehr warten, denn Du hast nicht mehr viel Zeit.
Wir alle tanzen den letzten Tanz. Wir sind wir, doch jeder ist sein ich. Und nur noch sein ich. Eine Welt voller Egoisten, selbstherrlichen Idioten, selbstverliebte Egozentriker, Hypochonder, die am meisten leiden, wenn es ihnen gut geht. Gedankenlose Zombies, fremdgesteuert und dumm bis ins Mark.
Wolfgang Ambros ist der Dirigent, das Orchester, das Publikum und die Heerscharen der Vorbeigehenden, denen nichts auffällt. Die weiter gern und willig Scheisse fressen und nach einer Glückseligkeit Ausschau halten, die es nirgend gibt. Bin ich er ? Ist er in uns ?
Trackliste
Der letzte Tanz
Polizist
Modern
Ueberlebensfrage
Von Liebe ka Spur
Hand in Hand
Sei ned bled
Mein zweites Leben
So ist es
Inselwitz
Du bist ma des wert
Nümmer vü Zeit
Bei Amazon kann man die originale CD, die seit Erscheinen 1983 nie mehr nachgelegt wurde, für 120 Euro in gebraucht erstehen. Warum die CD so teuer ist...siehe oben...und unten. Die LP gibt es billiger. Ich habe beides. Und die CD hab ich kopiert. Wenn ich Lust habe, höre ich die Kopie. Die Original-CD ist mir zu wertvoll, sogar zum anhören. Ein Edelstein, ein wertvoller Diamant, geschliffen und trotzdem roh: von Angst machender Schönheit.
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