Jun 21, 2016


SINKADUS - Cirkus (Cyclops Records CYCL 072, 1999)

Die schwedische Band Sinkadus hatte 1996 ihr Debütalbum "Aurum Nostrum" beim normalerweise auf Neo Progressive Rock spezialisierten britischen Cyclops-Label veröffentlicht. Stilistisch wurde die Gruppe oft und gerne mit den wesentlich bekannteren Änglagård verglichen. Das schmeichelte der Band einerseits, andererseits unterstrich dieser Vergleich auch die hohe musikalische Qualität, welche die Band innert kürzester Zeit unter Beweis stellen konnte. Bereits auf ihrem Debutalbum schwelgte die Band in den 70er Jahren und operierte mit allerlei authentischem Instrumentarium, wie es die grossen Vorbilder bereits 20 Jahre vor ihnen getan hatten. SINKADUS zeigten sich als versierte, professionell agierende Gemeinschaft, die quasi aus ihren eigenen musikalischen Vorlieben neue und eigene Klangwelten erschufen, und dies gleich von Beginn weg auf sehr hohem Niveau. Das Album "Aurum Nostrum" blieb zwar letztlich bloss ein Geheimtipp, ermöglichte es der Band allerdings zwei Jahre später beim angesehenen ProgFest Event aufzutreten und einen grossen Erfolg beim Publikum zu feiern. Dieser Auftritt wurde live mitgeschnitten und erschien später als zweite offizielle Platte mit dem Titel "Live At ProgFest '97".

Weniger als ein Jahr nach ihrem Erstling legten SINKADUS somit eine Live Doppel-CD nach. Die Platte, resp. das Konzert, bot zwar keine neu geschriebenen Titel, sondern bis auf das Stück "Jag, Änglamarks Bane", das sich später auf dem Studioalbum "Cirkus" wiederfinden würde, bereits bekannte Titel des Debütalbums in Live-Versionen vom Progfest in Los Angeles, sowie als sogenannte Bonustracks jene frühen Demoaufnahmen, dank derer die Gruppe beim Plattenlabel Cyclops Records auf sich aufmerksam machen konnte, was letztlich zu dem besagten Plattenvertrag führte. Die Musik des Sextetts aus der Nähe von Göteborg, oft durch typische, eher gedämpfte Klänge aus dem hohen Norden dominiert, wurden folkloristisch durch ausgiebige Flöteneinlagen angereichert, versprühten dazu ein gehöriges Mass an Melancholie und Traurigkeit. Die Live- und die Demoversionen wirkten gegenüber den Studioaufnahmen der ersten Platte wesentlich rauher, ungeschliffener und fesselnder. Ein Manko stellten einzig die vielleicht übermässig vielen ruhigen Passagen, die zwar mit Cello- und Mellotronklängen spannend gestaltet wurden, doch mehr Expressivität hätten erfahren dürfen. So fehlte den Live-Aufnahmen von SINKADUS letztlich doch noch ein wenig der entscheidende Kick, um aus dem zugegebenermassen großen Schatten anderer schwedischer Bands heraustreten zu können. Interessante Musik für den Liebhaber der skandinavischen Variante des Progressive Rocks boten sie aber allemal. Allein die Tatsache, dass sie kurz nach der Veröffentlichung ihrer CD schon beim prestigeträchtigen Progfest auftreten konnten, stellte einen offensichtlichen Beweis ihrer Qualitäten dar.

Mit dem zweiten Studioalbum "Cirkus" konnte die Band 1999 das hohe Qualitätsniveau schliesslich deutlich übertreffen. SINKADUS hatten wie die meisten ihrer Landsleute eine Nische im bisweilen leider allzu glatt polierten modernen Progressive Rock gefunden und überzeugten vor allem hier beim insgesamt dritten Album durch einen warmen Retro-Sound, ohne dabei wie eine Kopie eines der grossen Vorbilder der 70er Jahre zu wirken. Die Gruppe, deren Album "Cirkus" in der Folge leider das letzte musikalische Lebenszeichen war, bewies, dass sie ein Paradebeispiel für die Kreativität der skandinavischen Szene war. Allerbester Retro-Progressive Rock bot die Gruppe hier, fuhr das ganze fossile Instrumentarium der 70er Jahre auf. Dazu gehörten eine herrlich gurgelnde und röhrende, durch ein Leslie Cabinet geführte Hammondorgel, ein Mellotron und ein knorriger, oft recht deutlich in den Vordergrund gemixter Bass in bester Chris Squire-Manier. Der Sound der Schweden war hier überwiegend melancholisch, wobei es aber auch zu vereinzelten emotionalen Ausbrüchen kam. Eine Inspiration durch die schwedische Folklore war ebenfalls nicht zu überhören. Auch eine romantische Flöte und ein Cello kaen geschickt und gut punktuiert zum Einsatz. Der unauffällige schwedische Gesang war sehr sparsam eingesetzt, passet aber gut zum schwermütigen Grundcharakter der Musik. 

Das Album überzeugte bereits beim Opener "Jag, Änglamarks Bane" durch eine Flötenmelodie, bei der unheimlich viel passierte, bevor eine laute Explosion nach etwa einer Minute Spielzeit das Stück forcierte. Ein leistungsfähiger Melodie-Körper plus ein Mellotron, mit einem dezenten Schlagzeug angereichert, wirkte der Opener wie ein Trauermarsch. Bereits hier erinnerten SINKADUS angenehm an vergleichbare Sachen der wesentlich bekannteren Konkurrenten von Änglagård. Gitarre und Bass begeisterten durch eine atemberaubend gespielte Linie. Die gesamte Band wurde von dieser furiosen Basslinie angetrieben.Das Stück spielte gekonnt mit den verschiedensten, Spannung erzeugenden Motiven, die zuerst ruhig und fast melancholisch, immer wieder ausbrachen und den Zuhörer aus dem Sessel katapultierten. "Positivhalaren" öffnete sich kraftvoll durch Orgel, Schlagzeug und Mellotron. Dazu gesellte sich eine herrlich gespielte Flöte, während das Mellotron seine Basis-Struktur beibehielt, nach und nach jedoch mit dem Bass kokettierte, was äusserst angenehm, aber auch sehr spannend und enorm vital herüberkam.

Der dritte Titel "Kakafonia" geriet bereits durch seinen Titel zum musikalischen Programm. Hier schöpften SINKADUS aus den Vollen. Ausgehend von einem eher noch ruhigen und traurigen Einleitungsthema, das vor allem wieder durch die leisen Flötenklänge fast einlullend wirkte, entwickelte der Song nach und nach eine unbändige Dynamik, die auch hier wiederum vom Mellotron klasse in Szene gesetzt wurde. Hier klangen die grossen Spannungsbögen zwischen Aufruhr und Zusammenbruch fast am eindrücklichsten. Auch der prägnante und zielgerichtet arrangierte, fast episch wirkende Chorgesang verlieh dem Stück eine zusätzliche Dramatik. Dabei blieb auch dieser Titel trotz aller geinaler Dramaturgie letztlich ein Feeling-betonter Song, der keineswegs in Frickeleien mündete. Das war eigentlich durchwegs auch bei allen anderen Titeln der Band das zentrale stilistische Merkmal. Der vorletzte Stück "Valkyria", ein zehnminütiges Instrumentalstück, überraschte durch seinen sehr kernigen, rockigen Gesamtsound, der auf der gesamten Platte bislang nicht in dieser Forciertheit zu hören war. Ein weiterer Versuch der Gruppe, dem Album insgesamt noch einen weiteren zusätzlichen Touch zu verleihen, was hervorragend gelang. Dem Mellotron wurde hier eine breite Fläche zugestanden und eigentlich müsste gerade dieser Track jedem Fan des typischen Mellotron-Sounds extrem gut gefallen. Majestätisch setzte es sich in Szene, explodierte förmlich und war von Frederick Karlsson sensationell virtuos gespielt. 

Das Album endete mit "Ulv I Färakläder", das mit einer herrlichen Schrammelgitarre begeistern konnte. Diese rumpelige Art, den progressiven Rock zu spielen, beherrschten SINKADUS zuvor nicht, oder wollten es nicht in dieser Art zeigen. Hier verschmolzen dann die Musikstile miteinander: Skandinavische Folklore-Einschübe, progressiver Rock, herzhafter Beat und dazu diese typische allgegenwärtige nordische Schwermut in Form eines steten Wechsels von schwelgerischen Harmonien und schroffer Komplexität. Die zartgliedrig tänzelnden Flöteneinlagen standen auch bei diesem wundervollen Abschlusstitel noch einmal eindrücklich für den romantischen Unterton im Sound der Band, den sie praktisch auf dem gesamten Album immer wieder durchschimmern liess.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die spröden Gesangslinien den teilweise fragilen Charakter des Albums prägten, was insbesondere im ätherischen Beginn des Stücks "Kakafonia" zum Ausdruckt kam. In fast schon pastoraler Anmut wurden sanfte Klanglinien gezeichnet, die dann von wohl dosierter symphonisch-schwelgerischer Komplexität abgelöst wurden. "Valkyria" wiederum stand für die von SINKADUS dargebotene episch-folkige Eleganz in Form von dezenter Klangmalerei. Das mutete fast wie ein in zarten Farben gezeichnetes Aquarell an, das eine liebliche Hügellandschaft zeigt. Säuselndes Flötenbeispiel und verklärte Mellotronflächen standen für den sanften Sommerwind, der zart über die Wiesen streicht und die pittoreske Szenerie mit betörenden Duftessenzen erfüllte, ehe die langsam am Horizont aufziehenden Wolken zu einer bedrohlichen Stimmung beitrugen und sich zu einem kurzen, aber heftigen Gewittersturm entluden. Die auf "Cirkus" praktizierten Dynamikeinschübe hatten die Funktion, das vorherrschend sanftmütig-symphonische Klangbild gezielt mit charakteristischen Kanten zu versehen, was den Musikern vortrefflich gelang.


Schade, dass von dieser vielversprechenden Gruppe kein nachfolgendes Material mehr erschien. Die Band hatte sich wohl still und heimlich aufgelöst. Hinterlassen hat sie allerdings drei wirklich schöne Retro Progressive Rock Alben, von denen das dritte mit dem Titel "Cirkus" das ausgereifteste und spielerisch hervorragendste darstellt. Da hätte man sich durchaus noch auf weitere Alben gefreut. Schade.









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